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Unbeachtet von der übermütigen, beweglichen Gesellschaft, die sich im Bahnhofe von St. Lazare gesammelt, bestieg auch Emil den Zug, eifersüchtig beobachtend, wie Mr. Bredson die graziöse Taille Lydias vertraulich mit beiden Händen umspannte und sie in den Wagen hob, wie derselbe mit knabenhafter Keckheit das Auge auf den zierlichen Füßchen ruhen ließ, als diese sich in das Coupé setzten und ihr dann nachsprang. Sie hatte es gern gelitten, sie duldete, daß er sich neben sie setzte, während Eveline mit einer Freundin ihr schon gegenüber saß. Zwei andere junge Männer sprangen, mit den Krocket-Ballhölzern bewaffnet, in dasselbe Coupé, und aus den Fenstern des benachbarten schauten ungeduldig die frischen Mädchengesichter, ihren Freundinnen im Nachbarcoupé zurufend.
In bescheidener Entfernung folgte Emil der kleinen lustigen Karawane in St. Cloud vom Bahnhof in den Park hinauf, während zwei junge Leute die Aufgabe übernahmen, in dem Gasthofe, der tête noire, ein Diner zu bestellen, das der Gesellschaft oben auf der Wiese serviert werden sollte.
Der Zug, etwa fünfzehn Köpfe, und was für lustige Köpfe, etablierte sich auf der Wiese unterhalb des kaiserlichen Jagdschlosses Villeneuve in einer Lichtung. Die Mädchen warfen sich auf den Rasen, während die jungen Männer den Platz aussuchten, um die Krockets auszustecken. Emil barg sich unter dem Schatten einer riesigen Ulme, die sich aus dichten Bosketten von Ziersträuchern in kurzer Entfernung erhob, und schaute, gedeckt vor jeder Beobachtung, seinem Liebling zu.
Und ungeniert ging's her, höchst ungeniert, als das Krocketspiel sich entwickelt. Unbekümmert um die jungen Männer, die ja zum Teil erst dem Knabenalter entwachsen, schürzten die Mädchen ihre Roben auf. Emil sah, wie Lydia, in apfelblütenfarbigem leichtem Sommerkleide, die eifrigste und gewandteste im Spiel, bald auch das leichte Flortuch abwarf, das Hals und Nacken bedeckte, wie sie in kindlicher Unbefangenheit beides preisgab, die Bälle zur Seite schlug oder selbst schleuderte, ohne der verzehrenden Blicke zu achten, mit welchen dieser Mr. Bredson an den reizenden Konturen seiner Cousine hing, welch verwandtschaftliche Beziehung Emil erst während des Spiels klar ward.
»Es ist mir, als sei dieser Laffe mein Todfeind, obgleich er mir nichts getan hat und ich ihm nichts getan!« Emil sah, daß er sich einer Aufgabe unterzogen, die während stundenlangen Zuschauens seine Selbstüberwindung auf die härteste Probe stellen konnte.
Auf den Balkonen des kaiserlichen Jagdschlosses erschienen bald einige Herren, aufmerksam gemacht durch die laute Freude der Mädchen. Mit Lorgnons und Operngläsern schauten sie den unbefangenen Bewegungen der flinken Geschöpfe zu, und keins der Mädchen schien Notiz von ihnen zu nehmen. Immer heller und lauter wurden die Stimmen, die Gesichter der Mädchen röteten sich in lärmender Ausgelassenheit. Emil ward's heiß auf seinem Posten, er glaubte dasselbe freie Zuschauerrecht zu haben wie jene Herren da drüben, die so zudringlich dem Spiel der bunt kostümierten Gazellen folgten. Er war eben im Begriff, den dicken Stamm der Ulme zu umschreiten, sich an den Rand der Bosketts zu wagen, als einer der Krocketbälle prasselnd durch das Gezweig flog und zu seinen Füßen fiel. Vorsichtig trat er zurück. Fast in demselben Augenblicke schimmerte es so rosenfarbig vor ihm durch das frische Laub, zwei weiße Händchen griffen in dasselbe und bogen die Zweige zurück. Lydia war's, die, vom Spiel und schnellen Lauf erhitzt, mit fliegenden Locken sich durch das Gezweig drängte, mit blitzendem Auge den Ball in einer Höhlung zwischen den Baumwurzeln entdeckte, sich beugte, den Ball ergriff, sich wieder aufrichtete, aber gleichzeitig einen gellenden Schrei ausstieß.
Emil in seiner Überraschung pochte das Herz, als er das schöne Mädchen so in unmittelbarer Nähe erblickte; er zuckte bei dem Schrei zusammen. Er sah, wie sich ein Arm um Lydias Taille gelegt hatte, wie diese, aufschreiend, Mr. Bredson vor die Brust stieß, der ihr nachgesprungen und den Moment benutzt hatte, das Mädchen, als es sich eben wieder aufgerichtet, zu umarmen.
»James!« Mit zornglühendem Auge, den Ball in der einen Hand, die andere gegen die Brust des jungen Mannes gestemmt, suchte sie sich loszuwinden. Bredson hielt sie fest und lächelte sie mit brutal dummem Gesicht an. Plötzlich war's, als drehte sich sein Kopf, wie vom Wirbelwind gefaßt, halb um seinen Hals; er ließ das Mädchen fahren. Schwankend griff er nach seiner Wange und stieß ein Wutgeheul aus.
Lydia, kaum der Umklammerung entronnen, sprang wie ein Reh durch das Gezweig auf die grüne Matte hinaus, wo alle die Köpfe reckten, im Spiel gestört durch ihren Aufschrei und Bredsons Wutgeheul. Letzterer stand da inzwischen im Gebüsch allein, die Sehkraft gestört durch jähen Blutandrang zum Auge, das Haar wirr um seinen Kopf hängend. Wild schaute er umher und sah nichts als den dicken, grauen Ulmenstamm, der ihm in seiner Blendung wie eine Bretterwand erscheinen mochte.
» Goddam!« knirschte er zwischen den Zähnen, dann ließ er den Unterkiefer hängen, heulte noch einmal auf und tastete sich mit blutroter Wange und rot unterlaufenen Augen zum Gebüsch hinaus.
Inzwischen war Emil mit einer ungeheuren Befriedigung in der Brust auf der anderen Seite des Gebüsches hinausgeschlichen und in dem nach Ville d'Avray führenden Waldwege verschwunden.
Niemand verfolgte ihn. Er vernahm ein schallendes Gelächter hinter sich auf der Wiese, aus welchem hell die Silberstimmen der Mädchen hervorklangen. Schadenfroh lauschend, sich die brennende Handfläche reibend, blieb er stehen, bis alles wieder still ward.
»Habe ich auch nicht den Schein eines Rechtes auf dieses Mädchen,« murmelte er weiterschreitend, »so hab' ich doch das Recht jedes Ehrenmannes, ein Weib vor so groben Insulten zu schützen! Mag sie ihm diese jetzt vergeben, das ist ihre Sache, mir ist nur eins unangenehm, nämlich die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Bursche mein Gesicht gesehen, als es vor ihm auftauchte, und begegnen wir uns, so mag ich auf eine Szene gefaßt sein, wenn er kein Hasenfuß ist ... Aber meinetwegen! Ich habe mich diesem Mister Bredson in einer ganz eigentümlichen Weise vorgestellt; mag er aus der Bekanntschaft jetzt machen, was er Lust hat! ...«