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Auf dem kleinen Küstendampfer »Kinau«, der einmal wöchentlich den Verkehr zwischen den Inseln der Sandwichgruppe vermittelte, verließ ich an einem sonnenglänzenden Mittag die kleine, durch den Zuckerbau gegenwärtig rasch emporblühende Stadt Hilo auf Hawaii, um nach Honolulu auf Oahu zurückzukehren.
Auf weichen, schaukelnden Wellen fuhren wir längs der Nordostküste von Hawaii entlang, im Angesicht einer seltsam reizenden Landschaft. Die Häupter der alten Vulkane bargen sich in majestätische Wolken; ihre sanftgeschwungenen Abhänge stiegen langsam zur Küste hinab. Hier aber endeten sie überall mit jähem Steilabfall. Das Meer hat allerorten die Lavaströme, aus denen sie bestehen, wie mit scharfem Messer angeschnitten, und so ist der Strand von Hawaii fast allenthalben, um die ganze Insel herum, ein jäher, braunroter Steilrand, an dessen Fuß immerwährend eine weißschäumende Brandung steht. Oben auf den Hängen aber dehnen sich in endlosen Flächen samtenen Grüns Zuckerpflanzungen an Zuckerpflanzungen, jene neuen Anlagen, mit denen die Amerikaner aus dem alten Lavaboden Ströme von Gold hervorzuzaubern wissen. Viele Meilen lange Wasserleitungen von erstaunlicher Kühnheit, die mit ihrem spinnwebedünnen Gestänge Schluchten von Kirchturmtiefe überschreiten, schwemmen das abgeschnittene Rohr von den Feldern an die Zuckerrohrmühlen, die man hier und dort liegen sieht. Oft steht eine Zuckerrohrmühle hart oben am Uferrande, mit Drahtseilgleitbahnen und Kranen schafft man von dort die Zuckersäcke hinab, unmittelbar in die Boote. Nur vereinzelt liegt ein Landungsplatz unten am Ufer. Das pflegt dort zu sein, wo ein tiefer Talriß den Steilrand durchschneidet und schräg zum Meere hinabsteigt. Ist dann zufällig daneben auch ein neuerer Lavastrom in die See hinausgeflogen, an dessen schwarzen Klippen die Brandung mit wütendem Schaum sich bricht, dann kann man die geschütztere Uferstelle dahinter, auch bei etwas größerem Seegang als heut, als Reede benutzen.
Wir laufen unterwegs mehrere solcher an. Das Schiff bleibt draußen auf der offenen See vor Anker liegen, unsere Bootsleute rudern über das blauschimmernde Wasser zum Ufer, um die Post abzuliefern oder Passagiere und Waren zu holen, die auf kühner, an den Steilwänden abwärts geführter Kunststraße vom Plateau zum Landeplatz hinabgelangen. An den meisten Stellen ist trotz des natürlichen Schutzes die Brandung noch so heftig, daß man meint, das Boot müsse kentern; doch die geschickten Ruderer – meist Javaner – wissen heil hindurchzukommen. Ist alles beendet, so werden die Boote mit dem üblichen Geschrei und Geschwätz in unverständlichen Lauten von der farbigen Schiffsmannschaft unserer »Kinau« wieder emporgewunden, und weiter geht die Fahrt.
Große Tümmler begleiten uns jetzt und springen mit mächtigen Bogensätzen über die Flut empor. Dann sind es Scharen fliegender Fische mit metallisch bunten Flossen, die dicht vor unserm Schiff aufschnellen, um nach weitem, schwirrendem Fluge wieder in die Wogen hinabzufallen.
Gegen Abend wird die Gestaltung der Ufer immer großartiger. Die Felsenwände werden höher und höher, die Bachschluchten zwischen ihnen reißen sich so jäh hinein, daß eine Straße in ihnen nicht mehr möglich ist.
Das Wundervollste aber ist, daß silbern schimmernde Bäche und Wasserfälle überall vom Plateaurande herniederhängen; in so dichter Fülle, von solcher Vielgestaltigkeit und stellenweise auch von solcher Höhe, daß sie die der norwegischen Fjorde in Schatten stellen. Teils gleiten sie in Klüften als lange, schmale Bänder herab, teils springen sie in Kaskaden-Absätzen hinunter, teils aber stürzen sie auch mit einem einzigen freien Bogen von oben unmittelbar ins Meer.
So kommt weich und lau die Nacht heran und hüllt, rasch wie immer in den Tropen, rings die Welt in Dunkel. Schwätzend oder träumend sitzen wir auf den Deckstühlen. Ich mit einem jungen deutschen Kaufmann, der in Hilo lebt und mit dem ich über den letzten großen Vulkanausbruch auf Hawaii im Vorjahre plaudere. Die Mitglieder einer kleinen amerikanischen Schauspielertruppe, die wir an Bord haben, hocken im Ring auf dem Boden und würfeln stundenlang; die wenigen Dollars, die sie besitzen, rollen von einer Hand in die andere.
Gegen 10 Uhr – wir waren jetzt um die Nordspitze der Insel herum und auf ihre Westseite gelangt – hielt unser Dampfer noch einmal an. Wir wunderten uns, was dies auf dem nachtdunklen Meere vor ebenso nachtdunkler Küste bedeutete: rasch aber klärte uns ein überraschend hübsches Schauspiel auf. Ein großer elektrischer Scheinwerfer schickte plötzlich von unserer Kommandobrücke aus ein bläuliches Strahlenbündel über das Wasser und bestrich den etwas über einen Kilometer entfernten Uferrand. Wir hielten vor einem Platze, wo Vieh eingenommen werden sollte. In früheren Zeiten mußte die »Kinau« hier dazu immer bis zum nächsten Morgenlicht liegenbleiben. Seit sie sich den Scheinwerfer zugelegt hat, kann sie auch bei Nacht die Verladung vornehmen.
Zunächst galt es den Landungspunkt zu erfassen und zu sehen, ob die erwarteten Herden, Schafe vor allem, aus dem Innern der Insel angekommen seien. So wanderte das runde Lichtbild, von unsern Krimstechern verfolgt, langsam am Ufer hin und her. Stück für Stück der Küste wurde in ihm sichtbar, aber in einer ganz eigentümlichen, märchenhaften Beleuchtung. Durch den Gegensatz zu dem Nachtdunkel erschienen alle Farben gesteigert, das Grün der Büsche smaragdener, der braune Fels röter als sonst. Scharf fiel der Schatten der elektrisch beleuchteten Wipfel auf die hinter ihnen emporsteigenden Felswände, so daß die Laubmassen genau aussahen wie aus grüner Pappe geschnittene Theaterkulissen.
Endlich traten ein paar Häuschen in das Lichtrund: der Landeplatz war gefunden.
Nun aber sahen wir etwas ganz Merkwürdiges. Zwischen den Büschen an der bunten, steil darüber aufsteigenden Felswand zeigten sich seltsame runde, in grünlich opalisierendem Glanz funkelnde Lichtflecke, die, unruhig wie Irrlichter, hin- und herflackerten und in langer Kette sich an der Felswand langsam schräg abwärts bewegten. An Glühwürmer war nicht zu denken; dazu waren sie viel zu leuchtend, und überdies mußten diese Lichtflecke, der Entfernung nach, mindestens so groß wie Menschenköpfe sein. Es war etwas, was wir uns schlechthin nicht erklären konnten; auch dies ganz anzusehen wie ein magischer Theatereffekt in einer Zauberoper.
Der Schiffskapitän trat gerade an die Reling, um das Herablassen unserer Boote zu überwachen.
»Bitte, Kapitän, was sind das für merkwürdige Lichter?«
»Ach, die Lichter?« lachte er. »Das sind die Augen der Schafe, die die Bergstraße herunterkommen. Sie sind da.«
»Was soll das sein? Schafsaugen? Das ist doch ein Scherz von Ihnen?«
«Nein, nein, schauen Sie nur hier durch mein Nachtglas.«
Wirklich, es war so. Die Tiere wurden dort in langer Reihe die schräg am Felsrand abwärts führende Straße heruntergetrieben; man sah durch das Glas ihre kleinen dunklen Gestalten. Alle stauten sie verwundert in das fremde helle Licht, das von dem Meere zu ihnen herüberglänzte, und die von ihren Augenlinsen zurückgeworfenen Lichtstrahlen gelangten, in der Entfernung kegelförmig erweitert, rückwärts zu den unsrigen.
Nun verließ der Scheinwerferstrahl den gefundenen Platz und lehrte zum Schiff zurück, um unsere Boote zur Küste zu geleiten. Auch das war wieder ein überaus malerischer Anblick, die weißen Schiffchen mit ihren buntgeschürzten, halbnackten Menschen im runden Lichtkreis, ganz wie in einem Zauberlaternenbilde, über dem dunkelfarbigen Meere dahinschwimmen zu sehen, kleiner und kleiner werdend, bis sie drüben am Ufer angelangt waren. Hier sahen wir dann durchs Glas, wie winzige menschliche Gestalten die Schafe wie Säcke eins nach dem andern auf den Rücken nahmen und sie, ein Streckchen durchs Wasser watend, in die Boote luden. Dann kehrten diese wieder hierher zum Schiff. An der Schiffswand angelangt, wurden sie unter der Luke festgemacht, und nun wurden die vor Schrecken vollkommen willenlosen Tiere, abermals gleich Säcken, von je zwei Männern eins nach dem andern in den Schiffsraum geworfen. Sobald die Boote leer waren, gingen sie von neuem zur Küste.
Zwei Stunden lang arbeiteten unsere Leute so, denn 200 bis 300 Schafe waren einzunehmen.
Inzwischen hatten sich vor uns am Himmel die Wolken mit einem mattrötlichen Licht zu färben begonnen; der Mond kam offenbar hinter den Bergen herauf. Finster zeichneten sich deren Umrisse, die an dieser Stelle klar geworden waren, von dem helleren Himmel ab. Plötzlich lohte gerade auf der Spitze eines der Berge ein feuerflammender Punkt auf, der langsam quellend größer und größer wurde: der Rand der Mondscheibe; hier in den Tropen ein prachtvoller Glutschein!
»Rasch, schauen Sie, ehe der Mond zu hoch kommt!« rief mir lebhaft der junge Kaufmann zu. »Das ist verblüffend genau der Anblick, den der Mauna Loa bei seinem nächtlichen Ausbruch im letzten Juli bot. Da kam die rote Lava oben aus dem Krater heraus. Später lief sie dann fingerförmig, in feurigen Strömen, die Abhänge herunter.«
Einige Minuten später, und der halbvolle Mond schwebte frei am Himmel. Jetzt goß er so viel Licht herab, daß der Scheinwerfer die Arbeit einstellen konnte. Im silbernen Mondglanz vollzog sich die weitere Verstauung.
Es galt nun, nachdem die Schafe eingenommen waren, auch Pferde und Kühe an Bord zu schaffen. Hierbei war das Verfahren für unsere Begriffe eigenartig genug. Man nahm sie nicht in die Boote, sondern ließ sie die ganze Strecke im Wasser nebenher schwimmen, indem man ihnen nur die Köpfe mit einem Zaum über Wasser hielt. Jedes Boot brachte zu beiden Seiten je ein Tier herbei. Es war kläglich zu sehen, wie die großen, furchterstarrten Geschöpfe regungslos mit ausgestreckten Beinen sich flach im Wasser treiben ließen; nur das Schnauben der Nüstern und die weit aufgerissenen Augen verrieten ihre Aufregung. Diese Art der Beförderung ist besonders deshalb eine gewagte Sache, weil das Meer hier reich an Haifischen ist, die sich oft genug weder durch Geschrei noch Laternenschwenken abhalten lassen, die Beute in die Tiefe zu reißen.
Am Schiff angelangt, befestigte man einen Gurt um den Bauch der schwimmenden Tiere, ein Kran hob die dunklen, blanken, zappelnden Körper aus dem blinkenden Wasser, führte sie hoch durch die Luft und ließ sie dann an Bord nieder, wo sie nach einigem Ausgleiten und verängstetem Umsichschlagen an der Reling angebunden wurden.