Edgar Wallace
Der Derbysieger
Edgar Wallace

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19

»Ist das nicht wundervoll?« rief Mary President. Ihre Augen leuchteten vor Erregung. »Wir haben also tatsächlich das Derby gewonnen!«

»Ich gratuliere«, sagte Eric und sah sie zärtlich an.

Sie drückte seinen Arm liebevoll.

»Ich möchte nur wissen, wie Sie den Betrug entdeckt haben«, wandte er sich an Milton, der inzwischen wieder zu der Gesellschaft zurückgekommen war.

»Das war verhältnismäßig einfach. Ich las einen Zeitungsartikel in einem südamerikanischen Blatt, reiste daraufhin nach Tilbury und beobachtete die Ankunft El Reys. Das übrige konnte ich mir leicht zusammenreimen. Ich folgte Sir George und seinen Freunden und entdeckte auch den Stall, in dem das Pferd untergebracht wurde. Allerdings mußte ich zu diesem Zweck auf ein benachbartes Dach klettern, und das war eine recht unangenehme Aufgabe. Aber es wurde mir dadurch möglich, den Ereignissen genau zu folgen. Ich fürchtete nur, daß der ursprüngliche Portonius erschossen werden sollte. Aber als ich später am Abend sah, wie das Pferd von einem heruntergekommenen Kerl fortgeführt wurde, ging ich ihm nach, und es gelang mir, ihm das Tier abzunehmen. Der Rest war dann leicht.«

»Ich bin neugierig, was nun mit Sir George passiert«, meinte Eric. »Auf jeden Fall wird er aus dem Rennklub ausgeschlossen.«

Milton nickte.

Im selben Augenblick trat ein Postbote in die Loge, der ein Telegramm für Mr. Sands brachte.

»Sie müssen ja sehr viel zu tun haben, wenn Sie sich sogar auf den Rennplatz Telegramme schicken lassen!« rief Eric überrascht.

»Als guter Detektiv bin ich bereit, überall Nachrichten entgegenzunehmen.«

Er riß den Umschlag auf und las den Inhalt, der ihn sehr zu befriedigen schien. Lächelnd steckte er das Formular in die Tasche.

»Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment.«

Mit diesen Worten ging er fort.

»Milton hat heute seinen großen Tag«, sagte Eric zu Mary. »Willst du noch hierbleiben oder wollen wir lieber nach Hause gehen?«

»Ich bin jetzt wieder ganz ruhig geworden. Wir wollen bleiben.« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und lächelte ihn an. »Ich möchte den anderen Rennen auch zusehen.«

Gleich darauf trat ein uniformierter Bote zu ihnen in die Loge.

»Ist Miss Symonds hier?« erkundigte er sich und schaute fragend von einem zum anderen.

Janet erhob sich.

»Ja. Was wünschen Sie?«

»Sie werden verlangt«, erwiderte der junge Mann kurz.

Sie errötete leicht. Milton hatte sich, an diesem Tag nicht viel um sie gekümmert, aber sie sagte sich selbst, daß er dazu wenig Zeit hatte.

Wenn junge Damen verliebt sind, fällt es ihnen schwer, logisch zu denken, und sie freute sich über diese kleine Aufmerksamkeit um so mehr. Rasch folgte sie dem Boten die Treppe hinunter.

»Wer hat denn nach mir verlangt?« fragte sie unten, aber sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß es nur Milton Sands gewesen sein konnte.

»Ein Herr. Er sagte mir, ich sollte Sie zu ihm bringen.«

Er bahnte einen Weg durch die Menge zu einem Auto, das in der Nähe des Eingangs hielt.

Sie zögerte.

»Wo ist er denn hingegangen?« fragte sie erstaunt . . .

»Alles in Ordnung, Miss«, entgegnete der Chauffeur. Es war Buncher, den Janet nicht kannte. »Er wartet weiter unten auf Sie.«

Ohne noch zu zögern, stieg sie ein, obwohl sie sah, daß es nicht Miltons Auto war. Sie war mit John President nach Epsom gekommen. Aber vielleicht war es Stantons Wagen, oder vielleicht hatte Milton ihn für heute gemietet. Auf keinen Fall hatte sie Zeit, lange danach zu fragen. Möglicherweise wollte Milton schnell zur Stadt zurückkehren, ohne sich erst lange von den anderen zu verabschieden, und hatte sie auf diese Weise zu sich gerufen. Was konnte ihr auch auf der offenen, menschenbelebten Straße passieren?

Das Auto fuhr langsam an, steigerte aber nach und nach die Geschwindigkeit, als es die offene Landstraße erreicht hatte.

Als sie zehn Minuten gefahren waren, wurde Janet unruhig und klopfte dem Chauffeur auf die Schulter. Aber der Mann kümmerte sich nicht darum und fuhr weiter, ohne sich umzuschauen.

Wieder stieß sie ihn an, aber Buncher reagierte nicht im geringsten darauf. Sie lehnte sich vor.

»Wohin fahren Sie mich?« fragte sie scharf.

Der Mann erwiderte etwas, das sie nicht verstehen konnte.

Es hatte keinen Zweck, weiter mit ihm zu verhandeln. Sie war jetzt ernstlich beunruhigt, glaubte aber trotzdem nicht, daß man etwas gegen sie im Schilde führte.

Es mußte ein Mißverständnis sein. Oder hatte Milton irgendeinen Plan, bei dessen Durchführung sie ihm helfen sollte?

Sie zwang sich zur Ruhe und wollte das Ende der Fahrt in Geduld abwarten. Aber es überkam sie doch eine ungewisse Furcht, die sich nach und nach immer mehr steigerte. Sie wußte, daß Milton Feinde hatte, und sie vermutete, daß irgendein Anschlag gegen ihn geplant war. Die Gefahr kam von einer Bande, die John President beraubt hatte, und Leuten, die dazu fähig waren, konnte man alles zutrauen. Sie erschrak aufs neue, als sie sah, daß der Chauffeur die Straße nach London einschlug.

 

In der Zwischenzeit ging Sir George zu seinem Wagen, den er an einem Nebeneingang hatte vorfahren lassen. Es blieb ihm keine Zeit, auf Toady Wilton zu warten. Er hatte genug mit sich selbst zu tun. Die Ereignisse des heutigen Tages bedeuteten den Ruin für ihn, und zwar nicht nur gesellschaftlich, sondern auch finanziell.

Er mußte jetzt einen Ausweg finden, mochte es kosten, was es wollte. Alles Planen hatte ihm nichts geholfen. Er stand im Brennpunkt des öffentlichen Interesses, und seine Betrügereien waren enthüllt. Plötzlich hörte er, daß ihn jemand anrief, und wandte sich um. Milton Sands ging schnell hinter ihm her. Sir George blieb stehen, ohne mit der Wimper zu zucken, und wartete auf den Mann, der ihn ruiniert hatte.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er barsch.

»Ich muß noch kurz mit Ihnen sprechen, bevor Sie abfahren. Ich habe eine Neuigkeit, die Sie und auch Ihren Freund Soltescu interessieren wird.«

In diesem Augenblick fuhr Buncher an ihnen vorüber. Er hatte Milton erkannt und schlug seinen Kragen hoch. Ein rascher Blick der Verständigung wurde zwischen Sir George und ihm gewechselt, und der Baronet wurde plötzlich höflich.

»Was wollten Sie mir denn mitteilen? Ich muß Ihnen allerdings sagen, daß ich wenig Zeit habe, da meine Anwesenheit in London dringend notwendig ist.«

»Ich werde mich so kurz wie möglich fassen«, erwiderte Milton lächelnd. »Die Dokumente über den Herstellungsprozeß des biegsamen Glases von John President sind gefunden worden.«

»Das ist ja unmöglich.«

»Der Mann, der sie gestohlen hat, gab sie wieder zurück, und die Formel ist dem Ausstellungskomitee in Lyon eingeschickt worden.«

»Wer hat die Papiere denn entwendet?«

»Darüber kann ich Ihnen nichts Genaueres mitteilen. Vielleicht ahnen Sie es. Ich kann Ihnen nur sagen, daß der Mann, der die Dokumente und eine größere Summe aus der Mappe Monsieur Soltescus nahm, die Tat bereute und die gestohlenen Sachen zurückgab.«

»War es Kitson?« fragte Sir George schnell.

Milton schüttelte den Kopf.

»Mehr kann ich Ihnen nicht erzählen. Aber Sie wissen nun genug, um Monsieur Soltescu einen großen Schrecken einzujagen. Wenn er es erfährt, wird er einen schweren Schock bekommen.«

»Ich habe vergessen, daß Sie Privatdetektiv sind. Sie haben schon eine ganze Anzahl von Aufträgen erhalten.«

»Und ich war bisher auch einigermaßen erfolgreich, das müssen Sie wohl zugeben. Ich habe den größten Turfschwindel aufgedeckt, der seit langem passierte, und ich habe die gestohlenen Dokumente wiederbeschafft. Aber ich habe noch eine große Aufgabe zu lösen.«

»Ja, Sie sollen den Aufenthalt von Miss Stanton ausfindig machen«, erwiderte Sir George lächelnd.

Milton sah ihn verwundert an. Dieser Mann war vollkommen ruiniert, und doch leuchteten seine Augen triumphierend. Es mußte etwas Ungewöhnliches geschehen sein, daß er in diesem Augenblick so zuversichtlich erscheinen konnte.

»Nun, ich wünsche Ihnen viel Erfolg«, sagte Sir George noch, dann stieg er in seinen Wagen ein.


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