Jules Verne
Der Südstern
Jules Verne

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Zwölftes Capitel.

Vorbereitungen zum Aufbruche.

Am folgenden Morgen, als Cyprien Méré erfuhr, was sich bei Gelegenheit des Gastmahls ereignet, war es sein Erstes, gegen die schwere Beschuldigung seines Dieners Einspruch zu erheben. Er konnte nicht zugeben, daß Matakit der Urheber eines so schweren Diebstahls sei, und traf also in seiner Auffassung der Sachlage nicht mit Annibal Pantalacci zusammen. In der That hätte er eher auf Annibal Pantalacci, auf Herrn Friedel, Nathan oder jeden Anderen seinen Verdacht gerichtet.

Immerhin war es wenig wahrscheinlich, daß ein Europäer sich jenes Verbrechens schuldig gemacht haben könne. Für alle diejenigen, welche seinen Ursprung nicht kannten, war der ›Südstern‹ ein natürlicher Diamant und hatte deshalb einen so hohen Werth, daß sich Niemand desselben hätte ohne großes Aufsehen entäußern können.

»Und doch,« wiederholte sich Cyprien, »ist es ja nicht unmöglich, daß Matakit es gewesen wäre!«

Dann aber erinnerte er sich wieder seiner eigenen Zweifel bezüglich verschiedener kleiner Diebereien, deren sich der Kaffer selbst in seinem Dienste schuldig gemacht hatte. Trotz aller Ermahnungen seines Herrn hatte dieser, dem Triebe der Natur gehorchend, und von weitem Gewissen – bezüglich des Mein und Dein – diese beklagenswerthe Gewohnheit nicht abzulegen vermocht. Immerhin handelte es sich dabei zwar nur um geringwertige Gegenstände, indeß bedurfte es ja nicht mehr, um über Matakit ein Vorurtheil aufkommen zu lassen, das eben nicht zu seiner Ehre sprach.

Eine weitere Bekräftigung fand jener Verdacht auch in dem Umstand, daß der Kaffer im Festsaale anwesend gewesen war, als der Diamant wie durch Zauberei verschwand, und noch mehr dadurch, daß man ihn ganz kurz darauf in seiner Hütte nicht mehr angetroffen hatte; endlich durch seine ganz unerklärliche Flucht, denn es konnte jetzt kein Zweifel mehr darüber aufkommen, daß er das Land verlassen habe.

Vergeblich wartete Cyprien noch während des Morgens auf sein Wiedererscheinen, da er an die Schuld seines Dieners nun einmal nicht glauben mochte; der Diener kam aber nicht. Es zeigte sich dazu noch, daß ein Quersack mit seinen Ersparnissen, einigen Werkzeugen und Geräthen, die Jemand nothwendig brauchen kann, der sich in diese fast ganz öden Gebiete Südafrikas begiebt, aus seiner Hütte mit verschwunden waren. Alles – Alles sprach also für seine Schuld!

Gegen zehn Uhr begab sich der junge Ingenieur, dem gewiß die Aufführung Matakit's weit mehr als der Verlust des Diamanten betrübte, nach der Farm seines Wirthes John Watkins.

Da fand er den Farmer selbst, Annibal Pantalacci, James Hilton und Friedel zu ernster Verhandlung versammelt. Eben als er erschien, trat Alice, die ihn hatte kommen sehen, gleichfalls in's Zimmer, wo ihr Vater und die drei Anderen lebhaft darüber sprachen, was wohl zu beginnen sei, um wieder in den Besitz des gestohlenen Diamanten zu gelangen.

»Wir müssen ihn verfolgen, den schurkischen Matakit!« rief John Watkins in voller Wuth. »Wir müssen ihn einfangen, und wenn er den Diamanten nicht bei sich führt, den Bauch aufschlitzen, um nachzusehen, ob er ihn nicht verschluckt hat.

»Ah, meine liebe Tochter! Du hast wohl daran gethan, gestern jene Geschichte zu erzählen! . . . Man wird ihn durchsuchen bis auf die Eingeweide, den Erzbösewicht!«

»Aber, ich bitte Sie,« wandte Cyprien besänftigend ein, in einem Tone, der freilich dem Farmer nicht besonders gefiel, »um einen Stein von solcher Größe zu verschlucken, müßte Matakit wenigstens den Magen eines Straußes haben!«

»Ist einem Kaffermagen nicht etwa Alles möglich, Herr Méré?« entgegnete John Watkins. »Wie, und Sie können in diesem Augenblicke und bei so ernsten Dingen auch noch lachen?«

»Ich lache ja nicht,« antwortete Cyprien ernsthaft. »Doch wenn ich das Abhandenkommen jenes Diamanten bedaure, so ist das allein deshalb der Fall, weil ich mir erlaubt hatte, denselben Fräulein Alice anzubieten . . .«

»Und ich bin Ihnen dafür so dankbar, Herr Cyprien,« bemerkte Miß Watkins, »als ob ich ihn noch jetzt im Besitz hätte.«

»Da sieht man, was Frauengehirne leisten!« wetterte der Farmer. »Ebenso dankbar, als wenn sie ihn noch besäße, diesen Diamanten, der auf Gottes Erdboden nicht seines Gleichen findet!«

»Na, das ist freilich nicht ganz dasselbe!« ließ sich James Hilton vernehmen.

»O, gewiß nicht!« setzte Friedel hinzu.

»Im Gegentheil, das ist ganz dasselbe!« erwiderte Cyprien; »denn da ich diesen Diamant selbst gemacht habe, werd' ich wohl auch im Stande sein, einen andern herzustellen!«

»Herr Ingenieur,« sagte da Annibal Pantalacci in einem Tone, der eine schwere Drohung gegenüber dem jungen Manne enthielt, »ich meine, Sie würden gut thun, Ihr Experiment nicht noch einmal zu wiederholen . . . im Interesse des Griqualandes ebenso wie in dem Ihrigen.«

»Wahrlich, Herr,« versetzte Cyprien, »mir scheint, ich habe keine Veranlassung, Sie deshalb erst zu fragen.«

»O, das ist wohl die rechte Zeit, darüber zu streiten!« rief Mr. Watkins. »Ist Herr Méré denn seiner Sache so gewiß, daß ihm ein zweiter Versuch gelingt? Würde ein zweiter Diamant, der aus seinem Apparate hervorging, auch die Farbe, das Gewicht und folglich den Werth des ersten haben? Kann er mir dafür einstehen, einen anderen Stein, wenn auch von geringerem Werthe, herzustellen? Oder wird er ehrlicher Weise zugestehen, daß ihn ein besonders glücklicher Zufall begünstigt hat?«

Was John Watkins da sagte, klang zu vernünftig, als daß sich der junge Ingenieur davon nicht hätte getroffen fühlen sollen; es entsprach auch allen jenen Einwürfen, die er sich schon selbst gemacht hatte. Ohne Zweifel fand sein Experiment durch die bekannten Gesetze der modernen Chemie eine hinreichende Erklärung, doch war bei seinem ersten Versuche wirklich der Zufall gar nicht mit im Spiel gewesen? Und wenn er jenen wiederholte, konnte er sicher sein, wieder denselben Erfolg zu erzielen?

Unter solchen Umständen erschien es also von großer Wichtigkeit, den Dieb um jeden Preis zu erwischen und, was noch von größerer Bedeutung schien, den gestohlenen Gegenstand zurückzuerhalten.

»Es ist bis jetzt wohl noch keine Spur von Matakit entdeckt worden?« fragte John Watkins.

»Keine,« antwortete Cyprien.

»Man hat alle Umgebungen des Lagers durchsucht?«

»Ja, mit größter Sorgfalt,« versicherte Friedel. »Der Spitzbube ist, wahrscheinlich im Laufe der Nacht, verschwunden, und es ist schwierig, um nicht zu sagen, unmöglich, zu wissen, nach welcher Seite er sich gewendet haben mag.«

»Hat der Polizei-Officier eine Untersuchung seiner Hütte vorgenommen?« fragte der Farmer.

»Ja,« erklärte Cyprien, »er hat dabei aber nichts entdeckt, was ihn auf die Spuren des Flüchtlings leiten könnte.«

»Ah,« rief Mr. Watkins, »ich gebe gleich fünfhundert und tausend Pfund, wenn man ihn wieder erlangt.«

»Das begreif' ich, Herr Watkins,« meinte Annibal Pantalacci; »aber ich fürchte leider, daß wir niemals wieder Ihren Diamanten, noch den, der ihn geraubt hat, entdecken werden.«

»Und warum?«

»Weil Matakit, wenn er einmal über alle Berge ist, nicht ein solcher Thor sein wird, unterwegs liegen zu bleiben. Er geht wahrscheinlich nach dem Limpopo, begiebt sich dann in die Wüste, nach dem Zambesi oder bis zum Tanganyka-See, und wenn's sein muß, bis zu den Buschmännern!«

Redete der arglistige Neapolitaner, wenn er so sprach, wohl auch die Wahrheit? Wollte er vielleicht nicht einfach verhindern, daß eine Verfolgung Matakit's eingeleitet wurde, um diese womöglich selbst zu unternehmen? Dieser Gedanke stieg wenigstens in Cyprien auf, als er den Mann beobachtete.

Mr. Watkins war aber nicht der Mann dazu, von einer Sache deshalb, weil sie nur schwierig durchzuführen sei, abzulassen. Er hätte gewiß sein ganzes Vermögen geopfert, um wieder in den Besitz des unvergleichlichen Steines zu kommen, und seine ungeduldigen, flammenden Blicke schweiften schon durch das Fenster hinüber nach den grünenden Ufern des Vaal, als ob er die Hoffnung hegte, den Flüchtigen an dessen Rande zu sehen.

»Nein,« rief er, »so ist die Sache nicht abgemacht! . . . Ich muß meinen Diamanten haben! . . . Ich muß den Hallunken erwischen! . . . Ah, wenn ich nur nicht an der Gicht litte, sollte das nicht so lange dauern, dafür stehe ich ein!«

»Lieber Vater!« mischte sich Alice ein, um ihn zu beruhigen.

»Wohlan, wer unternimmt es?« rief John Watkins im Kreise umherblickend. »Wer will sich zur Verfolgung des Kaffern aufmachen? . . . Die Belohnung soll der Mühe entsprechen, auf mein Wort!«

Da Niemand ein Wort sagte, fuhr er fort:

»Halt, meine Herren, Sie sind hier nun Vier, welche sich um meiner Tochter Hand bewerben! Nun gut, schaffen Sie mir den Mann mit meinem Diamanten wieder zur Stelle!« – Er sagte »meinem Diamanten« – »und auf Watkins' Ehrenwort, meine Tochter gehört Dem, der Beide bringt!«

»Angenommen!« erklärte James Hilton.

»Ich bin dabei!« versicherte Friedel.

»Wer sollte nicht wünschen, einen so kostbaren Preis zu erringen?« murmelte Annibal Pantalacci mit listigem Lächeln.

Tief erröthend und verletzt vor Scham, sich bei einer solchen Gelegenheit als Preisgabe ausgeboten zu sehen, und das gar in Anwesenheit des jungen Ingenieurs, versuchte Alice vergeblich ihre Verwirrung zu verbergen.

»Miß Watkins,« sagte Cyprien halblaut, indem er sich höflich vor ihr verneigte, »auch ich würde an der Verfolgung theilnehmen, aber darf ich das ohne Ihre Erlaubniß?«

»Sie haben dieselbe und meine besten Wünsche obendrein, Herr Cyprien!« antwortete sie lebhaft.

»Dann bin ich bereit, bis an's Ende der Welt zu gehen!« rief Cyprien, sich jetzt John Watkins wieder zuwendend.

»Daß wir die Rechnung nur nicht ohne den Wirth machen,« warf Annibal Pantalacci ein, »denn ich glaube, daß Matakit uns hübsch zu laufen geben wird. So wie er jedenfalls entflohen ist, wird er schon morgen in Potchefstrom sein und das Gebirgsgebiet erreicht haben können, ehe wir noch dazu kommen, unsere Hütten zu verlassen.«

»Wer hindert uns denn, noch heute, noch in dieser Stunde aufzubrechen?« fragte Cyprien.

»O, ich gewiß nicht, wenn es Sie so drängt!« entgegnete der Neapolitaner. »Ich für meinen Theil mag mich aber nicht ohne etwas zu beißen, einschiffen. Ein guter Wagen mit einem Dutzend Zugochsen und zwei Reitpferden, das ist das Mindeste, was wir zu einer Expedition brauchen, wie ich mir diese hier vorstelle. Und Alles das findet sich höchstens erst in Potchefstrom!«

Sprach denn Annibal Pantalacci jetzt im Ernste? Ging seine Absicht nicht vielmehr nur darauf hinaus, seine Rivalen auszuschließen? Die Antwort hierauf wäre wohl zweifelhaft gewesen.

Zweifelhaft war aber nicht, daß er vollkommen Recht hatte. Ohne derartige Beförderungsmittel und ohne Vorrath an Nahrung und dergleichen, wäre es entschieden Thorheit gewesen, sich in den nördlichen Theil des Griqualandes hineinzuwagen.

Ein Wagen mit Ochsengespann – das wußte Cyprien recht wohl – kostete mindestens acht- bis zehntausend Francs, und er für seinen Theil besaß höchstens viertausend.

»Halt! Ein Gedanke!« rief plötzlich Thomas Hilton, der in seiner Eigenschaft als »Afrikander« von schottischem Ursprung immer die Sparsamkeit in den Vordergrund zu stellen pflegte, »weshalb sollten wir nicht alle Vier zur Ausführung dieser Expedition zusammentreten? Die Aussichten auf Gewinn blieben deshalb für Jeden dieselben und die Unkosten würden sich ebenso vertheilen.«

»Das erscheint mir ganz richtig,« bemerkte Friedel.

»Und ich nehme den Vorschlag an,« erklärte Cyprien ohne Zögern.

»Für diesen Fall,« meinte Annibal Pantalacci, »hätten wir nur dahin übereinzukommen, daß Jedem seine Unabhängigkeit gesichert und ihm überlassen bleibt, sich von den Andern zu trennen, wenn er es für geboten erachtet, die Einfangung des Flüchtlings allein zu versuchen!«

»Das versteht sich von selbst,« antwortete James Hilton, »wir vereinigen uns nur zum Ankauf des Wagens, der Büffel und des Proviants, doch bleibt es Jedem überlassen, allein weiter zu ziehen, wenn er das für angezeigt hält. Desto besser für den, dem es zuerst gelingt, das Ziel zu erreichen!«

»Einverstanden!« erklärten Cyprien, Annibal Pantalacci und Friedel.

»Wann werden Sie aufbrechen?« fragte John Watkins, dem diese Vereinigung von Kräften vierfache Hoffnung auf Wiedererlangung seines Diamanten eröffnete.

»Morgen mit dem Eilwagen von Potchefstrom,« antwortete Friedel. »Es ist auf keine Weise daran zu denken, vor diesem dorthin zu kommen.«

»Einverstanden!«

Inzwischen hatte Alice Cyprien bei Seite genommen und ihn gefragt, ob er wirklich glaube, daß Matakit der Urheber eines solchen Diebstahls sein könne.

»Miß Watkins,« antwortete der junge Ingenieur, »ich muß wohl zugestehen, daß alle Anzeichen gegen ihn sprechen, vorzüglich da er die Flucht ergriffen hat. Was mir aber ebenso gewiß scheint, ist, daß Annibal Pantalacci ganz das Aussehen hat, als könnte er so Manches über das Verschwinden des Diamanten sagen! Welche Galgenphysiognomie! . . . Und einen solchen Mann als Theilhaber anzunehmen! Doch Noth bricht ja Eisen! Es däucht mir immer noch besser, ihn unter der Hand zu haben und überwachen zu können, als ihn allein und ganz nach Gefallen schalten zu lassen!«

Die vier Bewerber nahmen bald Abschied von John Watkins und dessen Tochter. Wie es unter solchen Verhältnissen natürlich erscheint, gestaltete sich die Verabschiedung ziemlich kurz und beschränkte sich nur auf einen gegenseitigen Händedruck. Was hätten sie auch sprechen sollen, diese Rivalen, die zwar miteinander aufbrachen und sich doch im Grunde gegenseitig zum Teufel wünschten.

Nach Hause zurückgekehrt, fand Cyprien Lî und Bardik. Seit seinem Dienstantritte bei ihm, hatte der junge Kaffer sich stets voller Eifer gezeigt. Der Chinese und er schwatzten eben ein wenig auf der Schwelle der Thür und der junge Ingenieur kündigte ihnen an, daß er in Gesellschaft Friedel's, James Hilton's und Annibal Pantalacci's abreisen werde, um die Verfolgung des davongegangenen Matakit aufzunehmen.

Da wechselten Beide einen Blick – nur einen einzigen; dann traten sie näher heran, ohne ein Wort über den Flüchtling selbst fallen zu lassen.

»Väterchen,« sagten sie zusammen, »nimm uns auch mit, wir bitten Dich inständig darum!«

»Euch mitnehmen? . . . Und wozu?«

»Um Dir den Kaffee, das Essen zu bereiten,« antwortete Bardik.

»Und um Deine Wäsche in Stand zu halten,« ließ sich Lî vernehmen.

»Um Uebelthäter zu hindern, daß sie Dir Schaden zufügen!« schlossen Beide, als ob sie sich verabredet hätten.

Cyprien betrachtete sie, mit einem dankbaren Blicke.

»Gut,« erklärte er, »ich nehme Euch, da Ihr es ausdrücklich wünscht, Beide mit!«

Hierauf suchte er noch den alten Jacobus Vandergaart auf, dem er ein Lebewohl sagte und der es weder billigte noch mißbilligte, daß Cyprien sich dieser Expedition anschloß, aber ihm noch die Hand drückte und glückliche Reise wünschte.

Am folgenden Morgen, als er sich in Begleitung seiner beiden treuen Diener nach dem Lager von Vandergaart begab, um den Eilwagen nach Potchefstrom zu besteigen, richtete der junge Ingenieur noch einmal die Augen nach der Farm Watkins, welche noch in tiefem Schlummer zu liegen schien.

War es eine Täuschung? Er glaubte hinter dem weißen Mousselin eines der Fenster eine leichte Gestalt wahrzunehmen, die im Augenblicke, als der Wagen fortrollte, ihm noch ein letztes Lebewohl zuwinkte.

 


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