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Am Lagerfeuer in Serbien

Im Winter des Weltkriegs 1915 war's, um die Weihnachtszeit. Eben erst war das bayrische Leibregiment im Verbande des Alpenkorps von den Verfolgungskämpfen im serbischen Hochland zurückgekehrt. Bunte Tage, abenteuerliche, lagen hinter uns. Aus der Talebene und den Hügeln in Eilmärschen durch enge Waldschluchten steil hinan! Hinter dem Gegner her talauf und talab, durch einsame Alpendörfer im Sturmschritt: händeringende Frauen vor den Hütten, scheue Kinder mit großen Augen dahinter! In der Ferne ringeln sich die letzten Kolonnen der Fliehenden wie Schlangenschwänze weg in die Schluchten: ihnen nach, was die Beine erlaufen! Biwaks unter kahlen Felspässen an eisigen Hängen. Zerlumpte Gestalten, Überläufer, Marschkranke strolchen uns, halbverhungert, mit erhobenen Händen entgegen. Granatengekrach im sinkenden Abend, Gewehrfeuerknattern: die Kameraden links auf den Talübergängen im Gefecht mit Nachhuten des Gegners – kurz aber blutig! viel Kopfschüsse: sie wissen mit ihren Büchsen umzugehen, die Serben! Und schon sind sie uns auf Schleichwegen wieder entwischt in die Schwarzen Berge, über die Grenze hinüber nach Montenegro. Das Ganze halt, heißt es da, kehrt! Zurück auf der breiten Heerstraße durchs Ibartal abwärts. Pferdeleichen auf Schritt und Tritt, im Geschirr erschöpft zusammengebrochen die Tiere: über zehn zählen wir oft auf den Kilometer! Menschenleichen auch hie und da, halbverkohlt um niedergebrannte Lagerfeuer am Wege: Flüchtlinge, entkräftet, mit erfrorenen Gliedern in die Flammen gefallen! Da endlich, nach vierzehn Tagen Hetze durch Gebirgsengen die freie Ebene wieder vor uns, goldschimmernd im Sonnenschein, mit breiten Silberströmen, einzelne mächtige Pappeln und Weiden mit weitem Geäst einsam und stolz an den Ufern! ...

Nun lagen wir in den Dörfern am Wege südwärts nach Saloniki in Ruhe, d. h. in Ruhe, soweit es das Ungeziefer in den kleinen strohgedeckten Lehmhütten zuließ. Ich weiß nicht, ob es da mir und den acht Leuten meiner Gruppe besonders schlimm zugedacht war vom Schicksal, oder ob die andern von meiner Empfindlichkeit angesteckt wurden, jedenfalls gingen wir so wenig wie möglich unter Dach: jeden Abend setzten wir auf dem Felde vor unserer Hütte einen gewaltigen Scheiterhaufen in Brand und hockten bis weit über Mitternacht auf Baumklötzen vor der Flamme. Da ging's unterhaltsam zu, zusammengewürfelt aus den verschiedensten Berufsständen und aus allen Gegenden Bayerns wie wir waren: sogar einen kriegsfreiwilligen Professor hatten wir unter uns, den Dr. Paul Wendland, der die germanischen und slawischen Sprachen studiert hatte und mit den Serben zu radebrechen wußte, daß es eine Art hatte!

So saßen wir eines Abends ums Feuer und kratzten die Böden unserer Feldkessel aus. Windstill war's und der Frost zog leise an: in der Ferne dämmerten die kahlen Höhenzüge des Balkans, davor hob sich das feine Reisig der Baumwipfel reglos, haarscharf und schwarz ab in den Lüften, und der klare Himmel fing an von Sternen zu wimmeln. Da trat aus dem Dunkel einer in den Flammenschein zu uns: hohen Wuchses, ein wenig gebückt, ein Greis mit weißem Bart bis zum Ledergürtel, in kurzer Joppe und Bastschuhen. Feierlich verneigte er sich und streckte uns, mit tiefer Stimme murmelnd, beide Handflächen entgegen.

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Der Professor wandte sich zu mir. »Um einen Platz bittet er an unserem Feuer, achtzig Jahre alt wäre er, sagt er, und kälter rinne sein Blut in den Adern als früher!« »Nur her mit ihm!« Wir rückten zusammen. Der Serbe setzte sich auf den Block neben mich und legte die fahlen Hände auf die Knie vor sich: unter den dichten gelbgrauen Brauen starrten die bleichen Augen ins Feuer. Dann legte er langsam den Kopf zurück in den Nacken, und das Gesicht zu den Sternen emporgewandt, hob er an, mit leise dröhnender Stimme zu singen: eintönig dumpf rollte es durch die Stille.

Wir alle schwiegen. Den Kopf vorgebeugt horchte der Professor.

Der Alte brach ab, stützte das Gesicht in die Hände und sank in sich zusammen. »Was war das?« fragte ich unsern Sprachkundigen, »hast du's verstanden?« »So ziemlich. Eine Art Klagelied war's auf seine Gefallenen. Im eigenen Dorf, sang er, vor der Hütte der Väter sitz ich an fremdem Feuer, am Feuer der Feinde wärme ich meine Knie. Gott wollte es so. Er will, daß die Völker gegeneinander kämpfen, auf daß die Tapfersten auch die Obersten werden. Aber er will nicht, daß sie nach dem Kampfe einander verachten, schmähn und verfolgen wie die Weiber, die vom Waschtroge kehren. Ihr habt mir Platz gemacht bei euch, meine Feinde; ein rechtes Herz, wie es der Krieger haben soll, hat Gott euch gegeben! So hört eines alten Mannes Klage an euerem Feuer! Zwölf Söhne hatte ich, schlank und hoch wie die Buchenstämme, die dicht nebeneinander stehen im Bergwald. Drei sind in die Fremde gezogen, neun sind gefallen. An vielen Orten hat mein Blut die alte Mutter, die Erde, getränkt, im Wallachenland, bei den Türken, bei den Bolgaren. Doch die Söhne meiner Söhne und ihre Söhne erwuchsen, und ein Geschlecht war aus meinem Samen um mich, daß wohl kein Schulmeister in allen Dörfern und Städten so weit zählen kann, wie viel ihrer waren. Da kam der Sturm aus dem Norden, der Krieg vieler Völker gegeneinander, und übers Gebirge weg fegte er mir die Meinen. Nur die Kinder blieben, die schrien, und die Weiber heulten. Aber wenn mir das Herz so schwer wird, daß es den Leib zum Boden hinunterziehn möchte, dann tröstet Gott mich und spricht: ›Sieh die Wiese an vor dem Dorfe, die eure Rinder ernährt? die Sense ging drüber hin, und die Halme fielen, aber je öfter sie drüber hingeht, desto dichter wachsen sie jedesmal wiederum auf, die Halme, und blühen!‹«

Sohnle, der breitschultrige Knecht aus dem Schwabenland, sah mit offenem Munde vom Professor zum Greise, dann langte er nach dem Kommisbrot neben sich, schnitt eine tüchtige Scheibe herunter und stieß den Sänger sacht mit dem Ellbogen an. »Magst unsern Barras versuchen, he, Serb?« Der Rosenberger Peter, ein Bauernsohn aus der Miesbacher Gegend mit dunklem Haar und scharfen Augen, als junger Bursch ein verwegener Wildschütz, griff in den Brotbeutel. »Geh, damischer Teufel, wo wird der unsern Kommis mögen, dem ist was Fleischiges lieber!« Er holte ein Wurststück hervor und drückte es dem Alten in die Hand. »Sä, Vater!« Der erhob sich, legte die Rechte auf die Brust und verbeugte sich bis zum Gurte. Langsam humpelte er davon und verschwand im Dunkel.

Der Sohnle schaute ihm nach und schüttelte den Flachskopf. »Närrisch, wie er das nur so zusammengebracht hat auf einmal, der alte Vater, und gar gleich zum Singen!« »Ja,« sagte der Professor, »die können das hier, weil ihre alten Heldenlieder noch lebendig sind unter ihnen. Als Buben schon lernen sie's von den Alten, die Worte zu Versen zu setzen!« »Hat's denn das früher auch bei die Deutschen gegeben,« fragte der Peter, »so Heldenlieder, wie du gesagt hast?« »Gewiß, aber leider ist fast alles zugrunde gegangen bei uns – das meiste, was wir aus der ganz alten Zeit wissen, das haben uns andre Völker bewahrt: unsre Verwandten, die Stammesvettern im Norden vor allem!« »Die Isländer!« warf's unser Geschichtsstudent ein, Gefechtsordonnanz beim Zugführer, ein flinker, schmächtiger Bursch: »das heißt, die Norweger, die sich dort angesiedelt hatten, auf Island! Eine richtige Heldengesellschaft! Die haben durch ihre Taten bewiesen, daß sie es wert waren, uns unser altes Volksgut zu hüten, und durch ihr Dichten! Denn so viel darin von Blut und Brand zu lesen ist in ihren Geschichten, immer spürt man es durchs Grausige durch, der Geist ist's, der freie, der Wille des Menschen, der zuletzt alle Lebensnot und Lebensangst zwingt. Jetzt kann man das Wichtigste, was sie aufgezeichnet haben, verdeutscht zu lesen bekommen in der Sammlung Thule, vierundzwanzig starke Bände sind's bald! Die hat einer in Jena, der Eugen Diederichs, den Mut gehabt, auf seine Kosten drucken zu lassen; Mut sagen muß ich, leider, denn wer hat Geld für Bücher bei uns Deutschen, wenn sich's doch nur um Großtaten aus der eigenen Vorzeit handelt? Ja, wären's noch Indianergeschichten oder amerikanische Detektivromane! Aber so! Gott besser's!«

Nachdenklich sahen die andern ins Feuer. »Daß jetzt grad mir Deutschen so sind!« murrte der Peter: »bei die Franzosen, die Engländer, bei die Juden, mein ich, ist's besser!« »Bei die Juden, mein Lieber, das glaubst! die sind nicht so dumm wie wir, die halten zusammen!«

»Du, Paul,« sagte der Student, »erzähl uns doch was aus den isländischen Geschlechtergeschichten, magst nicht? Das vom Gisli, dem Waldgänger, das wär' so was, mein' ich!« »Von Gisli Surssohn, dem Geächteten?« brummte Wendland, »meinetwegen, aber legt erst einmal richtig Holz nach, he, ihr Jungen, daß uns das Feuer nicht ausgeht! Derweil hab' ich Zeit, daß ich es mir ein wenig zurechtleg, denn so aufs Gratewohl geht's doch nicht!«

Auf die verglimmenden Kohlen des Scheiterhaufens prasselte dürres Reisig. Sohnle, der Bauernknecht, Schreijack, der Metzgergesell, und der Fabrikarbeiter Degelmann schleppten unter beiden Armen Zaunlatten herbei, und bald loderten die Flammen wieder hell und hoch durch die Nacht.

Der Professor setzte seine kurze Pfeife in Brand. »Also, paßt's auf! Aber zuerst muß ich's euch einmal erzählen, weswegen sie überhaupt hinüber sind, die Norweger, nach Island, und wie sie sich eingerichtet haben, dort, wo der Gisli nachher gehaust hat! Wenn ihr euch die Namen nicht gleich alle merken könnt, das macht nichts, denn sie kehren in der Geschichte so oft wieder, daß sie sich euch allmählich von selber einprägen werden.


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