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Erstes Kapitel

In einem großen Eckhause am Boulevard des Italiens – ich erzähle hier eine wahre Geschichte – hatte Mr. Markland, einer der reichsten Geschäftsmänner aus Neuyork, dessen Fabriken ohne seine Anwesenheit ruhig fortarbeiteten, seine Wohnung aufgeschlagen.

Mr. Markland war nach Paris nur mit einer Tochter gekommen, seinem einzigen Kind, das er bei sich führte, da er Witwer, der mehr pikanten als schönen Lydia, in der sich frühzeitig ein kosmopolitischer Hang zur Unabhängigkeit ausgebildet, der Mr. Markland sehr wohlgefiel. Sam, der Diener, und Fanny, die Zofe, waren sein Gefolge.

Er hatte für schweres Geld zwei Salons und drei Zimmer in der Beletage eines vornehmen Hotel garni gemietet und trat mit all den Ansprüchen auf, die seinem immensen Reichtum gebührten.

Mr. Markland war ein Mann von fünfzig und wohl noch einigen Jahren. Er war breitschultrig, knochig, wohlbeleibt, nicht groß, aber er stand mastig in seinen Schuhen.

Sein Scheitel war schon sehr entlaubt, rötlicher Flaum kräuselte sich nur noch als spärlicher Nachwuchs über der blanken Stirn, zwei kleine rotblonde Löckchen bogen sich auf jeder Seite über dem Ohr gegen die Schläfen, dicke, rotgelbe Bartkoteletten senkten sich von den sommersprossigen, verwitterten lederartigen Wangen, über dem Kinn in zwei gleiche Hälften geteilt, fein und wie angesengt gekräuselt über die Krawatte herab. Seine Augenbrauen, von derselben blonden Schattierung, standen stachelartig vor über den austergrauen, mit zahllosen kleinen Fältchen umkritzelten Augen, unter denen zwei müde Säckchen hingen. Seine Nase war kräftig angedeutet, im übrigen glich sie vielen anderen Nasen. Die Sommersprossen auf dem von der Gewohnheit materieller Genüsse geröteten Gesicht, auf den fleischigen Händen, nuancierten mit der Bartfarbe.

Mr. Markland kleidete sich stets mit der Eleganz alter Herren, die keine Sorge als die für ihre Toilette haben. Er liebte in seinem Anzuge die grauen Farben bis auf graue Handschuhe, deren er täglich ein Paar verbrauchte. Am liebsten trug er das Pincenez auf der Nase.

Ein bißchen breitspurig war er in seinem Wesen, umständlich, bequem und deshalb unbequem für andere. Er tat nichts, ohne seine Absicht durch eckige Armbewegungen vorzubereiten. Sein alter Diener Sam aber verstand alles, was er so annoncierte; er wußte, was Mr. Markland wollte, wenn er hustete, wenn er sich die Nase schnaubte, wenn er sich räusperte, wenn er mit der Hand über die Koteletten glitt und einzelne Haare derselben zwischen den Fingerspitzen zog. Er wußte sogar, was sie wollten, wenn seines Herrn Stiefel knarrten; nur wenn sein Herr mit beiden Händen in den Hosentaschen dastand und die Augen zukniff, wußte er nicht, was Mr. Markland wollte, denn in solchen Fällen wußte dieser es selber noch nicht.

Mr. Markland ersparte sich auf diese Weise viel überflüssige Worte und gelangte dadurch zu einer bequemen Schweigsamkeit. Er brauchte nie zu sagen: Sam, die Zeitung! – Sam, einen Wagen! – Sam, ich komme um die und die Stunde nach Hause, halte den Tee bereit! oder: Sam, wo ist meine Tochter? – Der Diener las alles auf seinem Gesichte, in seinen Bewegungen, und der alte, treue Freund mit seinen sechzig Jahren, seinem runzligen, servilen, immer aufpassenden Wesen hatte es dabei nicht schlecht, denn sein Herr hatte eine vortreffliche Verdauung, und diese zu erhalten, war Sam ein Gedanke der Selbsterhaltung.

Sam war schmächtig von Gestalt, schon sehr zusammengefallen und gebückt. Er hatte keine Haare mehr auf dem spitzen Kopf, nur im Nacken zog sich ein kleiner Kranz zu den beiden etwas abstehenden Ohren. In seinem schmalen, länglichen, bartlosen Gesicht, in seinen kleinen, grauen Augen lag immer dienstfertige Spannung. Seine langen, abgemagerten Hände zitterten schon, wenn sie etwas Schweres trugen, seine Knie waren schon vom Alter geknickt, aber man sah es nicht, denn er trug stets einen langen, hell lederfarbigen Gehrock, mit weißen, blanken Knöpfen. Seine weiße Krawatte war untadelhaft; er besaß deren zu Hunderten, und täglich ward sie zweimal gewechselt; ebenso der schmale Stehkragen, der stets in blendender Weiße über die Krawatte hervorragte.

Von Sam wäre an Personalbeschreibung nichts weiter zu sagen. Er schien immer fieberhaft erregt, aus Besorgnis, seinem Herrn irgend etwas nicht recht zu machen. War er bei diesem im Zimmer, so blinzelten seine kleinen Augen stets auf ihn; vielleicht sah er ihn sogar, wenn er ihm den Rücken gewendet, was er aus Respekt zu vermeiden suchte. Jedenfalls hörte er seinen Herrn, selbst wenn dieser schwieg.

Sams Stirnhaut war deshalb nicht nur vom Alter, sondern auch von steter Spannung linienartig in Falten gelegt; um seine schmalen, eingesunkenen Lippen zuckte es immer. Sein Tritt war leise, kaum hörbar. Er säuselte nur durch das Zimmer. Er wagte es auch nicht, in Gegenwart seines Herrn zu husten oder gar zu niesen, viel weniger sich zu schnäuzen. Die einzige selbständige Bewegung, die er sich vor ihm gestattete, bestand darin, mit zitternder Hand nach den blanken Rockknöpfen auf seiner Brust zu tasten, um sich zu überzeugen, ob diese alle geschlossen oder die Hand zu der weißen Krawatte zu heben und die kleine Schleife in ihre richtigen Falten zu legen, und diese Bewegung war eine lange, lange Gewohnheit.

Sam war seit Jahren, o seit vielen Jahren nur für seinen Herrn auf der Welt. Ihn verband das aufrichtigste Dankgefühl dem letzteren, denn Mr. Markland hatte väterlich für Sams Kinder gesorgt; sie waren in seinen industriellen Etablissements mit guten Gehältern angestellt, bevorzugt wegen ihrer Fähigkeit und ihres Diensteifers, und Sam sah also in seinem Herrn die Vorsehung seiner Familie, die ihm noch lange zu erhalten sein tägliches Gebet zu der höheren Vorsehung war.

Es bleibt jetzt noch von der Hauptperson der kleinen Marklandschen Familie zu sprechen, von der blonden Lydia, die – es stimmten, alle darin überein, die sie kannten – ein Mädchen, so lebhaft, so lustig, so unternehmend und unabhängig, wie selbst Neuyork, das der eigenmächtigen, selbstwilligen jungen Ladies so viele dem eigenen Köpfchen folgen sieht, kein zweites aufzuweisen hat.

Miß Lydia Markland hatte immer ihren eigenen Willen gehabt. Der Papa, frühzeitig Witwer, hatte die Eigenart des Kindes erkannt und es schalten lassen nach seinen launenhaften Eingebungen, die, weil kindisch, in den seltensten Fällen die richtigen waren. Aber sie zeigten stets von einer wachsenden Selbstwilligkeit, einem Unabhängigkeitsdrang, dem der Vater aus dem Wege ging, wenn er sich mit seinen Wünschen einmal kreuzte.

»Laßt ihr den Willen«, rief der Papa jedesmal, wenn die alte Susy, die Erzieherin, kam, um des Mädchens Mutwillen und Eigensinn anzuklagen. »Sie ist William Marklands Tochter und wird also immer das Rechte wollen!«

Und die Alte, da sie sah, daß sie immer unrecht haben sollte, sie schwieg endlich ganz und ließ alles gehen, in der Überzeugung, daß die Zukunft ihr um so unfehlbarer recht geben werde.

Lydia freute sich in kindischem Trotz über des Vaters richtige Antworten und tanzte der alten Dame um so mutwilliger auf dem Kopf herum.

Als sie die Mädchenschuhe auszog, trat sie mit dem vollen Bewußtsein einer Lady in die Welt, freilich äußerlich sehr ladylike, aber das Köpfchen voll von kindischen Launen, die alle nach Befriedigung drängten, von Ansprüchen, die ihres Vaters Reichtum erfüllen konnte, und mit dem Verlangen nach größtmöglichster Ausdehnung des Terrains, das ihr Unabhängigkeitsgefühl ihr vormalte.

Körperlich noch wenig ausgebildet, ein Wildfang, der seine ersten Studien in den langen Kleidern machte, mit einem kecken Stutznäschen, lebhaften, lustigen, übermütigen blauen Augen, einem Mündchen, in dessen Ecken stets der Schalk lauerte, die frei vorspringende kleine Stirn von zwei eigensinnigen kleinen Löckchen umspielt, die übrigen glänzenden blonden Locken auf den Nacken herabgeringelt, die Füßchen mit dem souveränsten Bewußtsein setzend, immer bereit, sich über alles zu mokieren, die Zunge stets schlagfertig und das mutwillige Lächeln auf den Wangen – so war Lydia Markland bei ihrem Entree in die Welt ein Backfisch mit den Ansprüchen einer Herzogin, und die Welt ihrerseits glaubte voll und gern an ihre Berechtigung; ja der Alte lachte stolz, wenn man ihm sagte, die Lydia werde jedenfalls noch die Krone der Gesellschaft.

Ihm war es selbst einleuchtend, daß ein Mädchen, das seine Tochter, das so schön zu werden verspreche, einen Glanzpunkt der Gesellschaft bilden müsse. Sein erstes war, ihr den kostbarsten Brillantschmuck zum Geburtstag zu schenken, sein zweites, ihr eine Equipage mit den schönsten Shetlands-Ponys zur Verfügung zu stellen, die sie selbst kutschieren lernte. Dann folgte ein Reitpferd, und selbstverständlich ward der Teil seines Hauses, welcher Lydia zur Wohnung bestimmt, in fürstlicher Weise ausgestattet.

Der Alte mußte oft nach Cincinnati, wo er große Geschäftsniederlagen und Fabriken hatte, und Lydia war inzwischen sich allein überlassen. Es bildete das aber keinen Unterschied in ihrer Lebensweise, denn Papa Markland hatte mit seinen großartigen Geschäften immer auf seinen verschiedenen Bureaus zu tun. Eine Gesellschaftsdame mußte für der Tochter Unterhaltung sorgen und die alte Erzieherin überwachte fortab das Hauswesen.

Diese Gesellschaftsdame sah sehr bald ein, daß sie das unglücklichste Geschöpf von der Welt. Aber Lydia und der Vater überhäuften sie mit Geschenken, und so ließ sich auch dies ertragen, zumal die Launen der jungen Herrin ihr bald zur Gewohnheit wurden.

Die Sache war überhaupt, bei Licht besehen, nicht so schlimm. Lydia tat nichts anderes, als die andern jungen Mädchen ihres Alters taten, nur hatte bei ihr alles einen großartigen und vornehmen Stil. Das Mädchen hatte ihre liebsten Freundinnen stets um sich und beherrschte sie alle, alle. Sie machte ihre Promenaden zu Fuß oder in dem Ponywagen, wohin sie wollte; niemand verlangte Rechenschaft von ihr. Sie besuchte die Loge im Theater, empfing die jungen Männer in derselben und plauderte darin mit ihnen unbefangen.

Sie war selbständig, unabhängig, sie handelte ganz nach ihren Launen – aber taten die anderen das nicht? – Man muß die ungenierte Weise der nordamerikanischen Mädchen und Frauen kennen, in der sie sich öffentlich, gesellschaftlich bewegen. Was jede tut, ist recht; es gibt keinen Tadel, wenn sie mehr tut, als einer Deutschen die größte Vorurteilslosigkeit gestatten möchte.

Ein ganzer Generalstab von jungen Männern hatte sich bald um Lydia gesammelt. Sie empfing nach amerikanischer Sitte ihre Besuche; sie bevorzugte scheinbar den einen, dann den andern; ritt mit diesem und mit jenem spazieren, traf sich mit diesem und jenem auf dem Eise, ohne daß man etwas darin fand, und vermöge ihres beherrschenden Wesens blieb sie stets die tonangebende unter ihren Freundinnen.

Sie sandte auch, als sie kaum das siebzehnte Jahr erreicht, ihre Einladungen an die Gesellschaft. Sie gab Soireen, Bälle – Lydia, die reiche Lydia Markland, ward wirklich, wie prophezeit, die Krone der Gesellschaft, so jung und unreif sie noch war.

Nur einmal wollt' es der Ms. O'Brien, ihrer Gesellschaftsdame, erscheinen, als laufe des Mädchens Herz Gefahr in dem amerikanischen Treiben, das doch die Neuyorker Sitte guthieß. Ein bildschöner, junger Tenor der Oper, ein Italiener, kam recht oft, um mit Lydia vierhändig zu spielen, die rührendsten Arien zu singen, und niemand durfte zugegen sein. Aber das ging vorüber. In Lydias Wesen war nicht die Spur von der Sentimentalität zu finden, in welcher sich die erste Liebe eines jungen Mädchens zu äußern pflegt.

Der Tenor kam nicht mehr. Lydia selbst sang auch die Lieder nicht mehr, die er mit ihr einstudiert – sie dachte nicht mehr daran!

Schön – was man wirklich schön nennt, war sie nicht geworden, als sie achtzehn Jahre alt und vollständig entwickelt, das heißt eine zierliche, graziöse Mädchengestalt geworden war, frisch, aufgeweckt, von jenem übersprudelnden, prickelnden Naturell, dem die Lebenslust aus den Augen glitzert. Ihr Teint war rein und zart, jedes Detail ihres Gesichts war mindestens hübsch; aber die Natur hatte in der Anlage desselben mehr Laune als Kunstsinn entwickelt. Es lag wenig Gemütstiefe in ihren blauen Augen, aber die Augäpfel hatten ein so reizendes Blauweiß und das Öffnen der Lider geschah mit einer anfangs unbewußten Koketterie, aus der vielleicht später ein Studium geworden. Ihr Näschen war trotzig gestutzt, um ihren Mund lag stets ein leichter mokanter Zug, und er lächelte gern, weil er aus den weißen Zähnen kein Geheimnis machte. Ihre Büste war noch unfertig, jugendlich zart angedeutet, ihre Taille zum Umspannen. Hände und Füße waren klein und niedlich und beide wußten, zu was sie so schön seien.

Als Lydia Markland an der Seite ihres Vaters mit einer ganzen Neuyorker Gesellschaft – sehr fashinoble alle – übers Meer schiffte, zitterte ihr Herz vor Freude.

Paris war stets das Mekka ihrer Sehnsucht gewesen. Was hatte sie über Paris gelesen; wie oft hatte sich ihre junge Phantasie an Pariser Schilderungen entzündet! Paris mußte ihre Domäne sein, und mit leichtem Fuß, mit freudestrahlenden Augen betrat sie in Havre den französischen Boden.

Papa Markland hatte alle Maßregeln in seinen großen Geschäften getroffen, um ein ganzes Jahr in Europa zu bleiben. Er sollte wöchentliche Rapporte erhalten, und wo es notwendig war, sprach ja das atlantische Kabel in wenigen Stunden herüber und hinüber. Also all right! Markland nahm die ausreichendsten Akkreditive an eins der größten Pariser Bankhäuser mit nach Europa; er verfügte in London über unbeschränkten Kredit, keine Geschäftssorge sollte ihn auf dieser Reise anfechten.


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