Edgar Wallace
Der Derbysieger
Edgar Wallace

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7

Es kamen nur wenig Leute in das Büro der Detektivagentur, denn Milton annoncierte nicht in den Zeitungen und setzte einem jungen Mann, der ihn zur Aufgabe einiger Anzeigen veranlassen wollte, seine Gründe dafür auseinander.

»Ich ziehe es vor, nicht an die Öffentlichkeit zu treten. Ich habe eine ausgesuchte Kundschaft, und die vornehmsten Herrschaften verkehren bei mir«, erklärte er.

Aber seine Worte schienen auf den Besucher wenig Eindruck zu machen.

»Dann haben Sie doch auch das nötige Geld, um ein paar Annoncen aufzugeben.«

»Werden Sie nicht unverschämt«, warnte ihn Milton. »Sonst muß ich Sie aus dem Fenster hinauswerfen, und Sie landen dann auf der Lichtreklame des Zahnarztes, der unter mir seine Praxis ausübt.«

Er lachte, als der Annoncenreisende das Büro verließ.

»Wenn der wüßte, wie wir unsere Nachmittagsstunden hier zubringen«, sagte er und nahm einen Pack Spielkarten aus einer Schublade. »Was wollen wir spielen – Piquet oder Bezique?«

»Piquet«, antwortete Janet prompt und holte aus einer anderen Schublade eine Schachtel Pralinen hervor.

»Zehn Pfund für hundert Punkte«, schlug Milton vor.

»Nein, ein Schilling für tausend«, erklärte sie.

Aber sie wurden schon wieder unterbrochen, als sie kaum angefangen hatten zu spielen. Es klopfte leise an der Bürotür, und Milton raffte die Karten rasch zusammen, Janet hatte gerade noch Zeit genug, an ihre Maschine zu eilen. Sie schrieb mit rasender Geschwindigkeit, als Monsieur Soltescu hereintrat.

»Sind Sie Mr. Sands?« fragte er.

»Ja. Nehmen Sie bitte Platz, Monsieur Soltescu.«

»Woher kennen Sie mich denn? Sie haben mich doch noch nicht gesehen?« fragte der Rumäne lächelnd. Er fühlte sich sehr geschmeichelt.

»Ein Detektiv muß alle Leute kennen – wenigstens alle bedeutenden Leute«, erklärte Milton ernst. »Auf jeden Fall sind Sie mir bekannt. Ich habe Ihren Namen schon öfters gehört. In den Zeitungen wurde ja über die Waffenlieferungen nach den Philippinen berichtet, und wenn ich nicht irre, waren Sie auch einer der Geldgeber für die letzte Revolution in Südamerika. Waren Sie nicht auch in den Raub der Kronjuwelen verwickelt?«

Monsieur Soltescu lachte.

»Sie dürfen nicht allen bösen Gerüchten glauben. Die sind zum größten Teil frei erfunden. Tatsache ist nur, daß ich ein verhältnismäßig großes Vermögen besitze, das mir natürlich Neid und Mißgunst vieler Leute einträgt. Ich kümmere mich aber nicht weiter darum. Ich hätte viel zu tun, wenn ich alle Leute verklagen wollte, die verleumderisch über mich sprechen.«

Er nahm Milton gegenüber am Schreibtisch Platz.

»Ich habe Ihre Annonce im Matin vor etwa drei Wochen gelesen«, sagte Sands. »Deshalb habe ich mich mit Ihnen in Verbindung gesetzt. Ich bin erst seit kurzer Zeit Privatdetektiv, aber ich kenne die Verbrecherbanden, die in den Eisenbahnzügen nach der Riviera arbeiten.«

»Die kommen nicht in Frage«, unterbrach ihn Soltescu sofort. »Ich glaube, daß mir ein Gelegenheitsdieb die Mappe entwendet hat, und ich habe sogar einen ganz bestimmten Verdacht.«

Milton sah ihn durchdringend an.

»Das glaube ich auch«, entgegnete er ruhig. »Aber sagen Sie mir bitte, wen Sie verdächtigen.«

Soltescu zögerte.

»Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen gleich sagen soll«, erwiderte er vorsichtig.

Milton lachte ironisch.

»Tun Sie nur, was Sie für gut halten. Sie brauchen mein Angebot ja auch nicht anzunehmen. Aber ich kann Ihnen nur sagen, daß es in England niemand gibt, der Ihnen mehr helfen könnte als ich.«

Die letzten Worte sagte er mit so viel Überzeugung, daß er Eindruck auf den Rumänen machte.

»Nun, wir können es ja einmal versuchen«, erklärte Soltescu nach einer kurzen Pause.

»Sie müssen mir natürlich erst alle Unterlagen geben«, entgegnete Milton kurz. »Erzählen Sie mir bitte genau, was Sie verloren haben, und warum Ihr Verdacht auf eine ganz bestimmte Persönlichkeit fällt. Zunächst beschreiben Sie mir einmal die Aktentasche.«

Er griff nach Bleistift und Papier, um die Angaben schriftlich festzuhalten.

»Sie war aus schwarzem, russischem Leder, etwa fünfzig auf fünfunddreißig Zentimeter groß und durchaus nicht auffällig. Sie hatte vier besondere Abteilungen, und als Kennzeichen möchte ich erwähnen, daß mein Monogramm auf der Klappe eingeprägt war.«

Milton machte sich schnell die nötigen Notizen.

»In der Mappe befanden sich nicht ganz vierzigtausend Pfund in englischen Banknoten und etwas französisches Papiergeld. Aber darauf kommt es mir weniger an. Von größtem Wert für mich sind dagegen die Schriftstücke, die darin lagen. Sie waren mit einer Klammer zusammengehalten und enthielten die Beschreibung einer hochwichtigen Erfindung, nämlich des biegsamen Glases. Ursprünglich steckten die sechs Schreibmaschinenbogen in einem Briefumschlag. Bei dem Zusammenstoß ließ ich die Mappe fallen. Eine junge Dame hat die Papiere aufgehoben.« Er sprach langsam und betonte jedes Wort. »Und diese Dame habe ich im Verdacht, daß sie mir die Mappe entwendet hat. Die näheren Gründe möchte ich Ihnen jetzt nicht mitteilen. Sobald sie mir den Briefumschlag zurückgegeben hatte, ging ich damit in mein Abteil zurück. Damals kam mir zum Bewußtsein, daß die Aufschrift auf dem Kuvert zu unliebsamen Weiterungen führen könnte. Ich nahm die Schriftstücke daher heraus und steckte sie ohne Hülle in meine Mappe.«

»Welche Aufschrift trug denn das Kuvert?«

Soltescu schüttelte den Kopf. Über diesen Punkt wollte er durchaus keine genaueren Angaben machen, denn es hätte seine Schwierigkeiten höchstens noch vergrößert, wenn er den Namen John President im Augenblick genannt hätte. Besonders da er jetzt wußte, daß John President tatsächlich noch lebte und daß diesem Mann die Papiere gestohlen worden sein mußten.

»Ich will Ihnen nur den Namen der Dame nennen. Es war Mary President, und ich habe allen Grund zu der Annahme, daß die Schriftstücke augenblicklich in ihrem Besitz sind.«

Milton Sands überlegte einen Augenblick.

»Ich glaube, daß Sie sich irren. Aber wenn Sie mir den Fall übertragen, werde ich sehen, was ich tun kann. Sie wünschen doch, daß ich den Dieb fasse?«

Soltescu lächelte.

»An der Bestrafung des Diebes habe ich weniger Interesse. Mir liegt vor allem an den Schriftstücken selbst.«

Milton Sands klopfte nachdenklich mit dem Bleistift auf die Schreibtischplatte.

»Ich habe mich mit der Sache bereits befaßt. Soweit ich weiß, befanden sich in dem Zug von Nizza nach Paris mehrere verdächtige Persönlichkeiten – Bud Kitson, Sir George Frodmere, Mr. Toady Wilton, außerdem Tom Sench, der australische Bankräuber, und Black Boyd, der New Yorker Betrüger. Ich könnte Ihnen noch einige mehr oder weniger obskure Individuen nennen.«

»Wie haben Sie denn das alles herausgebracht?« fragte Soltescu verblüfft.

Milton lächelte schlau, gab aber keine weitere Erklärung. Er hatte ja diese Leute selbst alle im Zug gesehen, hielt es jedoch nicht für klug, seinen Besucher darüber aufzuklären.

Der Rumäne erhob sich.

»Ihr Gesicht kommt mir merkwürdig bekannt vor«, sagte er plötzlich.

»Ich kann Ihnen auch den Grund dafür angeben. Vor zehn Jahren kam ich als ziemlich reicher junger Mann von Australien nach Nizza und spielte dort in einem Privatklub. Damals war ich im Besitz von vierzigtausend Pfund. Ich spielte die ganze Nacht mit einem sehr interessanten Rumänen und seinen Freunden, und als ich am Morgen den Klub verließ, hatte ich nur noch einige Franc in der Tasche.«

Soltescu sah Milton Sands genauer an, dann lachte er laut auf.

»Ganz recht, jetzt besinne ich mich auf Sie. Ich kann mich deutlich erinnern. Sie haben damals so entsetzlich mit Ihrem Geld renommiert. Aber das eine kann ich Ihnen sagen: Das Spiel war absolut fair.«

»Ich habe auch nicht das Gegenteil behauptet«, erwiderte Milton, als er seinen Besucher zum Fahrstuhl geleitete.

»Nun, das wäre wenigstens ein Auftrag mehr«, meinte er ein paar Minuten später, als er wieder ins Büro zurückkam. »Wenn ich die Formel auch nicht finden werde, so kann ich doch meine Tätigkeit genügend hoch berechnen.«


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