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Der Zwist: Thorkel zieht von Gisli weg zu Thorgrim

Thorgrim und Thorkel hatten sich im Dienste König Haralds große Reichtümer erworben auf gefährlichen Botenfahrten hoch im Norden, die hatte der Gode geführt. Das war nun Thorkel mächtig zu Kopfe gestiegen: war er allezeit zu hochmütig und zu träge gewesen, um fest anzugreifen in Haus oder Hof, so rührte er jetzt vollends keine Hand mehr. Eines Tages, es war zur Zeit der Heuernte und bei dem schönen Wetter alles draußen, lag er allein in der Wohnstube auf der Bank, da hörte er im Frauenhaus nebenan Stimmen und ihm schien, es wären Asgerd und Aud. Er rückte näher zur Türe und horchte. – »Du könntest mir wohl die Leinwand zuschneiden zu einem Hemde für Thorkel, Aud,« sagte Asgerd. – »Das kannst du ebensogut wie ich,« entgegnete die, »und wenn es nicht für Thorkel wäre, sondern für meinen Bruder Vestein, so würdest du mich auch gewiß nicht darum bitten!« »Mir scheint, du hörst gern auf der Leute Geschwätz, liebe Aud!« »Bitter genug gemacht hast du es uns, Schwägerin, willst du da süße Worte? Selber weißt du es wohl, um deinetwillen war's, daß die Blutsbrüderschaft in die Brüche ging damals zwischen den vieren! Geschämt haben würde ich mich, meinen Gatten einen eklen Gesellen zu heißen, wie du es vor meinem Bruder getan hast! Auch wäre er dir schwerlich so greulich erschienen, hätte dir Vestein weniger in die Augen gestochen!« »Ei, dein Brüderlein hatte doch von derselben Münze genug: einen Prahlhans, einen feigen, schalt er den Thorkel, einen Tückebold, vor dem ich mich in achtnehmen müsse! Und wie war's denn mit dir, du Sittenrichterin, bevor Thorgrim sich in die stolze Thordis vergaffte? Zu wem bückte er sich da auf die Bank nieder und flüsterte zärtlich?« Aud wurde rot. »Rede doch keinen Unsinn! Nie sprach Thorgrim ein Wort zu mir, das mir Schande bringen könnte und das er nicht laut wiederholen dürfte vor Gisli! Aber genug gezankt, Schwägerin!«

In dem Augenblick fuhren die Frauen zusammen: ein Geräusch war laut geworden hinter der Türe, und jetzt brüllte es auf, ein Wutgeheul: »O Schmach ohnegleichen! o Meineid und Mord und Männerverderben!« und ward still.

Bleich im Gesicht sahen die Schwägerinnen einander an. »Was war das?« flüsterte Aud. – »Thorkel!« murmelte Asgerd, »gehorcht hat er!« »O unsre verfluchten Weiberzungen!« rief Aud, »was haben wir da angerichtet, wir zwei!« In Asgerds Wangen war die Farbe schon wieder zurückgekehrt. »Ach was, das ist noch lang nicht so schlimm! Heute Nacht, eh wir zu Bett gehn, schlinge ich Thorkel die Arme um den Hals, und da will ich doch sehn, ob er nicht bald alles für Verleumdungen hält, was du über mich gesagt hast!« »So leicht wird es dir diesmal kaum gelingen,« sagte Aud, »da stehn ja deine eigenen Worte im Wege!« »Ja wie denkst du es denn anzustellen?« »Ich,« sagte Aud, »ich will zu meinem Mann gehn wie immer, wenn mich was bedrückt, und ihm alles klagen! Wenn jemand hier einen Rat weiß, ist er's!«

Eine gute Gewohnheit hatte Thorkel bei all seinem Hochmut und Unverstand: jeden Abend, wenn Gisli von der Arbeit kam, pflegte er ihm für die Mühe zu danken, die er sich für sie alle gemacht hätte. Diesmal blieb er stumm auf der Bank liegen, als der Bruder in der Dämmerung hineintrat. Gisli ging auf ihn zu. »Fehlt dir was, Thorkel, bist du krank?« »Krank nicht, aber schlimmer als krank!« »Was ist's denn? Habe ich dich etwa gekränkt?« »Du ganz und gar nicht! Laß nur das Fragen; früh genug noch, fürchte ich, wirst du's erfahren!«

Zu Nacht aß Thorkel fast gar nichts und ging gleich zu Bett. Kaum war er drin, so kam Asgerd in den Verschlag und wollte sich auch niederlegen. »Weg da!« rief er und streckte den Arm aus, »du kommst mir nicht an meine Seite, nie mehr, verstanden!« »Ei hört doch!« sprach sie: »was sind denn das für Neuerungen, Thorkel, auf einmal?« Er setzte sich auf. »Blind war ich, aber den Staar gestochen hast du mir selber! Und wenn du noch einen Funken Scham hast, so zwingst du mich nicht, daß ich deine eigene Schande dir sage!« »So,« rief sie, »steht es so? Schön, Thorkel, dann will ich dir was sagen, und du höre mich aufmerksam an! Jetzt stelle ich dir die Wahl: entweder du schweigst fortan und tust nicht dergleichen, als wäre dir, wer weiß was geschehen, oder ich rufe mir auf der Stelle Zeugen herbei, erkläre mich vor ihnen von dir geschieden und ziehe mit meiner ganzen Mitgift davon zu meinem Vater, und dann soll's dir gewiß nie wieder zu enge werden in meinem Bette durch mich!« Thorkel überlegte: es war in der Tat nicht wenig, was sie ihm mitgebracht hatte. Da drehte er sich zur Wand um und knurrte: »Mach, was du willst!«

Im Schlafraum auf der andern Seite des Ganges brannte indessen die Tranampel bis tief in die Nacht. In ihrem matten Scheine saß Gisli aufrecht im Bette; an seine Schulter lehnte Aud ihre Stirn. »Nun sagt' ich dir alles, nun schilt mich, wie ich's verdient hab', und hilf!« Gisli schüttelte den Kopf. »Ich schelte dich nicht, denn die Worte, die dir entfuhren, und daß Thorkel dabei hinter der Tür horchen mußte, alles war so, daß mir scheint, hier hat das Schicksal gewaltet! Aber auch zu helfen weiß ich nicht. Wir müssen's erwarten, was kommt!« ...

Wenige Tage später standen Thorgrim und Thorkel am Zaun zwischen ihren beiden Gehöften. Thorgrims Gesicht war dunkelrot. »So,« sprach er, »verziehn hast du ihr? Und damit soll's gut sein? Meine Hand zog ich zurück auf dem Thinge zu Falkengries damals auf das bloße Gerücht hin! Und nun weißt es du für gewiß durch sie selbst, wie die beiden dir mitgespielt haben! Den Vestein wollte ich sehn, wenn du ihn geschmäht hättest bei seinem Weibe und ihn als Trottel zum Gespötte gemacht für die Leute! Aber freilich, 's ist nicht jedermanns Sache, mit einem so verwegenen Burschen anzubinden, wie er einer ist!« Thorkel reckte sich auf. »Ich den Vestein fürchten? Schwager, da kennst du mich schlecht! Aber was soll ich machen?« Er streckte sein Gesicht so nahe zum andern hin, daß der seinen Atem verspürte. »Hast du's vergessen? Du zücktest die Hand zurück auf der Landzunge, aber da hatte ich ihm schon die meine gegeben: Blutsbrüder sind wir! Vor meinem Stahl schützt ihn mein Schwur!« Thorgrim zog die Brauen zusammen. – »Das hat er klug gemacht damals, nicht, der Gisli? Sehr klug! Da sitz' ich nun in der Schlinge und kann mich nicht rühren! Und die Schmach ist schwer zu tragen, Thorgrim, sage ich dir! Nacht um Nacht lieg ich da, knirsche mit den Zähnen und kann nicht schlafen, bis es heller Tag ist! Denn nicht mich allein trifft's, auch euch, meine Gesippen, die Thordis und dich trifft die Schande mit mir! Und wenn ich irgend wüßte, wie ich ihn aus der Welt schaffen könnte, den Vestein, ohne daß ich grad selber – ja, wenn ein andrer für mich – den es ebenso schmerzte – obschon – eine heikle Sache wär's freilich, und heimlich müßt' es geschehen! Denn einmal der Gisli – und dann die Leute – das Geschrei!«

Thorgrim sah finster zu Boden und hörte ihn schon lange nicht mehr...

Grim Geiernase war ein Bauer, der wohnte zu Achenklamm weiter droben im Habichtstale, wo der Strom brausend aus dem Geklüft brach, in einer öden und ziemlich verrufenen Gegend. Manchen Hirten, die sich verspätet hatten beim Heimgehen, waren dort in der Dämmerung Gespenster entgegengetreten und hatten sie zur Umkehr gezwungen, auch hatte man in hellen Mondnächten oft einen Wolf, groß wie ein jähriges Kalb, heulend ums Gehöft kreisen sehn mit feurigen Augen. Und die Leute wollten wissen, daß sich all das Unwesen erst aufgetan hätte, seitdem Grim hinaufgezogen war. Daher wurde er von den meisten gemieden. Als die Surssöhne ins Land kamen, hatte er sich gleich an Thorkel gemacht, und sie wurden bald ziemlich befreundet, obschon Gisli immer mit finsterm Gesichte umherging, solange der von der Achenklamm auf Wang war. Jetzt war der Verkehr zwischen ihnen wieder einmal recht rege geworden, das heißt, nach Wang kam Grim nicht mehr, aber jeden dritten Tag war Thorkel bei ihm droben.

Es war einige Wochen vor der Ziehzeit im Herbste, den Kündigungstagen fürs Gesinde. Die Knechte mähten am Teiche hinter der Düne das Binsengras, und Gisli sah ihnen zu, da trat Thorkel zu ihm. »Ich denke mich zu verändern, Geselle,« sagte er, »und zwar möchte ich von Wang nach Seehof ziehen zu Thorgrim und ihm wirtschaften helfen. Da werden wir zwei unsere Erbgemeinschaft aufheben müssen!« Gisli schwieg. – »Es kommt dir wohl etwas unerwartet?« Gisli sah ihm ins Gesicht. »Thorkel, hast du den alten Spruch vergessen: ›Beisammen gedeiht am besten Brüderbesitz!‹« – Das wäre schon richtig, meinte Thorkel, aber es ginge so nicht mehr weiter. »Du schaffst den ganzen Tag, und was ich zuweg bringe, ist nicht der Rede wert: so habe ich allen Vorteil davon und du nur den Schaden!« »Habe ich dir das je vorgehalten? Und wenn's mir so recht ist, braucht es doch dich nicht zu kümmern! Wenn es auch hin und wieder was zwischen uns gab, Thorkel, schließlich haben wir beide doch schlecht und recht in schlimmen wie in guten Tagen zusammengehalten, und ich wollte, wir ließen alles beim alten!« »Nein, nein, da hilft kein Zureden mehr,« sprach Thorkel, »ich hab' es mir nun einmal fest vorgenommen!« »Ja,« sagte Gisli, »das merke ich freilich, und so sollst du deinen Willen haben, mag's nun zum Guten ausschlagen oder, wie ich fürchte, zum Bösen. Teile denn das Erbe auf zwischen uns, denn du bist der ältere!« »Nein, du sollst es, Gisli, weil ich es bin, der ausscheiden will. Auch magst du alles Land behalten samt den Häusern, und ich will mich mit der Fahrhabe begnügen. Nur eines beding ich mir aus: das Schwert da in Stücken, das der Ohm führte, ›Graustahl‹ möchte ich haben! Aber darauf wirst du ja wohl auch keinen großen Wert legen, auf die Trümmer!« »Doch, Thorkel, auf Graustahl zu verzichten, auch wenn's nur noch Trümmer sind, grade das würde mir schwer: seinen Namen ließ mir der Ohm, da hätt' ich denn auch gerne die Klinge, die ihm seinen Ruhm und den Tod brachte, beides. Aber damit du siehst, daß es mir mehr auf deine Gesinnung zu mir ankommt als auf alles andre, so sei's!«

Danach teilte Gisli ihren Besitz auf, und Thorkel erklärte sich für befriedigt, hatte auch allen Grund dazu. Es waren da auch zwei Waisenkinder, Geschwister, entfernte Verwandte der Surssöhne, die bei ihnen aufwuchsen, von denen fiel dem Thorkel der Knabe Geirmund zu, die junge Gudrid aber dem Gisli.

Ehe es Winter ward, waren Thorkel und Asgerd mit all ihrer Habe nach Seehof hinübergezogen.

Als nun die Julzeit herankam und sie das Gelage auf Seehof rüsteten, sagte Thorkel zu Thorgrim, er wolle den Grim Geiernase, seinen Freund, auch dazu laden. »Deine Sache ist das, Schwager,« entgegnete der Gode, »aber gelogen wär's, wenn ich sagte, mich würde es freuen, den Kerl mit den schiefen Augen im grauen Gesichte unter meinem Dache zu sehn!« – Oh, rief Thorkel, er wüßte wohl, was über den Grim alles zusammengeredet würde, doch das wäre lauter Verleumdung. »Würde sonst einer wie ich mit ihm verkehren? Sicher freilich ist, daß er den Mächten, die über uns gewaltig sind, näher steht als mancher andre. Aber das schlägt denen nicht zum Schaden aus, denen er wohl will. Wer eine allzu schwere Last allein aufnehmen will, der überhebt sich, und demnächst werden wir uns beide ja doch wohl dran machen müssen, und kurz und gut, Schwager, du verstehst mich, ich meine, wir werden ihn brauchen!«

So kam denn Grim Geiernase ein paar Tage vor dem Julfest noch nach Seehof geritten. Da steckten Thorkel und er sofort die Köpfe zusammen und hatten viel miteinander zu flüstern. Dann setzten sie sich Thorgrim zu beiden Seiten hin und redeten lange auf ihn ein, bis er endlich nickte. Danach ging Thorkel zur schweren eisenbeschlagenen Truhe, in der seine Kleinode lagen, und holte die Trümmer des Schwertes »Graustahl« hervor. Sie gingen alle drei über den Hof in die Schmiede, es fing mittlerweile an zu dämmern, und schlossen sich dort ein; die kleinen Fensterluken erschimmerten im Flammenscheine, Hammerschläge erdröhnten, und ein Gesang hallte eintönig-wild wie eines Raubtiers Geheul. Da verfinsterte sich die Luft, der Wind brüllte auf und fegte den Schnee in Wirbeln über die Dächer, als wollt er sie wegreißen von den Wänden. So ging das die Nacht durch. In der Frühe aber ward es auf einmal still, klar schien zwischen den Sternen der Mond nieder vom Himmel, und als die drei Männer aus der Schmiede traten, trug Thorgrim in der Rechten einen Speer mit einem mächtigen Erzblatt, das blinkte.

Grim Geiernase hatte eine Schwester, Rannweig mit Namen, ein langes verhuzzeltes Weib. Sie war Witwe und wohnte Wang gegenüber am andern Ufer der Ache zu Steinfelden. Ihr Sohn hieß Thorstein, ein bärenstarker Bursche, der war Gisli anhänglich und half ihm oft aus bei der Arbeit. Rannweig vertrug sich schlecht mit ihrem Bruder. In der Nacht, da die drei sich eingeschlossen hatten in der Schmiede, konnte sie nicht recht schlafen, trat immer wieder vor die Türe ins Unwetter hinaus, spähte und witterte mit erhobener Nase, die Nüstern gebläht, in den Sturm nach Seehof hinüber. Am Morgen schickte sie ihren Sohn Thorstein über die Ache zu Gisli, er solle ihm ausrichten: etwas Ungutes sei in der letzten Nacht vor sich gegangen auf dem Gehöfte Thorgrims; was es gewesen sei, habe sie nicht herausbringen können, aber es schiene ihr rätlich, daß Gisli auf der Hut sei vor Grim Geiernase, den ihr die Götter zum Bruder gegeben hätten, um sie zu strafen; die fahle Hel möge ihn holen!

Gisli ließ ihr danken und sagen, er wüßte es schon, daß er von der Seite nicht viel Gutes zu erwarten hätte.


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