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Marcantonia brachte den Morgen in gewohnter Weise zu, alle Arbeit des Hauses verrichtend. Dann fiel ihr ein, daß es Sonntag sei. Sie ging zur Cisterne und wusch sich, wobei der kleine Silvio zu den Füßen der Mutter im Sande kauerte und mit Muscheln spielte. Nachdem sie ihr prächtiges Haar gekämmt und wieder aufgesteckt hatte, verbarg sie die Last von Zöpfen unter dem Schleiertuch, legte ihr Festgewand an und vervollständigte ihren Putz, indem sie sich die schwere goldne Kette umband. Nun rief sie den Knaben, machte auch diesen nach besten Kräften etwas feiertäglich, nahm darauf die Spindel, setzte sich vor die Thür auf einen der antiken Opfersteine und begann ihre Fäden abzuspinnen. Silvio ersann sich ein neues Spiel. Er lief fort, riß überall Blumen ab, schleppte mit vollen Armen herbei und türmte die Blüten rings um seine Mutter auf.
In ihrer dumpfen, schwerfälligen Weise dachte Marcantonia, dem Spiele ihres Sohnes zuschauend: Vier Jahre; ist er nun. Der wird einmal so stark wie sein Vater. Zum Winter muß er ein neues Röcklein bekommen. Hätte ich nur einen Stuhl, damit ich das Zeug selbst weben könnte! Die Fischerweiber in Fiumicino drüben nehmen sechs Paoli für die Canna. Nächstens muß ich hin und ihnen Garn bringen. Wir haben auch kein Mehl mehr, das Oel geht aus, und für Salvatore muß ich Wein und Maccaroni holen. – – Warum wir uns wohl aus den Salinen kein Salz nehmen dürfen? Das Salz gibt das Meer, und das Meer gehört niemand. Salvatore meint auch, daß ich das Salz aus der Saline holen könnte. – – Heute bleibt er lange aus. Vielleicht ist er nach Portus zu den Hirten gegangen, um Käse zu kaufen und Ricotto. Wenn er kommt, brate ich ihm von den Wachteln; Fische sind auch da ...
Der Faden war ihr gerissen. Marcantonia knüpfte das Gespinst zusammen: die Hände zitterten ihr, kalte Schauer überliefen sie, sie sank mit dem Kopfe gegen die Mauer.
Heute habe ich wieder starkes Fieber. Wäre das Chinin nur nicht so teuer! Aber Salvatore meint auch, es hälfe nichts. Nun, er muß es wissen. Ich will ihn bitten, nach Crocetta zu gehen und sich von den Mönchen Blätter von den Fieberbäumen geben zu lassen. Die koche ich dann. – –
Wenn nur Silvio nicht das Fieber bekommt! Hälfe es etwas, so würde ich der schwarzen Madonna in Genazzano ein Schleiertuch geloben. Leinwand habe ich, und die Spitzen könnte ich im Winter selbst machen. Aber es hilft nichts; der arme Francesco hat auch sterben müssen. Vielleicht sterbe ich diesen Sommer, wenn die anderen nach Ariccia gehen. Was thut's? Dagegen läßt sich nichts machen ...
Sie richtete sich auf, griff wieder zur Spindel, spann und schaute stumpfen Sinnes geradeaus, wo vor ihr, jenseits der ungeheuren Weite, in leuchtender Ferne die Sabinerberge aufragten. Aber sie dachte sich nichts bei dem Anblick der Heimat. Plötzlich horte sie den Knaben rufen: »Der Vater,«
Marcantonia sah auf und erblickte ihren Mann, von Ostia herkommend. Er kam nicht allein. Nun war die Sabinerin noch niemals in einer Stadt gewesen, hatte also noch niemals Damen in solchen Kostümen, mit solchen Hüten gesehen, nur Salvatore davon erzählen hören, ohne sich indessen einen Begriff von diesen Wesen machen zu können. Und jetzt kam ihr Mann mit den Fremden nach dem Turm. Marcantonia hörte sie sprechen und lachen.
Der Knabe warf die Blumen fort und lief dem Vater entgegen; aber die Sache ward ihm unheimlich. Er blieb stehen, da rief ihn seine Mutter; und er machte, daß er zu ihr kam, die gelassen zu spinnen fortfuhr, bis zu den Knieen in Blumen steckend.
Lucia erblickte die Sabinerin zuerst. Ihr Lorgnon nehmend, rief sie: »Eine Campagnolin! Madonna, welch ein stolzes Geschöpf! Aber sie ist gewiß entsetzlich schmutzig. Und was für ein allerliebstes Kind! Ist es ein Mädchen oder ein Knabe? Wir dachten, Ihr haustet ganz allein in der Einsamkeit und wäret ein Weiberfeind. Das nenne ich eine Ueberraschung!«
Und die Tragödin lachte herzlich.
Salvatore runzelte die Stirne. Der Fürst, Marcantonia musternd, meinte: »Sie muß sehr schön gewesen sein.«
»Jedenfalls ist das Kind entzückend,« erklärte Lucia pathetisch. »Komm her, du!«
Und sie lockte den Knaben, wie sie einen scheuen Hund gelockt haben würde: aber Marcantonia gebot ihm leise, bei ihr zu bleiben. Auch jetzt erhob sie sich nicht, grüßte niemand und ließ sich im Spinnen nicht stören. Erst als ihr Mann mit rauher Stimme sie anrief, schaute sie wieder auf. Im sabinischen Dialekt, in dem er sonst nie mit ihr redete, sagte Salvatore: »Das sind Fremde, die den Turm sehen wollen; du brauchst aber nicht mitzugehen. Nachher bereite etwas zum Essen, Die Wachteln brate am Spieß und backe Ricotto; die Frauen möchten auch eine heiße Pizza haben. Sorge dafür, daß alles gut ist, hörst du!«
Marcantonia gab keine Antwort, auch nicht als Lucia sie ansprach; sie starrte mit ihren finsteren, mächtigen Augen feindselig die Fremden an. Salvatore hatte seine Fassung wiedergewonnen und lud die Gesellschaft in ritterlicher Haltung ein, seine Behausung in Augenschein zu nehmen, seine Gäste bittend, bei der Besichtigung des alten Gemäuers mit der Freude vorlieb zu nehmen, die ihm durch diesen Besuch bereitet würde – es sei für ihn seit vielen Jahren der erste Festtag.
Salvatores Burg erntete reiches Lob. Der Fürst und der Marchese dachten an die Jagdfreuden, die ein solcher Aufenthalt gewährte; die Schauspieler rühmten die Aussicht über Land und Meer, und die Damen begeisterten sich für die Romantik der Stätte. Lucia bewunderte sogar die Risse im Mauerwerk, die Unebenheiten des Fußbodens und was sonst an Verfallenem und Ruinenhaftem vorhanden war. Sie wußte es einzurichten, daß Salvatore mit ihr zurückblieb; ihre Hand auf seinen Arm legend, raunte sie ihm zu: »Wie heißt sie?«
»Wer?«
»Jenes Weib.«
»Marcantonia,«
»Sie ist schon lange bei dir?«
»Schon lange.«
»Du hast sie verführt?«
»Nein.«
»So ist es ein gemeines Geschöpf?«
»Durchaus nicht.«
»Sie lebt aber doch bei dir?«
»Allerdings.«
»Ich glaube gar, du liebst sie?«
»Sieh sie doch an,«
»Sie war einmal schön?« »Das war sie.«
»Warum schickst du sie nicht fort?«
»Ich kann nicht.«
»Des Kindes wegen?«
»Ja.«
»Es ist also dein Sohn?«
»Er ist es.«
»Was soll aus dem Kinde werden in dieser Wildnis?«
»Das weiß ich nicht.«
»Du mußt mir das Kind nach Rom bringen.«
»Wie kann ich das?«
»Ich muß dich wiedersehen, und zwar bald, denn ich habe ein Unrecht an dir gutzumachen. Aber jetzt solltest du sie wirklich fortschicken, nun du mich wiedergefunden hast. Wann kommst du?«
»Morgen.«
Nach Besichtigung des Turmes führte Salvatore seine Gäste wieder hinaus. Man kam überein, die heiße Zeit im Schatten des alten Gemäuers zuzubringen und in der Abendkühle aufzubrechen, nach Portus, wohin der Fürst die Wagen bestellt hatte.
Salvatore war zu Marcantonia getreten, die noch immer regungslos vor der Thür saß: mit unterdrückter Stimme herrschte er sie an: »Was hockst du noch immer da? Geh hinein und besorge das Essen,«
Langsam erhob sich Marcantonia aus den Blumen, die ihr Knabe um sie geschüttet hatte. Der Marchese bemerkte: »Die arme Person scheint das Fieber zu haben.«
Salvatore versetzte: »Sie ist daran gewöhnt.– – Was ist dir?«
Alle sahen auf sie. Sie stand da, mit einem Ausdruck im Gesichte, auf Lucia schauend, daß alle erschraken. Die Schöne hatte sich zu dem Kinde hingekauert, ihm ein Goldstück geschenkt und es zärtlich an sich gedrückt. Im nächsten Augenblick stürzte Marcantonia vor, entriß der Fremden das Kind, warf das Goldstück fort und ging mit ihrem Sohne, ohne die Tragödin eines Blickes zu würdigen, gemessenen Schrittes, mit der Haltung einer beleidigten Königin ins Haus.
»Was habe ich dem Weibe gethan?« rief Lucia empört.
Der Fürst versuchte durch einen Scherz über die peinliche Situation hinwegzuhelfen.
»Das kommt davon, wenn man einer Tigerin ihr Junges nehmen will.«
»Wer wollte ihr das Kind nehmen? Aber Sie haben recht, Fürst, diese Art von Geschöpfen sind wahre Bestien.«
Salvatore trat auf die vor Wut zitternde Dame zu und sagte mit fester Stimme: »Vergebt die Kränkung, Signora. Marcantonia wird Euch Abbitte thun und Euch das Kind zurückbringen. Uebrigens ist die Mutter dieses Kindes mein Weib.«