Jules Verne
Der Südstern
Jules Verne

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Capitel

»Der Südstern«

Die Nachricht von der Rückkehr Jacobus Vandergaart's hatte sich natürlich schnell verbreitet. Alle Welt kam nun nach der Farm gelaufen, um das Wunder der Kopje wenigstens zu sehen. Man vernahm dabei auch sehr bald, daß der Diamant der Miß Watkins gehöre, daß aber ihr Vater viel mehr als sie selbst der Inhaber desselben sei.

Die allgemeine Neugier wendete sich also diesem Diamanten zu, einem Werk der Menschenhand und nicht der schöpferischen Natur.

Es muß hier bemerkt werden, daß von dem künstlichen Ursprung des Diamanten noch nichts in die Oeffentlichkeit gedrungen war. Einestheils wären die Steingräber des Griqualandes nicht so unverständig gewesen, ein Geheimniß auszuplaudern, welches ihren unmittelbaren Ruin herbeiführen mußte; andererseits hütete sich Cyprien, dem Zufall zu sehr zu vertrauen, hatte noch nichts in dieser Beziehung ausgesprochen und sich vorgenommen, seinen Bericht über den ›Südstern‹ nicht eher abzusenden, als bis er den Erfolg seines Verfahrens durch einen zweiten Versuch bestätigt hatte. Was er ein erstes Mal vollbracht, das wollte er auch ein zweites Mal im Stande sein.

Die allgemeine Aufmerksamkeit war also außerordentlich erregt, und John Watkins hätte sich schon anstandshalber nicht weigern können, dieselbe zu befriedigen, ganz abgesehen davon, daß sie ja seiner Eitelkeit schmeichelte. Er brachte den ›Südstern‹ auf leichter weißer Unterlage auf einer kleinen weißen Marmorsäule an, die sich in der Mitte über dem Kamin seines Besuchszimmers erhob, und den ganzen Tag lang blieb er davor in seinem Lehnstuhl sitzen, wachte über das unvergleichliche Juwel und zeigte dasselbe Jedem, der da kam.

James Hilton war der Erste, der ihn darauf aufmerksam machte, wie unklug ein solches Benehmen sei. Bedachte er wohl, welche Gefahren er über sein Haupt heraufbeschwor, wenn er so Aller Augen den enormen Werth, den er unter seinem Dache barg, preisgab? Nach Hilton's Ansicht war es unumgänglich nöthig, von Kimberley eine specielle Polizeiwache zu erbitten, oder es könnte vielleicht schon die nächste Nacht nicht ohne ein Unglück verlaufen.

Erschrocken über diese Möglichkeit, beeilte sich Mr. Watkins, dem weisen Rathe seines Gastes zu folgen, und athmete erst wieder auf, als er gegen Abend einen Trupp berittener Policemen ankommen sah. Diese vierundzwanzig Mann wurden in den Nebengebäuden der Farm untergebracht.

Der Zufluß von Neugierigen nahm in den nächsten Tagen nur noch mehr zu, und der Ruhm des »Südsterns« hatte bald die Grenzen des Bezirks überschritten, um sich bis nach den entferntesten Städten zu verbreiten. Die Tagesblätter der Colonie widmeten spaltenlange Artikel der Beschreibung seiner Größenverhältnisse, seiner Form und Farbe, sowie seines Glanzes. Das Telegraphenkabel von Durban übernahm es, diese Einzelheiten über Zanzibar und Aden zuerst nach Europa und Asien, und dann nach Nord- und Süd-Amerika und nach Oceanien zu übermitteln. Photographen rissen sich um die Ehre, ein Bild des wunderbaren Diamanten aufzunehmen. Im Auftrage illustrirter Journale kamen Zeichner angereist, denselben für ihre Blätter darzustellen. Endlich wurde die Sache für die ganze Welt zu einem wirklichen Ereigniß.

Jetzt mischte sich auch die Fabel mit hinein. Unter den Steingräbern circulirten phantastische Geschichten über die geheimnißvollen Eigenschaften, die ihm zugeschrieben wurden. Man raunte einander zu, daß ein schwarzer Stein unbedingt »Unglück bringen müsse.« Erfahrene Leute schüttelten den Kopf und erklärten, daß sie diesen Feuerstein viel lieber bei Watkins, als im eigenen Hause sähen. Kurz, üble Nachreden und selbst Verleumdungen, welche von jeder Berühmtheit unzertrennlich sind, fehlten auch dem ›Südstern‹ nicht – der sich ganz natürlich darum nicht im Mindesten kümmerte, denn er goß wie zuvor

. . . Ströme von Licht
Auf jeden obscuren Bösewicht!

Mit John Watkins lag das freilich ganz anders, da diesen jenes Geschwätz bald zur Verzweiflung brachte. Es erschien ihm, als würde der Werth des Steines dadurch einigermaßen herabgesetzt, und er empfand das als eine Art persönliche Beleidigung. Nachdem der Gouverneur der Colonie und die Officiere der benachbarten Garnisonen, die Stadtcommandanten, die Beamten und alle Volksvertretungen herbeigekommen waren, seinem Edelsteine ihre Huldigungen darzubringen, erblickte er in den mehr als freimüthigen Aeußerungen, die man sich über seinen Besitz erlaubte, fast eine Gotteslästerung.

Ebenso um diesen Alfanzereien ein Ende zu machen, wie seinen von jeher etwas lüsternen Gaumen einmal wieder zufrieden zu stellen, beschloß er einen großen Schmaus zu geben, zu Ehren des ihm so an's Herz gewachsenen Diamanten, den er noch immer in klingende Münze umzusetzen hoffte, was Cyprien auch dagegen sagen und so sehr seine Tochter wünschen mochte, ihn wie er war zu behalten.

So stark ist der Einfluß des Magens auf eine große Zahl Menschen, daß schon die Anzeige von dieser Mahlzeit hinreichte, von diesem Tage zum anderen die öffentliche Meinung in dem Vandergaart-Lager völlig umzuwandeln. Da hörte man die Leute, welche sich früher am mißliebigsten über den ›Südstern‹ ausgesprochen hatten, plötzlich einen anderen Ton anschlagen und aussprechen, daß dieser Stein doch an der ihm zugeschriebenen schlechten Wirkung ganz unschuldig sei, und darauf nahmen sie die Einladung zu John Watkins mit großem Vergnügen an.

Von diesem Feste im Becken des Vaal sollte sehr lange die Rede sein. An dem betreffenden Tage fanden sich achtzig Gäste zur Tafel unter einem großen Zelte ein, das an die Wand des Empfangszimmers, welche man gleich entfernt hatte, angebaut wurde.

Ein »Baron royal«, ein gewaltiger Braten, bestehend aus einem ganzen Ochsenrücken, nahm die Mitte des Tisches ein und wurde von ganzen Lämmern und Vertretern aller Arten Wild des Landes umringt. Berge von Gemüse und Früchten, zahlreiche Biertonnen und Weinfässer, welche an verschiedenen Stellen übereinandergelagert und schon mit Abzapfhähnen versehen waren, vervollständigten die Anordnung dieser wahrhaft üppigen Tafel.

Auf seinem Sockel und umgeben von brennenden Kerzen stand der ›Südstern‹ gleich hinter dem Rücken John Watkins' bei dem Festmahle, das ja zu seiner Ehre gegeben wurde.

Die Bedienung bildeten zwanzig, für diese Gelegenheit engagirte Kaffern unter der Anführung Matakit's, der sich erboten hatte, diese – mit Erlaubniß seines Herrn – zu commandiren.

Hier befanden sich außer der Polizeimannschaft, welcher Mr. Watkins auf diese Weise seinen Dank abstatten wollte, alle hervorragenden Persönlichkeiten des Lagers und der Umgebung, Mathys Pretorius, Nathan, James Hilton, Annibal Pantalacci, Friedel, Thomas Steel und fünfzig Andere.

Selbst die Thiere der Farm, die Büffel, Hunde und vorzüglich die Strauße der Miß Watkins erhielten ihren Theil von dem Feste, indem sie herankamen, einige Brosamen von der Tafel zu erbetteln.

Alice saß ihrem Vater gegenüber am anderen Ende des Tisches und machte mit der ihr angeborenen Grazie die Honneurs, doch nicht ohne einen geheimen Kummer, obgleich sie völlig den Grund der Abwesenheit von zwei gewissen Personen begriff; weder Cyprien Méré, noch Jacobus Vandergaart nahmen an dem Festgelage Theil.

Der junge Ingenieur hatte immer soviel als möglich die Gesellschaft Friedel's, Pantalacci's und der Genossen dieser Leute gemieden. Außerdem kannte er seit seiner Entdeckung deren wenig wohlwollende Gesinnung gegen ihn und sogar ihre Drohung gegen den Erfinder der künstlichen Herstellung von Diamanten, wodurch sie vollständig zu Grunde gerichtet zu werden fürchten mußten. Er hatte sich also zurückgehalten und war der Einladung zur Tafel nicht gefolgt. Jacobus Vandergaart, dem gegenüber John Watkins nicht unversucht ließ, ihn gegen sich freundlich zu stimmen, hatte Alles von Anfang her glatt zurückgewiesen.

Das Bankett ging allmählich zu Ende. Wenn es in guter Ordnung verlief, kam das daher, daß die Anwesenheit der Miß Watkins selbst den rohesten Gästen einen gewissen Zwang zu äußerer Wohlanständigkeit auferlegte, obwohl Mathys Pretorius wie immer als Zielscheibe für schlechte Witze Annibal Pantalacci's dienen mußte, indem dieser dem unglücklichen Boër die unsinnigsten Bären aufband. So sollte unter dem Tische plötzlich ein Feuerwerk abgebrannt werden! . . . Man erwarte nur, daß Miß Watkins sich zurückziehe, um den dicksten Mann der Gesellschaft zu verurtheilen, zwölf Flaschen Gin in einem Zuge zu trinken! . . . Oder es sei beabsichtigt, das Gelage mit einem großen Faustkampfe und einem allgemeinen Gefechte mit Revolvern zu beschließen.

Er wurde dabei aber unterbrochen von John Watkins, der in seiner Eigenschaft als Präsident des Banketts mit dem Messergriffe auf den Tisch klopfte, um die herkömmlichen Toaste auszubringen.

Sofort ward es still. Der Gastgeber erhob sich in ganzer Länge, stützte beide Daumen auf das Tischtuch und begann seinen Speech mit einer durch reichliches Trinken etwas unsicher gewordenen Stimme.

Er sagte unter Anderem, daß dieser Tag die wichtigste Erinnerung aus seinem Leben als Steingräber und Ansiedler bleiben werde.

Nachdem er geschildert, wie hart es ihm in der Jugend gegangen, und wie er sich jetzt hier im reichen Griqualand von achtzig Freunden umgeben sähe, um den größten Diamanten der Welt zu feiern, sei das für ihn eine Freude, die er nimmermehr vergessen könne! . . . Vielleicht könne ja morgen einer der ehrenwerthen Gäste eben so gut einen noch größeren Stein finden! . . . Das sei eben das Interessante, die Poesie des Diamantengrabens! (Lebhafte Zustimmung.) Dieses Glück wünschte er vor Allem seinen Freunden und Gästen! . . . (Lächeln, Beifall.) Er glaube sogar versichern zu können, daß Derjenige nur sehr schwer zu befriedigen sein müsse, der sich jetzt an seiner Stelle nicht zufriedengestellt fühlte! . . . Zum Schlusse lud er die Tischgenossen ein, auf das Gedeihen des Griqualands, auf die Beständigkeit des Marktpreises der Diamanten – wie stark sich auch die Concurrenz darin entwickeln möchte – zu trinken, endlich aber auch auf die glückliche Reise des »Südsterns«, der nun hinaus solle in die Welt, zuerst nach dem Cap und dann nach England, um seinen Glanz bewundern zu lassen.

»Aber,« sagte Thomas Steele, »ist es nicht mit einiger Gefahr verknüpft, einen Stein von so großem Werthe nach dem Cap zu senden?«

»O, er wird natürlich sichere Begleiter haben,« erwiderte Mr. Watkins. »Es sind schon viele Diamanten in solcher Weise befördert worden und glücklich an's Ziel gekommen.«

»Sogar der des Herrn Dueurix de Sancy,« sagte Alice, »und doch möchte er ohne die Opferwilligkeit eines einfachen Dieners . . .«

»Nun, was ist ihm denn so Außerordentliches zugestoßen?« fragte James Hilton.

»So hören Sie die Anekdote,« antwortete Alice, ohne sich erst darum bitten zu lassen.

»Herr de Sancy war ein französischer Edelmann am Hofe Heinrichs III. Er besaß einen berühmten Diamanten, der noch heute nach seinem Namen genannt wird. Nebenbei gesagt hatte dieser Edelstein schon vorher zahlreiche Abenteuer erlebt. Er gehörte nämlich anfänglich Karl dem Furchtsamen, der ihn bei sich trug, als er unter den Mauern von Nancy getödtet wurde. Ein Schweizersoldat fand später den Stein auf der Leiche des Herzogs von Burgund und verkaufte ihn für einen Gulden an einen armen Geistlichen, der ihn für fünf oder sechs Gulden wieder an einen Juden abtrat. Zur Zeit, als er sich im Besitz des Herrn de Sancy befand, war der königliche Schatz einmal stark in Geldverlegenheit und Herr de Sancy ließ sich dazu herbei, seinen Diamanten als Pfand herzugeben, um dem König den Geldwerth desselben zu verschaffen. Der Darleiher befand sich aber in Metz. Der Edelstein mußte also einem Diener anvertraut werden, der ihn diesem hinschaffte.«

»›Fürchten Sie nicht, daß dieser Mensch damit nach Deutschland entfliehen könne?‹ fragte Jemand Herrn de Sancy.

»›Ich bin seiner sicher!‹ antwortete dieser.

»Trotz dieser Sicherheit kam weder der Mann, noch der Diamant in Metz an. Auch der Hof fing endlich an, sich über Herrn de Sancy zu moquiren.«

»›Ich bin meines Dieners sicher,‹ wiederholte dieser. ›Er muß ermordet worden sein.‹

»Und wirklich, bei genauer Nachforschung fand sich dessen Leichnam in einem Straßengraben.

»›Oeffnet ihn!‹ sagte Herr de Sancy. ›Der Diamant muß sich in seinem Magen vorfinden!‹«

»Man that, wie er sagte, und seine Voraussage fand sich bestätigt. Der einfache Held, dessen Namen die undankbare Geschichte nicht einmal aufbewahrt hat, war seiner Pflicht und der Ehre treu geblieben bis zum Tode, und verdunkelte durch den Glanz seiner Handlungsweise – darüber meldet ein alter Chronist – den Glanz und den Werth des Juwels, das er beförderte.«

»Es sollte mich sehr wundern,« setzte Alice als Beendigung ihrer Erzählung hinzu, »wenn der ›Südstern‹ im gegebenen Falle während seiner Reise nicht Jemand dieselbe Ergebenheit einzuflößen im Stande wäre!«

Einstimmiger Beifall begrüßte die Worte der Miß Watkins, achtzig Arme erhoben die gleiche Anzahl Gläser und alle Augen wendeten sich unwillkürlich nach dem Kamin, um dem unvergleichlichen Edelstein daselbst ihre Huldigung darzubringen.

Der ›Südstern‹ war nicht mehr auf seinem Sockel, wo er noch kurz vorher hinter dem Rücken John Watkins' geflammt hatte.

Das Erstaunen der achtzig Gesichter war ein so sprechendes, daß der Gastgeber sich sofort umdrehte, um dessen Ursache zu ergründen.

Kaum hatte er den Grund desselben wahrgenommen, als man ihn, wie vom Blitze getroffen, bleich in seinen Sessel zurücksinken sah.

Alle drängten sich um ihn, lüfteten ihm die Cravate, spritzten ihm Wasser in's Gesicht . . . er erwachte endlich aus seiner Betäubung.

»Der Diamant!« kreischte er mit entsetzlicher Stimme. »Der Diamant! Wer hat den Diamanten genommen?«

»Daß Niemand hier weggeht, meine Herren!« befahl der Anführer der Polizei-Abtheilung, der schon den Ausgang des Saales besetzen ließ.

Alle Tischgenossen sahen sich erschreckt an und tauschten ihre Meinung mit gedämpfter Stimme gegenseitig aus. Nicht fünf Minuten waren verflossen, als die Meisten von ihnen den Diamanten noch gesehen oder wenigstens noch zu sehen geglaubt hatten. Trotzdem konnte sich Niemand der Thatsache verschließen, daß der Diamant verschwunden war.

»Ich verlange, daß alle Anwesenden visitirt werden, ehe sie weggehen!« schlug Thomas Steele mit seiner gewöhnlichen Geradheit vor.

»Ja! . . . Ja! . . .« antwortete die Versammlung scheinbar einstimmig.

Dieser Vorschlag schien John Watkins einen Schimmer von Hoffnung wiederzugeben.

Der Polizeiofficier ließ also alle Tischgäste längs einer Seite des Raumes aufstellen und begann dieselben nacheinander der peinlichsten Untersuchung zu unterziehen. Er drehte alle ihre Taschen um, ließ sie die Schuhe ausziehen und überall an der Kleidung betasten. Dann verfuhr er ganz ebenso mit seinen eigenen Leuten. Endlich mußten die Gäste einzeln an ihm vorübergehen und wurden dabei noch mehrmals der genauesten Besichtigung unterworfen.

Diese Untersuchungen führten zu keinem Resultate.

Alle Ecken und Winkel des Raumes wurden sodann mit größter Gewissenhaftigkeit abgesucht. Nirgends fand sich auch nur eine Spur von dem Diamanten.

»So sind nur noch die Kaffern übrig, welche bei der Tafel aufgewartet haben,« sagte der Polizeiofficier, der nicht gern unverrichteter Sache abziehen wollte.

»Das ist klar! . . . Die Kaffern sind es gewesen!« tönte ihm als Antwort entgegen. »Sie sind von Natur Diebe genug, um diesen Streich ausgeführt zu haben.«

Die armen Teufel hatten sich indeß schon vorher zurückgezogen, ehe John Watkins seinen Toast ausbrachte, da sie nicht mehr von Nöthen waren. Sie kauerten draußen Alle zusammen um ein großes Feuer, das unter freiem Himmel emporloderte, und nachdem sie von übriggebliebenem Fleisch sich ein Gütchen gethan, begannen sie eben ein Concert, wie es im Kaffernlande Mode ist. Aus einer Kürbisflasche bestehende Guitarren, Flöten, welche mit der Nase angeblasen wurden, hellklingende Tam-tams aller Art intonirten eben das ohrzerreißende Geräusch, welches jeder musikalischen Aufführung der Eingebornen Südafrikas vorhergeht.

Die Kaffern verstanden zuerst gar nicht recht, was man von ihnen wollte, als sie zurückgerufen wurden, um bis auf ihre mangelhafte Bekleidung untersucht zu werden. Sie begriffen nun, daß es sich um den Diebstahl eines Diamanten von hohem Werthe handelte.

Wie die vorhergehenden Untersuchungen, erwies sich auch diese völlig fruchtlos.

»Wenn sich der Dieb unter den Kaffern befindet – und er muß unter diesen zu suchen sein – so hat er zehnmal Zeit genug dazu gehabt, seinen Diebstahl an sicherem Ort zu verbergen!« bemerkte sehr richtig einer der Tischgäste.

»Das liegt auf der Hand,« stimmte der Polizei-Officier zu, »und es giebt vielleicht nur ein Mittel, sie zum Geständniß zu bringen, indem wir ihnen einen Wahrsager aus ihrem eigenen Stamme auf den Hals schicken. Einem solchen gelingt es nicht so selten . . .«

»Wenn Sie gestatten,« fiel da Matakit ein, der sich noch bei seinen Landsleuten befand, »so will ich den Versuch vornehmen!«

Das Anerbieten wurde ohne Säumen angenommen, und die Gäste bildeten einen Kreis um die Kaffern. Dann ging Matakit, der ja in der Rolle eines Wahrsagers geübt war, daran, seine Vorbereitungen zu treffen.

Zunächst begann er damit, zwei oder drei tüchtige Priesen Tabak aus der Horndose zu nehmen, die ihn niemals verließ.

»Ich werde jetzt zur Ruthenprobe verschreiten!« kündete er nach dieser einleitenden Procedur an.

Er holte darauf von einem nahestehenden Busche zwanzig dünne Zweige, die er genau abmaß und ganz gleichmäßig, nämlich auf zwölf Zoll englisch, zuschnitt. Dann vertheilte er diese unter die Kaffern, welche in Reih' und Glied standen, nachdem er für sich selbst eine solche Ruthe bei Seite gelegt hatte.

»Jetzt mögt Ihr eine Viertelstunde hingehen, wohin Ihr wollt,« sagte er feierlichen Tones zu seinen Landsleuten, »und werdet nicht eher wiederkommen, als bis Ihr einen Tam-tam anschlagen hört. Wenn sich der Dieb unter Euch befindet, so wird seine Ruthe um drei Querfinger länger geworden sein.«

Die Kaffern zerstreuten sich, nicht besonders angenehm berührt von dieser Vorrede, da sie recht wohl wußten, daß man im Griqualand kurzen Processes einen Uebelthäter schnell dingfest machte und ihn auch, selbst ohne eine Frist zu seiner Vertheidigung zu gewähren, kurzer Hand aufhängte.

Die Gäste, welche diesen Vorbereitungen mit erklärlichem Interesse gefolgt waren, sprachen darüber Jeder seine eigene Meinung aus.

»Der Dieb wird sich hüten, wiederzukommen; er befindet sich offenbar unter diesen Kerlen,« warf Einer ein.

»Nun, das würde ihn ja gerade als solchen bezeichnen,« antwortete ein Anderer.

»Bah! Er wird geriebener als Matakit sein und schneidet sich einfach drei Finger breit ein Stück von seiner Ruthe ab, um das befürchtete Wachsthum derselben auszugleichen.«

»Das mag der Wahrsager wohl erwarten und eine so unüberlegte Verkürzung würde ja hinreichen, den Schuldigen zu erkennen zu geben.«

Inzwischen waren die fünfzehn Minuten abgelaufen, und mit einem kräftigen Tamtamschlage rief Matakit die Angeklagten zurück.

Sie erschienen alle bis auf den Letzten, stellten sich vor diesem auf und lieferten ihre Gerten wieder ab.

Matakit nahm diese, bildete daraus ein Bündel und überzeugte sich, daß alle fünfundzwanzig noch gleich lang waren. Er mußte dieselben also bei Seite legen und auf Grund der entscheidenden Probe erklären, daß seine Landsleute alle ehrlich seien, als ihm eben noch einfiel, die Länge der zurückgegebenen Ruthen mit der, welche er zurück behalten, zu vergleichen. Alle waren um drei Fingersbreiten zu kurz.

Die armen Teufel hatten es für gerathen erachtet, diese Vorsicht zu gebrauchen gegen eine Erscheinung, welche ihren abergläubischen Vorstellungen nach recht wohl zu Stande kommen konnte. Das wies nun freilich nicht auf besonders reines Gewissen der Leute hin, und wahrscheinlich hatten schon Alle im Laufe des Tages einen Diamanten gestohlen.

Allgemeines Gelächter begleitete die Constatirung dieses unerwarteten Ereignisses. Matakit senkte die Augen und schien tief beschämt, daß ein Mittel, dessen Zuverlässigkeit ihm in seinem Kraal oft genug nachgewiesen worden war, sich im civilisirten Leben so machtlos erweise.

»Herr Watkins,« begann da der Anführer der Polizeimannschaft mit einer Verbeugung gegen den Farmer, der eine Beute der Verzweiflung in seinem Lehnstuhle sitzen geblieben war, »wir müssen diesem Vorfall gegenüber unsere Ohnmacht bekennen. Vielleicht sind wir morgen glücklicher, wenn wir Jedem, der uns auf die Spur des Diebes führt, eine hohe Belohnung in Aussicht stellen.«

»Der Dieb!« rief da Annibal Pantalacci, »warum sollte es nicht Der sein, den sie beauftragten, über seine Stammesgenossen abzuurtheilen?«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Polizeiofficier.

»Nun . . . jener Matakit, der, indem er die Rolle des Wahrsagers übernahm, hoffen durfte, jeden Verdacht von sich fernzuhalten!«

Wer jetzt auf ihn geachtet hätte, müßte haben sehen können, wie Matakit das Gesicht auf eigenthümliche Weise verzog, sofort den Saal verließ und sich seitwärts nach seiner Hütte wandte.

»Ja,« fuhr der Neapolitaner fort, »er gehört ja auch selbst zu denen, welche bei Tische aufwarteten. Er ist ein Spitzbube, ein Schurke, dem Herr Méré, man begreift nicht warum, seine besondere Zuneigung geschenkt hat.«

»Matakit ist ehrlich, dafür stehe ich ein!« erklärte Miß Watkins, bereit den Diener Cypriens zu vertheidigen.

»Wie kannst Du das wissen?« erwiderte John Watkins. »Ja, ja, er wäre wohl im Stande, selbst die Hand nach dem ›Südstern‹ ausgestreckt zu haben.«

»Nun, er kann ja nicht weit sein!« meinte der Polizeiofficier. »Wir werden ihn binnen einer Minute visitirt haben. Findet sich der Diamant in seinem Besitz, so bekommt er so viel Peitschenhiebe, als dieser Karate wog, und wenn er daran nicht stirbt, wird er mit dem vierhundertzweiunddreißigsten aufgehenkt!«

Miß Watkins zitterte vor Furcht. Alle die halbwilden Leute jubelten dem schrecklichen Urtheile des Officiers zu. Doch wie hätte sie diese rohen, gewissen- und mitleidslosen Menschen zu bändigen vermocht?

Einen Augenblick später standen Mr. Watkins und seine Gäste vor Matakit's Hütte, deren Thür erbrochen wurde.

Matakit war nicht da, und vergeblich suchte man nach ihm die ganze Nacht.

Auch am folgenden Morgen war nichts von ihm zu sehen, und man mußte nun wohl annehmen, daß er die Vandergaart-Kopje verlassen habe.

 


 << zurück weiter >>