Richard Voß
Die Sabinerin
Richard Voß

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Zwölftes Kapitel.

Spät abends langten sie beim Turm an. Der Knabe schlief bereits, Marcantonia wartete am Herde, auf dem das Wasser für die Ölsuppe kochte. Sie hatte spinnen wollen, aber das Fieber war so heftig, daß die Spindel ihren Händen entfiel.

Daß sie nicht mehr im stande war, die Spindel zu halten, hatte auf das arme Weib einen tiefen Eindruck gemacht. Nun saß sie mit dem Kopfe gegen die Wand gesunken, blickte vor sich hin und dachte, daß fortan ihr Mann noch mehr Grund und Recht hatte, sie zu schelten und zu schlagen: ein Weib, das nicht einmal mehr spinnen konnte, verdiente nichts andres. Da sah sie ihren Mann mit dem Mönche kommen; nun würde sie eine Frittata backen müssen.

Mühsam erhob sie sich, trat unsicheren Schrittes auf den Bruder zu, griff nach seiner Hand, auf die sie einen demütigen Kuß drückte. Sie nahm sich vor, später das Kind zu wecken, damit der Mönch es segne; nicht etwa, daß Marcantonia davon etwas besondres Gutes für ihren Sohn erwartete; aber es war so der Brauch.

»Gib uns zu essen und zu trinken,« gebot Salvatore.

Während sie die Frittata und die Oelsuppe bereitete, redete sich Salvatore immer mehr in Aufregung hinein, obwohl der Bruder ihm in nichts widersprach und nur einigemal wie zu sich selbst die Bemerkung machte, daß »es« gottlos sei. Dann war das Essen fertig, Marcantonia brachte Ricotto, Brot und Wein, die Männer aßen und tranken, die Frau hockte sich in den dunkelsten Winkel nieder, damit Salvatore nicht sehen sollte, daß sie müßig war und von der geringen Mühe des Kochens ausruhen mußte. Sie sah zu, wie der Mönch die Speisen fast allein aufaß, ihr Mann dagegen beinahe allen Wein trank. Nun würde sie morgen nach Fiumicino hinüber müssen, um neuen Wein zu holen; wenn sie recht viel Chinin nahm, würden ihre Kräfte vielleicht ausreichen. Plötzlich rief Salvatore mit heiserer Stimme: »Jetzt habt Ihr genug gegessen, jetzt sagt ihr's.«

Er stürzte sein letztes Glas hinunter, stand auf und warf sich auf das Bett. Der Mönch schluckte den Bissen hinunter, seufzte kläglich und schickte sich zum Reden an: »Nun ja, ich sag's ihr. He, Marcantonia, Marcantonia, wo steckst du?«

Marcantonia wollte aufstehen und zum Herd kommen; aber der Mönch rief ihr zu, zu bleiben, wo sie war. Also blieb sie. Der Bruder begann: »Es ist sündhaft, meine gute Marcantonia, es ist gottlos! Ich meine die Regierung und wie die Regierung mit der Kirche und den Geboten Gottes verfährt. Du weißt doch, daß sie in Rom den heiligen Vater gefangen halten und daß sie den lieben Heiligen ihre Häuser fortnehmen, und daß die Regierung wie ein wahrer Teufel uns arme Mönche und Diener des Herrn verfolgt. Nicht wahr, meine gute Marcantonia, du hast von der Regierung gehört, denn du bist doch schließlich auch eine Christin?«

Marcantonia hatte von der Regierung gehört; ihr Mann fluchte genug auf die Regierung. Was diese Regierung eigentlich war, davon hatte sie sich niemals eine Vorstellung gemacht; wie sollte sie? Niemand verlangte das von ihr. Dem Mönch genügte indessen, daß sie von jenem Höllengeist gehört hatte. Er fuhr fort: »Daran kannst du erst erkennen, wie es jetzt in der Welt zugeht, wie die Kirche Unrecht leiden muß und wie das Reich des Satans auf Erden das Regiment führt. Nämlich: ich habe dich doch mit diesem Manne verheiratet. Du bist doch dieses Mannes Weib, vielmehr: du glaubst es zu sein. Nicht wahr, meine arme Marcantonia, du glaubst es?«

Marcantonia glaubte es.

»Nun siehst du, du glaubst es. Es würde auch so sein, wie du glaubst, und alles wäre in Ordnung. Da kommt nun aber dieser Teufel von Staat und sagt: Wie, was, die Marcantonia soll die Frau des Sor Baldassare sein? Den Teufel auch! Wer hat denn der Marcantonia gesagt, daß sie die Frau des Sor Baldassare sei? He, wie? Was meint denn die Marcantonia? Der Padre Agostino von Crocetta hätte sie mit dem Sor Baldassare verheiratet? Das Fieber soll den Kerl holen! Was hat der Kerl die Marcantonia mit dem Sor Baldassare zu trauen, wie kommt der Kerl dazu; was untersteht sich der Kerl? Hat er etwa die Papiere gehabt? Haben die Marcantonia und der Sor Baldassare ihm die Papiere gebracht, daß der Staat sie miteinander verheiratet hat? He, Marcantonia, brachtest du dem Padre Agostino die Papiere?«

Marcantonia hatte dem Padre Agostino keine Papiere gebracht, Marcantonia wußte nichts von Papieren, gar nichts! Sie saß da, stierte nach dem Mönch hinüber, hörte und – nun, sie hörte eben.

Padre Agostino geriet in Aufregung.

»Ja, meine arme Marcantonia, wenn du dem Padre Agostino keine Papiere gebracht hast – sagt der Teufel von Staat – so kann ich dir nicht helfen; dann steht die Sache schlimm: dann hat der Kerl von Mönch gar nicht das Recht gehabt, dich mit dem Sor Baldassare zu verheiraten, dann soll diesen Halunken von Pfaffen der Teufel holen: dann bist du gar nicht die Frau des Sor Baldassare, sagt der Satan von Staat zu dir. Verstehst du, meine arme Marcantonia?«

Aber Marcantonia verstand nichts, kein Wort verstand sie! Sie sollte nicht die Frau ihres Mannes sein; sie, die sie in einer Kirche von einem Priester mit ihrem Manne getraut worden war, die sie ihrem Manne einen Sohn geboren hatte, die sie ihrem Manne ein treues und gehorsames Weib war. Nein, gar nichts von allem verstand sie!

Dem Mönch trat der Schweiß auf die Stirn. Er jammerte über die Unbill, welche die Kirche zu erleiden hatte, zeterte gegen den Beelzebub von Staat, der in Rom vor dem Hause des heiligen Vaters sein höllisches Unwesen trieb, schalt auf Salvatore und Marcantonia, daß sie ihm die »Papiere« nicht gebracht, ihn belogen und betrogen hatten, versuchte nochmals der Sabinerin die Sache auseinanderzusetzen und zu erklären: sie sei nicht das Weib ihres Mannes, sondern nur seine Geliebte – so sagte der Satanas von Staat.

»Und siehst du, meine arme Marcantonia, wenn Sor Baldassare morgen nach Rom ginge und heiraten wollte, so kann er das thun, und der Staat sagt zu ihm: Ihr könnt Euch zu jeder Zeit eine Frau nehmen, mein werter Sor Baldassare; nur müßt Ihr zuerst zu mir kommen. Nachher könnt Ihr mit Eurer Frau hingehen, zu wem Ihr wollt, meinetwegen zum Padre Agostino nach Crocetta. Kein Teufel kann dann jemals machen, daß Eure Ehe ungültig ist und Ihr auf einmal keine Frau mehr habt. So ist es, meine arme Marcantonia. Es ist sündhaft, es ist gottlos; aber was sollen wir arme Mönche dabei thun? Das wirst du doch einsehen. Nicht wahr, meine Tochter, du siehst es ein?«

Sah Marcantonia es ein? Sie war aufgestanden und wie ein wandelndes Steinbild bis zum Herde vorgeschritten, dessen verglimmende Gluten einen grellen Schein auf sie warfen, auf ihr fahles Gesicht, auf ihre schlaff niederhängenden Hände. Salvatore hatte sich in die Höhe gerichtet; er hielt den Atem an und wendete kein Auge von dem Weibe.

Marcantonia sagte langsam: »Geht er morgen nach Rom und nimmt eine andre zur Frau?«

Der Mönch rief: »Nicht doch! Nicht doch! Es sollte nur ein Beispiel sein, um dir die Sache begreiflich zu machen. Wie kannst du so etwas denken? Ich sagte dir nur, wie der Staat, dieser Höllengeist, zu ihm reden würde: Sor Baldassare, Ihr könnt Euch jederzeit eine Frau nehmen; denn die Marcantonia ist nicht Eure Frau. Er könnte, meine Tochter, aber er will nicht. Nicht wahr, Sor Baldassare, Ihr wollt nicht? Sagt diesem guten Geschöpf, daß Ihr keine andre zur Frau nehmen wollt, daß sie Euch dauert, daß Ihr auch wütend seid auf diesen Teufel von Staat. Aber was könnt Ihr dabei thun?«

Nein, Salvatore konnte nichts dabei thun! Auch das mußte Marcantonia einsehen; sie mußte ferner einsehen, wie großmütig es von ihm war, morgen nicht nach Rom zu gehen und eine andre zur Frau zu nehmen.

Der Mönch redete noch viel, Marcantonia dagegen sagte kein Wort. Sie hatte sich nach Salvatore umgewendet und sah ihn an, steif und starr. Dann brach der Mönch auf, denn es ward ihm unheimlich in der Gegenwart dieser regungslosen Frauengestalt, unter dem Blicke dieser glühenden Augen, beim Schweigen dieser blassen, wie im Tode geschlossenen Lippen. Er wollte ihr zum Abschied seinen Segen geben, doch sie mochte seinen Segen nicht haben; sie sagte das nicht, aber ihr Blick wies ihn zurück, ihr Blick sagte ihm: Ich will nicht von dir gesegnet sein, du falscher Priester eines falschen Gottes.

Der Mönch stand bereits an der Thür, als Salvatore vom Bette aufsprang.

»Ich gehe mit Euch.«

»Dank Euch, Sor Baldassare; indessen, ich bedarf Eurer Begleitung nicht.«

»Die Nacht ist dunkel, Ihr habt einen weiten Weg und könntet leicht in die Sümpfe geraten.«

»Wie Ihr wollt.«

»Einen Augenblick wartet noch. Ich will nur meine Büchse holen.«

»Wollt Ihr in der Nacht jagen?«

»Vielleicht kommt mir ein Wildschwein vor den Schuß, auch streichen in den Sümpfen die Schnepfen. Es ist ohnedies Mitternacht vorüber.«

Kaum hatten die beiden den Turm verlassen, als Salvatore mit einem hastigen »Gute Nacht!« sich von dem Mönch trennte. Ohne einen Schuß zu thun, trieb er sich bis zum Tagesgrauen in der Steppe umher, kehrte endlich ermattet zurück, doch wagte er nicht, das Haus zu betreten, darin sein Sohn und die Mutter seines Sohnes, die nicht sein Weib war, bei einander schliefen. Er irrte um den Turm wie ein Mörder, den es nicht losläßt von der Stätte, wo der blutige Leichnam liegt, der sich Gewalt anthun muß, nicht nachzusehen, ob die Kugel sein Opfer auch wirklich ins Herz getroffen.


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