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Die Diebesprobe.

In der Gastesscheune herrschte reges Leben. Einige alte Kriegsknechte, welche früher viele Jahre im Felde gestanden hatten und jetzt zu Vit gekommen waren, um mit ihm zu kämpfen, hatten sich eingefunden, da man ihren heimatlichen Herd zerstört, die Häuser niedergebrannt und das Vieh fortgeführt hatte. Es waren Männer, meistens dem Handwerkerstande angehörend, aus Korschenbroich, Büttgen, Giesenkirchen, Neuwerk, Neersen, Holt, Ohler, Hardt und Venn. Vit hatte alle angenommen, so daß sich jetzt die Stärke seiner Schar auf 92 Mann belief.

»Wir können nicht alle hier bleiben,« sagte Vit zum Schmied Jansen. »Ich denke, du suchst zwanzig zuverlässige Leute aus, die wir nach Grippekoven legen, denn wenn wir einmal hier überfallen werden, so ist es besser, wenn wir nicht alle zusammen sind. Sorge dafür, Kerst, daß das Gold, welches sich hier befindet, diese Nacht durch den verborgenen Gang nach Grippekoven gebracht wird. Ich traue dem Landfrieden nicht, und wie leicht könnte unter den Leuten ein Verräter sein, obschon sie den Gang nicht kennen. Ich gehe heute nach Grippekoven und werde dort ein Versteck ausfindig machen, wo du das Gold verbergen kannst. Wenn wir angegriffen werden und durch den Gang flüchten müssen, so werden ihn die Feinde leicht finden, und die Schätze sind verloren.«

»Es ist gut, Meister Vit. Ich werde also für diese Nacht auch zuverlässige Leute zur Wache kommandieren, damit niemand etwas merkt.«

»Haltet aber Ruhe und Ordnung, wenn ich nicht hier bin, Kerst, und laß die Leute ihre Waffen und Kleider in Ordnung bringen.«

»Wer soll das Kommando in Grippekoven führen, Meister?«

»Lörs!«

»Lörs? Ist der nicht etwas jung und unerfahren dazu?«

»Jung wohl, unerfahren aber nicht, der Bursche gefällt mir, hat Kopf und Herz auf dem rechten Fleck, er ist ein echter Gradaus und ein tüchtiger Kämpe!«

»Nun, wenn Ihr meint; ich habe nichts dagegen.«

Vit zog sich die Kleider eines Landmannes an, nahm einen Knotenstock zur Hand, verließ die Scheune und begab sich durch den Wald nach Grippekoven. Die Räume waren ihm bekannt. Er fand eine tiefe Nische in der Mauer, welche sich wohl zur Aufbewahrung des Goldes eignete, da sie in einem dunklen Winkel versteckt lag und mit Gerümpel und Schutt zugeworfen werden konnte. Die verschiedenen Gelasse genügten, um zwanzig Mann unterzubringen. Er stieg über einen Haufen Steingeröll und hielt sich dabei an einem Steinblock an der Seitenmauer fest, welcher sich etwas bewegte. »Hm,« murmelte Vit, »der Block scheint lose zu liegen und bildet wahrscheinlich einen Verschluß zu einem Verstecke.« Er strengte sich an, um den Steinklotz von der Stelle zu bewegen, was ihm nach einiger Anstrengung auch gelang. Ein tiefer Schlund in dem Gemäuer gähnte ihm entgegen, und als er soviel Raum hatte, daß er hindurchkriechen konnte, schlüpfte er durch den Spalt und kroch auf Hand und Fuß in den sich erweiternden Gang hinein. Der Boden war trocken und von allerlei Steingeröll bedeckt. Jetzt kam er in einen großen Raum, die Schritte hallten weit durch den Gang, und der Schall brach sich an den Wänden. »Hier im Dunkeln weitergehen, ist mir doch zu bedenklich,« murmelte er vor sich hin. »Das taugt nicht. Was ist das? Da hinten kommt jemand mit Licht – Donnerwetter!« Er riß seinen Karabiner heraus, um sich nötigenfalls verteidigen zu können. Das Licht verschwand. »Es spukt wohl hier in dem verwünschten Nest,« flüsterte er. »Wird vielleicht einer von den alten Spitzbuben sein, die hier verscharrt liegen.« Jetzt wandte er sich schnell dem Ausgange zu. Da –! Vit bekam einen Schlag auf den Kopf, daß er zu Boden taumelte und die Besinnung verlor. Plötzlich fuhr er auf und sah große, feurige Kerls mit Flügeln wie die Fledermäuse auf sich zukommen. Sie lachten und tanzten um ihn herum und hatten große glühende Zangen, womit sie ihm Stücke Fleisch vom Leibe zwicken wollten. Vit standen die Haare zu Berge, der kalte Schweiß brach ihm überall hervor, und als die Kerls mit ihren Zangen ihm zu Leib rückten, stieß er vor Schmerz und Verzweiflung einen Schrei aus und – erwachte aus seiner Betäubung. Er sah nichts und lag auf der Erde. Es war stockfinster. »Was war das?« seufzte er. »Habe ich geträumt?« Dann betastete er sich am Körper, nirgends eine Wunde, nur vom Kopfe rann etwas Blut. Er stand auf und hätte sich an dem Gewölbe des Ganges, welches hier niedriger war, beinahe wieder den Kopf gestoßen. »Ich Esel,« brummte er ärgerlich, »glaubte, ich hätte da von unsichtbarer Hand einen Schlag bekommen! Hol's der T...!« Er fürchtete sich, den Satz zu vollenden, kroch langsam auf Hand und Fuß heraus und schob den Steinklotz wieder in die Öffnung. »Das Versteck ist ausgezeichnet,« sagte er, »laß Jansen das mit Licht weiter untersuchen, so allein und besonders im Dunkeln habe ich keine Lust mehr dazu.« Vit atmete erleichtert auf, als er wieder draußen war. Er schritt über die Furt, verband sich die Wunde mit seinem Taschentuch und ging wieder auf dem ihm bekannten Pfade des Waldes der Scheune zu. »Von dem Spuke muß ich schweigen, sonst werden die meisten sich fürchten, und einige mich auslachen,« murmelte er vor sich hin. Im Walde hörte er plötzlich eine Kinderstimme, welche aber gleich verstummte, als er näher kam. Er schritt vom Pfade ab und sah bald eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern unter den Tannen sitzen; als Vit näher kam, schmiegten die Kinder sich ängstlich an die Mutter an.

»Ei, Annebill,« sagte Vit, »was soll das heißen, daß du dich mit deinen Kindern hier im Walde umhertreibst? Was gibt's am Venn?«

»Ach, seid Ihr es, Meister Vit?« rief die junge Frau aufspringend. »Gott sei Dank. Ach, Ihr müßt nach Venn kommen, die Hessen sind da, fast alle Leute werden ermordet, die Häuser in Brand gesteckt! Ich habe mich mit den Kindern geflüchtet, als Peter und mein Vater umgebracht wurden. Mein Kleinstes riß ich aus dem Bettchen und nahm das andere bei der Hand und floh durch den Garten in den Wald hinein.« Sie hielt beide Hände vor die Augen und weinte bitterlich.

»Also dein Mann und dein Vater tot? Wie ist es bei Gieten, wo meine Mechthilde wohnt?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wieviel Soldaten waren denn dort?«

»Vielleicht 150 bis 200 Mann. Ein Teil zog nach Beltinghoven und Hardt, und in dieser Richtung sah ich auch schon brennende Scheunen.«

»Was wollen die Soldaten denn?«

»Sie wollen Korn, Weizen und Vieh haben, und alle Leute geben, was sie haben, jedoch die Soldaten sind nicht zufrieden, sagen, wir hätten noch mehr, rauben, morden und brandschatzen!«

»Komm, Annebill, komm, ich will schon für dich und deine Kinder sorgen, bis du wieder nach Hause zurückkehren kannst.«

»Nach Hause? Unser Haus ist niedergebrannt. Was fange ich da mit meinen zwei kleinen Kindern an?«

»Na, sei nur zufrieden und freue dich, daß deine Kinder noch am Leben sind. Komm, nimm du das kleine, ich trage das größere, und dann folge mir.«

Die Frau nahm das kleine Kind, welches neben ihr im Grase lag und etwa ein halbes Jahr alt sein mochte, und Vit nahm das Mädchen von drei Jahren auf den Arm und schritt voran durch den Wald, so rasch, daß die Frau kaum zu folgen vermochte. Endlich kamen sie nach langer Wanderung in der Scheune an. Vit ließ der Frau etwas zu essen geben und sagte dann: »Du, Kerst, bestimme zwei von den Leuten, welche mit der Frau nach Gevenich gehen und dort ein Unterkommen für sie suchen.«

»Es ist gut,« sagte Kerst, »werde schon für zwei zuverlässige Leute sorgen.«

»Meister Vit,« bat Annebill, »da wäre es mir doch lieber, wenn Ihr mich nach Freialdenhoven bringen ließet, dort habe ich eine Tante wohnen, bei der ich mit meinen Kindern bleiben kann.«

»Wie du willst, Annebill, hier hast du einige Goldstücke, sie sollen eine kleine Entschädigung sein für dein von den Hessen geraubtes Gut. Gehe in Gottes Namen!« Er reichte ihr die Hand und trat mit Kerst zu seinen Leuten, die meistens noch mit dem Putzen der Waffen beschäftigt waren, oder ihre Kleider ausbesserten. Vit schilderte den Leuten, wie es in Venn, Hardt, und Beltinghoven zuging, und wie die Hessen dort hausten.

»Da müssen wir sie doch auf die Finger klopfen, Meister,« meinte Lörs.

»Das versteht sich,« sagte Vit. Sein Blick fiel jetzt auf einen kleinen Wandschrank, in den er mehrere Beutel mit Goldstücken gelegt und den er dann abgeschlossen hatte. Der Schrank stand offen.

»Wer hat den Schrank geöffnet?« fragte Vit seine Leute in strengem Tone.

Keine Antwort.

»Wer den Schrank geöffnet hat?« wiederholte Vit seine Frage. Er trat dann an denselben heran und sah, daß zwei Beutel mit Goldstücken fehlten. »Also Langfinger haben wir hier unter uns,« rief er grollend. »Wer ist der Halunke, wer?«

»Meister,« sagte Kerst, »ich sah vor einer Stunde, daß der Schrank erbrochen war, wußte aber nicht, ob Geld fehlte, da mir nicht bekannt war, wie viele Beutel dort lagen. Ich habe jeden einzeln befragt, alle sagen, sie wüßten nichts davon.«

»Das ist stark!« rief Vit. »Also Spitzbuben soll ich kommandieren? Das fällt mir nicht ein!«

»Wenn ich wüßte, wer's getan hat, ich würde dem Schuft das Genick herumdrehen!« drohte Kerst.

»Wenn ich wissen will, wer der Dieb ist, so ist mir das eine Kleinigkeit,« sagte Vit zuversichtlich. »Soviel habe ich gelernt im Leben. Ich frage euch also, will derjenige sich freiwillig melden, welcher die zwei Beutel Goldstücke gestohlen hat, so soll seine Strafe eine milde sein. Meldet er sich nicht, so bilden wir ein Gericht, und das verurteilt ihn.«

Es meldete sich niemand.

»Gut,« sagte Vit. »Ich werde den Spitzbuben schon finden. Richtet euch nun zum Abendessen, nach demselben suche ich vierzig bis fünfzig Mann aus, welche mit nach Venn gehen; da wollen wir mit den Hessen ein Wörtchen reden.«

Schweigend wurde das Essen eingenommen. Sonst waren alle immer lustig und guter Dinge, heute aber schmeckte das Essen nicht; die Stimmung war gedrückt. Das Bewußtsein, daß ein Dieb unter ihnen war, lastete auf ihnen und ließ keine Fröhlichkeit aufkommen. Als das Essen vorbei war und die Dämmerung eintrat, fragte Vit: »Sind alle Leute hier?«

»Acht sind draußen auf Wache, werden aber gleich abgelöst,« erwiderte Kerst.

»Gut! Gerd Klingen, nimm den großen Kessel und stülpe ihn hier auf den Tisch,« befahl Vit. »So, alle Mann treten hier an den Kessel heran.« Der Befehl wurde ausgeführt. »Jeder streicht mit der rechten Hand an dem Kessel vorbei, seht ihr, so,« erklärte Vit weiter, und dabei strich er mit der Hand an dem Kessel vorbei. »Ihr sollt sehen, Leute, wenn der Dieb an den Kessel kommt, dann gibt der Kessel einen Klang von sich, als wenn eine Kirchenglocke ertönt. Also vorwärts. Kerst fängt an!« Kerst begann. Die Leute umdrängten neugierig den Kessel und lauschten, aber man hörte nichts. Die Wachen waren abgelöst, alle hatten mit der Hand an dem Kessel vorbeigestrichen, der Kessel war aber stumm geblieben. Jetzt blickten alle gespannt auf Vit, was dieser dazu sagen würde.

»Zünde zwei Kerzen an, Paul,« sagte Vit, »und bringe sie hierher. Ruhe! Alle Leute antreten! So, nun bildet einen Kreis. Strecke jeder die rechte Hand aus!« Vit ging mit den Kerzen an allen vorbei und besah sich die Hände. »Hier haben wir den Spitzbuben!« rief jetzt Vit, auf Schufen deutend. »Der ist's!«

Schufen fiel auf die Knie und heulte: »Gnade, Gnade!«

»Hast du das Geld gestohlen?« fragte Vit strenge.

»Ja, ich habe es getan.«

»Wo ist das Geld?«

»Ich habe es draußen, als ich mein Pferd tummelte, verloren.«

»Spitzbube, du lügst! Bist du das Geld zurückschaffst, erhältst du morgens und abends fünfundzwanzig Stockhiebe, und zwar mit einem echten Stöckchen, worauf die Nachtigall so einige Jahre gepfiffen hat. Fort mit dem Lumpen! Gebt ihm abschläglich die ersten fünfundzwanzig Hiebe!«

Lörs und noch einige Burschen, die den Duckmäuser sowieso nicht leiden konnten, fesselten ihn und verabreichten ihm trotz seines Heulens gewissenhaft die fünfundzwanzig Hiebe.

»Aber, Großvater, ich weiß noch immer nicht, wie du behaupten konntest, daß Schufen der Dieb war, da doch der Kessel nicht geklungen hatte,« meinte Paul.

»Ja, das verstehe ich auch nicht,« sagte Jansen.

»Ei,« sagte Vit lachend, »das ist sehr einfach. Mit dem Klingen des Kessels, das ist Unsinn. Jedoch der Dieb glaubt es, und der Unschuldige glaubt es auch. Der Unschuldige streicht an dem Kessel vorbei, weil er nicht bange ist, daß der Kessel klingt, der Schuldige streicht aber nicht vorbei, weil er fürchtet, daß der Kessel klingt. Alle Unschuldigen haben daher schwarze und schmutzige Hände, weil sie den Kessel berührt haben, der Schuldige aber, der den Kessel nicht berührt hat, hat reine Hände.«

»So, nun begreife ich die Sache,« sagte Kerst Jansen. »Wer soll aber auf solche Stückchen kommen!«

»Das lernt man bei den Landsknechten,« sagte Vit. »Also du weißt jetzt, Kerst,« fuhr er leise zu diesem gewandt fort, »was du mit deinen zwanzig Mann zu tun hast. Du findest da in der Ruine Grippekoven rechts einen beweglichen Steinblock; den entferne, und dann untersuche den Gang mit Licht. Dort ist ein schönes Versteck. Die Beutel besorge aber allein und sage keinem, wo sie geblieben sind. Du umwickelst sie einfach mit Tuch und sagst den Leuten, es seien Kugeln. Dann wirfst du sie in Säcke zusammen. Sei aber vorsichtig und verschließe wieder die Öffnung der Nische. Das alles muß geheim bleiben und du mußt den Leuten strengstes Stillschweigen anempfehlen. Denn wenn es bekannt würde, daß dort in Grippekoven etwas zu suchen ist, das könnte nicht gut auslaufen. Gerd Klingen bleibt hier; Lörs und noch sechzig Mann gehen mit mir nach Venn. Kerst, wenn du morgen früh abkommen kannst, so komme uns nach. Du, Peter Kluth,« redete er einen stämmigen Bauernsohn von Büttgen an, »kommst mit noch zwei Mann und zwanzig Pferden gegen Mitternacht auf dem Waldwege nach Venn, bleibst am Höverberg Höverberg. Dort standen einzelne kleine Häuschen in der Heide. im Dickicht stehen und wartest auf meine Befehle. Paß aber auf; suche gute Pferde aus und laß die elenden Mähren hier. Sieh auch zu, daß dir keins abgenommen wird.«

»Ich werde alles genau ausführen, Meister.«

»Sind die Mannschaften abgeteilt, welche mit nach Venn gehen?« fragte Vit die Leute.

»Jawohl, sie haben alles in Ordnung: Pulver, Kugeln, Flinten und auch Dolche und Säbel.«

»Gut, Leute, hört mich an.« Alle scharten sich um Vit. »Es ist gleich Abend, und die Nacht wird finster. Wir marschieren in drei Kolonnen. Die ersten zwanzig Mann gehen von hier auf Gevenich zu, schwenken vor dem Dorfe ab und marschieren durch die Kohdrefft Die Kohdreft ist ein von Gevenich nach Gevelsberg führender Hohlweg, der zu den Viehweiden geht., von da über Cörrenzig und dann links in den Wald hinein. Außer Kipshoven berührt ihr kein Dorf mehr. Vor Venn, in der Moosheide, an der Linde, wartet ihr auf mich. Dort wird euch hoffentlich niemand stören. Ist die Luft nicht rein, so bleibt ihr am Höverberg und erwartet mich. Ohne Not nicht geschossen, Jungens, das rate ich euch. Merkt euch das alle. Als Losung, damit einer den andern im Finstern erkennt, gelten die Worte: ›Blut‹ und ›Eisen‹.« Nun abmarschiert! Kerst, bestimme du, wer das Kommando über die erste Kolonne führt.«

Die Leute zogen langsam ab.

»Der zweite Trupp geht hier die Aachener Straße entlang. Vermeidet aber Erkelenz und Dahlen und sorgt, daß ihr wohlbehalten nach Venn kommt. Also tut eure Augen auf. Mit dem dritten Trupp gehe ich selbst. Paul, kommandiere du die zweite Kolonne. Vorwärts, Jungens! Kerst, bis morgen früh; komme aber sobald als möglich nach; vielleicht ist's notwendig.«

Es war mittlerweile Abend geworden. Vit schlug mit seinen Leuten einen schmalen Waldpfad ein. Lautlos schritten sie vorwärts. Sie mochten vielleicht eine Stunde gegangen sein, als Vit Halt gebot. Alle blieben stehen. Vit horchte. Es war schon ganz finster, und er konnte sich daher nur auf sein Gehör verlassen. »Es kommen Leute von rechts,« flüsterte er. »Ruhig stehen bleiben, Jungens! Zwanzig Schritte vor uns kreuzt ein Pfad, welcher von Lövenich kommt, den unsrigen. Auf diesem Pfade höre ich Leute kommen. Wer mag es sein?«

Man hörte nur die Tritte der sich Nähernden; keiner sprach ein Wort. Jetzt knackte ein dürrer Ast unter den Füßen eines Burschen von Vits Truppe. Nun standen die Ankommenden still!

»Wer ist da?« fragte eine Stimme, die Vit gleich als diejenige Pauls erkannte. Er schwieg jedoch, um zu sehen, was Paul machen würde.

»Drei Mann mit Flinten im Anschlag hier den Pfad herauf!« kommandierte Paul kurz.

»Donnerwetter,« sagte Vit, »er macht kurzen Prozeß.«

»Unsere Losung ist Blut!« rief Vit.

»Eisen!« gab Paul zurück.

»Willst uns wohl einige blaue Bohnen zwischen die Rippen jagen, Junge?« sagte Vit.

»Ja, ich wußte ja nicht, wen ich vor mir hatte und habe keine Lust, mich niederschießen zu lassen.«

»Warum habt ihr denn euren Pfad verlassen, Paul?«

»Ein Trupp Soldaten kam uns in die Quere, und wir haben uns deshalb mehr nach links gehalten.«

»Wo kamen die Soldaten her?«

»Von Linnich.«

»Hm, wo mögen die denn hinwollen? Doch, das bleibt sich gleich. Wir wollen vorläufig zusammengehen. Vorwärts! Ich gehe voran, denn ich werde wohl den Weg am besten kennen.«

Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung. Nach einem scharfen Marsche kamen sie gegen Mitternacht am Höverberge an. Peter Kluth mit seinen Leuten war noch nicht da. Sie schritten zur Moosheide. Als sie kaum die ersten Flachsgruben Heute sieht man noch die Flachsgruben. Früher waren sie viel zahlreicher. passiert hatten, rief eine Stimme: »Halt, wer ist da?«

»Freunde!« sagte Paul.

»Die Losung?« fragte die Schildwache.

»Blut!« flüsterte Paul.

»Eisen!« gab der Posten zurück.

»So ist's recht, Burschen,« sagte Vit, »jetzt vorwärts! Wo stehen die Leute von der ersten Kolonne?«

»Dicht an der Linde.«

Sie schritten der Linde zu. Es stand dort ein kleines Gesträuch, mit Heide durchwachsen, aus dem eine große Linde hervorragte. Um die Linde war ein kleiner freier Platz, auf dem mehrere große Steine umherlagen.

»Ihr seid gut marschiert, Burschen,« sagte Vit, unter die Leute tretend. »Es scheint mir aber, wir kommen zu spät. Alles ist ruhig. Die Räuber werden wohl fort sein und ihre Beute mit nach Gladbach genommen haben. Paul und Hoster mit je zwei Mann, schleicht euch in das Dorf und seht, wie es dort aussieht. Nehmt euch aber wohl in acht. Wir bleiben hier liegen, kommt so bald wie möglich hierher zurück.«

Die sechs Mann entfernten sich.

»Es ist so still hier,« fuhr Vit leise fort. »Das Dorf liegt allerdings noch einige Flintenschüsse weit von hier entfernt, aber man müßte doch etwas hören. Die armen Bewohner! Es würde mir leid tun, wenn wir wirklich zu spät kämen. Du, Krappen,« fragte er einen älteren Burschen, welcher früher als Landsknecht gedient hatte und auf den Vit große Stücke hielt, »hast du auch für Wachen gesorgt?«

»Jawohl, Meister, es stehen sechs Mann aus, wir können ganz ruhig sein.«

»Es wird jetzt Mitternacht sein,« sagte Vit. »Wißt ihr auch, auf welchem Platze ihr hier steht? Die Burschen hier aus der Nachbarschaft werden das wohl wissen, die fremden aber nicht.

Hier In Venn soll von alters her die Gottesmutter verehrt worden sein. Auch hat man an der Linde in der Nacht wiederholt einen wunderbaren Gesang gehört und einen eigentümlichen Lichtglanz gesehen. hat vor vielen Jahren ein frommer Mann als Einsiedler gelebt. Unter dieser Linde stand seine Klause und neben derselben eine kleine hölzerne Kapelle. Viele Leute aus der Umgegend kamen hierher, um sich bei dem frommen Manne Rat zu holen und ihn zu bitten, ihre besonderen Anliegen unserem Herrgott im Gebete vorzutragen. Der Mann gab viel an die Armen, und deshalb glaubten manche, er hätte große Reichtümer besessen. Die Raubritter von Grippekoven hörten auch davon; sie überfielen den frommen Mann, und unter den Streichen der Ungeheuer hauchte dieser sein Leben in der Kapelle aus. Die Mörder fanden aber nur einige Albus. Aus Wut darüber, schlugen sie Klause und Kapelle kurz und klein und steckten den ganzen Haufen in Brand. Wer der fromme Mann gewesen ist, hat niemand erfahren, ebensowenig woher er gekommen war. Der Ort aber, wo er so fromm gelebt hat und gestorben ist, scheint geheiligt zu sein. Viele Leute, die hier in der Nacht vorbeikamen, haben einen wunderbaren Gesang von Geistern gehört und einen hellen Lichtglanz gesehen. Ich selbst habe mehrere Male den Gesang an dieser Stelle vernommen, wo das Blut des frommen unbekannten Mannes vergossen wurde und die vielleicht noch zu großen Dingen vorbestimmt ist. Kommt, Jungens, laßt uns hier drei Vaterunser beten, daß Gott uns gnädiglich beschützen möge!«

Die Burschen knieten mit ihm nieder. Alle waren ernst gestimmt. Durch die Stille der Nacht vernahm man das Murmeln ihres Gebets, zu dem die trauliche Linde leise flüsterte und rauschte. Es war jenes geheimnisvolle Raunen, das wir Menschen so gut verstehen, wenn wir es nicht verlernt haben, den Stimmen der Natur zu lauschen und wenn Sinn und Gemüt dafür empfänglich sind.

Da – was war das? Es klang wie das Wimmern eines Kindes. Dort rechts kam es aus dem Gehölz – –

Alle erhoben sich.

»Pst,« sagte Vit, als einige darauf zugehen wollten, »langsam, – es kann auch eine Finte sein! Komm, Krappen, und noch zwei Mann, wir wollen sehen, es ist ja nur einige Schritte entfernt.«

Sie gingen etwa zehn Schritte in der Richtung, woher die Töne gekommen waren, hörten aber nichts.

»Stehen bleiben,« flüsterte Vit. »Still!«

Nach einigen Augenblicken hörten sie dicht in ihrer Nähe ein unterdrücktes Weinen, und langsam klang der Ruf »Mutter! Mutter!« durch die stille Nacht.

Vit sprang über einen Graben und sah dort etwas auf der Erde liegen. Er kniete nieder und fand ein Kind, das sich aufrichten und fliehen wollte. Vit drückte es sanft nieder und fragte freundlich: »Kind, warum weinst du? Sei nur nicht bange, wir tun dir nichts zuleide.«

»Oh, ich hab' solchen Durst!« jammerte das Kind leise.

»Hier, trinke,« sagte Vit und reichte ihm seine Feldflasche, welche mit Rotwein gefüllt war. Das Kind trank gierig.

»Komm,« sagte Vit, »gehe mit zu meinen Leuten. Kannst du nicht gut aufstehen? Wart, ich helfe dir.« Vit wollte dem Kinde behilflich sein, als er es aber anfaßte, fühlte er, daß es ganz durchnäßt war. Er fragte deshalb: »Bist du etwa in eine Flachsgrube gefallen?«

»Nein, das ist Blut,« antwortete das Kind.

»Blut? Wovon?«

»Von einer tiefen Wunde, die ich am Kopfe habe.«

»Wer brachte dir die Wunde bei?«

»Die Soldaten sind in unser Haus gedrungen,« erzählte das arme Kind, welches etwa acht Jahre alt sein mochte, »haben Vater und Mutter totgemacht und mein kleines Brüderchen in der Wiege mit der Lanze durchbohrt. Ich nahm dann das Brüderchen aus der Wiege und lief damit aus dem Hause, als mir ein Soldat nachlief und mich mit einem Säbel in den Kopf hieb. Ich fiel nieder, kam aber wieder zu mir, nahm das Brüderchen auf und lief hierher. Hier liegt es und schläft.«

»Armes Kind,« sagte Vit und tastete dann nach dem Brüderchen, welches aber nicht mehr schlief, sondern tot neben dem Schwesterchen lag. »Ja,« sagte Vit, »es schläft ... Du, Krappen, nimm du das Brüderchen auf. Komm, Kind, ich trage dich zu meinen Leuten,« und vorsichtig, fast zärtlich wie eine Mutter, hob Vit das Kind auf seine Arme. Das Mädchen schlang die Ärmchen um den Hals seines Beschützers und wimmerte leise: »Oh weh, mein Kopf, – ich muß sterben!«

»Sei ruhig, Kind,« tröstete Vit, »ich laß dich irgendwo hinbringen, wo du gut verpflegt wirst.«

Als er aber bei seinen Leuten ankam, hielt er eine Leiche in seinen Armen.

»Da – schon tot!« sagte Vit. »Gott, wie ist es möglich, so arme unschuldige Kinder von der Mutter zu reißen und zu morden!« Behutsam legte er die Leiche am Fuße der Linde nieder, die, als würde sie von menschlicher Rührung ergriffen, in ihrem Wipfel zu seufzen und klagen schien und mitleidig ihre Zweige über das tote Menschenkind herabsenkte.

Vit erzählte den Leuten, was er von dem Kinde gehört hatte, und fügte hinzu: »Von solchen Taten werden wir noch mehr hören. Aber wehe den Banditen, sie sollen den alten Vit und seine Leute kennenlernen! Pardon wird nicht gegeben, denn wir haben ja auch von unseren Gegnern keinen zu erwarten. Für uns heißt es entweder siegen oder sterben!«

»Jawohl, Sieg oder Tod!« rief Krappen.

»Du brauchst nicht so laut zu schreien,« sagte Vit, diesem einen Rippenstoß versetzend. »Wir müssen ruhig sein, bis unsere Kundschafter zurückkommen, dann tue jeder seine Pflicht!«

»Verlaßt Euch auf uns, Meister!« antworteten die Burschen.


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