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Viertes Kapitel

Der Prachtsaal, in welchem der König von Babylon ein üppiges Fest gibt. Die Höflichkeit des wunderbaren Vogels erregt Aufsehen. Liebenswürdigkeit des Königs der Skythen gegen die Prinzessin Aldea. Sein Antrag und wie er aufgenommen wird; Versprechungen beim Abschied

Inmitten der Gärten, zwischen zwei Wasserfällen, erhob sich ein eirunder Saal von dreihundert Fuß Durchmesser. Er hatte eine azurne, mit Sternen besäte Wölbung, die alle Konstellationen der Planeten genau nach der Wirklichkeit wiedergab. Auch wurde diese Wölbung durch eine ebenso unsichtbare Maschinerie in Bewegung gesetzt wie der wirkliche Himmel und seine Körper. Hunderttausend in Zylindern aus Bergkristall eingeschlossene Lichter beleuchteten den Speisesaal von außen und innen. Ein Büfett mit Aufsätzen trug zwanzigtausend Gefäße und Platten aus Gold; diesem Büfett gegenüber waren Stufen, auf denen sich Musikanten niedergelassen hatten. Zwei weitere Büfetts waren beladen mit Früchten aller Jahreszeiten und Weinen der ganzen Erde, die aus kristallenen Flaschen leuchteten.

Die Gäste ließen sich an einer Tafel in Fächern nieder, die Blumen und Früchte darstellten, alles aus kostbaren Steinen. Die schöne Formosante saß zwischen dem König von Indien und dem König von Ägypten, die schöne Aldea neben dem König der Skythen. Es waren etwa dreißig Prinzen anwesend; jeder saß neben einer der schönsten Damen des Palastes. In der Mitte, seiner Tochter gegenüber, saß der König von Babylon. Er schien zu schwanken zwischen dem Kummer, sie nicht vermählt zu wissen, und der Freude, sie noch behalten zu dürfen. Formosante bat um die Erlaubnis, ihren Vogel auf den Tisch neben sich zu setzen. Der König hatte nichts dagegen.

Die Musik, die jetzt ertönte, gab jedem Prinzen völlige Freiheit, seine Nachbarin zu unterhalten. Das Fest schien ebenso angenehm wie prächtig. Formosanten wurde eine Speise serviert, die ihr Vater besonders liebte. Die Prinzessin befahl, die Schüssel zu Seiner Majestät zu tragen. Da ergreift der Vogel mit wunderbarer Geschicklichkeit die Platte und bietet sie dem König dar. Nie war eine Gesellschaft mehr erstaunt. Belus erwies ihm dieselben Zärtlichkeiten wie seine Tochter. Darauf flog der Vogel zu der Prinzessin zurück. Bei seinem Flug zeigte er einen solch schönen Schwanz, seine ausgebreiteten Flügel strahlten in so glänzenden Farben, das Gold seines Gefieders warf solch blendenden Schimmer, daß aller Blicke nur auf ihn gerichtet waren. Die Musikanten hörten auf mit ihrer Musik und rührten sich nicht. Niemand aß, niemand sprach; man hörte nur ein Murmeln der Bewunderung. Die Prinzessin von Babylon küßte während des ganzen Mahles den Vogel und vergaß alle Könige der Welt. Der indische und der ägyptische König fühlten ihren Ärger und Unwillen sich verdoppeln. Jeder von ihnen nahm sich vor, den Marsch seiner dreihunderttausend Mann zu beschleunigen.

Was den König der Skythen angeht, so war er damit beschäftigt, die schöne Aldea zu unterhalten. Sein stolzes Herz setzte sich ohne Zorn über die Unaufmerksamkeit Formosantes hinweg; er empfand mehr Gleichgültigkeit als Zorn gegen sie. »Sie ist schön,« sagte er, »ich gebe es zu; aber sie scheint mir eine jener Frauen, die nur mit ihrer Schönheit beschäftigt sind und die denken, das menschliche Geschlecht sei ihnen schon verpflichtet, wenn sie geruhen, sich öffentlich zu zeigen. Man betet in meiner Heimat keine Götzenbilder an. Ich würde eine liebenswürdige und aufmerksame Häßliche dieser schönen Statue vorziehen. Ihr, Prinzessin, habt ebensoviel Reize wie sie, und Ihr lasset Euch doch herab zu Gesprächen mit Fremden. Ich gestehe Euch mit der Ehrlichkeit eines Skythen, daß ich Euch den Vorzug vor Eurer Base gebe.« Er täuschte sich gleichwohl über Formosantes Charakter; sie war nicht so hochmütig, wie sie erschien. Seine Liebenswürdigkeit jedoch wurde von der Prinzessin Aldea sehr gut aufgenommen. Ihre Unterhaltung gestaltete sich sehr interessant. Sie waren äußerst befriedigt und einer des andern schon sicher, bevor die Tafel aufgehoben wurde.

Nach dem Mahle lustwandelte man zwischen den Büschen des Gartens. Der König der Skythen und Aldea suchten eine einsame Laube auf. Aldea, welche die Offenheit selber war, sprach zu dem Fürsten so: »Ich hasse meine Base keineswegs, obgleich sie schöner ist als ich und für den Thron von Babylon bestimmt. Die Ehre, Euch zu gefallen, entschädigt mich für meinen Mangel an Reizen. Ich ziehe Skythien mit Euch der Krone von Babylon ohne Euch vor. Aber diese Krone gehört mir von Rechts wegen, wenn es überhaupt Rechte auf Erden gibt; denn ich stamme vom älteren Zweig des Nimrod ab und Formosante nur vom jüngeren. Ihr Großvater entthronte den meinigen und ließ ihn töten.«

»Das also ist die Macht des Blutes im Hause Babylon!« sagte der Skythe. »Wie hieß Euer Großvater?«

»Er hieß Aldeus, ich heiße nach ihm. Mein Vater hatte den gleichen Namen; er wurde mit meiner Mutter ins Innere des Landes verbannt. Nach ihrem Tode wollte Belus, da er von mir nichts fürchtete, gern mich mit seiner Tochter zusammen erziehen; aber er hat bestimmt, daß ich mich niemals vermählen dürfe.«

»Ich werde Euren Vater, Euren Großvater und Euch selber rächen«, sagte der König der Skythen. »Ich erwidere Euch: Ihr werdet Euch vermählen. Übermorgen in aller Frühe werde ich Euch entführen; denn morgen muß ich noch mit dem König von Babylon zu Mittag speisen. Dann kehre ich zurück und verteidige Eure Rechte mit einem Heer von dreihunderttausend Mann.«

»Ich bin damit einverstanden«, sagte die schöne Aldea. Dann trennten sie sich, nachdem sie sich ihr Ehrenwort gegeben hatten.


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