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Bald darauf sollte in Torre San Michele ein junges Ehepaar hausen. Salvatores Wunde war noch nicht völlig geheilt, als Marcantonia schon ihr Sonntagskleid anlegen und für den hochzeitlichen Ritt ihren Renner einfangen mußte. Nicht ohne Mühe stieg der Bräutigam auf, während die Braut darauf bestand, den weiten Weg bis zur Kirche zu Fuße zurückzulegen; kein Bitten und Schelten ihres Liebsten konnte sie bewegen, zu ihm aufzusitzen. So schritt sie denn neben dem Pferde her, es sorglich an dem Stricke führend, der auch bei diesem festlichen Aufzuge der beiden als Zügel dienen mußte. Des heißen Tages wegen hatten sie sich erst spät auf den Weg gemacht; für ihren Heimritt würde der Mond leuchten.
Die Starrheit, die seit dem Tode ihres Bruders auf Marcantonia gelegen, war von ihr gewichen, aber die Ereignisse der letzten Wochen hatten doch eine große Wandlung bewirkt. Ihr Gesicht nahm mehr und mehr den ernsthaften, fast schwermütigen Ausdruck an, der den Frauen jenes Volksschlages, selbst den ganz jungen, eigentümlich ist; selten daß ein Schimmer ihrer alten unbändigen Lebenskraft und Frohheit über ihre Züge ging; sogar ihr Gang war anders geworden, langsam und schwerfällig, und ihre Bewegungen nahmen jene Würde und Feierlichkeit an, welche der Erscheinung dieser halbwilden Geschöpfe häufig etwas Großartiges und geradezu Tragisches verleiht.
Dagegen schien Salvatore sich verjüngt zu haben. Die Folgen seiner Verwundung waren ihm zwar noch anzusehen, aber er befand sich in einer übermütigen, wahrhaft hochzeitlichen Stimmung und hörte nicht auf, Marcantonia wegen ihres guten Schusses zu rühmen, denn nur durch diesen wäre er zu einer Frau gekommen. Er behauptete, daß er das einsame Leben nicht länger hätte ertragen können; jetzt sollten bessere Zeiten kommen.
»Was meinst du, Marca, es wäre doch schade gewesen, wenn du mich totgeschossen hättest – und das nur darum, weil ich allzusehr in dich verliebt war? Hätte es dir wohl leid gethan?«
»Das weiß ich nicht. Wie kann ich das wissen?«
»Wie du das wissen kannst? Ei, denke einmal nach. Du liebst mich ja doch auch ein wenig.«
Doch Marcantonia dachte nicht nach. Das Nachdenken lag nun einmal nicht in ihrer Natur; sie hätte gar nicht gewußt, wie es anzufangen, über etwas nachzudenken. Aber ihr fiel ein, daß der neue Knecht, der das Amt ihres Bruders übernehmen sollte, erst am nächsten Tage in Ostia eintreffen würde, daß sie also erst am nächsten Tage zu ihrem Manne nach Torre San Michele ziehen könnte. Sie sagte es ihm.
»Morgen früh muß ich noch einmal nach den Herden sehen; mittags komme ich dann zu dir und backe dir eine Frittata, Oel und Mehl habe ich noch, das bringe ich mit.«
Aber Salvatore wollte nichts davon hören, daß seine junge Frau erst am nächsten Tage zu ihm zöge. Was sie die Herden angingen?
»Morgen mittag kannst du meinetwegen nachsehen; der neue Knecht wird schon rechtzeitig eintreffen,«
Marcantonia schwieg; es wäre ihr niemals in den Sinn gekommen, anderer Meinung zu sein als ihr Mann.
In Crocetta angelangt, meldete Salvatore den Mönchen seine Ankunft und begab sich sogleich mit Marcantonia in die Kirche – einen öden, feuchten Raum, von dem die Wildnis Besitz ergriffen hatte. Die Mauern zeigten klaffende Risse, durch die morsche Balkendecke leuchtete ein Stück des nächtlichen Himmels hernieder; in der Apsis, darin der Hochaltar stand, nisteten Falken, und auf den Stufen zusammengeringelt lag eine große Natter, die sich so als Herrin des Ortes fühlte, daß sie dem Brautpaare nicht Platz machen wollte und erst von Salvatore verjagt werden mußte. Dann erschienen die Schatten von Mönchen, die in dem einsamen Heiligtum ihrem Tode entgegenwankten; der Rest einer Kerze wurde auf dem Altar angesteckt und die Ceremonie in möglichster Kürze vollzogen. Der Priester mochte denken, daß in der Wildnis ein Ja und Amen genügte, und daß es schließlich sehr anerkennenswert war, unter obwaltenden Umständen überhaupt in die Kirche zu kommen und sich von einem Diener Gottes die Hände ineinanderlegen zu lassen. Auch das Fehlen der Ringe, das Unterlassen des Eintragens der geschlossenen Ehe ins Kirchenbuch, sowie daß den Vermählten kein Trauschein ausgestellt wurde, that der Heiligkeit der Sache keinerlei Abbruch. Salvatore zeigte sich leidenschaftlich aufgeregt, Marcantonia vollständig gleichgültig, und die Mönche trugen Sorge, von dem jungen Ehemanne die gebührenden Sporteln zu erhalten. Aber Salvatore hatte kein Geld eingesteckt, versprach, gelegentlich zu zahlen, und machte, daß er mit seiner Frau fortkam. Marcantonia mußte jetzt vor ihm auf dem Pferde sitzen; trotz der Schmerzen in seiner verwundeten Schulter hielt er das junge Weib fest umschlungen und trieb sein Tier zu wildem Galopp an. Als sie durch die Hütten des neuen und die Ruinen des alten Ostia trabten, schien der Mond in voller Pracht, und sein Silberglanz leuchtete den Neuvermählten bei ihrem Eintritt in ihr einsames, dunkles, totenstilles Haus.
»Liebst du mich, Marca?«
Er hatte ihr gesagt, wer er war und was er gethan: nun küßte er sie heftig und sie ließ sich von ihm küssen, wie sie sich von jedem andern hätte küssen lassen, wenn sie dessen Weib gewesen wäre. Der höchste Begriff, den dieses wilde Geschöpf kannte, war der der Pflicht: die Frau soll dem Manne unterthan sein.
Mit dem jungen, blühenden Geschöpfe zusammen fand Salvatore die Einsamkeit ganz erträglich. Bald war seine Wunde vollkommen geheilt, und als im September die ersten Herbstregen fielen, welche die braune Steppe wie durch Zauberschlag in ein üppiges Gartengefilde verwandelten, that es ihm nicht leid, daß Ostia noch immer nicht von seinen wenigen Einwohnern bevölkert wurde, sondern ein toter Ort blieb; denn gerade nach den ersten heftigen Regengüssen strömt das Land seine giftigsten Dünste aus.
Dem jungen Ehemanne gewährte es immer von neuem Vergnügen, in dem öden Gemäuer nach seinem Weibe zu rufen, und war es nur, um ihre Stimme antworten zu hören. Er schalt, weil sie so wenig sprach und gar nicht mehr lachte; nach dem langen, schweren Schweigen, welches in Torre San Michele geherrscht hatte, sollten Leben und Freude darin ihren Einzug halten. Aber wovon hätte Marcantonia sprechen sollen? Was sie von ihrer Kindheit und ihrem Heimatsorte zu erzählen wußte, hatte sie erzählt, und über das eine große Ereignis ihres Lebens, den Tod ihres Bruders, bewahrte sie tiefes Schweigen – hatte sie doch durch diesen Tod den Glauben an die Hilfe der Madonna und damit ihr gesamtes inneres Empfindungsleben verloren. Denn was sonst an dumpfen Gedanken in ihr war, ging nicht über die wenigen Bedürfnisse des täglichen Lebens hinaus und war mit ein paar Worten abgethan. Sie kannte einige jener Lieder, welche das sabinische Volk mit gellender, klagender Stimme in einer unsäglich schwermütigen und unsäglich eintönigen Weise während seiner Arbeit abschreit. Anfangs fand Salvatore Behagen an dieser Art von Gesang; es klang wild und traurig zugleich, und wenn er ausgestreckt im Schatten des Gemäuers oder droben in der Kammer auf dem Bette lag, hörte er gerne der seltsamen Melodie zu; aber bald ermüdete ihn das ewige Einerlei, und er verbot Marcantonia ihr Singen. Fortan sang sie nur, wenn Salvatore in Stimmung war und es ihr von ihm befohlen wurde.
Fast täglich begab sich Salvatore in aller Frühe mit seinem Hunde Garibaldi auf die Jagd, um seiner Hausfrau Fleisch in die Küche zu liefern. Wenn er dann mit seiner Beute, die gewöhnlich nur aus ein paar Vögeln bestand, dem Turme sich näherte, so sang er bei guter Laune seinem Weibe irgend eine übermütige Strophe entgegen; Marcantonia blieb ihrem Manne die übliche Erwiderung auch niemals schuldig, aber diese fiel so ernsthaft aus, daß Salvatore darüber in Zorn geriet: er wollte ein lustiges Weib haben.
Nach eingenommenem Abendbrot gingen sie hinaus und lagerten sich auf dem weichen Sande am Meere, den Wellen so nahe, daß sie manchmal vom Schaum überspritzt wurden. Dann berichtete Salvatore, der das Bedürfnis hatte, wenigstens den Klang seiner eignen Stimme zu hören, von seinem vergangenen Leben, wo er zur goldnen Jugend der Capitale gehört hatte, der Liebhaber einer Schauspielerin gewesen war und ganz Rom von sich reden machte. Marcantonia verstand von alledem wenig oder nichts, zeigte sich auch durchaus nicht begierig, etwas davon zu verstehen; ebensowenig kam ihr bei Salvatores glühenden Schilderungen jemals der Gedanke, daß sie nicht zu einander paßten, daß ihr Mann es einstens bereuen könnte, sie zum Weibe genommen zu haben. Was Salvatore anbetraf, so war er in seiner Leidenschaft für die Tochter der Wildnis noch zu wenig gesättigt, um ernsthafte Bedenken zu fühlen; zuweilen kam ihm die ganze Sache wie ein tolles Abenteuer vor, welches irgend eines schönen Tages, früher oder später, ein Ende nehmen würde. Was für ein Ende das sein könnte, darauf war er selber begierig.
Endlich hörte für das unglückliche römische Land die entsetzliche Zeit der Aria cattiva auf. Es wurde kühl, eine kräftige Tramontana setzte ein, das Meer stürmte unablässig, auf den höchsten Gipfeln des Felsengebirges schimmerte der erste Schnee, während für die Ebene ein neuer Sommer gekommen schien. Im November kehrten die Bewohner Ostias aus Ariccia zurück und bezogen die alte Stätte des Elends und Siechtums von neuem. Auch die Hirten, die Kohlenbrenner und Jäger erschienen wieder. Salvatore suchte seine alten Gefährten auf, ward viel in Fiumicino und Portus gesehen, machte die Bekanntschaft des neuen Hüters der Ruinen im antiken Ostia und dachte nicht mehr daran, auf Marcantonias ernsthafte Stimme oder ihren schwermütigen Singsang zu lauschen und ihr seine Ankunft durch die erste Strophe eines Ritornells anzukündigen.
Marcantonia merkte von der Wandlung, die sich allmählich mit ihrem Manne vollzog, nicht das mindeste, lebte in aller Dumpfheit gelassen weiter, ohne Leidenschaft und ohne Wunsch. Sie hielt den Turm in guter Ordnung, kochte die wenigen Gerichte, die sie zu bereiten wußte, leidlich schmackhaft, fand jeden Tag etwas zum Waschen, wurde mit jedem Tage schweigsamer. Dann kam eine Zeit, wo sie wieder sang – als sie im Frühling ihrem Manne ein Kind gebar. Es war ein prächtiger Knabe.