Georg Wegener
Erinnerungen eines Weltreisenden
Georg Wegener

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3. Bei König Mataafa

Unter den Hoffnungen, mit denen ich nach Samoa kam, war mir eine der wichtigsten gewesen, auch Mataafa (spr. Máta-áfa) kennen zu lernen, den meistgenannten unter den samoanischen Königsanwärtern der letzten Jahrzehnte, den »grand old man« von Samoa.

Das Glück schien mir gleich am ersten Tage zeigen zu wollen, daß es gesonnen sei, über meinem Aufenthalt auf den Inseln mit günstiger Laune zu walten. Als ich am Nachmittag meiner Ankunft an Bord der beiden deutschen Kriegsschiffe »Cormoran« und »Seeadler« meinen Besuch machte, traf ich die Kapitäne und die Mehrzahl der Offiziere nicht an.

»Die Herren sind bei Mataafa,« sagte mir der wachhabende Offizier des »Cormoran«. »Gehen Sie doch hinüber,« setzte er dann, mein lebhaftes Interesse gewahrend, hinzu. »Sie treffen sie gleich alle zusammen und sehen auch Mataafa. Das wäre doch gewiß interessant für Sie.«

»Ja, das wäre es in der Tat, aber wie kann ich denn das?«

»Gehen Sie nur an dem Haus vorbei, das er bewohnt; es ist offen, man wird aufmerksam auf Sie werden, und dann gehen Sie einfach hinein. Unser Kapitän weiß bereits von Ihrer heutigen Ankunft und erwartet Ihren Besuch.«

So machte ich mich denn auf den Weg, in ziemlich spannungsvoller Stimmung. Nach allem, was ich bisher über Samoa und seine Geschichte gelesen hatte, war Mataafa unzweifelhaft derjenige, in dem eine überwältigende Majorität des Volkes ihr rechtmäßiges Oberhaupt sah, und mir war zumute, als ob ich in das Haus eines alten homerischen Königs treten sollte. Wie schön war es doch, daß uns mit dieser Inselgruppe gerade derjenige Archipel der Südsee in die Hände gefallen, in welchem sich die sonst bei der Berührung mit den Weißen rasch verschwindende polynesische Kultur noch fast ganz rein erhalten hat.

Was ich von dieser Kultur wußte, zeigte sie zwar noch kindlich einfach, aber auch kindlich liebenswürdig und zugleich übergossen mit einem Hauch von Poesie und natürlichem Adel, einem klassischen Schimmer, wie wir ihn bei den Griechen des heroischen Zeitalters finden. Es schien mir eine Ehrenpflicht Deutschlands zu sein, nachdem diese Inseln nach endlosen Wirren unter unsern Schutz gekommen, dafür zu sorgen, daß diese Gesinnung, und das Völkchen selbst mit ihr, nicht, wie anderwärts überall, rücksichtslos durch die Weißen und ihre Wirtschaftsexperimente vernichtet würden: beispielsweise wie auf den Sandwichinseln, woher ich eben kam; nur damit noch ein paar tausend Taler mehr aus dem Lande gezogen werden können. Es schien mir, als ob Deutschland hier wie ein reicher und vornehmer Mann sein müsse, dem zu seinen vielen Landgütern ein Rosengärtchen hinzugefallen ist, und der nun nicht die Rosen herausreißen wird, um auch hier noch Kartoffeln zu pflanzen.

Am Gouvernementsgebäude vorüber schritt ich die schöne Straße auf dem schmalen Landstreifen des alten geheiligten Königslandes Mulinuu vorwärts, mächtige Palmenwipfel über dem Haupte, rechts voraus das kräftige Rauschen der freien Meereswellen im Passat, zur Linken die weiten, stillen Wasserflächen der im Westen der Halbinsel liegenden nächsten Bucht und hinter dieser sammetweiche, malerische, grüngoldig und mattblau schimmernde Höhen. Endlich gewahre ich zur Seite vom Wege zwischen den Bäumen eine runde Hütte von der aus Abbildungen bekannten Form der samoanischen Häuser. Das wohlgebildete ovale Dach aus Zuckerrohrstroh war augenscheinlich noch ganz neu. Die säulenartigen Pfähle aus frischem Holz, die es trugen, waren sauber. Sonst unterschied sich das Haus in nichts von andern besseren samoanischen Hütten. Auf dem freien Vorplatz davor standen zwei Samoaner, außer dem Hüftschurz mit einer erbsengelben, livreeartig weißbestickten Jacke und einer Schirmmütze angetan und einen Polizeistock im Arm: augenscheinlich als eine Art königlicher Garde oder Ehrenwache.

Als die langen Streitigkeiten zwischen Deutschland, England und Amerika über den Besitz der Inselgruppe am Ausgang des Jahrhunderts endlich damit ihren Abschluß gefunden hatten, daß England ausschied, Amerika die drei kleinen östlichen Inseln Tutuila, Manua und Rosa erhielt, Deutschland die beiden größten und wertvollsten westlichen, Upolu und Sawaii, und als wir nun im Anfang des Jahres 1900 die deutsche Schutzherrschaft über die bis dahin, dem Namen nach wenigstens, unabhängige Inselwelt verkündigt hatten, da belehnten wir Mataafa zwar nicht mit dem alten samoanischen Königstitel, Tupu, um den sich die mit den Streitigkeiten der drei Kolonialmächte parallel gehenden Eingeborenenkämpfe gedreht hatten. Wohl aber beabsichtigten wir, uns doch den großen Einfluß dieses Mannes zur Wiederherstellung geordneter und friedlicher Zustände unter den Eingeborenen zu sichern und verliehen ihm mit der neugetroffenen Bezeichnung Alii sili, d. h. »großer Mann«, doch eine besondere Würde- und Vertrauensstellung über allen andern Samoanern. Diese kam unter anderm auch in dem heutigen Besuch des Kapitäns und der Offiziere des neu angekommenen Kreuzers »Seeadler«, unter Begleitung des Offizierkorps des alten Stationsschiffes »Cormoran«, zum Ausdruck. Im Volksmund hieß der Häuptling durchweg »King« Mataafa.

Das Innere der Hütte stand den Blicken offen. Zwischen den Pfosten wurde eine Anzahl weißgekleideter Europäer sichtbar, die dort auf dem Boden saßen, die Offiziere von den Kriegsschiffen. Einen Augenblick blieb ich zögernd auf dem Wege stehen, unschlüssig was zu tun sei; dann ging ich langsam auf das Haus zu. Sogleich erhob sich unter den darin Sitzenden ein ebenfalls europäisch gekleideter Mann, aber von bräunlicher Hautfarbe, kam hervor und fragte höflich, in englischer Sprache, nach meinem Begehren. Ich bat ihn, den Herren Kapitänen meine Karte zu übergeben. Dies tat er. Ich sah, wie einer der beiden etwas zu seinem Nachbar sagte; dann kam auch er heraus und trat mit der freundlichen Begrüßung auf mich zu:

»Ich bin Kapitän Emsmann und freue mich sehr, Sie zu sehen. Sie sind mir bereits von der Admiralität daheim gemeldet. Kommen Sie mit hinein, ich stelle Sie vor.«

Damit hatte ich die erste Bekanntschaft eines Mannes gemacht, dessen Liebenswürdigkeit und zuvorkommende Hilfsbereitschaft mir für meinen samoanischen Aufenthalt von unschätzbarer Bedeutung werden sollten. Mit ihm trat ich nun, unter der nur etwa anderthalb Meter hohen Dachwand mich hindurchbückend, in die Königshütte ein. Hier saß Mataafa nach samoanischer Art mit gekreuzten Beinen auf dem mit blendend sauberen Flechtmatten belegtem Boden. Ich erkannte nach den Bildern sofort seinen mächtigen runden Kopf mit dem kurzgeschorenen grauen Haar und dem Crispi-Schnurrbart. Er trug eine einfache weiße Jacke und einen weißen Lavalava, den samoanischen Hüftschurz; in der Hand den kurzstieligen Fliegenwedel der samoanischen Häuptlinge, sonst aber keinerlei äußeres Abzeichen seiner Würde.

Rechts und links von ihm hatten Kapitän Emsmann vom »Cormoran« und Kapitän Schack vom »Seeadler« ihren Platz und an diese schlossen sich, im Halbkreis hockend, so gut wie sie die schwierige Sitzweise fertig brachten, die jüngeren Seeoffiziere in ihren weißen, blankknöpfigen Uniformen. Gegenüber saßen die Hausgenossen Mataafas: eine ältere Frau, die seine Nichte war, einige jüngere Mädchen und Männer; im ganzen etwa sechs oder acht Personen.

Nachdem die allgemeine Vorstellung unter uns Weißen vorüber war, schloß auch ich mich dem hockenden Kreise an. Eines der hübschen braunen Mädchen mit Hüftschurz und bunter Jacke brachte mir lächelnd eine frische, geöffnete Kokosnuß voll kühlen, klaren Saftes. Als vorsichtiger Mann hatte ich mir von meiner schönen Lehrerin an Bord der »Alameda« aus der samoanischen Sprache vorher unter anderm auch dasjenige Wort beibringen lassen, nach dem ich mich in fremden Ländern immer zuerst erkundige, weil man damit unter verständigen Leuten am weitesten kommt. Ich meine den Ausdruck für »Prost!« So hob ich denn meine Kokosnuß, schwenkte sie gegen den König und rief » manuía!« Die Wirkung blieb auch hier nicht aus: das Publikum staunte mich an und Mataafa gab mir, sichtlich angenehm überrascht, mit einer Verbeugung den üblichen Gegengruß. » soifúa!«, zurück.

Der natürliche Trank schmeckte nach der heißen Wanderung köstlich. Das junge Mädchen überreichte mir hierauf mit graziöser Bewegung eine samoanische Zigarette, deren Hülle aus einer Art Bast geformt ist, und ich begann eben, in dem Glauben, daß es nun der Zeremonien genug sei, mich mit großer Behaglichkeit in meiner ungewohnten Umgebung umzusehen, als Kapitän Emsmann mir eröffnete, jetzt würde mir Mataafa eine Rede halten. Er habe ihm vorhin gesagt, daß der Kaiser ihm, dem Kapitän, einen Brief geschrieben hätte, worin er meine Ankunft angekündigt habe; ich hätte die Absicht, zu sehen, wie sich Samoa unter den neuen friedlichen Zuständen unter deutscher Schutzherrschaft entwickele, und davon in Deutschland zu berichten. »Sie wundern sich etwas, daß ich Sie mit dem Kaiser in Zusammenhang bringe. Das muß ich tun; Ausdrücke wie Admiralstab oder Auswärtiges Amt würden die Leute gar nicht verstehen. Was hier behördlich von Deutschland kommt, das ist immer der ›Kaisa‹.«

Wirklich begann Mataafa eine festliche Begrüßung an mich. In ruhiger Art, mit langsam abgemessenen Worten, flossen die Sätze von seinen Lippen, während seine Rechte den Fliegenwedel langsam hin- und herschwenkte. Ich nahm dabei Gelegenheit, ihn mir ordentlich anzusehen. Vor mir saß ja einer jener Männer, wie sie bei einem primitiven Volke lange in Liedern und Geschichten fortleben: ein altvornehmer Adliger, um den sich seine Sippen ein Leben lang geschart; ein großer Krieger, der aus den endlosen Parteikämpfen der letzten Jahrzehnte zuletzt als Sieger hervorgegangen war und dem eine langjährige Verbannung und seine endliche Rückkehr in der Phantasie des Volkes noch eine Art odysseeischer Glorie gegeben hatten; jetzt im Alter endlich ein Weiser, auf den die überwiegende Mehrzahl des Volkes mit höchster Ehrfurcht schaute. Mataafa war ein körperlich mächtiger Mann, sechs Fuß etwa hoch, breitschultrig und wohlgebaut. Doch schien er jetzt alt geworden; seine Augen leuchteten nicht mehr feurig, wohl aber sprach maßvolle Würde und seine Freundlichkeit aus ihnen.

Der junge Mann, der mich vorhin empfangen hatte, ein Mischblut, der deutsche Regierungsdolmetscher, übertrug seine Worte. Der Inhalt war kurz dieser: Die Samoaner seien jedesmal sehr erfreut, wenn große Männer aus Siamangi (Deutschland) über das gefahrvolle Meer zu ihnen kämen, um zu erfahren, wie es hier zuginge. Ein solcher könne immer sicher sein, daß er in Samoa ein hochgeehrter Gastfreund sei, zumal wenn er vom »Kaisa« käme; und so begrüße er mich als den seinigen und danke mir für mein Erscheinen. Wenn er während meines Aufenthalts in Samoa irgend etwas für mich tun könne, so bäte er mich, es zu sagen.

Ich verbeugte mich, verbindlich lächelnd, und wollte mich eben wieder dem Rest meiner Kokosnuß und ihrer Schenkin zuwenden, als mir der Kapitän auf deutsch zurief:

»Jetzt müssen Sie auch eine Rede halten.«

»Himmel, ich?«

»Unbedingt!«

Der Zufall wollte es, daß heut gerade mein Geburtstag war. Und ein froher Übermut ergriff mich über den wundervollen Reichtum meines Daseins. Ich brauchte ja nur zu sagen, wie glücklich ich war, den heutigen Tag so zu erleben wie er war: das war die beste Rede, die ich halten konnte. So redete ich denn frisch etwas der Art von der Leber weg: ich weiß nicht mehr was und auch nicht mehr wie lange. Stückweise übersetzte der Dolmetscher. Endlich schien es mir genug zu sein, und ich hielt inne. Der Kapitän aber, der ein wenig vor sich hingelächelt hatte, rief mir zu:

»Sie müssen jetzt noch den lieben Gott hineinbringen, das ist hier Sitte.« Nun, auch das war an diesem wunderschönen Tage und in meiner Stimmung nicht allzu schwer. Ich rief also dankbaren Herzens den Segen des Allmächtigen über Mataafa und sein Haus herab.

»Wenn Sie nun fertig sind,« sagte Kapitän Emsmann wieder, »dann müssen Sie uma sagen, d. h. es ist aus: sonst denkt Mataafa, es kommt immer noch etwas.«

Mein Gott, es war doch nicht so ganz einfach, eine richtige Rede in Samoa zu halten. Ich machte also noch einen schwungvollen Schlußsatz und sagte dann » uma

Meine lange Ansprache rief eine neue Rede Mataafas hervor, in der er mir mit all den Wahlgesetzen Formeln samoanischer Höflichkeit anbot, mir jede Auskunft über Land und Leute zu geben, deren ich bedurfte. Hierauf wendete er sich endlich wieder seinen übrigen Gästen zu.

Nach einigen Wechselgesprächen zwischen den Hauptpersonen und wortlosem, aber um so vergnügterem Zutrinken, Lächeln und Kichern zwischen den Offizieren und den jüngeren Damen des Hofstaates brachen wir auf. denn die Sonne wollte sinken. Mit einem Händedruck verabschiedeten wir uns von Mataafa und schritten im Abendlicht nach Apia zu. Hinter uns wurde von zwei Männern das nach samoanischer Sitte uns gespendete Gastgeschenk, ein im ganzen gebratenes Schwein, getragen.


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