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»Siebzehn Mal?
– Siebzehn Mal.
– Ja! ... Roth hat siebzehn Mal gepaßt.
– Ist es möglich!
– Es scheint nicht möglich, und doch ist es so.
– Und die Spieler waren darauf versessen?
– Mehr als Neunmalhunderttausend Franken Gewinn für die Bank!
– Beim Roulette oder Trente et Quarante?
– Beim Trente et Quarante.
– Seit fünfzehn Jahren hat man das hier nicht gesehen.
– Seit fünfzehn Jahren, drei Monaten und vierzehn Tagen, erwiderte kühl ein alter Spieler, der zu der ehrenwerthen Klasse der Rupfer gehörte. Ja, mein Herr, und – ein merkwürdiger Umstand – es war im Hochsommer, am 16. Juni 1867 ... Ich kann etwas davon erzählen.«
So ungefähr lauteten die Ausrufe und Unterhaltungen, welche in dem Vestibül und bis in den Säulengang des Fremden-Cirkels in Monte Carlo hinein am Abend des dritten October, acht Tage nach dem Entweichen Carpena's aus der spanischen Strafanstalt laut wurden.
Inmitten dieser Menge von Spielern, Männern und Frauen jeder Nationalität, jedes Alters, jedes Standes erhob sich ein Geschwirr der Begeisterung. Man hätte am liebsten das Roth so bejubelt, wie man ein den Grand Prix eroberndes Pferd auf den Rennplätzen von Epsom und Longchamps feiert. Für diese Nomaden-Bevölkerung, welche die alte und die neue Welt täglich über das kleine Fürstenthum Monaco ergießen, hatte die Serie von siebzehn Mal ungefähr die Bedeutung eines politischen Ereignisses, welches das europäische Gleichgewicht aus der Lage bringt.
Man wird es gern glauben wollen, daß diese außergewöhnliche Hartnäckigkeit des Roth zahlreiche Opfer auf dem Schlachtfelde zurückließ, der Geldvorrats der Bank belief sich auf eine beträchtliche Summe. Fast eine Million, so sagte man in den verschiedenen Gruppen – woraus man schließen kann, daß fast die Gesammtheit der Gruppen von dieser beträchtlichen Summe in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Zwei Fremde namentlich hatten dem Moloch des grünen Tisches einen ansehnlichen Betrag opfern müssen. Der Eine, sehr kühl und in schroffer Haltung, obwohl auch er von großen Erregungen durchtobt war, deren Spuren sein bleiches Gesicht noch aufwies, der Andere mit empörten Mienen, mit in Unordnung gerathenen Haaren und den Blicken eines Irrsinnigen oder Verzweifelten, stiegen sie soeben die Stufen der Vorhalle hinunter, um sich in dem Schatten zu verlieren, der über der zum Taubenschießen hergerichteten Terrasse lag.
»Mehr als viermalhunderttausend Franken kostete uns diese verwünschte Serie, rief der Aeltere.
– Sie können getrost viermalhundertunddreizehntausend sagen, gab der Jüngere zurück mit dem Tone eines Cassiers, der soeben ein größeres Additionsexempel gemacht hat.
– Jetzt bleiben mir nur noch knapp zweimalhunderttausend Franken, fing der erste Spieler von Neuem an.
– Einmalhundertsiebenundachtzigtausend nur, antwortete der Andere mit seinem unerschütterlichen Phlegma.
– Ja! ... nur! ... von den zwei Millionen, die ich noch hatte, als Sie mich zwangen, Ihnen zu folgen.
– Eine Million, siebenhundertfünfundsiebzigtausend Franken.
– Und das innerhalb zweier Monate.
– Eines Monats und sechzehn Tage.
– Sarcany! rief der Aeltere, den die Kaltblütigkeit seines Genossen nicht weniger aufregte als die ironische Genauigkeit seiner Zahlenangaben.
Silas Toronthal und Sarcany waren es also, die soeben diesen Wortwechsel mit einander hatten. Seit ihrer Abreise aus Ragusa, in der kurzen Zeit von drei Monaten, waren sie an den Ruin gelangt, oder wenigstens nahe daran. Sarcany, nachdem er den ganzen Antheil, den er als Lohn seines erbärmlichen Verrathes empfangen, vergeudet hatte, war nach Ragusa gekommen, um mit seinem alten Genossen wieder anzuknüpfen. Beide hatten mit Sarah die Stadt verlassen und Silas Toronthal war dann von Sarcany auf die Bahnen des Spieles geleitet worden. Die Abwechslungen die dasselbe mit sich bringt, hatten in äußerst kurzer Zeit sein Vermögen klein gemacht. Man kann wohl sagen, daß es Sarcany nicht schwer wurde, aus dem einstigen Bankier, der ja von jeher ein kühner Speculant gewesen war und mehr als einmal in finanziellen Abenteuern, wo der Zufall der einzige Führer war, seine Situation auf's Spiel gesetzt hatte, aus diesem einstigen Bankier einen Spieler zu machen, einen regelmäßigen Besucher der Cercles und der Spielhöllen.
Wie hätte Silas Toronthal auch widerstehen sollen? Befand er sich nicht gegenwärtig mehr als je unter der Herrschaft seines ehemaligen tripolitanischen Maklers? Wenn es auch manchmal heftige Auftritte und Empörungen gab, so verstand es Sarcany trotzdem, ihn mit unwiderstehlicher Macht an sich zu fesseln. Der Elende war schon so weit gesunken, daß ihm die moralische Kraft, sich aufzuraffen, vollständig abging, Sarcany beunruhigte sich nicht im Geringsten über diese Anwandlungen Toronthal's, sich seinem Einflusse zu entziehen. Dieses Brutale seiner Antworten, das Unbestreitbare in seiner Logik brachten Silas Toronthal bald wieder unter das gewohnte Joch zurück.
Als die beiden Verbündeten unter Umständen, die man gewiß nicht vergessen haben wird, Ragusa verlassen hatten, war es ihre erste Sorge gewesen, Sarah in einem sicheren Gewahrsam bei Namir unterzubringen. In der Abgelegenheit von Tetuan, das sich in das Grenzgebiet Marokko's verliert, wäre es sehr schwer, wahrscheinlich aber unmöglich gewesen, sie zu entdecken. Dort, so hatte sich die unbeugsame Genossin Sarcany's vorgenommen, wollte sie den Willen des jungen Mädchens zu brechen und ihr die Einwilligung zu ihrer Ehe mit Sarcany zu entreißen suchen. Unerschütterlich in ihrer Weigerung, sich stärkend an der Erinnerung an Peter, hatte das junge Mädchen bis dahin hartnäckig sich dessen geweigert. Doch würde sie es auch in Zukunft können?
Sarcany hatte inzwischen nicht aufgehört, seinen Genossen anzufeuern, die Chancen des Spieles zu erproben, obwohl er selbst sein eigenes Vermögen dadurch verloren hatte. In Frankreich, Italien und Deutschland, in den großen Centren, wo der Zufall in allen Formen sein Wesen treibt, an der Börse, auf den Rennplätzen, in den Spielclubs der Hauptstädte, in den Curorten wie in den Seebädern, gab Silas Toronthal der Verführung Sarcany's nach und die Folge war, daß sein Vermögen schnell auf einige hunderttausend Franken zusammenschmolz. Während der Bankier sein eigenes Geld wagte, riskirte Sarcany nur das des Bankiers und durch diesen doppelten Abgang näherten sich Beide ihrem Ruine mit verdoppelter Schnelligkeit. Die Karte schlug beständig gegen sie und deshalb versuchten sie das Glück auf jedem Felde. Die Baccarataillen kosteten sie schließlich den größten Theil der Millionen, die aus den Gütern des Grafen Sandorf stammten und das Hotel im Stradone zu Ragusa mußte daher schleunigst verkauft werden.
Nachdem sie sich in verdächtige Spielzirkel gewagt, in denen das » Rien ne va plus« der Croupiers mit dem » corriger la fortune« Hand in Hand geht, betraten sie als letzte Station und um sich ein wenig zu rehabilitiren den Weg zur Roulette und zum Trente et Quarante. Wenn sie auch hier ebenso wie früher ausgeplündert wurden, so hatten sie wenigstens die Genugthuung, daß nur ihr eigener Starrsinn sie antrieb, gegen die ungleichen Glückszufälle zu kämpfen.
Aus diesem Grunde befanden sich die Beiden bereits seit drei Wochen in Monte Carlo. Sie verließen kaum die Spieltische des Clubs, versuchten die unfehlbarsten Coups, besetzten die widerspänstigsten Felder, studirten die Drehungen des Cylinders der Roulette, denn in der letzten Viertelstunde des Dienstes ermattet gewöhnlich die Hand des Croupiers, sie rechneten das Maximum der durchaus nicht herauskommen wollenden Nummern aus, hörten die Rathschläge gedienter Schlepper an, welche zu Spielprofessoren geworden waren, machten allerhand nur mögliche Versuche und gebrauchten die nichtssagendsten Zauberformeln, welche den Spieler zwischen das Kind, welches seine Vernunft noch nicht hat, und den Idioten, der sie auf immer verloren, rangiren. Wenn man nur noch sein Geld auf's Spiel gesetzt hätte, aber nein, man schwächte auch seinen Geist, indem man sich bemühte, die dümmsten Combinationen zu erfinden und man stellte seine persönliche Würde in dieser Vertraulichkeit bloß, welche das Zusammensein mit dieser sehr gemischten Gesellschaft Allen auferlegt.
Kurz, in Folge jenes Abends, der im Kalender von Monte Carlo roth angestrichen werden sollte, in Folge ihres Eigensinnes, gegen eine Serie von siebzehnmal Roth im Trente et Quarante zu kämpfen, blieb den beiden Kumpanen nur die bescheidene Summe von zweimalhunderttausend Franken in Händen. Das heißt mit anderen Worten, das Elend nahte mit Riesenschritten.
Doch wenn sie auch beinahe ruinirt waren, so hatten sie doch noch nicht die Vernunft verloren, und während sie auf der Terrasse plauderten, konnten sie einen Spieler wahrnehmen, der mit entblößtem Haupte durch den Park lief und schrie:
»Er dreht sich noch! ... Er dreht sich noch!«
Der Unglückliche bildete sich ein, er hätte auf eine Nummer gesetzt, die herauskommen sollte, doch der Cylinder habe, von einem phantastischen Taumel ergriffen, sich immer weiter gedreht und drehe sich noch bis ans Ende aller Dinge ... Der Aermste war wahnsinnig.
»Haben Sie sich endlich beruhigt, Silas? fragte Sarcany seinen Compagnon, der sich nicht mehr zu fassen wußte. Lernen Sie von diesem Unsinnigen, daß man nie den Kopf verlieren soll ... Wir haben kein Glück gehabt, das ist leider wahr, aber die Chance wird wieder eine günstigere für uns werden, weil sie es werden muß und ohne daß wir den Finger zu rühren brauchen ... Wir wollen uns gar nicht bemühen, die Chancen zu verbessern. Es ist dies gefährlich und übrigens unnütz ... Man kann nun einmal keine Karte anders schlagen lassen, wenn sie schlecht schlägt und ebenso wenig kann man sie anders fallen lassen, wenn sie sich günstig wendet ... Wir wollen unsere Zeit abwarten, und wenn sie da sein wird, so werden wir das Glück kühn an unser Spiel fesseln.«
Hörte Silas Toronthal diese Rathschläge – dumme Rathschläge, wie alle Begründungen, wenn es sich um ein Spiel des Zufalls handelt? Nein! Er war vollständig geknickt und hatte augenblicklich den einen Wunsch: der Herrschaft Sarcany's entgehen, fliehen, so weit fliehen zu können, daß seine Vergangenheit sich nicht wieder an ihn wagen dürfte. Doch solche Anfälle von eigenen Willensäußerungen konnten in diesem unselbständigen, haltlosen Gemüthe nicht lange anhalten. Silas wurde überdies auch von seinem Complicen nicht aus den Augen gelassen. Ehe Sarcany ihn sich selbst überließ, mußte er seine Heirat mit Sarah vollzogen sehen. Dann wollte er sich von Silas Toronthal gern trennen, ihn vergessen und sich nicht einmal daran erinnern, daß dieses schwache Geschöpf jemals gelebt, daß Beide jemals ihre Hand in einer und derselben Sache im Spiele gehabt hatten. Bis dahin aber mußte der Bankier von ihm abhängig sein.
»Wir sind heute zu unglücklich gewesen, Silas, begann Sarcany von Neuem, als daß die Chancen für uns nicht bessere werden sollten ... Morgen muß uns das Glück hold sein!
– Und wenn ich das Wenige, was ich noch besitze, verliere? warf Silas Toronthal ein, der vergebens sich bemühte, den erbärmlichen Rathschlägen sein Ohr zu verschließen.
– So wird uns Sarah Toronthal noch erhalten bleiben, antwortete Sarcany lebhaft. Sie ist und bleibt das beste Atout in unserem Spiele. Es ist unmöglich, dieses zu übertrumpfen.
– Ja! ... Morgen! ... Morgen!« rief der Bankier, dessen Sinne sich in der Verfassung befanden, in welcher ein Spieler seinen Kopf riskirt.
Beide kehrten in ihr Hotel zurück, das halben Weges auf der Straße gelegen war, welche von Monte Carlo nach der Condamine hinabführt.
Der Hafen von Monaco, den man vom Vorgebirge Focinana bis zum Fort Antoine rechnet, besteht aus einer ziemlich offenen Rhede, welche den nordöstlichen und südöstlichen Winden ausgesetzt ist. Er rundet sich zwischen dem Felsen, der die Hauptstadt des kleinen Fürstenthums trägt, und dem Plateau ab, auf welchem die Hotels, die Landhäuser und das Etablissement von Monte Carlo errichtet sind, am Fuße des herrlichen Mont Agal, dessen Gipfel in einer Höhe von elfhundert Metern einen großartigen Ueberblick über die Gestade Liguriens gewährt. Die von zwölfhundert Einwohnern bevölkerte Stadt ähnelt einem Tafelaufsatze, der auf den imposanten, von drei Seiten vom Meere bespülten Felsentisch von Monaco gestellt ist und fast verschwindet unter dem ewigen Grün der Palmen, Granaten, der Sycomoren, Pfefferbäume, Orangen, Citronen, Eucalypten, der Geraniumzwergbäume, Aloen, Myrthen, Mastixbäume, der Palme Christi, die hier und dort in einem wunderbaren Durcheinander erblühen.
Auf der anderen Seite des Hafens macht Monte Carlo der kleinen Hauptstadt Platz mit ihrem merkwürdigen Gemisch von Wohnhäusern, die sich über alle Vorsprünge des Berges ziehen, mit ihren schmalen, hügeligen, im Zick-Zack angelegten Straßen, die bis zur Straße der Corniche hinaufführen, welche auf halber Höhe des Gebirges schwebt, mit ihrem Schachbrett von ewig blühenden Gärten, ihrem Panorama von Landhäusern jeden Stiles, von Villen jeder Gattung, von denen einige buchstäblich über den stets klaren Wogen dieses Busens des Mittelmeeres hängen.
Zwischen Monaco und Monte Carlo, im Hintergrunde des Hafens, von der Küste bis zur Einengung des buchtenreichen Thales, welches die Gebirgsgruppe trennt, breitet sich eine dritte Stadt aus, die Condamine.
Ueber ihr zur Rechten erhebt sich ein wuchtiger Berg, sein dem Meere zugewendetes Profil hat ihm den Namen des Hundskopfes eingebracht. Auf diesem Kopfe, der fünfhundertzweiundvierzig Meter hoch ist, erhebt sich jetzt ein Fort, welches das Recht hat, sich für uneinnehmbar zu halten. Es bildet zugleich auf dieser Seite die Grenze des Fürstenthums Monaco.
Von der Condamine nach Monte Carlo können Wagen über eine herrliche Rampe passiren. Auf ihrem oberen Theile erheben sich abgesonderte Baulichkeiten und Hotels; in einem von diesen wohnten Silas Toronthal und Sarcany. Von den Fenstern ihrer Zimmer konnte der Blick über die Condamine und bis über Monaco hinausschweifen. Der Hundskopfberg mit seinem Bulldoggesicht, der das mittelländische Meer wie eine Sphinx die libysche Wüste zu befragen scheint, schnitt die weitere Fernsicht ab.
Sarcany und Silas Toronthal hatten sich in ihre Gemächer zurückgezogen. Dort legten sich Beide die Situation zurecht, natürlich Jeder von seinem Gesichtspunkte. Sollte es den Wechselfällen des Spieles gelingen, das Gemeinsame ihrer Interessen zu durchbrechen, welches sie nun schon seit fünfzehn Jahren so eng verband?
Sarcany fand in seinem Zimmer einen Brief vor, der aus Tetuan kam; er erbrach sofort das Siegel.
In wenigen Zeilen schrieb ihm Namir über zwei wichtige Dinge, welche sein höchstes Interesse herausforderten: erstens berichtete sie den Tod Carpena's, der im Hafen von Ceuta im Anschluß an ganz eigenthümliche Vorfälle ertrunken war; sodann das Erscheinen des Doctors Antekirtt auf jenem Punkte der afrikanischen Küste, die Beziehungen, welche er zu dem Spanier gehabt hatte und sein unmittelbar darauf erfolgtes Verschwinden.
Als Sarcany den Brief gelesen, öffnete er das Fenster seines Zimmers. Sich über die Brüstung lehnend, bemühte er sich mit unstäten Blicken seine Gedanken zu sammeln.
»Carpena todt? ... Gelegener konnte er wahrhaftig nicht sterben! ... Jetzt sind seine Geheimnisse mit ihm ertrunken! ... Von dieser Seite also habe ich nichts zu befürchten! ... In dieser Beziehung kann ich nun beruhigt sein! ...«
Dann wendeten sich seine Gedanken dem zweiten Theile des Briefes zu:
»Um so bedenklicher ist das Erscheinen des Doctors Antekirtt in Ceuta! ... Wer mag dieser Mann eigentlich sein? ... Ich würde im Grunde genommen nach Allem, was bisher geschehen, wenig überrascht sein, wenn ich finden würde, daß dieser Doctor bei allen mich angehenden Dingen mehr oder weniger die Hand im Spiele hat ... In Ragusa hatte er Beziehungen zu der Familie Bathory! ... In Catania stellte er Zirone einen Hinterhalt! ... In Ceuta war es wahrscheinlich seine Einmischung, welche Carpena das Leben gekostet hat! ... Er war also in der Nähe von Tetuan, doch scheint er nicht dorthin gegangen zu sein, auch scheint er keine Kenntniß von Sarah's Aufenthalt zu haben. Ihre Auffindung wäre allerdings der furchtbarste Schlag für mich gewesen, er kann aber noch immer eintreten! ... Wir wollen sehen, ob es nicht gerathen ist, den Schlag zu pariren, nicht nur für die Zukunft, sondern auch für jetzt. Die Senusisten werden bald die Herren von der ganzen Cyrenäis sein und nur einen Meerarm zu durchschiffen haben, um sich auf Antekirtta zu werfen ... Sollte man sie dazu veranlassen müssen, so soll es an mir nicht fehlen! ...«
Daß sich verschiedene dunkle Punkte am Horizonte Sarcany's zeigten, war klar. Bei der schmutzigen Machination, die er Schritt für Schritt verfolgte, angesichts des Zieles, welches er erreichen wollte und dem er sich nahe genug befand, konnte das kleinste Steinchen des Anstoßes ihn so zu Boden schmettern, daß er das Aufstehen vergaß. Nicht nur das Dazwischentreten des Doctors Antekirtt war geeignet, ihn zu beunruhigen, sondern auch die gegenwärtige Lage von Silas Toronthal, sie begann ihm ernstliche Sorgen zu bereiten.
»Ja, sprach er bei sich weiter, wir sind an die Mauer gedrückt! ... Morgen geht es um das Ganze! ... Entweder die Bank oder wir werden gesprengt! ... Wenn auch Toronthal's Ruin den meinigen nach sich zieht, so hat das weiter nicht viel zu sagen, ich werde mir schon weiterhelfen! ... Aber Silas! Das ist etwas Anderes. Dann wird er gefährlich, er kann sprechen, das Geheimniß aufdecken, auf welchem allein noch meine Zukunft beruht! ... War ich bisher sein Gebieter, so kann es dann vielleicht umgekehrt kommen!«
Die Situation war genau die, wie sie Sarcany zeichnete. Er konnte sich über den moralischen Werth seines Gefährten keinen Illusionen hingeben. Er selbst hatte ihm ja einst die besten Lehren gegeben: Silas Toronthal würde schon verstehen, Nutzen aus ihnen zu ziehen, wenn er nichts mehr zu verlieren hätte.
Sarcany fragte sich also, was zu thun am gescheidtesten wäre. Er war so versunken in sein Nachdenken, daß er nichts von dem sah, was am Eingange zum Hafen von Monaco, wenige hundert Fuß unter ihm, vorging.
In der Entfernung einer halben Ankerlänge von der Küste glitt ein langes, weder Mast noch Schornstein zeigendes spindelförmiges Fahrzeug an der Oberfläche des Meeres dahin, welche sein Rumpf kaum um zwei oder drei Fuß überragte. Bald, nachdem es sich langsam dem Vorgebirge Focinana genähert hatte, unterhalb dessen das Taubenschießen von Monte Carlo stattfindet, suchte es im Schutze der Brandung ein ruhigeres Fahrwasser auf. Sodann löste sich eine leichte, aus Eisenblech geformte Jolle ab, die wie einkrustirt in die Flanke des fast unsichtbaren Schiffes gewesen war. Drei Männer nahmen in ihr Platz. Einige Ruderschläge brachten sie bald an eine niedrige Uferstelle, an der zwei von ihnen ausstiegen, während der dritte die Jolle an das Schiff zurückführte. Einige Augenblicke später war das geheimnißvolle Fahrzeug, das seine Anwesenheit weder durch ein Signalfeuer noch durch ein Geräusch verrathen hatte, in der Dunkelheit verschwunden, ohne eine Spur von seinem Kielwasser zu hinterlassen.
Sobald die beiden Männer das Ufer verlassen hatten, gingen sie am Saume der Klippen entlang dem Bahnhofe zu. Dann lenkten sie in die Avenue des Spelugues ein, welche die Gärten von Monte Carlo umschließt.
Sarcany hatte nichts bemerkt. Seine Gedanken führten ihn in diesem Augenblicke von Monaco fort fern nach Tetuan hin ... Doch ging er nicht allein dorthin, sein Genosse wurde von ihm gezwungen, ihn zu begleiten.
»Silas ... mein Herr? wiederholte er bei sich, Silas sollte mit einem Worte mich hindern können, mein Ziel zu erreichen? ... Niemals! ... Wenn das Spiel uns morgen das nicht wiedergibt, was es uns genommen hat, so werde ich mich schon darauf verstehen, ihn mir folgen zu lassen! ... Ja! ... Er soll mir schon nach Tetuan folgen müssen und dort, an der marokkanischen Küste, wer sollte dort wohl viel danach fragen, ob Silas Toronthal verschwunden ist? ...
Sarcany war, wie man weiß, der Mann dazu, vor einem Verbrechen nicht zurückzuschrecken, namentlich wenn die Umstände, die Abgelegenheit des Landes, die Wildheit seiner Bewohner, die Unmöglichkeit, den Schuldigen zu suchen und ihn aufzufinden, die That so bequem ausführbar machten.
Der Plan war gefaßt, Sarcany schloß das Fenster, legte sich schlafen und entschlummerte auch sofort, ohne daß das Gewissen sich in ihm irgendwie bemerkbar gemacht hätte.
Nicht so bei Silas Toronthal. Der Bankier verbrachte eine furchtbare Nacht. Was blieb ihm von seinem einstigen Vermögen noch? Kaum zweimalhunderttausend Franken, welche das Spiel bisher verschont hatte, und auch über diese Summe war er schwerlich noch der Herr. Sie war der Einsatz zum letzten Spiele. So wollte es sein Complice, so wollte er selbst es. Sein geschwächtes, von chimärischen Berechnungen erfülltes Gehirn erlaubte ihm nicht mehr, richtig und kühl zu denken. Er war sogar unfähig – in diesem Augenblicke wenigstens – sich über seine Lage klar zu werden, wie es Sarcany gekonnt hatte. Er sagte sich nicht, daß sie die Rollen getauscht, daß er jetzt denjenigen in seiner Macht hätte, der ihn so lange in der seinigen gehabt. Er sah nur die Gegenwart mit seinem bevorstehenden Ruin und dachte nur an den folgenden Tag, der ihn entweder wieder flott machte oder ihn auf die unterste Stufe des Elendes schleuderte.
So verging diese Nacht für die beiden Genossen. Während sie dem Einen einige Stunden des Schlafes gönnte, verhängte sie über den Anderen alle Schrecken der Schlaflosigkeit.
Am folgenden Tage gegen zehn Uhr suchte Sarcany Silas Toronthal auf. Der Bankier saß am Tische und bedeckte die Seiten seines Notizbuches mit Ziffern und Formeln.
»Nun, Silas? fragte Sarcany mit dem oberflächlichen Tone Jemandes, der den Miseren dieser Welt nicht mehr Wichtigkeit beizulegen gedenkt als sie es verdienen, nun, haben Sie in Ihren Träumen dem Roth oder dem Schwarz den Vorzug eingeräumt?
– Ich habe nicht einen einzigen Augenblick geschlafen ... ganz gewiß ... nicht einen einzigen, antwortete der Bankier.
– Um so schlimmer, Silas, um so schlimmer! ... Heute ist kaltes Blut von Nöthen und einige Stunden der Ruhe wären Ihnen unbedingt dienlich gewesen. Sehen Sie mich an! Ich habe in einem Zuge geschlafen und bin ganz dazu aufgelegt, gegen das Glück zu kämpfen. Es ist schließlich eine Frau und liebt die Leute, welche im Stande sind, ihr Zügel anzulegen.
– Sie hat uns aber schmählich verrathen!
– Pah! ... Eine bloße Laune! ... Ist sie vorüber, kommt sie zu uns zurück.«
Silas Toronthal erwiderte nichts. Hörte er überhaupt, was Sarcany sagte, während seine Augen sich nicht von der Seite seines Notizbuches erhoben, auf die er so viele unnütze Kombinationen niedergeschrieben hatte?
»Was schreiben Sie da? fragte Sarcany. Berechnungen? Kniffe? ... Teufel! ... Sie scheinen mir wirklich bedenklich krank zu sein, theurer Silas! ... Es gibt keine Berechnungen, denen man den Zufall unterordnen könnte, und der Zufall allein könnte es sein, der sich auch heute gegen uns erklärt.
– Schön! meinte Silas und schloß das Notizbuch.
– Das ist nun einmal so, Silas! ... Ich kenne nur eine Art, den Zufall zu lenken, sagte Sarcany ironisch. Doch muß man zu diesem Zwecke Specialstudien gemacht haben ... und unsere Erziehung weist an dieser Stelle eine Lücke auf. Halten wir uns also an die Chance ... Sie war gestern für die Bank. Es ist möglich, daß sie sich heute von ihr abwendet ... Wenn dem aber so ist, Silas, so kann uns das Spiel Alles wiedergeben, was es uns genommen hat.
– Alles?! ...
– Ja, Alles, Silas! Nur keine Muthlosigkeit. Im Gegentheil, Kühnheit und kaltes Blut!
– Und heute Abend, wenn wir ruinirt sind? fragte der Bankier und sah Sarcany scharf ins Gesicht.
– Nun, dann verlassen wir Monaco.
– Und gehen wohin? schrie Silas Toronthal. Verflucht sei der Tag, an welchem ich Sie kennen gelernt habe, Sarcany, verflucht der Tag, an welchem ich Ihre Dienste beanspruchte! ... Ich wäre nicht dahin gekommen, wo ich mich heute befinde!
– Sie kommen mit dem Bedauern ein wenig spät, mein Theurer, antwortete der unverschämte Patron, und Sie machen es sich etwas zu bequem, Leute bloßzustellen, deren man sich bedient hat.
– Nehmen Sie sich in Acht! rief der Bankier.
– Ja! ... Ich werde mich in Acht nehmen!« murmelte Sarcany.
Diese Drohung Toronthal's bestärkte ihn mehr als alles Andere in dem Entschlusse, ihn unschädlich zu machen.
Dann sagte er laut:
»Mein lieber Silas, wir wollen uns nicht gegenseitig ärgern. Wozu soll das? ... Das regt die Nerven auf und heute dürfen wir nicht nervös sein! ... Haben Sie Vertrauen und verzweifeln Sie nicht mehr als ich! ... Wenn unglücklicher Weise der Teufel sich gegen uns erklären sollte, so vergessen Sie nicht, daß neue Millionen mich erwarten und daß Sie Ihren Antheil an denselben haben werden.
– Ja, ja! erwiderte Silas Toronthal, ich muß meine Revanche haben. Der Instinct des Spielers, der ihn einen Augenblick verlassen, kam wieder über ihn. Ja, die Bank war gestern zu glücklich, als daß sie heute Abend ...«
– Heute Abend werden wir reich, sehr reich sein, rief Sarcany, und ich verspreche Ihnen, Silas, diesmal werden wir nicht wieder einbüßen, was wir zurückgewonnen haben. Was auch immer kommen mag, morgen verlassen wir Monte Carlo ... Wir werden reisen ...
– Wohin?
– Nach Tetuan, wo wir eine letzte Partie zu spielen haben werden. Es soll aber auch die schönste werden!«