Georg Wegener
Erinnerungen eines Weltreisenden
Georg Wegener

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11. Ein Volksfest in Bangkok

Auf dem Menam, dem Hauptstrom Siams, flußaufwärts war ich nach der einzig großen Stadt im Lande des weißen Elefanten, dem königlichen Bangkok gelangt. Diese Stadt vereinigt mit mehr als 600 000 Einwohnern wohl ungefähr den zehnten Teil der ganzen Bevölkerung Siams und nahezu alles in sich, was das heutige Siam an bemerkenswerten Kulturleistungen aufzuweisen hat.

Um ½ 4 Uhr, nach der großen Mittagshitze, führte mich ein kleiner Kutschwagen europäischer Form, wie sie in Bangkok üblich sind – ein brauner Siamesenjunge mit kecken, schwarzen Augen auf dem Bock und zwei ganz unglaublich winzige Ponys davor –, in flottem Trabe durch die Stadt.

Reichlich eine halbe Stunde fuhr ich so durch langgestreckte Straßenzüge, die mich mehr an eine jugendliche amerikanische Stadtanlage, als an meine romantischen Erwartungen vom »Land des weißen Elefanten« erinnerten. –

Da endlich zeigte sich doch ein Blick, der mich vergewisserte: nein, das ist nicht das nüchterne Amerika, das ist auch nicht diesem ähnlich oder jenem; das ist etwas Einzigartiges, ist eben »Siam«. Eine seitwärts abbiegende, sehr breite, sehr schön gehaltene Fahrstraße mit lateritrotem Fahrdamm streckte sich schnurgerade weit in die Ferne. Zur Rechten lagen hinter großen freien Plätzen einige weitläufige Bauten mit Rampen und Säulen europäischen Stils: Ministerien und Gerichtsgebäude. Zur Linken lief aber eine mit Zinnen und seltsamen Torbauten versehene Mauer, die Umwallung der Palaststadt des Königs. Blendend weiß gestrichen, strahlte diese Mauer wie frisch gefallener Schnee in der grellen Tropensonne. Über sie aber ragte ein schier unentwirrbares buntes Gewimmel von seltsam geformten Dächern, Giebeln, Spitzen und Zacken empor, in hundert Farben funkelnd – oder ganz und gar in leuchtendem Gold.

Die Eingangspforte zur Königsstadt öffnet sich dem Fremden nur auf eine besondere Erlaubnis des siamesischen Ministeriums des Auswärtigen. Ich mußte ihren Besuch daher auf eine spätere Zeit verschieben. Zudem fesselte mich jetzt auch ein anderer Anblick. Die schöne breite Straße, auf der ich fuhr, war offenbar nicht in ihrem gewöhnlichen Zustande, sondern trug einen festlichen Charakter. In kleinen Abständen ragten zu ihren beiden Seiten mastenartige Stangen empor, die einen eigentümlichen und reizenden Festschmuck trugen. Sie wuchsen über einem flachen, zierlichen Gitterwerk empor, das aus buntbemalten Latten gebildet war und rechts und links den Weg begleitete. Vergoldete Blätter aus Metall hingen lose zwischen seinen Maschen und bewegten sich leise im Windzug.

Weiter hinten in der Ferne, wohin diese Feststraße lief, erhob sich aber unerkennbar noch reicherer Schmuck. Und während ich, von meinem unruhigen Gefährt absteigend, eine photographische Aufnahme der Straße machte, rollte Wagen auf Wagen in raschem Trabe an mir vorüber, jener Ferne zu. Offiziere der siamesischen Armee, in geschmackvollen, den europäischen nachgeahmten Uniformen, saßen darin, die Brust mit Orden übersät. Andere schienen Minister oder Prinzen in goldgestickten Paradetrachten zu sein. Kurz, ich konnte nicht mehr zweifeln, daß dort hinten etwas ganz Bedeutsames vorgehen müsse. Wieder eingestiegen, trieb ich meinen Rossebändiger zur Eile an und gelangte nach wenigen Minuten zu einem der überraschendsten Bilder, die ich je gehabt habe.

Vor mir dehnte sich ein riesiger, wohl einen halben, Quadratkilometer großer, freier Raum aus. Die Straße lief mitten hindurch; rechts und links schlossen sich weite Rasenflächen an sie an. Dies Ganze war ein einziger Festplatz, dessen Anblick ich mit einigen wenigen Worten nicht schildern kann. Der Leser möge ihn mit mir durchwandern, wie ich ihn selbst durchwandert habe. Um aber die ganze Wunderlichkeit des Eindrucks mitzuempfinden, möge er bedenken, daß ich so gut wie keine Ahnung hatte, um was es sich hier handelte, daß ich zunächst keinen Führer besaß, der mich zurechtweisen konnte, und daß ich auch nicht ein Sterbenswörtchen der Landessprache verstand.

Ich ließ meinen Wagen auf der großen Mittelstraße, wo ich auch die übrigen Ankömmlinge ihre Wagen verlassen sah, halten und wandte mich zu Fuß der rechten Hälfte des Festplatzes zu. Abgeschlossen wurde dieser im Hintergrunde durch eine Dekoration von überraschender Schönheit und Großartigkeit. Zwölf riesenhafte, wohl zwanzig Meter hohe Pfeiler aus Eisengitterwerk schossen in ungemein schlanker, eleganter Form in die Luft, oben noch einen zierlichen, pavillonartigen Aufbau tragend. Sichtlich waren es mächtige Illuminationskörper, denn sie waren, wie ich beim Näherkommen erkannte, von oben bis unten wie mit elektrischen Glühbirnen besetzt. Schnüre von Glühbirnen schwangen sich in der Höhe wie Festons von einem Pfeiler zum andern, oder liefen strahlenförmig von oben hinab zum Boden. Das Ganze war höchst graziös und monumental zugleich entworfen und übertraf an vornehmer Wirkung unfraglich alles, was ich bisher zu Hause an Festbeleuchtungsgerüsten gesehen habe.

Am Fuß dieser Pfeiler zog sich eine lange Reihe kleiner überdachter Schaubühnen jahrmarktsmäßigen Charakters hin, um die sich die bunte Menge der Eingeborenen, die den Platz erfüllten, neugierig herumdrängte. Die Buden waren auf Pfählen errichtet, so daß die Vorgänge etwa in Manneshöhe über dem Fußboden für jedermann bequem sichtbar wurden.

Langsam wanderte ich von Bude zu Bude. Hier sah ich siamesische Tänzerinnen, die bei einer fremdartigen Musik von eintönigem Rhythmus ihre Bewegungen ausführten. Die Mädchen waren durchweg sehr jung. Die Gesichter waren aschgrau gemalt, so daß die Augen und die roten Lippen wunderlich darin abstachen. Ihre Tracht war bizarr und doch eigentümlich geschmackvoll. Die dicht an den Körper gepreßten Miederchen von einem glänzenden blauen, grünen oder roten Grundstoff, der in verschwenderischer Fülle mit Goldborten und Goldflittern bestickt und benäht war. Goldglänzende, tiaraartige Helme mit pyramidisch aufsteigenden Spitzen trugen sie auf den Köpfen, Armbänder und Ringe überdeckten Arme und Finger.

In einer andern Bude sah ich einige halbwüchsige Jungen in komisch aufgeputzter Kleidung, die Backen und Nasen clownartig mit blauen und grünen Farbenflecken betupft hatten, lächerliche Prügelszenen aufführen. Mehrfach kehrten Buden wieder, deren Zweck ich zunächst nicht verstand. Ein weißer, durchscheinender Vorhang hing in ihnen hernieder. Es waren, wie ich später kennen lernte, Schattenspieltheater, in denen nach Einbruch der Dunkelheit mit schwarzen Silhouettenfiguren Aufführungen gemacht wurden. Ja eine der Buden enthielt nichts anderes als ein leibhaftiges Kasperletheater, mit ganz ähnlichen Puppen, wie wir sie auf unsern Jahrmärkten haben.

Höchst fesselnd war der Anblick der Volksmenge selbst, die sich auf dem Rasenplan vor diesen Schaubuden bewegte. Erst gegen Abend, mit dem Schwinden der großen Tageshitze, schienen diese Vorstellungen begonnen zu haben. Das Volk – bei dem die Einführung des achtstündigen Arbeitstages zweifellos eine sehr unliebsame Maßregel sein würde, denn im allgemeinen begnügt es sich mit sehr viel weniger Tätigkeit – kam jetzt gemütlich von seinen Häusern und Werkstätten herangeschlendert und füllte in zwanglosen Gruppen ruhig und harmlos fröhlich den Festplatz. Hier wanderten schlanke, braungliedrige, barhäuptige Männer, um die Hüften ein weißes oder farbiges Tuch geschlungen, das zwischen den Beinen durchgeführt wird und diese fast bis zum Knie wie ein Paar weiter Hosen mit bedeckt. Hier junge und alte Frauen, zu dem ähnlichen Hüftkleide noch ein buntfarbiges Brusttuch tragend, das die oft volle, schöne Brust nur etwa so weit sichtbar werden läßt, wie unser gewöhnlicher Ballausschnitt. Die siamesische Frau ist durchschnittlich klein, aber kräftig von Wuchs, besonders in den Hüften, ihre Hautfarbe ein sehr schönes Hellbraun. Das Haar trägt sie – abweichend von allen mir sonst bekannten Völkern der Erde – nicht lang, sondern so kurz abgeschoren, daß es, durch besondere Mittel gepflegt und gesteift, bürstenartig emporsteht. Die Gesichter sind oft sehr anmutig, besonders durch ihren freien, liebenswürdigen Ausdruck. Schade nur, daß die für unser ästhetisches Empfinden so scheußliche Sitte des Betelkauens den Gaumen und die ursprünglich schönen, gesunden Zähne dunkelrot und schließlich schwarz färbt. Wenn die Siamesin die Lippen öffnet, ist ihr Reiz für uns vernichtet: der Mund erscheint dann wie ein häßliches schwarzes Loch in dem Gesicht. Manche der Männer tragen auch farbige Jacken, andere Hüte verschiedener Form. Hier hocken Gruppen nach landesüblicher Sitzart auf dem Boden, dort trottet ein Reiter auf kleinem Pony durch die Reihen. Wie grelle Lichtflecke glänzen überall im Gewühl die buddhistischen Mönche, die sich in erstaunlichen Mengen zwischen dem Voll umherbewegen; denn ihre Tracht ist ein langer Überwurf aus hellgelbem Stoff, den sie ganz in dem malerischen, die rechte Schulter freilassenden Faltenwurf der alten Römertoga tragen. Abweichend von diesem antiken Bilde ist nur, daß die nackte Rechte mit einem schwarzen europäischen Regenschirm, aller Wahrscheinlichkeit nach made in Germany, bewaffnet ist.

Die weiche, immer goldtöniger werdende Abendsonne übergoß die bunten, durcheinanderflimmernden Farben auf der Wiese mit einem zarten, einheitlichen Licht und verschmolz ihre Kontraste zu einer wunderbaren Harmonie.


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