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Ein Wiedersehen und ein Abschied – auf immer.

Am andern Mittag, als Jan van Werth und mehrere Obristen mit Vit zu Tische saßen, sprengte auf einmal eine junge Reiterin bis vor das Haus, schwang sich leicht vom Pferde und lief in die Küche, umarmte Frau Mechthilde, welche vor Schrecken den großen Löffel in die Asche fallen ließ, und rief: »Guten Tag, liebe Mutter!«

»Wie – ist das meine Eva?! Gott sei Dank, liebes Kind, daß auch du endlich wieder da bist!« rief Mechthilde erfreut aus und küßte die solange nicht mehr gesehene Pflegetochter auf beide Wangen. »Wie wohl du aussiehst!«

»Wo ist der Großvater, Mutter?«

»Vorne im Stübchen. Es sind aber noch andere Herren da!«

Ohne dies zu beachten lief Eva wie ein Wirbelwind dem Stübchen zu, riß die Tür auf und flog ohne weitere Umstände dem aufstehenden Großvater an den Hals.

»Da bin ich wieder, Großvater,« sagte sie und zu den Herren gewandt: »Schönen guten Tag, Ihr Herren!« Das sagte sie mit soviel Unbefangenheit und so anmutiger Verbeugung, daß alle davon entzückt waren.

»Ist das die kleine Hexe, von der du mir erzählt hast?« fragte Jan van Werth.

»Jawohl, das ist unsere liebe Eva,« sagte Vit, Evas Hand noch immer in der seinen haltend.

»Genannt das Findelkind,« bemerkte Eva, indem sie lächelnd vor dem General knickste.

»Aber heute nicht mehr, Fräulein,« sagte Jan van Werth, ihr die Hand reichend, »nachdem Euer Vater sich nun eingefunden hat.« –

»Mein Vater? Oh – wo ist er?« rief Eva aus und eine jubelnde Freude durchbebte ihre Stimme.

»Ja Kind, dein Vater ist hier,« sagte Vit gerührt, fast feierlich und ergriff ihre beiden Hände. »Heute wirst du ihn endlich wiedersehen, nachdem ihr euch solange vergeblich gesucht habt. Gott sei Dank, der mich diesen Tag erleben läßt; habe mich lange daraus gefreut! – Warte einen Augenblick,« setzte er hinzu, »ich führe dein Pferd in den Stall, und dann sollst du mit zu deinem Vater gehen.«

Nachdem das Pferd besorgt war, schritt Vit mit Eva über den Markt der Abtei zu.

»Ach, Großvater, wie traurig und bedrückt sehen die armen Bürger aus. Was müssen die ausgestanden haben! Ich war schon bei Vit Tempel und habe Grüße von Gretchen ausgerichtet, und Frau Tempel erzählte mir, was sie Schreckliches erduldet hätten.«

»Ja, Kind, die Leute haben vieles erlitten, aber hoffentlich wird es jetzt besser werden,« meinte Vit. »Warte einen Augenblick hier,« sagte er, als sie am Tore der Abtei waren, »ich will sehen, ob dein Vater da ist.« Vit trat ein, kam aber gleich wieder zurück und sagte: »Er macht einen Spaziergang auf dem Münsterplatze, komm, Kind. Er hat eine Verwundung am rechten Arm und ist bei den Mönchen in Behandlung und auch im Quartier. Aber hör' mal Kind – du bist doch nicht allein gekommen von Köln? Wo hast du Hermann gelassen?«

»Der ist mit mir geritten bis ans Weihertor und von da nach Odenkirchen. Ein ihm befreundeter Offizier, welcher in gewöhnlicher Kleidung auf Kundschaft ausgeritten war, traf uns und bat ihn, mit nach Odenkirchen zu reiten. Dort bedürfe man seiner sehr. Da ist er mitgeritten.«

»So, so, also ist er wieder zum Heere gegangen! Das war recht. Kann sich aber gratulieren, wenn der Jan mit seinen ungewaschenen Kerls dort angreift, dann sind sie in Odenkirchen verloren.«

Der Münsterkirche gegenüber standen einige alte Grabkreuze, daneben stand der Hauptmann und schaute, indem er mit der Hand die Augen beschattete, ins Land hinaus.

»Ist das mein Vater?« flüsterte Eva.

»Das ist er,« sagte Vit.

Sie waren nahe an den Hauptmann herangekommen, und dieser blickte sich um. Eva sah ihm ins Gesicht und flog dann an seinen Hals indem sie schluchzend rief: »Vater, mein Vater!«

Ein Zittern durchzog den Körper des erstaunten Hauptmanns. »Mein Kind, mein einziges, armes Kind, habe ich dich endlich wieder?« kam es langsam über seine Lippen, während die Tränen ihm in den ergrauten Schnurrbart liefen.

In inniger Umarmung hielten Vater und Kind sich lange umschlungen. Das Schicksal, daß sie einst so grausam auseinandergerissen und im Leben hin- und hergeworfen, hatte sie nun endlich wieder zusammengeführt.

Dem Vit wurden bei diesem Anblick die Augen naß.

»Wie freue ich mich, liebster Vater, daß ich dich wieder habe! Hoffentlich trennt uns jetzt niemand mehr, nicht wahr?«

»Wir wollen es wenigstens hoffen. O, Gott, wie danke ich dir! Liebe Agnes, teures Weib, könntest du uns vereint sehen!

Seine Augen ruhten in väterlichem Stolze auf der wiedergefundenen Tochter. »Welch' ein starkes großes Mädchen meine Maria geworden ist!« sagte er dann und zog sie von neuem in seine Arme.

»Nun kommt,« sagte Vit, »wir wollen nach Hause gehen, dort kannst du deine Kammer wieder beziehen, Eva.«

Eva hing sich an den gesunden Arm ihres Vaters, und so begaben sie sich plaudernd nach Hause. Abends sagte Jan van Werth zu Vit:

»Junge, ich kann wirklich keine Leute hier lassen, denn es ist für Menschen und Tiere kein Futter mehr da. Nun wurde mir heute mitgeteilt, daß Schloß Liedberg ein vollständiges Magazin von Korn und Hafer sowie Öl und Wein sei, da meine ich, wenn wir das Schloß stürmen und die Vorräte nach Gladbach fahren ließen, damit die Leute sich einmal wieder satt essen können, – wie? Zudem soll auch viel Vieh dort sein.«

»Gewiß, Jan,« sagte Vit, »wenn du das Schloß, welches übrigens stark befestigt ist, so ohne weiteres erstürmen kannst, dann nur drauf! Aber bedenke, in Odenkirchen liegen noch viele Franzosen.«

»Das tut nichts, Vit. Ich kenne Liedberg genau, weiß auch dort hineinzukommen. Ich nehme aber fast die ganze Besatzung von hier mit und komme nicht mehr zurück, denn die vom General Hatzfeld versprochene Besatzung trifft morgen hier ein. Übermorgen kannst du schon ein Dutzend Wagen nach Liedberg schicken, um Beute zu holen. Aber, Vit, wollen deine Burschen nicht mit mir ziehen? Ich würde sie gerne mitnehmen.«

»Sie kommen heute abend noch hierher, dann will ich sie fragen,« erwiderte Vit.

Als die Burschen kamen, führte Vit sie zu Jan ins Zimmer.

Letzterer fragte: »Wer ist von euch aus Büttgen?«

Es meldeten sich vier Burschen.

»Wie heißt ihr denn?«

»Peter Kluth, Gerd Bäcker, Kreß Schepper, Hans Krumm,« sagte Vit.

»Ich kenne euch zwar nicht, Jungens, aber eure Eltern sind mir bekannt und befreundet. Lebt dein Vater noch, Peter? Er kränkelte zur Zeit einmal etwas.«

»Der ist jetzt ganz gesund und munter,« erwiderte Peter.

»Wollt ihr mit mir ziehen, Burschen? Ich kann euch alle gut gebrauchen.«

»Wir ziehen alle mit Euch,« sagte Peter.

»Das ist recht, das freut mich! Kommt, reicht mir die Hand,« und er hielt die Hand hin, in welcher die Hände der Burschen wie eine Kinderhand verschwanden. »Hier, nehmt ein Goldstück und trinkt eins auf meine Gesundheit!«

»Wir danken, Herr General,« sagte Peter, »wir haben jeder mehrere Goldstücke und brauchen vorläufig kein Geld. Unser alter Feldherr, Vit, der uns heute entläßt, wird uns auch wohl noch einen Zehrpfennig mitgeben.«

»Schöne Soldaten, welche kein Handgeld wollen!« lachte Jan. »Na, Sparr, morgen früh reihst du sie ein. Guten Abend, Jungens, bis morgen,« sagte Jan freundlich. »Morgen wird schon dreingeschlagen.«

»Guten Abend, Herr General,« grüßten die Burschen und entfernten sich.

»Kommt in die Küche, Jungens,« sagte Vit, »dort liegt ein Faß Bier für euch, auch ist ein Abendessen zurechtgemacht, da trinken wir eins zum Abschied.«

»Die Burschen nahmen Platz in der Küche, und Eva kredenzte den frischen Trunk, der allen mundete. Unter heiterem Geplauder blieben sie bis zu später Stunde. Am andern Morgen zogen alle, auch Paul, trotz des Protestes von Mechthilde, mit Jan van Werth zum Tore hinaus. Unten an der abgebrannten Eicker Mühle blieb Vit mit Jan van Werth stehen. Die Reiter waren schon fort.

»Höre, Vit,« sagte Jan bewegt, »ich glaube, wir sehen uns nicht mehr wieder in diesem Leben. Lebe also wohl, alter Junge, und vergiß deinen Freund Jan nicht, und wenn du einmal Zeit hast in der Kirche oder abends, so bete ein Vaterunser für mich, du weißt, das Beten ist so eine Sache im Felde.«

»Ja, das weiß ich, Jan. Hab' Dank für deine schnelle Hilfe, lieber Junge, und was das Vaterunser anbelangt, das will ich schon für dich beten. Lebe wohl, Gott schütze dich, und wenn wir uns in diesem Leben nicht mehr sehen, dann auf Wiedersehen in einer anderen Welt. Gott befohlen!«

»Leb' wohl!«

Noch ein kräftiger Händedruck und dahin ritt der gewaltige Mann, vor dem alle Feinde zitterten. Vit blickte dem Davonreitenden noch eine Zeitlang nach, bis er im Walde verschwunden war, ging dann in die Stadt zurück und besorgte die Besetzung der Wachen durch die Bürger, da am Abend erst die neue Besatzung, mit der Oberst Sparr zurückkommen sollte, eintreffen würde. Abends traf Oberst Sparr mit 1000 Mann Soldaten, darunter 500 Reitern, ein. Liedberg war genommen. Tags darauf sollten unter Bedeckung zwölf schwere Wagen Korn und Futter geholt werden, und wenn das nicht genügte, könnte man noch einmal mit einem Dutzend Wagen kommen. Paul und Peter Kluth waren die ersten gewesen, die die Mauer erstiegen hatten, so erzählte der Obrist Sparr. Als am andern Morgen die Wagen von Liedberg kamen, blieb der letzte sehr lange zurück und langte erst gegen Abend an, da er wegen eines Schwerverwundeten ganz langsam gefahren war. Letzteren hatte man neben verschiedenen Toten bei Giesenkirchen gefunden. Derselbe hatte flehentlich gebeten, ihn doch mit nach Gladbach zu nehmen, und der Fuhrmann, der Abteier Schepper, der in dem Verwundeten den in Gladbach beliebten Offizier Hermann erkannte, nahm ihn mit. Der Wagen hielt am Weihertore, und Vit erhielt Bescheid, mit einer Tragbahre zu kommen, da ein Verwundeter bei ihm um Aufnahme bitte.

»Da haben wir's,« jammerte Mechthilde, »jetzt bringen sie gewiß unsern Paul in Stücken nach Hause!«

»Nun, warte doch, bis er hier ist, du weißt ja noch nichts!« sagte Vit ärgerlich, lief dann zu Laumen, legte ein Bett auf eine Tragbahre, und dann ging's zum Weihertore. Der Verwundete lag noch im Wagen auf Heu gebettet. »Wer ist es, Schepper?« fragte Vit den Fuhrmann.

»Der Offizier Hermann!«

»Was sagt Ihr da? Hermann, der Offizier? Der arme Kerl! Gott gebe, daß es nicht schlimm mit ihm steht! Wie wird das unsere Eva erschrecken!« und damit kletterte er auf den Wagen. Mit Hilfe mehrerer Bürger wurde der halb ohnmächtige Offizier heruntergeholt, auf die Tragbahre gelegt und dann behutsam zur Wohnung Vits getragen. Da er nicht hinaufgetragen werden konnte, so hatte Mechthilde schnell ein Bett zurechtgemacht, und der Kranke wurde sorgsam darauf gelegt. Kaum war er gebettet, als Eva eintrat und fragte:

»Ach, Mutter, ist es unser Paul?«

Dabei ergriff Eva, da sie keine Antwort erhielt, die Kerze vom Tische und leuchtete dem Kranken ins Gesicht. Als sie Hermann erkannte, stieß sie einen Schrei aus, ließ das Licht fallen und sank ohnmächtig in die Arme ihrer Pflegemutter.

»Lieber Gott, welches Leid!« seufzte Mechthilde.

»Trage sie nur auf ihr Zimmer, Mechthilde,« sagte Vit, »ich hole neues Licht und muß sehen, daß ich den Verwundeten zur Besinnung bringe.«

Bruder Romuald und Bruno Carmanns wurden geholt, und nachdem beide den Kranken untersucht, sagte Romuald: »Die Kugel ist durch die Lunge gedrungen, und das ist eine sehr ernste Sache.«

Der Kranke kam zu sich, und nachdem man ihn durch Wein etwas gestärkt, bat er den Bruder Carmanns, dort zu bleiben.

»Es geht mit mir zu Ende, Bruder,« stöhnte er mühsam und faßte dessen Hand. »Kommt, ich bitte Euch und macht mich bereit zur Reise in die Ewigkeit ...« Während nun Bruder Carmanns ihm die Beichte hörte, eilte Bruder Romuald in die nahe Kirche um die heilige Wegzehrung zu holen, die Hermann mit größter Andacht empfing. Jetzt kehrte der Hauptmann von einem Spaziergange zurück und fand seinen jugendlichen Freund dem Tode nahe. Hermann erkannte ihn, und reichte ihm schmerzlich lächelnd die Hand. »Der Kampf ist aus, Herr Hauptmann; bald ist es vorbei,« flüsterte er leise.

Tief bekümmert stand der Hauptmann vor dem Darniederliegenden. »Mein armer Freund, sehen wir uns so wieder!« rief er schmerzlich aus. »Aber vielleicht ist doch noch Rettung möglich,« tröstete er. »Die Mönche sind geschickte Leute, ihre Kunst –«

Hermann lächelte und winkte »Nein.«

»Glaubt Ihr,« fragte leise der Hauptmann den Bruder Romuald, »er werde heute abend sterben?«

»Er kann noch bis zum Morgen leben,« antwortete der Bruder eben so leise.

Nachdem Hermann sich nochmals durch einen Trunk Wein gestärkt, flüsterte er: »Ich fühle mich ziemlich stark, bringt mich in eine sitzende Stellung, so geht's; ich danke Euch, Bruder.«

Dann lehnte er sich zurück in die Kissen und sog begierig die frische Abendluft ein, die durch das offene Fenster hereinströmte. Drunten lag, vom Mondschein übergossen, in ihrem stillen Frieden die alte ehrwürdige Abtei und dieser Anblick tat ihm wohl: es war als ob jener Friede auch in sein Herz einzöge und sich lindernd auf seine Todeswunde legte.


Als Eva aus ihrer Ohnmacht erwachte und hörte, wie es um den Verwundeten stand, eilte sie zur Münsterkirche. Hier begab sie sich in die Kluft, wo sie sich in tiefster Betrübnis vor der Muttergottes mit dem Papagei Das steinerne Muttergottesbild mit dem Papagei befindet sich auf dem Mittelaltar in der Krypta der Münsterkirche und wurde damals vom Volke als wundertätig verehrt. niederwarf und lange inbrünstig um das Leben Hermanns flehte.

Auf dem Rückwege sah sie dann Bruder Romuald, vom Meßner begleitet, der die brennende Laterne trug, von seinem Versehgange kommen und laut aufweinend stürzte sie nach Hause. Dort sagte ihr Mechthilde, daß Hermann sie zu sehen wünsche. Eva kämpfte daher ihre Tränen nieder und trat an das Lager des Kranken.

»Geliebtes Mädchen,« flüsterte Hermann, indem er Eva die fast durchsichtige blutleere Hand reichte. »Es ist vorbei. Weine nicht, Kind, dein Weinen tut mir wehe. Ich habe, solange ich lebe, nie viel Glück genossen und bin stets vom Unglück verfolgt worden. In frühester Jugend trennte mich das Geschick von meiner Familie und ich kam zu fremden Leuten, die meine Pflegeeltern wurden. Nachdem diese starben, stand ich allein in der Welt. Mein Los war das des Soldaten: ein Leben strenger Pflichterfüllung und harter Disziplin. Dann kam der Krieg, der mich hin- und herwarf, bis jetzt, wo mich die Kugel traf und ich meinem Ende entgegengehe. Und doch – einmal durfte ich glücklich sein, als ich dich, Mädchen, kennen und lieben lernte. Du Eva, hast mich mit meinem Schicksal ausgesöhnt. Du warst mein guter Kamerad, mein Genius, der mir das Leben rettete; du ersetztest mir die Schwester, die ich einst verloren ... Ach, was mag aus ihr geworden sein und aus meinen Eltern – ob sie noch leben? Wie gerne hätte ich sie vor meinem Tode noch einmal wiedergesehen!«

»Von dieser langen Rede erschöpft, schwieg er, bis der am Fuße des Bettes sitzende Bruder Romuald ihn fragte: »Wo ist denn Eure Heimat und wer waren Eure Eltern?«

»Meine Heimat ist Flandern,« sagte der Kranke und zog dann mit großer Anstrengung ein Medaillon hervor, das er an einer Schnur auf der Brust trug. »Und das sind meine Eltern.«

Der Bruder betrachtete die zwei Bildchen, das eine zeigte ein lächelndes, jugendlich schönes Frauenantlitz und das andere einen hübschen, jungen Mann. Das Männergesicht kam ihm bekannt vor. Bei näherer Betrachtung sah er auch Schriftzeichen darunter eingegraben. Er reichte das Medaillon dem leise sich nähernden Hauptmann, der es besah, dann jäh erbleichte und tief erschüttert ausrief: »Gott im Himmel! Das ist ja – –! Und du bist – Peter – mein verloren geglaubter kleiner Peter?! Oh mein armer lieber Junge!« Rührend entrang es sich der Brust des Mannes, während ein Tränenstrom seinen Augen entstürzte. Er ergriff Hermanns Hand und indem er vor dem Bett auf die Knie sank, vergrub er sein Haupt neben ihm in die Kissen, um seine Tränen darin zu ersticken.

»Ja, ja, du bist es!« rief er aus, ihm ins Gesicht schauend. »Du trägst die stillen Züge deiner Mutter, – o, daß ich dich nicht eher erkannt habe!«

»Mein armer lieber Bruder!« rief Eva in einem gemischten Gefühle wehmütiger Freude und schmerzlicher Überraschung. Und indem sie zu ihm eilte und ihn umfing, erschütterte sie ein Schluchzen, das sie nicht zu unterdrücken vermochte.

»Welch ein trauriges Wiedersehen! Welch ein Verhängnis! War das nicht die Erfüllung jenes Traumes?!«

Alle Anwesenden waren tief bewegt, und man hörte längere Zeit nichts als lautes Weinen und Schluchzen.

»Nun saht Euch, meine rieben,« sagte Bruder Carmanns, »ihr regt den ohnehin schwachen Kranken zu sehr auf. also saht euch.«

Dennoch waren es glückliche Augenblicke, die van Este mit seinen wiedergefundenen Kindern zubrachte, Augenblicke, die gleich späten Sonnenstrahlen in das Leben des schwergeprüften Mannes fielen und die ach, so bald, von den düsteren Schatten des Todes verdunkelt werden sollten – –

»Wo bist du denn geblieben, mein Sohn,« fragte van Este, »als ich dich damals verlor? Wir glaubten, die Wölfe hätten dich in jener schrecklichen Nacht zerrissen.«

»Mich fand halberfroren ein Herr aus der Bretagne, welcher dort mit seinem Wagen vorbeikam. Er nahm mich mit bis Namur und brachte mich dort, schwer krank, zu frommen Nonnen, die mich pflegten. Durch die ausgestandene angst und den Schrecken vor den Wölfen hatte ich teilweise das Gedächtnis verloren und konnte mich nie mehr auf meinen Familiennamen besinnen. Dur eine schwache Erinnerung war mir geblieben an das Schloß, wo wir gewohnt, an meine Eltern und meine kleine Schwester. Daher waren auch dir Dachforschungen meines Pflegevaters nach meiner Herkunft erfolglos. Nachdem ich fast ein ganzes Jahr krank gewesen war, holte mein Pflegevater mich aus dem Kloster wieder fort und nahm mich mit nach Hause. Später brachte er mich, da ich Soldat werden wollte, nach Brest zur Kriegsschule. Als dann mein guter Pflegervater starb, trat ich mit 18 Jahren in das französische Heer ein. Das andere weißt du Vater.«

»Ja, ich weiß es. Und nun, wo ich dich kaum wiedergefunden habe, soll ich dich wieder verlieren –? oh Gott, das ist zuviel!«

»Herr Hauptmann,« sagte Bruder Carmanns, »unser Herrgott hat Euch die größte Güte erwiesen, Euren Sohn vor seinem Tode wiederfinden zu lassen. Nun verlangt er von Euch ein Opfer, bringt es ihm also mit dankbarem Herzen, denn Er ist der Herr über Leben und Tod und Sein Wille geschehe!«

»Nun ja, wenn es Gottes Wille ist, so will ich mich drein ergeben, hochwürdiger Herr!«

Gegen Mitternacht starb Hermann oder Peter van Este an den erhaltenen Wunden, nachdem er von allen rührenden Abschied genommen, ganz ruhig und ohne schweren Todeskampf. Sein Vater drückte ihm die Augen zu. Ergreifend war der Schmerz des edlen tiefgebeugten Mannes, noch ergreifender der Schmerz Evas, des armen Findelkindes, dem das Leben so übel mitgespielt hatte und das mit dem einzigen Bruder zugleich den Geliebten verlor. Nach einigen Tagen wurde der junge Offizier unter großer Beteiligung von Freunden und Bekannten beerdigt. Ein schlichtes Kreuz schmückte sein frühes Grab.


Wir überspringen einen Zeitraum von sechs Jahren. Der unglückselige Dreißigjährige Krieg ist eben beendet, und langsam fangen die total verarmten Bürger, Bauern und Handwerker wieder an, aufzubauen, und die Schäden, welche der Krieg verursacht, wieder auszubessern. Der Hunger kann wieder gestillt werden und allmählich hebt sich auch wieder Handel und Gewerbe.

Bei Jakob Brenner klappern wieder die Getaue, es wird dort geschafft vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Vit ist, trotz allem, was er mitgemacht noch fast ebenso rüstig wie Jakob und Mechthilde und kennt keine Altersbeschwerden. Der junge Jakob ist von Maastricht zurückgekommen und steht seinem Vater im Geschäfte wacker zur Seite. Er hat bei Jan van Pooten gut gelernt und jetzt den Handel mit seines Vaters Webwaren übernommen, den er ausdehnen will bis nach Holland und Brabant. Paul ist als Korporal von Jan van Werths Dragonern vor drei Fahren, nachdem er in einer Schlacht verwundet worden war, nach Hause zurückgekommen und hat dann Gretchen Tempel zum Sitar geführt, und als im vorigen Fahre sich Gevatter Storch mit einem Knäblein einfand, da mußte dasselbe aus Wunsch des Großvaters Bit Tempel und zu Ehren des Urgroßvaters Vit Gilles ebenfalls Vit Leider wird von den Gladbacher Kindern selten eines »Vit« genannt, der doch Patron der Münsterkirche und der Stadt ist. heißen.

Aus der lustigen, fröhlichen Eva war eine tiefernste Jungfrau geworden, ihr heiteres Geplauder und ihr munteres Lachen waren verstummt. Nachdem ihr Liebestraum zerstört war und ein grausames Geschick ihr den Bruder genommen, war alle Lebensfreude in ihrem Herzen erstorben. Sie hatte ihren Vater so lange gebeten, bis dieser endlich seine Einwilligung gab, daß sie zu Neuwerk Neuwerk hatte mehrere Jahrhunderte ein bedeutendes Nonnenkloster. ins Kloster treten durfte, um dem Herrn ihr Leben zu weihen. Dort lebte sie noch lange Jahre als Schwester Mechthilde.

Der Hauptmann van Este hatte seine Güter bei Gent verkauft, die Armen des Ortes wohl bedacht und war dann nach Gladbach zurückgekehrt, wo er bei Bit oder vielmehr bei Jakob Brenner wohnte.

Da saßen denn die Alten, der Hauptmann, Vit Gilles, Tempel und der alte Källkes abends entweder in der »Krone« oder zu Hause zusammen und erzählten der aufhorchenden Jugend die Schreckenstage aus der Hessenzeit, wie sie gekämpft und gelitten und was sie alles ausgestanden hatten.

Leider sollte dem Hauptmann van Este kein langer Lebensabend beschieden sein. Der einsam gewordene, vielgeprüfte Mann begann zu kränkeln und erlag plötzlich einem Schlagflusse, tiefbetrauert von denen, die ihn gekannt und geliebt, namentlich von seiner Tochter, dem einstigen Findelkinde sowie der uns bekannten Familie Brenner, die ihn in ihren Schoß ausgenommen und gepflegt hatte. Alle gaben sie ihm das letzte Geleit und Mitglieder der St. Vitus- und St. Sebastianusbruderschaft trugen seine Leiche hinaus zur Münsterkirche, wo er auf dem Vituskirchhof, neben seinem Sohne die letzte Ruhestätte fand.

Abt Peter Sibenius, der längst wieder zu seiner Abtei zurückgekehrt und mit Jubel von der Bevölkerung empfangen worden war, hatte die abgebrannten Scheunen und Höfe wieder aufgebaut, auch die Eicker Mühle vor dem Weihertore wieder hergestellt, jedoch dauerte es noch mehrere Jahre, ehe wieder geordnete Verhältnisse eintraten, da die Leute zu sehr verarmt waren, und zu viel Eigentum zerstört wurde. Dir Abtei hatte ein großes Vermögens verloren; dennoch opferte Sibenius große Summen und setzte alles daran, um Handel und Gewerbe zu heben und wieder einen neuen Wohlstand zu begründen, wobei er am meisten von Vit Gilles unterstützt wurde, der einen Teil der ihm verbliebenen Schätze gerne dazu bergab, um seiner lieben Vaterstadt wieder emporzuhelfen.

 

Ende.

 


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