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V.
Die Vergeltung.

Graf Mathias Sandorf hatte Maria und Luigi Ferrato die Schuld seiner Erkenntlichkeit abgetragen. Frau Bathory, Peter und Sarah waren vereinigt. Auf den Lohn sollte nun noch die Vergeltung folgen.

Während der Tage, die der Niederlage der Senusisten folgten, war das Personal der Insel thätig, Alles wieder in Stand zu setzen. Bis auf einige unbedeutende Wunden waren Peter, Luigi, Pointe Pescade und Kap Matifu – das heißt also alle Diejenigen, welche in intimeren Beziehungen zu den Ereignissen dieses Dramas standen – heil und gesund geblieben. Daß sie sich trotzdem nicht geschont hatten, wußte Jeder. Das war eine Freude, als sie in das Stadthaus zu Sarah Sandorf, Maria Ferrato, Frau Bathory und dem alten Borik zurückkehrten. Nachdem den Gefallenen die letzte Ehre erwiesen worden war, konnte die kleine Kolonie wieder in das ruhige Geleise ihrer sorgenfreien Existenz zurückkehren, die in Zukunft höchst wahrscheinlich nicht mehr gestört werden wird. Die Niederlage der Senusisten kam einer Vernichtung derselben gleich und Sarcany, der Jene zum Feldzuge gegen Antekirtta aufgereizt hatte, war nicht mehr da, um ihnen Gedanken des Hasses und der Rache einzugeben. Der Doctor verharrte trotzdem bei seiner Absicht, sein Vertheidigungssystem in kürzester Frist zu Ende zu führen. Artenak sollte nicht nur vor jedem Handstreiche in Sicherheit gebracht werden, sondern auch auf keinem einzigen Punkte mehr eine Lücke bieten, wo eine Landung möglich war. Man wollte sich auch damit beschäftigen, neue Kolonisten in das Land zu ziehen, denen die Reichthümer des Bodens ein wirkliches Wohlergehen verschaffen mußten.

Jetzt konnte der Verehelichung Peter Bathory's mit Sarah Sandorf nichts mehr im Wege stehen. Die Ceremonie war ursprünglich auf den 19. December anberaumt gewesen: sie sollte auch an diesem Tage von Statten gehen. Pointe Pescade nahm sein Vergnügungs-Programm von Neuem in Angriff, welches durch den Ueberfall der afrikanischen Piraten unterbrochen worden war.

Ohne Verzug sollte auch über das Schicksal Sarcany's, Silas Toronthal's und Carpena's Beschluß gefaßt werden. Sie waren abgesondert in den Kasematten des Forts untergebracht worden und wußten nicht, daß sie sämmtlich in der Gewalt des Doctors Antekirtt wären.

Am 6. December, zwei Tage nach dem Rückzuge der Senusisten, ließ der Doctor sie in das Stadthaus führen, woselbst er mit Peter und Luigi ihnen entgegentrat.

Hier sahen sich die Gefangenen vor dem Gerichtshofe von Artenak, der aus den höchsten Beamten der Kolonie bestand, unter der Hut einer Abtheilung Milizen zum ersten Male wieder.

Carpena erschien beunruhigt; seine Physiognomie hatte indessen noch nichts von ihrem tückischen Aussehen eingebüßt; er warf nach links und rechts verstohlene Blicke und wagte nicht, seine Augen zu seinen Richtern aufzuschlagen.

Silas Toronthal, sehr niedergeschlagen aussehend, senkte den Kopf und floh instinctiv die Berührung mit seinem einstigen Genossen.

Sarcany hatte nur ein Gefühl – die Wuth, in die Hände dieses Doctors Antekirtt gefallen zu sein.

Luigi stellte sich nunmehr vor die Richter und ergriff das Wort. Er wandte sich an den Spanier.

»Carpena, sagte er, ich bin Luigi Ferrato, der Sohn des Fischers von Rovigno, den Deine Angeberei in das Zuchthaus zu Stein gebracht hat, wo er gestorben ist.«

Carpena hatte sich einen Augenblick abgewendet. Eine Anwandlung von Wuth trieb ihm das Blut in die Augen. Es war also doch Maria gewesen, die er in den Gassen das Manderaggio auf Malta erkannt zu haben glaubte, und ihr Bruder, Luigi Ferrato, war es, der ihn jetzt beschuldigte.

Peter trat nun ebenfalls vor und streckte den Arm gegen den Bankier aus:

»Silas Toronthal, sagte er, ich heiße Peter Bathory und bin der Sohn Stephan Bathory's, desselben ungarischen Patrioten, den Sie im Einverständniß mit Ihrem Mitschuldigen Sarcany feiger Weise der Polizei von Triest angezeigt und dadurch in den Tod getrieben haben.«

Dann zu Sarcany gewendet:

»Ich heiße Peter Bathory, den Sie in einer Straße Ragusa's zu ermorden versuchten. Ich bin der Verlobte Sarah's, der Tochter des Grafen Mathias Sandorf, die Sie vor fünfzehn Jahren aus dem Schlosse Artenak rauben ließen.«

Silas Toronthal war es zu Muthe, als hätte ihn ein Keulenschlag niedergeschmettert, als er mit einem Male Peter Bathory leibhaftig vor sich stehen sah.

Sarcany hatte die Arme über die Brust gekreuzt und bis auf ein leichtes Zittern seiner Augenlider bewahrte er vollständig seine unverschämte Unbeweglichkeit.

Weder Silas Toronthal noch Sarcany erwiderten etwas. Was hätten sie ihrem Opfer, das aus dem Grabe auferstanden schien, um sie anzuklagen, auch erwidern sollen?

Etwas ganz anderes war es, als Doctor Antekirtt auftauchte und mit ernster Stimme sagte:

»Und ich, ich bin der Freund Ladislaus Zathmar's und Stephan Bathory's, die durch Euren Verrath im Hofe der Festung Pisino die Füsilade erhielten. Ich bin der Vater Sarah's, die Ihr entführt habt, um Euch ihr Vermögen anzueignen ... Ich bin Graf Mathias Sandorf!«

Die Wirkung dieser Erklärung war, daß die Knie Silas Toronthal's fast den Boden berührten, während Sarcany sich beugte, als wollte er in sich selbst zurückkriechen.

Die drei Angeklagten wurden nun nacheinander verhört. Ihre Verbrechen waren solcher Art, daß sie weder geleugnet werden konnten, noch daß eine Gnade möglich war. Der Vorsitzende des Gerichtshofes erinnerte Sarcany daran, daß der durch sein persönliches Eingreifen veranlaßte Sturm auf die Insel eine große Anzahl Opfer gefordert habe, deren Blut nach Rache schreie. Nachdem er den Gefangenen völlige Freiheit zu ihrer Vertheidigung gewährt hatte, berief er sich auf das Gesetz, und gemäß dem Rechte, welches ihm diese regelrechte Verhandlung verlieh, verkündete er das Urtheil:

»Silas Toronthal, Sarcany, Carpena, Ihr habt den Tod Stephan Bathory's, Ladislaus Zathmar's und Andrea Ferrato's verschuldet. Ihr seid zum Tode verurtheilt!

– Wie Sie befehlen, erwiderte Sarcany, dessen Unverschämtheit wieder die Oberhand gewonnen hatte.

– Gnade!« rief Carpena feige.

Silas Toronthal hatte nicht die Kraft, etwas zu sprechen.

Man brachte die drei Verbrecher in ihre Kasematten zurück, wo sie sorgfältigst bewacht wurden.

Wie sollten diese Elenden hingerichtet werden? Sollten sie in einer Ecke der Insel füsilirt werden. Das hieße Antekirtta mit dem Blute der Verräther beschmutzen. Es wurde daher beschlossen, daß die Hinrichtung auf dem Eilande Kencraf vor sich gehen sollte.

Am selben Abend noch nahm einer der »Electrics«, der mit zehn Matrosen unter dem Befehle Luigi Ferrato's bemannt worden war, die Verurtheilten an Bord und führte sie auf das Eiland, wo sie bis Tagesanbruch auf das Executionspeloton warten sollten.

Sarcany, Silas Toronthal und Carpena mußten annehmen, daß ihr letztes Stündlein geschlagen habe. Als sie ans Land gesetzt worden waren, ging Sarcany auf Luigi zu und fragte:

»Heute Abend?«

Luigi antwortete nichts. Die drei Verurtheilten wurden allein gelassen und die Nacht brach schon an, als der »Electric« in Antekirtta wieder anlangte.

Die Insel war jetzt von der Gegenwart der Verräther befreit. Von dem Eiland Kencraf zu entfliehen war eine Unmöglichkeit, denn zwanzig Meilen trennten es von dem Festlande.

»Vor morgen Früh hat gewiß schon der Eine den Anderen aufgefressen, sagte Pointe Pescade.

– Puah!« schüttelte sich Kap Matifu vor Abscheu.

Die Nacht verging ungestört; nur im Stadthause konnte man beobachten, daß Graf Mathias Sandorf nicht einen Augenblick Ruhe fand. Er hatte sich in sein Zimmer eingeschlossen und verließ es erst wieder um fünf Uhr Morgens; er stieg in die Halle hinunter, wohin Peter Bathory und Luigi Ferrato sogleich bestellt wurden.

Ein Peloton Milizen war bereits im Hofe des Stadthauses aufgestellt; es wartete auf den Befehl, sich nach dem Eilande Kencraf einzuschiffen.

»Peter, Luigi, sagte Graf Sandorf, ist es auch gerecht, daß die Verräther zum Tode verurtheilt worden sind?

– Ja, sie verdienen ihn, antwortete Peter.

– Ja, setzte Luigi hinzu, kein Mitleid mit diesen Schurken!

– Die Gerechtigkeit ist also geübt, möge Gott ihnen die Gnade schenken, welche die Menschen ihnen verweigern mußten ...«

Graf Sandorf hatte kaum geendet, als eine furchtbare Explosion das Stadthaus und die ganze Insel erzittern machte, als hätte sie ein Erdbeben heimgesucht.

Graf Sandorf, Peter und Luigi stürzten ins Freie, während die erschrockene Bevölkerung schleunigst die Häuser von Artenak verließ.

Eine ungeheure Feuer- und Dampfgarbe, untermischt von enormen Felsblöcken und einem Hagel von Steinen, loderte in unermeßlicher Höhe zum Himmel auf. Dann fielen die Massen um die Insel in das Meer zurück, sie peitschten dasselbe zu Wogen auf und eine dicke Wolke blieb in der Luft hängen.

Von dem Eiland Kencraf war nichts übrig geblieben, die drei Verurtheilten waren durch die Explosion in unendlich viele Stückchen zerrissen worden.

Was war geschehen?

Man wird nicht vergessen haben, daß das Eiland für den Fall einer Landung der Senusisten nicht nur unterminirt worden war, sondern daß auch, falls der unterirdische Draht, der das Eiland mit Antekirtta verband, versagte, elektrische Apparate in das Erdreich eingelassen worden waren; es brauchte nur ein Fuß diese zu streifen und alle mit Panclastit gefüllten Flatterminen flogen mit einem Male in die Luft.

Zufällig mußte einer der Verurtheilten einem solchen Apparate zu nahe gekommen sein. Die Folge war die vollständige und sofortige Vernichtung des Eilandes.

»Gott hat uns die Schrecken einer Execution ersparen wollen,« sagte Graf Mathias Sandorf.

— — — — — — — — — —

Drei Tage später wurde die Hochzeit Peter Bathory's und Sarah Sandorf's in der Kirche von Artenak gefeiert. Bei dieser Gelegenheit unterschrieb sich Doctor Antekirtt mit seinem wahren Namen Mathias Sandorf. Er brauchte ihn jetzt nicht mehr zu verheimlichen, da Vergeltung geübt war.

Wenige Worte genügen, um unserer Erzählung einen Schluß zu geben.

Nach drei Wochen wurde Sarah Sandorf als Erbin der einbehaltenen Besitzungen des Grafen Sandorf anerkannt. Der Brief der Frau Toronthal, eine vom Bankier erlangte Erklärung – eine Erklärung, welche die Umstände und den Zweck der Entführung des Kindes erläuterte – hatten genügt, die Identität festzustellen. Was von der Besitzung in den Karpathen in Siebenbürgen noch übrig war, fiel ihr zu.

Graf Sandorf hätte jetzt auf Grund einer Amnestie, die inzwischen für sämmtliche politische Verbrecher erlassen worden war, in sein Vaterland und in seinen Besitz zurückkehren können. Wenn er auch öffentlich wieder Mathias Sandorf geworden war, so wollte er doch auch das Oberhaupt seiner großen Familie auf Antekirtta bleiben. Dort sollte sein Leben inmitten derer, die ihn verehrten, seinem Ende zugehen.

Die kleine Kolonie wuchs, Dank der neuen Bemühungen für ihr Wohl, zusehends. Gelehrte und Erfinder, durch den Grafen Sandorf dorthin berufen, brachten dort ihre Entdeckungen zur Ausführung, die ohne seine Rathschläge und das Vermögen, über welches er verfügte, für die Welt verloren gegangen sein würden. Antekirtta wurde bald der wichtigste Punkt des Meeres der Syrten und nach Beendigung seines Vertheidigungssystems war seine Sicherheit eine unverletzliche.

Was soll man noch von Frau Bathory, Maria und Luigi Ferrato, von Peter und Sarah erzählen? So etwas fühlt man besser, als man es ausspricht. Was von Pointe Pescade und Kap Matifu, die zu den angesehensten Kolonisten Antekirttas zählten? Sie bedauerten nur eines, keine Gelegenheit mehr zu haben, sich für den aufzuopfern, dem sie eine solche Existenz verdankten.

Graf Mathias Sandorf hatte sein Unternehmen zu einem glücklichen Ende geführt und wäre die Erinnerung an seine beiden Genossen, Stephan Bathory und Ladislaus Zathmar, nicht gewesen, so würde er vermuthlich ebenso glücklich gewesen sein, als es ein edelmüthiger Mann auf Erden ist, wenn er um sich Glück verbreiten kann.

Man möge weder im ganzen Mittelmeer noch in einem anderen Meere der Erdkugel – nicht einmal in der Gruppe der Fortunat-Inseln – nach einer Insel suchen, deren Glückseligkeit mit derjenigen Antekirttas rivalisiren könnte ... Es wäre das verlorene Mühe.

Als Kap Matifu im Rausche des Glückes einmal sagen zu müssen glaubte:

»Verdienen wir es denn wirklich, so glücklich zu sein? hatte Pointe Pescade ihm erwidert:

– Nein, mein Kap. Doch was willst Du? ... Man muß, wohl oder übel, sich so etwas gefallen lassen!«

 

Ende.

 


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