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Um jene Zeit erregte es Aufsehen, daß eine junge Amerikanerin, die auf Grund dringender Empfehlungen an hohe Pariser Persönlichkeiten die Ehre gehabt, zu den kleinen Zirkeln der Kaiserin hinzugezogen zu werden, von denselben wieder ausgestoßen worden sei.
Die Nachricht imponierte natürlich der Pariser Gesellschaft, die gewohnt war, sich aus diesen intimen Zirkeln der Eugenie die pikantesten Dinge zu erzählen.
Man kannte die Namen der Damen, welche in diesen Zirkeln ihr »Strapotin«, ihr Taburett hatten. Es war kaum eine darunter, die sich der öffentlichen Meinung nicht schon durch irgendeinen kleinen Skandal empfohlen, kaum eine, die nicht den Boulevard-Journalen schon Stoff geliefert hätte.
Man fragte also natürlich warum! War diese Fremde zu tugendhaft und darum ausgeschlossen worden? War sie zu ...? Impossible! In den Zirkeln der Kaiserin, in welchen die Volkssängerin Theresa ihre Chansons singen durfte, die Damen noch zu übertreffen, schien eine Unmöglichkeit.
Und dennoch mußt' es eins oder das andere gewesen sein! Miß Eveline X., eine amerikanische Schönheit, lebhaft, witzig, geistreich sogar, mußte mit ihrer »Flirtation«, die allerdings so anders als die Pariser, den Damen der Kaiserin nicht gefallen haben; sie ward nicht mehr würdig befunden, ihren Sitz in dieser kleinen kaiserlichen Damenakademie zu haben!
Miß Eveline wohnte mit ihrer Mutter im Grand Hôtel. Ihre Persönlichkeit erregte in der großartigen Karawanserei Sensation. Erschien sie in den weiten Korridoren, in dem Lese- und Konversationszimmer, an der Tafel oder in dem großen, glasbedeckten Hofe, um ihr zierliches Füßchen auf den Tritt eines Wagens zu setzen, so hafteten aller Augen nur an ihrer Person, und noch mehr, als die Affäre in den Tuilerien ihr eine »Pose« gegeben.
Miß Eveline war für einige Wochen eine Zelebrität geworden. – Die einen behaupteten, sie sei den Damen des Zirkels zu schön gewesen, die anderen meinten, sie habe denselben auf Wunsch Niggertänze aufgeführt, Niggersongs zum besten gegeben, und das sei den Damen doch über ihre Begriffe gegangen.
Die Wahrheit ist, daß Eveline, schön wie ein Engel, mit ihrem zarten, frischen Teint, mit den schimmernden, graublauen Augen, den feinen, durchgeistigten Gesichtszügen, den blonden, ins Rötliche schimmernden Locken, ihrem schlanken, graziösen Wuchs und einer angeborenen Grazie – daß Eveline ein komisches Talent besaß, dem ihr lustiges Temperament gern die Zügel schießen ließ, und das zu bändigen sie nicht immer den richtigen Moment zu finden wußte. Sie konnte eine ganze Gesellschaft unterhalten, die entzückt dem originellen, jungen, von Witz und Leben sprühenden Wesen zuschaute, ihre Bewunderung zwischen ihrem Talent und ihrer Schönheit teilend. Denn wenn Eveline in ihrer Laune war, wenn der Kobold in ihr Gewalt über sie bekam, dann lebte und lachte alles an ihr, und sie blieb schön in ihrer Tollheit, wenn diese sie auch wohl zuweilen über die zarte Grenze des Schönen hinausriß.
Eveline X. wußte nichts von Koketterie; sie konnte furchtbar ernst gegen die Männerwelt erscheinen, deren Bewunderung sogar mit Spott strafen, denn sie hatte nie das geringste für einen einzigen derselben empfunden, obgleich sie bereits das zwanzigste Jahr überschritten. Sie war nur von einem Zuge beherrscht, von ihrem Hange für das Abenteuerliche, in dem sie für ihre Extravaganzen Genüge fand.
Mondelang war sie bereits in Paris, auch ihre Vertreibung aus dem Paradiese der Tuilerien hatte sie bereits verschmerzt, wenn sie überhaupt etwas dabei empfunden hatte, als Lydia Markland mit ihrem Vater eintraf.
Beide hatten sich in Neuyork nur in einigen Soireen gesehen, denn Lydia war um drei Jahre jünger, und das macht in der ersten Mädchenepoche schon einen gewaltigen Unterschied, der sich in der zweiten erst ausgleicht.
Die beiden mußten in Paris sich verstehen. Große Umarmung auf offenem Boulevard, als Eveline zum Fiaker heraus, auf die an der Seite ihres Vaters vorüberschreitende Lydia zuflog, sie küßte und ihr dann mit von vor freudiger Überraschung hochgerötetem Antlitz ins Auge schaute.
»Vater,« sagte Lydia, als sie mit diesem am Nachmittag beim Kaffee saß, »jetzt brauchst du dich nicht mehr so viel um mich zu kümmern! Ich schließe mich Eveline an, die Paris schon ganz genau kennt und mir auch versprochen hat, für eine gute Pariser Zofe zu sorgen, denn ohne die komme ich hier doch nicht aus.«
» Well!« sagte der Alte, dem es gleichgültig war, ob sein Kind zwei oder ein Dutzend Zofen hatte. »Sam, laß mir einen Fiaker rufen, ich will nach St. Antoine hinaus, um mir einige Fabriken zu besehen.«
Mr. William Markland war herzlich froh, der unruhigen Arbeit überhoben zu sein, ein so quecksilbriges junges Mädchen tagtäglich auszuführen, die er sich vor der Abreise von Neuyork nicht so überlegt. – Miß Eveline hatte ihre Mutter bei sich, und die konnte die beiden Mädchen beschützen.
Fortab überließ Mr. Markland sich ganz seinem Komfort. Er frühstückte allein, wenn sein Kind nicht da war; er dinierte in irgendeinem großen Restaurant, wenn sein Kind drüben im Grand Hôtel war; er fuhr spazieren und begegnete im Bois wohl der Mistreß X. mit den beiden Mädchen, die ihm freudestrahlend zunickten; er gewöhnte sich auch hier daran, daß ihm sein Kind nicht den Gutenachtkuß brachte, und fragte auch nicht danach, wenn Lydia erst am Mittag zuweilen ihr Lager verließ, nachdem er schon in die Stadt gegangen.
Und fragte er wirklich einmal: »Sam, wo ist Miß Markland?« so antwortete dieser:
»Bei Miß Eveline, Sir!«