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Das Gemetzel auf Hermkes-Hof.

Ein leichter Wind strich über die Heide, die Nacht war still und friedlich. Vits Leute hatten es sich im Grase bequem gemacht. Nur Vit stand an der Linde und lauschte. Auf einmal glaubte er wüstes Geschrei und Singen zu hören. Der Wind trug die Klänge eines Spottliedes auf die Deutschen zu ihm herüber. »Ah,« murmelte er, »sie sind da! Jungens,« wandte er sich an seine Leute, »die Bande ist noch da, wir wollen ihnen aber die Hosen ausklopfen, daß sie noch lange daran denken!«

Alle sprangen auf und scharten sich um Vit. Hoster mit seinen Leuten kam zurück und berichtete, daß bis auf wenige Häuser alles niedergebrannt sei. Die Leute seien meistens geflüchtet, und die noch da seien, wären gefangen. Die Hessen hätten auf Hermkes-Hof ein ganzes Fuder Wein gefunden und seien tüchtig beim Zechen. Auch hätten sie viele Gefangene bei sich.

»Wieviel Soldaten sind es wohl im ganzen?« fragte Vit.

»Ich bin nur an dieser Seite geblieben, während Paul auf die Hött Die »Hött« lag bei Venn. Gleich wie bei der »Lockhött«, »Boßhött« usw. wird vermutet, daß dort früher eine Eisenhütte gestanden habe. und die Veeheck Veeheck war früher eine von Hecken eingezäunte Weide. zugegangen ist. Soweit ich meine Erkundigungen eingezogen habe, schätze ich die Soldaten auf 80 bis 100 Mann. Von einem alten Manne erfuhr ich, daß im ganzen 160 Soldaten dort seien. 60 Mann seien nach Lenebuhr Lenebuhr. Helenabrunn., und diese sollten hier nach Venn kommen, um dann mit der gemeinsamen Beute nach Gladbach zu ziehen.«

»Dann wollen wir ihnen ein wenig helfen, damit sie rasch hinkommen,« sagte Vit. »Wo sind denn die Venner Leute?«

»Ich hörte, daß die große Scheune von Kremmesch ganz mit Frauen und Kindern vollgepfropft sei; die sollten mit in die Stadt genommen werden. Die Männer sind, wie gesagt, auf Hermkes-Hof.«

»Wird ihnen wohl nicht einfallen, denn soviel Speisevorräte werden in der Stadt nicht mehr vorhanden sein. Sie werden sie wohl niedermachen wollen – Hast du von Gieten nichts gehört?«

»Nein, aber Paul wollte sich nach ihnen erkundigen.«

In diesem Augenblick stürzte Paul atemlos herein und rief: »Großvater, wir werden angegriffen, die Hessen sind dicht hinter mir her!«

»Wieviel?« fragte Vit gelassen.

»20 bis 30 Mann, sie waren an der Kremmesch-Scheune.«

»So, Krappen und noch 30 Mann, schnell vorwärts, den Weg nach dem Dorfe eingeschlagen. Sobald die Soldaten, welche sicher auf dem Fahrwege bleiben, nahe genug sind, knien 20 Mann nieder und schießen in Brusthöhe. Die anderen 10 Mann rücken dann, wenn die 20 ihre Flinten abgeschossen haben, mit geladenen Flinten vor und verfolgen die Hessen. Also beeilt euch, kein einziger von den Soldaten darf lebendig von der Stelle kommen, verstanden?«

»Will's schon besorgen,« sagte Krappen. »Auf, Jungens, kommt! Aber nun lauft mir nicht in einem Knäuel fort. Fünf zu fünf gehen zusammen. So, nun nebeneinander!« Damit verschwanden sie in der Dunkelheit.

»Nun, Paul, wie steht's denn eigentlich?« wandte sich Vit an diesen.

»Ach, Großvater, Mutter ist gefangen in der Kremmesch-Scheune, die Soldaten haben ein großes Feuer angemacht, ich glaube, sie wollen alle verbrennen, die in der Scheune sind!«

»Was?! Was sagst du, deine Mutter in der Scheune gefangen? Jungens, dann schnell auf, damit wir hinkommen, bevor es zu spät ist!«

»Halt, Großvater, noch eins! An der Scheune stehen Wachen. An einem Fensterloche, welches mit losen Steinen zugesetzt war, wollte ich ins Innere sehen und stellte mich auf Deckers Schultern, dabei lehnte ich mich wider die Steine an, um durch die Fugen zu sehen und drückte die ganze Steinwand ein. Diese fiel nach innen, gerade wo die Hessen ihre Tische aufgeschlagen hatten und tranken. Das gab ein Hallo! Unter den vielen Gefangenen bemerkte ich auch die Tante. Ich sprang schnell herunter, die Hessen fluchten wie die Türken, sahen uns fliehen und schickten sich an, uns zu verfolgen.«

»Na, sie werden nicht ahnen, daß hier noch mehr sind als drei,« sagte Vit.

»Aber sie müßten doch jetzt bald hier sein,« meinte Paul.

Da, – jetzt krachte eine Salve, dann noch eine. Man hörte Rufen und Gebrüll, worauf alles wieder ruhig war.

»Kommt, Burschen,« sagte Vit, »einer geht zum Höverberg und sagt dem Peter Kluth, daß er mit den Pferden bis hier an die Linde kommt und auf uns wartet. Vorwärts!«

Sie gingen in der Richtung auf das Dorf zu, und es dauerte nicht lange, da kam Krappen mit seinen Leuten zurück und meldete, daß die Hessen alle niedergemacht seien. Sie wären gar nicht zum Schuß gekommen, sondern hätten, als plötzlich die Salve losgegangen sei, gestutzt. Die nicht getroffen waren, hätten sich zur Flucht gewandt, wären aber beinahe alle von der zweiten Salve niedergestreckt worden. Er habe links und rechts noch einige Leute vorgeschoben, und diese hätten die Fliehenden, die nicht von den Kugeln erreicht wurden, niedergehauen; kein einziger sei ins Dorf zurückgekommen.

»Das war brav von euch, Jungens! Der Anfang ist gut, hoffentlich auch das Ende. Wo steht das geraubte Vieh, Paul?«

»Oben an der Veeheck in einer geschlossenen Weide.«

»Sind Wachen dabei?«

»Nur zwei Mann.«

»Gut; gleich kommen noch 60 Mann Soldaten von Lenebuhr, sie können keinen anderen Weg nehmen, als durch die Veeheck.«

»Wer übernimmt es, die sechzig in Empfang zu nehmen? Ich kann nicht mehr als 15 Mann entbehren, und diese müssen zusehen, daß sie mit den 60 Mann fertig werden.«

»Das will ich wohl besorgen, Meister Vit,« sagte Krappen.

»Nein, das geht nicht, du mußt jetzt bei mir bleiben, Krappen! Aber, Lörs, das wäre so ein Stückchen für dich, Junge!«

»Das will ich meinen,« sagte Lörs. »Dann soll aber kein einziger davon die Sonne aufgehen sehen, das verspreche ich Euch, Meister!«

»Gut, Lörs, alle sechzig sind dein. Weißt du genau Bescheid hier?«

»Ich glaube doch. Ich gehe von hier rechts den Pfad entlang und durch den Wald, dann kommen wir an der Veeheck aus. Und die Veeheck ist zu einem solchen Überfall wir geschaffen.«

»Na, Lörs, mach, daß du fortkommst. Wenn du fertig bist, triffst du uns wahrscheinlich im Dorfe. Was du mit dem Vieh anfängst, brauche ich dir ja nicht zu sagen. Nun hoffe ich, daß die sechzig von Lenebuhr uns nicht zu lange warten lassen. Kommt, Jungens. Seid ihr abgezählt?«

»Ja,« sagte Paul, »ich habe 15 Mann abgezählt.«

»Gut, dann folgt mir,« sagte Lörs und war gleich nachher mit seinen Leuten in der Dunkelheit verschwunden.

»Nun langsam vorwärts, zunächst zur Kremmesch-Scheune!« kommandierte Vit. Als sie vorsichtig schleichend sich dieser schon ziemlich genähert hatten, hörten sie aus derselben wüsten Gesang und rohes Lachen. »Halt!« rief Vit, »bleibt ihr hier, ich werde mich bis zu dem offenstehenden Tore schleichen, es scheint dort keine Wache zu stehen. Paul, versuche du das andere Tor zu erreichen. Krappen, komme mit unseren Leuten so nahe, als es nur eben geht, an die Scheune heran, damit ihr zur Hand seid, wenn es nötig sein sollte.«

Damit legten sich Paul und Vit auf die Erde und krochen langsam von verschiedenen Seiten auf die Scheune zu. In derselben prasselte ein mächtiges Feuer. An der einen Seite lagen große Holzvorräte und Schanzen Schanzen. Reisigbündel., und an der anderen Seite befanden sich etwa 30 Frauen und Mädchen auf der Tenne nebst einigen Kindern. Den mittleren Raum nahmen 40 bis 50 Soldaten ein, welche würfelten und tranken, sangen und lärmten. Sie fühlten sich so sicher, daß sie gar keine Wachen ausgestellt hatten. Jetzt kamen vom Dorfe her vier Soldaten, welche einen Mann zur Scheune mitschleppten. Sie gingen durch das Tor, wo Vit lag, herein und riefen: »Hallo, hier haben wir den Schuft, welcher unsere Soldaten ermordet hat!« und dabei stießen sie einen gefesselten Mann in die Scheune herein.

»Hensches Peter!« flüsterte Vit, als er den Mann sah.

Ein Offizier erhob sich und fragte: »Wen habt ihr da, Leute?«

»Einen Kerl, welcher gestern abend zwei Soldaten von uns erschlagen hat und diesen Nachmittag wieder einen,« erwiderten die Soldaten.

»Ist das wahr?« fragte der Offizier den Mann.

»Jawohl,« erwiderte trotzig der Gefragte.

»Und warum?«

»Weil sie bei mir raubten und mir mein kleines Kind umgebracht haben.«

»Nun, dafür, daß du unsere Soldaten ermordet hast, sollst du den zehnfachen Tod erleiden, nämlich: bei lebendigem Leibe hier in der Scheune verbrannt werden. Allons, Leute, werft Schanzen und Holzscheite auf das Feuer, daß es lustig brennt, und dann wollen wir dem Teufel einen Braten zurechtmachen, woran er seine helle Freude haben soll!«

Es wurde Holz ins Feuer geworfen, und dieses flackerte hoch auf.

»Weiß der Kuckuck, wo der Beuth mit seinen Leuten steckt!« sagte der Offizier ärgerlich. »Läuft da den zwei Bauern nach und bleibt die halbe Nacht aus.«

Beim Anblick der Frauen schritt der halbbetrunkene Offizier auf eine derselben zu, umfaßte sie und tanzte mit ihr um das Feuer herum.

Die Frau wehrte ihn ab, doch er faßte sie am Handgelenk und zog sie an sich. »Nicht so spröde, Schätzchen! Komm, wir gehen hinaus. Draußen ist's schöner. Da wollen wir uns ein Weilchen vergnügen – im Mondenschein.« Dies sagte er in gedämpftem Tone und zerrte die Widerstrebende mit sich fort zu dem Tore hinaus, wo Paul lag.

Ein anderer Offizier näherte sich Mechthilde, ergriff sie beim Arme und sagte: »Kommt, hübsche Frau, Ihr geht mit mir!«

Mechthilde war eine ziemlich stark gebaute Frau, der Offizier dagegen ein kleines, schmächtiges Kerlchen. Empört wollte sie den Zudringlichen abschütteln, doch sie bezwang sich und sagte scheinbar auf seinen Wunsch eingehend: »Nun gut, einen Spaziergang will ich mit Euch machen!«

Lachend legte der Offizier seinen Arm um Mechthilde und schritt mit ihr hinaus. Kaum waren sie draußen, als sie dem Offizier, welcher ohne Waffen war, eine so gewaltige Ohrfeige gab, daß ihm Hören und Sehen verging und er aus Nase und Mund blutend in die Scheune zurücklief. Unter gräßlichen Flüchen schwur dieser, das Frauenzimmer, welches fortgelaufen, solle ergriffen und lebendig verbrannt werden. Er wurde von den Soldaten ausgelacht und dadurch noch wütender.

»Schnell auf! 20 Mann suchen mir sofort das verdammte Weibsbild wieder und, wenn sie nicht ergriffen wird, werfen wir das ganze Frauenpack in die Flammen!« schrie der geohrfeigte Offizier.

Paul war dem ersten Offizier nachgeschlichen und hatte ihn mit seinem kurzen Säbel niedergestoßen, so daß er entseelt zu seinen Füßen sank, dann sagte er zu der jungen Frau: »Geht jetzt, wohin Ihr wollt.« Diese ließ sich das nicht zweimal sagen; sie lief, so rasch sie nur konnte, ins Feld hinaus.

Dann schlichen Paul und Vit zurück, denn jeden Augenblick mußten die 20 Soldaten aus der Scheune treten und die Truppe Vits erblicken.

»Du, Krappen,« flüsterte Vit leise, »schwenke mit der Hälfte der Leute links um die Scheune, während ich den Eingang von dieser Seite nehme.«

Sie rückten auf die beiden Tore zu und blieben in einiger Entfernung stehen. Jetzt kamen die Soldaten, um die Frau zu suchen.

Da rief Vit: »Halt, keinen Schritt weiter, – wollt ihr euch auf Gnade und Ungnade ergeben?«

»Was ist denn das für ein Kerl?« fragte der Offizier und trat in das Tor.

»Mein Name ist Vit Gilles.«

»Ah, der Räuberhauptmann! Gebt Feuer, Leute, schießt! Er ist's mit seiner Bande!«

Die Soldaten schossen, jedoch, sobald die Flinten angelegt wurden, kommandierte Vit: »Nieder!« und er und seine Leute legten sich alle platt auf die Erde. Die Kugeln gingen über sie hinweg. Nun kommandierte er: »Feuer!« Seine Leute schossen knieend, wodurch eine ganze Reihe Soldaten getroffen wurde.

»Kehrt!« schrie der Offizier und wandte sich gegen das andere Tor. Jedoch kaum ließ er sich dort sehen, als eine wohlgezielte Salve von Krappen her in seine Reihen einschlug und fast sämtliche Soldaten niederstreckte.

»Vorwärts!« kommandierte Vit. »Es ist hell in der Scheune, ihr könnt sie sehen. Kein einziger darf lebend entkommen!«

Vits Leute stürzten jauchzend in die Scheune hinein und schlugen mit den schweren Kolben wie die Löwen auf die sich verzweifelt wehrenden Hessen ein. Krappen mit seinen Leuten kam jetzt auch hinzu, und nach einer Viertelstunde war kein Hesse mehr am Leben. Vit hieß die Frauen, welche vor Freude über ihre Befreiung weinten, sich zerstreuen.

»Geht in Gottes Namen,« sagte er, »und dankt es nicht mir, sondern unserm Herrgott!«

Jetzt kam auch seine Mechthilde zurück, und Paul sank in die Arme der Mutter, welche Freudentränen vergoß. Beide umfing der Großvater. Dieser sagte: »Nun, Kinder, wir können uns hier nicht lange aufhalten, wir müssen weiter, denn unser wartet noch ein großes Stück Arbeit!«

Hensches Peter wurde von seinen Stricken befreit und setzte sich zuerst, um sich etwas zu erholen. Er war ein sehr starker und dabei kühner und verwegener Mann. Vit mochte ihn wohl leiden und bot ihm Hand und Gruß.

»Ist Gietens Haus auch zerstört?« fragte Paul seine Mutter. »Nein, ich glaube nicht, nur das Vieh hat man mitgenommen. Hoffentlich werden wir es zurückbekommen.«

»Ich denke auch,« sagte Vit, »daß ihr das Vieh wieder zurückerhaltet.«

»Und wenn wir es nicht zurückbekommen,« sagte Mechthilde, »so wollen wir doch froh sein, daß wir wenigstens mit dem Leben davongekommen sind und, so Gott will, noch ein Dach über dem Kopfe behalten haben. Meine Nichte Gertrud ist noch in der Scheune, sie kann vor Schrecken kaum gehen; aber wo mag der Konrad sein? Die Stina, unsere Magd, wurde von einem Soldaten verfolgt und lief die Treppe hinauf auf den Boden. Dort stürzte sie sich zum Fenster hinaus und blieb unten tot liegen. Das arme Mädchen!« setzte sie klagend hinzu. »Als man uns fortbrachte, wurden Konrad und Georg fortgetrieben. Sie werden wohl auf Hermkes-Hof bei den anderen sein.«

»Paul, gehe mit Mutter und Tante nach Hause,« sagte Vit, »komme dann aber sofort zurück.«

»Vater, willst du nicht auch mit uns gehen?« bat Mechthilde.

»Nein, wo denkst du hin? Ich kann jetzt nicht abkommen. Geht in Gottes Namen, morgen sehen wir uns jedenfalls wieder.«

Paul, die Mutter und die Tante entfernten sich. Vits Leute hatten es sich in der Scheune gut schmecken lassen; die Hessen hatten Brot, Fleisch und Wein genug zurückgelassen. Nachdem die Frauen und Kinder Vit für ihre Befreiung nochmals gedankt hatten, waren sie teilweise zu ihren Wohnungen zurückgekehrt, und diejenigen, welche keine Wohnungen mehr hatten, zogen zu ihren Verwandten und Bekannten.

»Na, wo willst du denn hin, Lena?« fragte Vit eine alte Frau, welche, in einer Hand den Krückstock und, auf den Arm ihrer Enkelin gestützt, mühsam forthumpelte.

»Ach, Junge,« sagte die Alte, vor Vit stehen bleibend, »wo soll ich alter Stock hin? Ich weiß es nicht! Ich habe einen Jungen, welcher in Gerker Gerker. Gerkerath. wohnt, – auch ein armer Schelm, – zu dem will ich hin. Hoffentlich wird der noch ein Plätzchen haben, wo seine alte Mutter sterben kann.«

»Haben die Hessen dir nichts zuleide getan, Lena?«

»Mir nicht. Als die Horde in unser Dörfchen fiel, da kroch ich mit meiner Enkelin in die Scheune. Dort lag ein großer Haufen Kaff, und unter das Kaff hatte ich einen großen Korb gestellt. Wir krochen unter das Kaff, hoben den Korb etwas auf und schlüpften unter denselben. Wir hörten das Schießen, das Geschrei und Gestöhne der Verwundeten. Sie kamen auch in unser Haus und in die Scheune, und ein Soldat, dem der große Haufen Kaff wohl verdächtig vorkommen mochte, stieß mit seiner Lanze hinein durch den Korb her und verletzte meine Anna an der Wange. Ich fühlte den Stoß wohl und hielt dem Mädchen den Mund zu, um sie am Schreien zu hindern. Der Soldat konnte die Lanze nicht so leicht aus dem Korbe herausziehen, da kam Hensches Peter und schlug den Soldaten nieder. Wir krochen später hervor, weil unser Haus brannte, und wurden draußen von Soldaten aufgegriffen und hierhergetrieben. Den armen Peter hat man diesen Abend beinahe totgeschlagen und ihn dann hier in die Scheune geschleppt, um ihn zu verbrennen.«

»Aber dann kam der alte Vit und räumte mit dem Gesindel auf,« fiel Hensches ein, welcher hinzugetreten war und die letzten Worte gehört hatte.

»Kannst du eine Flinte und einen Säbel führen, so komme nur mit uns, Peter.«

»Das würde ich auch ohne deine Einladung getan haben, Vit. Habe zwar viele blaue Flecken und Schrammen von den Halunken bekommen, werde sie aber mit Zinsen heimzahlen.«

»Wir wollen dir zum Heimzahlen schon gleich Gelegenheit geben, Peter.«

»Ich gehe jetzt, Vit,« sagte die Greisin, Vit die Hand reichend. »Gott schütze dich! Wie soll das noch enden? Ich bin 93 Jahre alt geworden, habe schon vieles durchgemacht, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt!«

»Lebe wohl, Lena, bete ein Vaterunser für uns. Wir können es gebrauchen, denn es wird heiß hergehen, heute!«

»Soll geschehen, Vit!« erwiderte die Alte und humpelte von dannen.

»Wenn die Bande von Lenebuhr nicht bald kommt, so wird sie wohl doch noch den Sonnenaufgang erleben. Dort im Osten kommt schon ein grauer Streifen, dem bald das Morgenrot folgen wird,« bemerkte Vit, in der Richtung nach der Stadt schauend. Jetzt vernahm man ein fürchterliches Getöse, ein Brüllen von Kühen, untermischt von dem Geknatter der Gewehre; es kam von der Veeheck her.

»Antreten, Jungens!« befahl Vit, und die Burschen sprangen zu ihren Waffen. Paul erschien auch und stellte sich an die Spitze seiner Truppe. Die Wachen wurden eingezogen, und der ganze Trupp setzte sich in der Richtung auf die Veeheck zu in Bewegung.

Als sie an die Veeheck kamen, hörten sie Lörs kommandieren: »Alle hier zusammentreten! Kommt aus dem Hohlwege heraus!«

»Das ist doch rein zum Halsbrechen,« polterten ein paar Burschen, welche über Leichen, dahergestolpert waren.

»Holla, wer ist denn dort?« fragte Lörs, der die Truppe Vits in der Morgendämmerung ankommen sah. »Losung?«

»Blut!« rief Vit.

»Eisen!« gab Lörs zurück.

»Nun, wie steht's, Junge?« fragte Vit nähertretend.

»Prächtig,« sagte Lörs, »jedoch ein Dutzend Kerls sind uns entwischt. Sie haben die Richtung nach der Stadt eingeschlagen. An eine Verfolgung war nicht zu denken.«

»Wie hast du es angefangen, die Hessen zusammenzuhauen?«

»Ganz einfach; ich hatte die Kühe an den Eingang des Weges getrieben und die Leute oben auf den Bergabhang postiert. Als nun die Soldaten kamen und unten im Hohlwege waren, da hieben ein paar von den Unsrigen auf die Tiere ein und warfen Steine auf sie, so daß sie in den Hohlweg hineinstürmten und die Hessen, welche ihnen im Wege standen, mit den Hörnern bearbeiteten, während wir rechts und links draufpfefferten, daß es eine Art hatte. Die Kühe liegen zur Hälfte erstochen und erschossen im Hohlwege, die anderen sind entlaufen und werden wohl ihren Stall aufsuchen.«

»Recht gut gemacht, aber schlimm ist, daß die Soldaten entwischt sind. Gebt acht, die hetzen uns jetzt die halbe Besatzung von Gladbach auf den Hals. Wieviel Leute hast du verloren, Junge?«

»Leider sechs Mann.«

»Das ist zu viel. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Gleich wird es hell, also schnell zum Hermkes-Hof!«

Die Leute setzten sich in Bewegung. Vor der Scheune angekommen, fanden sie die Tore derselben geschlossen, und aus einigen Lücken fielen ein paar gut gezielte Schüsse, welche einige von Vits Leuten niederstreckten.

»Aha,« sagte Vit, »sie haben uns schon bemerkt. Zurück ins Gebüsch!« Alle traten in das Gebüsch. »Wir wollen mit ihnen unterhandeln, denn wir müssen bedenken, daß sie Gefangene in ihrer Gewalt haben, die ihrer Willkür ausgesetzt sind und womöglich niedergemacht werden. Wenn die Hessen diese Leute freilassen, sind wir bereit, sie ebenfalls frei abziehen zu lassen. Wer will unterhandeln?«

»Ich, Meister,« erbot sich Krappen.

»Gut, aber keinen langen Palaver Palaver. Langwierige mündliche Verhandlung., sonst gewinnen sie Zeit und erhalten Verstärkung. Nimm ein weißes Tuch oder einen grünen Zweig und gehe hin, Krappen. Du weißt ja Bescheid!«

Krappen ging mit einem grünen Zweig in der Hand, den er hin und her schwenkte, auf die Scheune zu.

»Was wollt Ihr?« fragte eine Stimme.

»Unterhandeln,« sagte Krappen.

»Wir unterhandeln mit keinen Räubern.«

»Aber wir! Nämlich mit euch, denn ihr seid doch nichts anders als Beutejäger und Banditen.«

»Wahre deinen Mund, Bursche; noch ein solches Wort, und wir machen dich stumm!«

»Dann stürmen wir die Scheune, und kein einziger kommt lebendig aus den Mauern heraus!«

»Dann werden wir aber zuerst hier die Gefangenen niedermachen!«

»Also ihr wollt nicht unterhandeln?«

»Unter welchen Bedingungen? Laßt hören.«

»Auf lange Unterhandlungen lassen wir uns nicht ein. Ihr erhaltet freien Abzug ohne Waffen.«

»Wer verbürgt uns den freien Abzug?«

»Unser Anführer, Vit Gilles!«

»So, der Räuberhauptmann gibt uns sein Ehrenwort?«

»Sagt ihm das selbst.«

»Möge er nur hierher kommen, dann wollen wir es ihm schon sagen.«

»Ist das euer letztes Wort?«

»Macht bessere Vorschläge. Auf diese Bedingungen lassen wir uns nicht ein.«

»Gut, ich gehe, vielleicht komme ich noch einmal wieder.«

Krappen kam und erstattete Bericht.

»Nein,« sagte Vit, »mehr als freien Abzug ohne Waffen können wir nicht gewähren. Gehe hin und sage es ihnen.«

Krappen ging.

»So,« sagte Vit, »einige Burschen sehen zu, ob sie hier in dem niedergebrannten Hause Äxte finden; damit schlagen wir das Tor ein. Schießen dürfen wir nicht, denn die Hessen werden unsere Freunde überall da hinstellen, wo sie unseren Kugeln ausgesetzt sind.«

Von der Scheune her fiel jetzt ein Schuß.

»Was ist das?« fragte Vit.

Da sahen sie, wie Krappen schwankte, die Hand auf die Brust preßte und sich zurückschleppte. Die Hessen hatten ihm als letzte Antwort eine Kugel in die Brust geschossen. Alle drängten sich um ihn. Vit kniete an seiner Seite und fragte: »Krappen, ist es schlimm, Junge?«

»Es ist aus!« flüsterte Krappen mit verlöschender Stimme. »In die – Brust getroffen. Unser Herrgott – sei mir gnädig!«

»Sofort stürmen, kein Pardon wird gegeben!« riefen die Burschen jetzt durcheinander. Eine sinnlose Wut hatte sie erfaßt.

»Langsam, Jungens,« mahnte Vit. »Nehmt dort den Balken, zehn Mann fassen ihn fest an, zwanzig stellen sich gegen das Tor auf Schußweite auf und feuern auf dasselbe, die Hessen werden sich von dem Tore schon fortmachen. So wie die Schüsse gefallen sind, rennen die zehn Mann mit dem Balken kräftig wider das Tor, und ich wette, sie rennen es beim ersten Gang ein. Es ist schon so hell, daß wir unsere Leute erkennen können. Wir stürmen rechts und links in das offene Tor hinein und hauen alles nieder. Es ist nur ein Tor vorhanden, einen anderen Ausweg gibt es daher für die Hessen nicht. Also schnell vorwärts!«

Ein großer Balken wurde genommen, die Schützen stellten sich auf und wurden von der Scheune aus mit einigen Schüssen begrüßt, die auch etliche von ihnen trafen.

»Schnell,« gebot Vit. »Alles fertig, Feuer!«

Die Schüsse krachten, und ehe der Pulverdampf sich verzogen hatte, rannten die zehn Mann mit dem Balken so gegen das Tor, daß der eine Torflügel nach innen aufsprang und hinfiel.

»Vorwärts,« kommandierte Vit, und seine Leute stürzten in die Scheune hinein, wurden aber gleich von einigen Schüssen empfangen, sodaß fünf bis sechs Mann am Eingange hinfielen; die anderen stürmten mutig über die Leiber ihrer Kameraden hinweg und feuerten zunächst auf die Hessen, welche teilweise zusammengelaufen waren und teilweise an den Leitern in die Höhe kletterten. Dann wurden die Flinten umgedreht und mit dem Kolben dreingehauen. Die Hessen wehrten sich wie die Verzweifelten, jedoch die wütenden Burschen Vits hieben in kurzer Zeit alles nieder und schossen zuletzt diejenigen, welche mit den Leitern oben auf den Balken geklettert waren, einen nach dem anderen herab. Einige Soldaten hatten Dachziegel ausgehoben, waren auf das Dach geklettert und glaubten von dort aus entfliehen zu können, jedoch die von Vit ausgestellten Wachen schossen sie herunter wie die Spatzen. Es war ein schreckliches Gemetzel, die ganze Tenne schwamm in Blut. Jetzt wurden die Gefangenen hervorgeholt, welche gefesselt zusammenlagen. Das war eine Freude: Männer und Jungen umarmten ihre Retter unter Dankestränen! Hinter einem alten Manne, welcher an der Mauer lag, kam noch ein hessischer Offizier zum Vorschein, welcher kläglich um sein Leben bat.

»Das ist derjenige,« rief Konrad, »welcher unsere Kinder niederschießen ließ und auch so eben den Unterhändler durch die Mauerluke erschossen hat!«

Es war ein großer, hagerer junger Mann, welcher zitternd und bebend vor Vit gebracht wurde.

»Ich bezahle ein hohes Lösegeld, wenn ihr mir das Leben schenkt,« wandte er sich an Vit.

»Wir mögen kein Geld, woran Blut klebt. Feiger Mensch, Hyäne! Pfui, wie soll ich dich Ungeheuer bezeichnen? Aus purer Mordlust wehrlose Frauen und Kinder abschlachten und sich selbst vor dem Tod fürchten wie ein altes Weib – pfui! Noch fünf Vaterunser hast du zu leben! Verstanden? Willst du mit unserem Herrgott noch etwas abmachen, so spute dich!«

»Ich habe mit einem Herrgott nichts zu tun.«

»Na, dann sollst du bald die Bekanntschaft des Meisters Luzifer machen. Ich müßte dich in Stücke hauen lassen, du Scheusal!«

»Drei Mann mit geladenen Gewehren hierher!« befahl Vit. Es stellten sich drei Mann auf. »Tretet zurück, Jungens. Ich zähle drei: Eins – zwei – drei!« – Die Schüsse krachten, und der Offizier wälzte sich in seinem Blute. Er murmelte noch etwas, stöhnte ein paarmal und war dann ein Leiche.

Alle traten jetzt aus der Scheune heraus, welche von dem warmen Blute mit einem betäubenden Dunst erfüllt war. Begierig sogen sie die frische Morgenluft ein. Eben ging die Sonne auf und beleuchtete das grausige Schauspiel. Viele Verwundete lagen im Grase, um welche sich einzelne Burschen bemühten. Zwischen ihnen die Gefallenen, die den Sonnenaufgang nicht mehr erlebt hatten. Von Vits Leuten waren nur noch 26 übrig, die anderen waren meistens tot, einzelne schwer verwundet.

»Jetzt müssen wir rasch an die Bergung unserer Verwundeten und Toten denken,« sagte Vit.

»Halt, – was ist das? Pferdegetrappel! Es kommt näher! Macht euch schußfertig, Leute, die Unbewaffneten schnell in die Scheune!«

»Es ist Peter Kluth mit den Pferden,« rief Lörs, welcher in der Richtung, woher das Getrappel kam, Ausschau gehalten hatte.

Peter und noch zwei Mann mit 20 Pferden kamen an. Peter schwang sich vom Pferde und sagte: »Meister Vit, ich bin fortgelaufen von der Linde. Eine große Rotte von Soldaten verfolgt mich!«

»Alle Wetter,« sagte Vit, »dann ist guter Rat teuer! Wie viele sind's?«

»Wenigstens 100 Mann.«

»Mit denen dürfen wir nicht anbinden. Verteilt euch hier, 19 Mann bleiben bei mir. Wir besteigen die Pferde und reiten in der Richtung auf Hardt. Erst wenn wir den Wald erreicht haben, sind wir in Sicherheit. Schnell, Jungens, wir dürfen ihnen nicht in die Finger fallen!«

Nach einigen Minuten saßen 20 Mann auf den Pferden.

»Vorwärts, immer geradeaus,« rief Vit. »Diejenigen, welche hier bleiben, sorgen, daß sie sich bis Grippekoven durchschlagen, dort sehen wir uns hoffentlich wieder.«


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