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Gislis Verhöhnung

Als die Heuernte eingebracht war und die Tage kürzer wurden, gedachte der Gode seinem Lieblingsgotte Frey ein großes Dankfest auszurichten und ihm um Segen im neuen Jahre zu opfern. Dazu hatte er sich Gäste von weither eingeladen, über hundert, darunter von Heiligenberg Börk, den Dicken. Zu derselben Zeit rüstete sich Gisli, den Winter auf Wang zu begrüßen mit einigen Nachbarn, an fünfzig etwa. Während sie nun eines Morgens den Boden mit Binsen streuten auf Seehof, da sie die Gäste zum Abend erwarteten, sprach Thorgrim: »Du hattest doch unrecht, Schwager, Vesteins Geschenke zu verschmähen! Nun käme uns der Teppich zustatten, den er dir zugedacht hatte; aber das kann man wieder gutmachen, denk ich: schicken wir zu Gisli darum!« »Er wird ihn heut selber nötig haben zum Feste!« Thorgrim zog die Stirne kraus. »Ich finde, um Gislis Nöte brauchen wir uns ebensowenig zu kümmern wie um sein Mißfallen!« Thorkel wiegte den Kopf. »Der Mann, heißt es, Schwager, erhält am meisten, der Maß halten kann!« »So werde ich den Teppich von Gisli fordern, wenn du die Schneid dazu nicht hast!« rief der Gode: »Geirmund, Junge, lauf hinüber und hole ihn mir!« Geirmund sagte, alles, was er ihm schaffte, wollte er lieber tun als grade dieses, er solle doch einen andern schicken. Thorgrim stand von der Bank auf, ging auf ihn zu und schlug ihn hinter die Ohren, daß es schallte. »Da hast du was auf den Weg, und nun mach, daß du weiter kommst, Bursche!« Geirmunds Lippen erzitterten, aber er schluckte die Tränen hinunter. »Jawohl,« sagte er, »jetzt werde ich gehn. Aber für die Schelle, die du mir gegeben hast, werde ich dir eine Glocke besorgen, daß dir die Ohren gellen sollen davon!«

Gisli und Aud waren gerade daran, den Teppich in der Halle aufzumachen, da kam der Junge und richtete seinen Auftrag aus. Gisli sah Aud an, kniff die Lippen zusammen und lächelte. »Nun, was sagst du dazu? Sollen wir des ermordeten Vestein Geschenke hergeben zum Wandschmuck in Seehof?« Tränen traten ihr in die Augen. »Warum fragst du? Selber weißt du es, Gisli, daß ich denen drüben alles andre eher gönne als Gutes!« Gisli wandte sich Geirmund zu: »Wollte auch Thorkel den Teppich?« fragte er ihn. – »Er saß dabei und sprach nicht dawider, als Thorgrim mich schickte, nachdem er mich um die Ohren geschlagen!« »Gut denn,« sagte Gisli, »sie sollen haben, was sie wollen!« Er rollte den Teppich wieder zusammen und ging mit dem Burschen hinaus. »Höre, Junge,« sprach er, »ich denke, du bist mir einigen Dank schuldig, daß ich dir's nicht schwerer gemacht habe, deinen Auftrag auszuführen, da solltest du dich auch mir gefällig zeigen. Vielleicht erleichtert dir's auch deine Abrechnung mit dem Goden. Du hast doch vor Nacht die Türen alle zu verriegeln in Seehof – vergiß es heute einmal!« »Könnte das nicht auch meinem Ziehvater Thorkel Gefahr bringen?« fragte der Bursch. – »Ganz und gar nicht!« »So will ich's vergessen!«

Als der Junge in der Wohnstube zu Seehof den schweren Teppich dem Goden zu Füßen niederwarf, höhnte der: »Nicht umsonst saß Gisli so lange bei den Christen in Veborg, Thorkel! demütiger als mutig scheint er mir nun zu sein, dein Bruder Gisli!«

Gegen Abend klingelten die Schlitten von allen Seiten heran. Börk kam mit einem Gefolge von sechzig Mann und hatte dazu seinen Vetter Eyjolf, den Grauen, aus dem Tälergebiet mitgebracht, den Sohn Thord des Brüllers. Da wurde wacker gezecht, und dann fuhren die Männer in ihre Betten oder richteten sich ihre Lagerstatt auf den Bänken. Draußen war's windstill geworden, und der Schnee fiel in dichten Flocken.


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