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Dieses Gesuch des jungen Ingenieurs brachte die Wirkung eines Theatercoups hervor. Trotz der geringen Empfindsamkeit ihrer halbverwilderten Natur konnten die Tischgäste John Watkins' doch nicht umhin, ihren lebhaftesten Beifall zu erkennen zu geben. So viele Uninteressirtheit ging ihnen doch zu Herzen.
Gesenkten Auges und hochklopfenden Herzens, so wie vielleicht die Einzige, welche die Aeußerung des jungen Mannes nicht in Erstaunen setzte, hielt sich Alice an der Seite ihres Vaters.
Noch völlig niedergeschmettert von dem Schlage, der ihn eben getroffen, hatte der unglückliche Farmer jetzt doch den Kopf erhoben. Er kannte ja Cyprien gut genug, um zu wissen, daß er, wenn er diesem seine Tochter gab, gleichzeitig die Zukunft und das Glück Alices sicherte, er wollte jedoch, jetzt wenigstens, noch durch kein Zeichen verrathen, daß er keine Einwendungen gegen die beabsichtigte Verbindung bereit habe.
Etwas verlegen wegen des öffentlichen Schrittes, zu dem ihn die auflodernde Wärme tiefinniger Liebe hingerissen, fühlte er nun auch selbst die Merkwürdigkeit seines Auftretens und machte sich Vorwürfe, seiner selbst einmal nicht mehr Herr gewesen zu sein.
Inmitten dieser allgemeinen und leicht begreiflichen Unbehaglichkeit that Jacobus Vandergaart einen Schritt auf den Farmer zu.
»John Watkins,« begann er, »ich mag meinen Sieg nicht mißbrauchen und gehöre nicht zu denen, welche den überwundenen Feind noch mit Füßen treten. Wenn ich auf meinem guten Rechte bestand, so that ich damit nicht mehr, als was jeder brave Mann sich selbst schuldig ist. Ich weiß aber auch aus Erfahrung, und mein Advocat wies noch besonders darauf hin, daß das strenge Recht zuweilen an Ungerechtigkeit grenzt, und ich möchte auf Unschuldige nicht die Folgen von Fehlern fallen lassen, welche sie nicht begangen haben. Nun denn, ich stehe allein in der Welt und vielleicht schon mit einem Fuße im Grabe. Was sollten mir so viele Schätze nützen, wenn ich sie nicht mit Andern theilen könnte? . . . Wenn Sie, John Watkins, zustimmen, diese beiden jungen Leute zu vereinigen, so bitte ich dieselben, den ›Südstern‹ von mir als Angebinde entgegenzunehmen, da jener für mich ja doch nutzlos ist. – Ich verpflichte mich überdies, sie als meine Erben einzusetzen, um, so weit es in meiner Macht steht, das unbeabsichtigte Unrecht wieder gut zu machen, das ich Ihrer liebenswürdigen Tochter zufüge!«
Auf diese Worte folgte unter den Zuhörern das, was die Parlamentsberichte als »Lebhafter Beifall und Zustimmung« bezeichnen. Alle Blicke richteten sich auf John Watkins. Dessen Augen zeigten plötzlich einen feuchten Schimmer und er bedeckte sie mit zitternden Händen.
»Jacobus Vandergaart!« rief er endlich, außer Stande, die ihn bewegenden stürmischen Gefühle zu bändigen, »ja . . . Sie sind ein Ehrenmann und rächen sich edelmüthig für das Unrecht, das ich Ihnen zugefügt, durch die Begründung des Glückes dieser beiden Kinder!«
Weder Alice noch Cyprien vermochten, wenigstens nicht mit vernehmlichen Lauten, zu antworten, ihre Blicke aber übernahmen das für sie.
Der Greis streckte dem früheren Gegner die Hand entgegen und John Watkins ergriff dieselbe voller Wärme.
Alle Augen der Umstehenden waren feucht geworden, selbst die eines alten grauköpfigen Constablers, der sonst so trocken aussah wie ein Schiffszwieback.
John Watkins selbst erschien jetzt ganz umgewandelt. Seine Gesichtszüge drückten ebenso viel Wohlwollen und Sanftmuth aus, wie vorher Härte und Bosheit. Auch das bis dahin ernste, strenge Antlitz Jacobus Vandergaart's nahm wieder den gewohnten Charakter heiterer Gutmüthigkeit an.
»Vergessen wir Alles,« rief er, »und trinken wir auf das Wohlergehen des jungen Paares – wenn der Herr Officier des Sherifs es gestatten will – von dem Weine, den er beschlagnahmt hat.«
»Ein Officier des Sherifs hat zuweilen die Verpflichtung, sich dem Verkauf steuerpflichtiger Getränke zu widersetzen, nicht aber der Verzehrung derselben.«
Nach dieser frohlaunigen Entscheidung kreisten die Flaschen von Neuem, und bald herrschte wieder die unbeschränkteste Heiterkeit im Speisesaale.
Jacobus Vandergaart saß zur Rechten John Watkins' und entwarf mit ihm Pläne für die Zukunft.
»Wir verkaufen Alles und folgen unsern Kindern nach Europa,« sagte er. »Dort gründen wir uns auf dem Lande ein Heim in ihrer Nähe, und werden hoffentlich noch manche schöne Tage mit ihnen verleben!«
Seite an Seite sitzend hatten sich Alice und Cyprien in eine leise, französisch geführte Plauderei versenkt – eine Plauderei, die wegen der Alice ungewohnteren Sprache nicht minder interessant erschien, wenn man das nach der Lebhaftigkeit der beiden Teilnehmer abschätzen durfte.
Jetzt war es ungemein warm geworden. Eine schwüle, drückende Hitze trocknete die Lippen schon am Rande der Gläser und verwandelte alle Tischgenossen in eben so viele Elektrisirmaschinen, welche bis zum Funkengeben geladen waren. Vergeblich hatte man Thüren und Fenster weit offen stehen lassen. Nicht der mindeste Luftzug bewegte die Flammen der Kerzen.
Jedermann empfand, daß die bedrückenden atmosphärischen Verhältnisse nur eine einzige Art der Lösung finden könnten – einen tüchtigen Sturm mit Gewitter und Platzregen – wie solche im südlichen Afrika nicht selten, einer Empörung aller Elemente der Natur vergleichbar, auftreten. Ein derartiges Ungewitter erwartete, ja erhoffte man jetzt als eine Erleichterung.
Plötzlich verbreitete ein greller Blitz einen grünlichen Schein über alle Gesichter, und fast gleichzeitig verkündete der über die weite Ebene hinrollende Donner, daß das Concert begonnen habe.
In demselben Augenblicke fegte durch den Raum ein heftiger Luftstrom, der alle Kerzen verlöschte. Dann öffneten sich ohne Uebergang alle Schleusen des Himmels und die Sintfluth strömte herab.
»Hörten Sie unmittelbar nach dem starken Donnerschlage nicht ein kurzdauerndes trockenes Geräusch?« fragte Thomas Steel, während sich Mehrere bemühten, Fenster und Thüren schnell zu schließen, und die Kerzen wieder angezündet wurden; man hätte dabei an das Zerspringen einer Glaskugel denken können.«
Wie instinctiv wendeten sich alle Blicke sofort nach dem ›Südstern‹ hin.
Der Diamant war verschwunden.
Uebrigens standen der Gitterkäfig und die Glasglocke, welche denselben bedeckten, noch auf derselben Stelle, und es war unbedingt auszuschließen, daß Jemand den Stein berührt habe.
Die Erscheinung glich fast einem Wunder.
Cyprien, der sich schnell nach dem Diamanten hingeneigt hatte, erkannte an dessen Stelle auf dem blausammetnen Kissen sofort einen feinen grauen Staub. Er stieß einen Schrei der Verwunderung aus, erklärte aber mit vier Worten den hier stattgehabten Vorgang:
»Der ›Südstern‹ ist zersprungen!« sagte er.
Im Griqualande weiß Jedermann, daß das sozusagen eine Krankheit ist, an welcher die Capdiamanten leiden, doch spricht absichtlich Niemand davon, um deren Handelswerth nicht zu vermindern. Thatsache bleibt es immerhin, daß gerade die kostbarsten Steine, wohl infolge zunächst unerklärlicher Molekularverschiebung, öfter wie einfache Schlagsätze zerplatzen. In solchen Fällen bleibt von ihnen kein anderer Rückstand als ein wenig Staub, der höchstens noch als Schleifmaterial benutzbar ist.
Den jungen Ingenieur beschäftigte augenblicklich die wissenschaftliche Begründung jener Erscheinung offenbar weit mehr, als der enorme Verlust, den er durch dieselbe erlitt.
»Es ist besonders auffallend,« erklärte er inmitten der allgemeinen Bestürzung, »nicht daß der Stein unter den jetzigen Verhältnissen zersprang, sondern daß er damit bis zum heutigen Tage gewartet hat. Gewöhnlich ereignet sich ein solcher Zufall – ›Unfall‹ sagte er nicht einmal – nach weit kürzerer Zeit und höchstens zehn Tage nach dem Schliffe, nicht wahr, Herr Vandergaart?«
»Vollkommen richtig! Es ist wirklich zum ersten Male in meinem Leben, daß ich einen Diamanten habe drei Monate nach seiner Bearbeitung noch springen sehen!« erklärte der Greis seufzend . . . »Indeß, es stand geschrieben, daß der ›Südstern‹ keinem Menschen angehören sollte!« setzte er hinzu. »Und wenn ich bedenke, daß es zur Vermeidung dieses Unglücks hingereicht hätte, den Stein mit einer leichten Fettschicht zu überziehen! . . .«
»Wirklich?« unterbrach ihn Cyprien mit der Befriedigung eines Mannes, der endlich die Lösung eines Räthsels gefunden hat. »In diesem Falle erklärt sich ja Alles! Der gebrechliche Stern entlehnte diese Schutzdecke offenbar Dadas Kropfmageninhalte, und das hat bis heute seinen Untergang verhindert. Wahrlich, er hätte besser daran gethan, vor vier Monaten zu zerspringen und uns die beschwerliche Fahrt durch den ganzen Transvaal zu ersparen!«
Da bemerkten Alle, daß John Watkins, der seine frohe Laune wieder völlig eingebüßt, heftig auf seinem Stuhle hin und her rückte.
»Wie können Sie ein so entsetzliches Unheil nur so auf die leichte Achsel nehmen?« sagte er, geröthet von innerer Empörung. »Auf Ehrenwort, Sie besprechen da jene fünfzig in Rauch aufgegangenen Millionen, als ob sich's um eine Cigarrette handelte!«
»Das beweist eben, daß wir Philosophen sind!« meinte Cyprien. »Ist der Fall nicht ganz dazu angethan, sich weise zu benehmen, wo die Weisheit zur Nothwendigkeit geworden ist?«
»Meinetwegen seien Sie Philosophen, so viel Sie wollen,« erwiderte der Farmer. »Fünfzig Millionen sind aber fünfzig Millionen, und die findet man nicht im Handumdrehen wieder. Ah, Jacobus, Sie haben mir heute, ohne daran zu denken, einen höchst wichtigen Dienst erwiesen. Ich glaube, ich, ich selbst, ich wäre vor Stolz noch ebenso wie eine Marone zersprungen, wenn der ›Südstern‹ noch mir gehörte.«
»Ja, was wollen Sie mir Vorwürfe machen?« sagte Cyprien, der der neben ihm sitzenden Miß Watkins in das liebliche frische Gesichtchen schaute. »Ich habe heute Abend einen so köstlichen Edelstein gewonnen, daß der Verlust eines Diamanten mich nicht besonders bekümmern kann!«
So endigte durch einen Theatercoup die seiner Geschichte würdige kurze und wechselvolle Laufbahn des größten geschnittenen Diamanten, den die Welt je gesehen.
Ein solches Ende trug, wie sich leicht denken läßt, natürlich nicht wenig dazu bei, die im Griqualande in Bezug auf denselben umlaufenden abergläubischen Ansichten zu bestätigen. Mehr als je hielten Kaffern und Minengräber sich überzeugt, daß so sehr große Steine nur Unglück bringen können.
Jacobus Vandergaart, der stolz darauf war, den ›Südstern‹ geschnitten zu haben, und Cyprien, der ihn dem Museum der Bergwerksschule anzubieten gedachte, fühlten sich im Grunde doch mehr, als sie eingestehen wollten, enttäuscht über diese unerwartete Lösung. Im Ganzen ging die Welt deshalb doch im alten Geleise weiter, und man kann eben nicht sagen, daß sie bei der ganzen Geschichte so viel verloren habe.
Die sich überstürzenden Vorkommnisse, die schmerzlichen Erregungen, der Verlust seines Vermögens, dem auch der Verlust des »Südsterns« auf dem Fuße folgte, hatten John Watkins indeß tief angegriffen. Er wurde bettlägerig, siechte einige Zeit hin, und – verlosch.
Weder die zärtliche Pflege Alices noch die Cypriens, so wenig wie der mannhafte Zuspruch Jacobus Vandergaart's, der kaum von seinem Kopfkissen wich und sich bemühte, dem Kranken neuen Lebensmuth einzuflößen, vermochten den traurigen Ausgang abzuwenden.
Vergeblich unterhielt ihn dieser vortreffliche Mann von seinen Plänen für die Zukunft, erwähnte der Kopje nur als ihres gemeinschaftlichen Eigenthums und erbat sich seine Rathschläge über alle, dieselbe betreffenden Maßnahmen, um sein Interesse wach zu halten. Der alte Farmer war einmal in seinem Stolze verletzt, in seiner Monomanie als Eigenthümer, in seinem Egoismus, in allen seinen Gewohnheiten – er fühlte seine Auflösung herannahen.
Eines Abends zog er Alice und Cyprien zu sich heran, legte ihre Hände in einander, und hauchte, ohne ein Wort zu sprechen, den letzten Seufzer aus. Seinen geliebten Stern hatte er nicht um vierzehn Tage überlebt.
Es schien in der That eine innige Verbindung zwischen dem Glück dieses Mannes und dem Schicksal des merkwürdigen Steines bestanden zu haben. Mindestens wiesen Beide so viel Übereinstimmendes auf, daß das, wenn auch nicht vor dem Richterstuhle der Vernunft, doch in gewisser Hinsicht die abergläubischen Voraussetzungen erklärte, welche im Griqualande darüber herrschten. Der ›Südstern‹ hatte seinem Besitzer unzweifelhaft »Unglück gebracht«, mindestens in dem Sinne, daß das Auftreten des unvergleichlichen Edelsteins auf dem Schauplatze der Erde den Zeitpunkt bezeichnete, von dem aus das Wohlergehen des alten Farmers sich seinem Niedergange zuneigte.
Was die Schwätzer im Lager aber nicht durchschauten, war der Umstand, daß die Ursache dieses Verfalls in John Watkins' eigenen Fehlern zu suchen war – Fehler, welche, wie eine Schicksalsbestimmung, die Keime des Verdrusses und des Niedergangs in sich trugen.
So viele Unglückliche hier auf Erden werden als die Opfer eines geheimnißvollen Unsterns betrachtet, und doch findet man in der Handlungsweise der Betroffenen, wenn man dieser tiefer auf den Grund geht, die ausreichende Erklärung ihres Mißgeschicks. Es mag auch unverschuldetes Unglück vorkommen, zugegeben: weit häufiger sind jedoch die Fälle, wo dasselbe, ein Ergebniß unerbittlicher Logik, aus den von dem Subject selbst gelieferten Grundlagen erwächst. Wäre John Watkins minder gewinnsüchtig gewesen, hätte er den kleinen Kohlenkrystallen, welche man Diamanten nennt, nicht eine so ungeheure, fast strafwürdige Bedeutung beigelegt, so würde das Auftauchen wie das Verschwinden des »Südsterns« ihn kalt gelassen haben – wie sie Cyprien kalt ließen – und sein physisches und moralisches Wohlbefinden wäre nicht der Gnade eines derartigen Ereignisses preisgegeben gewesen. Er hatte den Diamanten sein ganzes Herz geweiht; durch die Diamanten mußte er untergehen.
Nach wenigen Wochen wurde die Vermählung Cyprien Méré's und Alice Watkins' zu großer Freude Aller in größter Einfachheit gefeiert. Alice ist jetzt die Gattin Cypriens – was konnte sie auf Erden mehr verlangen?
Der junge Ingenieur besaß übrigens auch weit mehr irdische Schätze, als sie gewähnt und er selbst geglaubt hatte.
Infolge der Auffindung des »Südsterns« hatte sein Claim nämlich, ohne sein Zuthun, eine sehr beträchtliche Werthvermehrung erfahren. Während seiner Fahrt durch den Transvaal, wo Thomas Steel inzwischen die Ausbeutung desselben weiter betrieb, hatte sich dieses Theilstückchen der Kopje als ungemein ertragsreich erwiesen, und darauf hin überboten sich viele Käufer, um dasselbe zu erlangen. Vor seiner Abreise nach Europa veräußerte er den Claim auch noch für mehr als hunderttausend Francs, die ihm in klingender Münze erlegt wurden.
Alice und Cyprien zögerten nun nicht mehr, das Griqualand zu verlassen, um nach Frankreich zurückzukehren; sie thaten das aber nicht, ohne vorher die Zukunft Lî's, Bardik's und Matakit's zu sichern – ein gutes Werk, an dem sich auch Jacobus Vandergaart seinen Antheil nicht nehmen ließ.
Der alte Steinschneider verkaufte seine Kopje an eine, von dem früheren Händler Nathan gegründete Gesellschaft. Nach glücklicher Durchführung der Liquidation beeilte er sich, in Frankreich seine Adoptivkinder aufzusuchen, welche, Dank der Arbeitslust Cypriens, seiner gern anerkannten Verdienste und dem Empfange, den ihm die gelehrte Welt bei seiner Heimkehr bereitete, auch in günstigen Vermögensverhältnissen leben, nachdem sie das Glück des Herzens vorher an sich zu fesseln gewußt hatten.
Thomas Steele kehrte mit zwanzigtausend Pfund Sterling nach seinem Lancashire zurück, ist jetzt verheiratet, hetzt den Fuchs trotz jedes Edelmanns und leert jeden Abend seine Flasche Portwein; etwas Besseres kann er sich einmal nicht vorstellen.
Die Vandergaart-Kopje ist noch nicht erschöpft, sondern liefert alljährlich im Mittel den fünften Theil der vom Cap ausgeführten Diamanten; kein Minengräber daselbst hat aber je wieder den glücklichen oder unglücklichen Zufall erlebt, einen andern ›Südstern‹ zu finden.