Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Capitel.

Welches mit einer höchst überraschenden Bemerkung des Negers Carefinotu endigt.

Die unter jenen Breiten so rauhe Winterszeit war gekommen. Godfrey durfte sich glücklich schätzen, in der Wohnung einen Kamin nebst Schlot hergerichtet zu haben. Es versteht sich von selbst, daß die Errichtung der Palissade vollendet war und eine feste Thür jetzt den Abschluß der Umzäunung vermittelte.

Während der folgenden sechs Wochen, d. h. bis Mitte December, gab es viel schlechte Tage, welche es fast unmöglich machten, sich in's Freie zu begeben. Zuletzt stellten sich heftige Stürme ein, bei denen die Mammuthgruppe bis an die Wurzeln erschüttert und der Boden mit abgebrochenen Zweigen bestreut wurde, von welchen man einen großen Vorrath als Feuerholz sammelte.

Die Insassen des Will-Tree kleideten sich nun so warm als möglich; die in der Kiste vorgefundenen Wollstoffe wurden jetzt benutzt, wenn Einer oder der Andere hinaus mußte, um wenigstens die Bedürfnisse der Küche zu decken; das Wetter wurde jedoch allmählich so abscheulich, daß man sich auf das Nothwendigste beschränken mußte.

An eine Jagd war gar nicht zu denken, und der Schnee fiel mit solcher Heftigkeit, daß Godfrey sich in die unwirthlichen Gegenden des Eismeeres versetzt glaubte.

Es ist ja bekannt, daß das nördliche Amerika, über welches die eisigen Winde des Nordens ohne Hinderniß hinwegfegen, eines der kältesten Länder der Erde ist. Der Winter dauert hier ins weit in den Monat April hinein, und es bedarf ganz besonderer Maßnahmen, um sich gegen denselben zu schützen. Das erweckte den Gedanken, die Insel Phina in weit höherer Breite zu suchen, als Godfrey bisher angenommen hatte.

Daraus ergab sich auch die Notwendigkeit, das Innere des Will-Tree so behaglich als möglich einzurichten, und doch hatte man von Kälte und Regen ganz grausam zu leiden. Die Proviantvorräthe waren leider unzureichend, das Schildkrötenfleisch ging nach und nach zu Ende; wiederholt mußten einige Köpfe aus der Schaf-, Aguti- oder Ziegenheerde geopfert werden, obgleich deren Zahl seit dem Aufenthalt auf der Insel nicht besonders gewachsen war.

Welch' trübselige Gedanken marterten bei diesen neuen Prüfungen des Schicksals das Gehirn Godfreys! Es kam sogar soweit, daß er vierzehn Tage lang an ziemlich intensivem Fieber daniederliegen mußte. Ohne die kleine Apotheke, welche die nöthigen Mittel zur Bekämpfung der Krankheit lieferte, wäre es vielleicht um ihn geschehen gewesen. Tartelett übrigens war wenig geeignet, ihm wahrend dieser schlimmen Zeit die nöthige Pflege angedeihen zu lassen, und er hatte es nicht wenig Carefinotu zu danken, daß er seine Gesundheit wieder erhielt.

Doch welche Erinnerungen und welche Klagen! Konnte er doch niemand Anderen als sich selbst dafür verantwortlich machen, daß er sich jetzt in einer Lage befand, deren Ende er niemals abzusehen vermochte! Wie viele Male rief er in seinen Fieberphantasien den Namen Phinas, die er niemals wieder zu sehen fürchtete, oder den seines Onkels Will, von dem er sich für immer getrennt sah! Ach, er mußte gar viel abziehen von jenem Leben eines Robinson, das ihm in seiner Kinderphantasie als Ideal vorgeschwebt hatte! Jetzt war er in der Lage, eine solche Existenz zu kosten. Ja, er konnte nicht einmal hoffen, je an den heimatlichen Herd zurückzukehren.

So schlich der traurige Monat December hin, an dessen Ende Godfrey erst anfing, wieder ein wenig zu Kräften zu kommen.

Tartelett hielt sich aus besonderer Gnade des Himmels vortrefflich. Doch welch' unaufhörliche Klagen, welch' endlose Jeremiaden gab er zum Besten! Wie die Grotte der Kalypso nach der Abfahrt des Odyssens »klang der Will-Tree nicht mehr von seinem Sange wieder«, nämlich wohlzuverstehen, von dem Klange seiner Geige, deren Saiten durch den Frost versteinert waren.

Es muß hier bemerkt werden, daß Godfrey neben der Erscheinung von wilden Thieren jetzt nichts mehr fürchtete als eine Rückkehr der Wilden in verstärkter Anzahl, da diesen die Lage der Insel Phina ja hinreichend bekannt war. Gegen einen solchen Angriff hätte die Palissade aus Baumstämmen doch nur unzulänglich Schutz gewährt.

Alles in Allem boten noch die hohen Aeste der Sequoia die verhaltnißmäßig sicherste Zuflucht, und es entstand also der Gedanke, die Besteigung des Stammes minder beschwerlich zu machen. Die enge Oeffnung, welche jeder Feind passiren mußte, um nach dem oberen Theile des Baumes zu gelangen, ließ sich ja stets leicht vertheidigen.

Mit Hilfe Carefinotus gelang es Godfrey denn auch, an der Wand des Stammes regelmäßige Stufen, ähnlich den Sprossen einer Leiter, anzubringen, welche, durch lange Pflanzentaue verbunden, ein schnelleres Aufsteigen im Innern gestatteten.

»Nun, bemerkte Godfrey lächelnd, nach Beendigung dieser Arbeit haben wir eine Stadtwohnung unten und ein Landhaus oben.

– Ich würde einen Keller vorziehen, vorausgesetzt, daß er in der Montgomery-Street läge«, antwortete Tartelett.

Weihnachten kam heran, jenes »Christmas«, das in allen Vereinigten Staaten von Amerika so festlich begangen wird. Dann folgte der Neujahrstag, ein Tag voller freudiger Jugenderinnerungen, der regnerisch, schneeig, kalt und düster das neue Jahr unter den bedenklichsten Aussichten eröffnete.

Jetzt weilten die Schiffbrüchigen vom »Dream« schon sechs Monate lang, ohne alle Verbindungen mit der übrigen Welt, auf der verlassenen Insel.

Der Anfang des Jahres ließ sich nicht besonders günstig an.

Godfrey und seine Genossen konnten sich unmöglich dem Gedanken verschließen, daß ihnen noch härtere Leiden aufgespart wären.

Bis zum 18. Januar fiel der Schnee in einem fort. Man mußte die Heerde draußen werden lassen, um so gut es anging, einige Nahrung zu finden.

Gegen Ende dieses Tages verhüllte eine feuchte kalte Nacht die ganze Insel, und der Schatten unter der Sequoia verwandelte sich in tiefste Finsterniß.

Vergeblich versuchten, auf ihren Lagerstätten im Innern des Will-Tree ausgestreckt, Godfrey und Carefinotu zu schlafen. Bei dem ungewissen Lichte eines harzigen Zweiges durchblätterte Godfrey einige Seiten der Bibel.

Gegen zehn Uhr ließ sich vom nördlichen Theile der Insel her ein entferntes Geräusch hören, das allmählich näher kam.

Ueber dessen Ursache konnte man nicht im Zweifel sein; das waren Raubthiere, welche in der Nähe umherstreiften, und – o Schreck! – dieses Mal vereinigte das Heulen des Tigers und der Hyäne sich mit dem Brüllen des Panthers und Löwen zum höllischen Concert.

Eine Beute unsäglicher Angst, sprangen Godfrey, Carefinotu und Tartelett sofort in die Höhe. Wenn Carefinotu angesichts dieses unerklärlichen Einbruchs wilder Thiere den Schreck seiner Genossen theilte, so müssen wir doch hinzufügen, daß sein Erstaunen mindestens seinem Erschrecken gleich kam.

Zwei tödtliche Stunden lang lauschten alle Drei in ängstlicher Spannung. Gelegentlich ertönte das Geheul aus geringerer Entfernung; dann wurde es wieder ganz still, als wenn die Rotte wilder Thiere das Land noch nicht kannte und auf gut Glück hier- und dorthin lief. Vielleicht entging der Will-Tree noch einmal einem directen Angriff.

»Gleichviel, dachte Godfrey, wenn wir außer Stande sind, diese Thiere bis zum letzten Stück zu vertilgen, ist es mit unserer Sicherheit auf der Insel für immer vorbei.«

Kurz nach Mitternacht begann der Höllenlärm mit neuer Kraft und jetzt weit mehr in der Nähe. Es unterlag keinem Zweifel mehr, daß die gefährliche Horde sich dem Will-Tree mehr und mehr näherte.

Ja, es war nur zu gewiß! Und doch, woher kam dieses Raubzeug? Es konnte doch nicht neuerdings nach der Insel Phina gelangt, folglich mußten diese Thiere schon vor Godfreys Ankunft hier gewesen sein. Und doch, wie hatte diese ganze Bande sich bisher so gut verstecken können, daß Godfrey bei seinen Jagdzügen quer durch'den Wald im Inneren, wie bis nach den entlegensten Punkten im Süden der Insel, niemals auch nur eine Spur derselben entdeckt hatte? Wo befand sich die geheimnißvolle Höhle, welche jetzt Löwen, Hyänen, Panther und Tiger spie? War diese Erfahrung neben den andern unerklärlichen Vorkommnissen nicht eine der allerunerklärlichsten?

Carefinotu konnte gar nicht für wahr halten, was er hörte. Wir bemerkten schon, daß auch bei ihm das Erstaunen jetzt den höchsten Grad erreichte. Bei den Flammen des Herdes, welche das Innere des Will-Tree erleuchteten, hätte man sehen können, wie sein schwarzes Gesicht sich zur sonderbarsten Grimasse verzerrte.

Tartelett für seine Person seufzte, jammerte und brummte in seiner Ecke. Er wollte Godfrey über die ganze Sache ausfragen, aber dieser war weder in der Lage, noch in der Laune, ihm Rede und Antwort zu stehen. Er hatte das Vorgefühl einer unmittelbar drohenden Gefahr und grübelte über die Mittel, derselben glücklich zu entgehen.

Ein- oder zweimal wagten Carefinotu und er sich bis zur Mitte der Umzäunung vor. Sie wollten sich überzeugen, ob die Thür der Holzschanze inwendig ordentlich befestigt war.

Plötzlich wälzte sich eine Lawine von Thieren lärmend nach dem Will-Tree zurück.

Noch war es nur die Heerde der Ziegen, Schafe und Agutis. Als sie das. Geheul der Raubthiere gehört und deren Annäherung empfunden, waren die Thiere entsetzt von der Weide entflohen und suchten nun Schutz hinter der Palissade.

»Wir müssen ihnen öffnen!« rief Godfrey.

Carefinotu bewegte den Kopf von oben nach unten. Er hatte nicht nöthig, dieselbe Sprache zu sprechen wie Godfrey, um diesen zu verstehen.

Die Thür ward aufgerissen, und die Heerde stürzte sich Hals über Kopf in die Umzäunung.

In demselben Moment aber wurde durch die freie Oeffnung in derselben ein eigenthümliches Leuchten von Augen sichtbar, trotz der Dunkelheit, welche die Kronen der Sequoias noch tiefer machten.

Es war keine Zeit mehr, das Thor wieder zu schließen.

Sich auf Godfrey werfen, diesen wider seinen Willen fortzerren und ihn in die Wohnung drängen, deren Thür er eiligst zuschlug, das vollbrachte Carefinotu Alles während der Dauer eines Blitzes.

Erneutes Brüllen zeigte an, daß drei oder vier Raubthiere durch die Palissade hereingekommen waren.

Zu diesem entsetzlichen Gebrüll mischte sich bald ein Durcheinander von Blöken und Grunzen; die hier wie in einer Falle gefangene Heerde der Hausthiere war den Tatzen der Angreifer preisgegeben.

Godfrey und Carefinotu bemühten sich zu erkennen, was draußen im Finstern vorging.

Offenbar hatten sich die Bestien – Tiger oder Löwen, Panther oder Hyänen, das konnte man nicht unterscheiden – auf die Heerde geworfen und begannen diese zu zerfleischen.

Da ergriff Tartelett in blinder Angst und unsinnigem Entsetzen eine der Flinten und wollte durch die eine Fensteröffnung auf gut Glück Feuer geben.

Godfrey hielt ihn zurück.

»Nein, sagte er. Inmitten dieser Dunkelheit ist fast als gewiß anzunehmen, daß jeder Schuß verloren wäre. Wir dürfen unsere Munition nicht unnütz vergeuden. Warten wir den Tag ab!«

Er hatte sicherlich Recht. Die Kugeln würden ebenso die Hausthiere, wie die wilden Eindringlinge getroffen haben, ja noch weit eher jene, da sie die weit größere Zahl bildeten. Sie zu retten, war ja überhaupt unmöglich. Opferte man sie auf, so verließen vielleicht die gesättigten Raubthiere die Umzäunung noch vor Aufgang der Sonne, dann würde man zusehen, was zu thun sei, um sich gegen einen wiederholten Angriff zu sichern.

Es empfahl sich wohl auch bei der finsteren Nacht so gut es anging, den Raubthieren die Anwesenheit von Menschen, welche sie wohl den Thieren vorgezogen hätten, nicht bemerkbar zu machen. Damit wurde vielleicht ein unmittelbarer Angriff gegen den Will-Tree vermieden.

Da Tartelett gar nicht im Stande war, weder eine solche vernünftige Vorstellung, noch auch irgend eine andere zu begreifen, so begnügte sich Godfrey, ihm die Waffe zu entreißen. Der Professor warf sich darauf auf sein Lager, schimpfte und fluchte auf alle Reisen, auf die Reisenden, auf Tollköpfe, welche nicht ruhig am häuslichen Herde bleiben können.

Seine beiden Gefährten waren zur Beobachtung an der Fensteröffnung zurückgeblieben. Dort wohnten sie, ohne etwas dagegen thun zu können, dem furchtbaren Gemetzel bei, das im Finstern vor sich ging. Das Geschrei der Schafe und Ziegen wurde allmählich matter, ob sie nun schon alle erwürgt waren oder ein Theil derselben wieder nach außen geflüchtet war, wo sie ein ebenso gewisser Tod erwartete. Jedenfalls erlitt die kleine Ansiedelung damit einen unersetzlichen Verlust; Godfrey hatte jetzt aber keine Zeit, an die Zukunft zu denken, die Gegenwart gestaltete sich schon bedrohlich genug, um alle seine Gedanken in Anspruch zu nehmen.

Es war eben nichts zu thun, nichts zu versuchen, dieses Vernichtungswerk aufzuhalten.

Es mochte gegen elf Uhr Abends sein, als das Wuthgebrüll einen Augenblick aufhörte.

Godfrey und Carefinotu lauschten noch immer; es schien ihnen, alo sähen sie jetzt eine große Menge Raubthiere innerhalb der Umzäunung, während von draußen noch weitere Tritte von Thieren hörbar wurden.

Offenbar noch zurückgebliebene Bestien wurden herbeigelockt durch den Blutgeruch, der die Luft erfüllte und als eigenthümliche Ausdünstung sich im Will-Tree verbreitete. Sie liefen hin und her und wandten sich zuweilen mit wüthendem Grollen gegen den Baum. Einzelne jener Schatten sprangen wie Katzen auf dem Boden umher. Die erwürgte Heerde hatte nicht genügt, ihre Wuth zu stillen.

Weder Godfrey noch seine Gefährten sprachen ein Wort. Nur durch vollständige Unbeweglichkeit konnten sie vielleicht einem directen Angriffe entgehen.

Da verrieth ein unglücklicher Knall ihre Anwesenheit und setzte sie damit erst der schlimmsten Gefahr aus.

Tartelett war, von wirklichen Hallucinationen geplagt, aufgestanden, hatte einen Revolver ergriffen und diesmal, ohne daß Godfrey oder Carefinotu es hatte hindern können, jedenfalls ganz unbewußt, was er that, da er vielleicht einen Tiger auf sich zuspringen zu sehen meinte, in's Blaue hinein Feuer gegeben.... Die Kugel schlug durch die Thür des Will-Tree.

»Unglücksmensch!« schrie Godfrey, sich auf Tartelett stürzend, dem der Schwarze die Waffe entwand.

Es war zu spät. Wie auf ein Signal ertönte draußen plötzlich lauteres Gebrüll. Man hörte gewaltige Tatzen die Rinde der Sequoia abreißen. Furchtbare Stöße erschütterten die Thür, welche natürlich einem solchen Sturm gegenüber zu schwach war.

»Setzen wir uns zur Wehr!« schrie Godfrey.

Und eine Flinte in der Hand, einen Patronenbeutel im Gürtel, nahm er seinen Posten an einem der Fenster wieder ein.

Zu seiner größten Verwunderung hatte Carefinotu dasselbe gethan. Ja, der Schwarze packte die zweite Flinte – eine Waffe, die er bisher noch nie geführt – füllte seine Tasche mit Patronen und nahm an dem zweiten Fenster Platz.

Jetzt knatterten die Gewehrschüsse durch die beiden Oeffnungen. Bei dem Aufleuchten des Pulverblitzes konnte Godfrey auf der einen, Carefinotu auf der anderen Seite erkennen, mit welchen Feinden sie es zu thun hatten.

Da, innerhalb der Umzäunung, sprangen heulend vor Wuth, brüllend bei dem Krachen, und die zu Boden brechend, welche die Kugeln erreichten, Löwen, Tiger, Panther und Hyänen – zusammen wenigstens zwanzig Stück Raubthiere – umher. Auf ihr in der Ferne widerhallendes Brüllen antworteten gewiß bald noch andere Bestien, welche gleichzeitig herangelockt wurden. Schon ließ sich wirklich entferntes Geheul vernehmen, das der Umgebung des Will-Tree näher zu kommen schien. Es hatte den Anschein, als wäre urplötzlich eine ganze Menagerie von Raubthieren auf der Insel freigelassen worden.

Inzwischen suchten Godfrey und Carefinotu, ohne sich um Tartelett, der ihnen nichts nützen konnte, zu bekümmern, mit sicherer Hand Tod und Verderben zu verbreiten. Um keine Patrone zu verschwenden, warteten sie allemal, bis ein Schatten nahe bei ihnen vorbeikam, dann krachte ein wohlgezielter Schuß, der sein Ziel nie verfehlte, denn gleich darauf verrieth ein Schmerzgeheul, daß das betreffende Thier getroffen worden war.

Nach Verlauf einer Viertelstunde trat etwas mehr Ruhe ein. Gaben die Raubthiere einen Angriff auf, der vielen von ihnen schon das Leben gekostet hatte, oder wollten sie nur den Tag abwarten, um den Angriff unter günstigeren Verhältnissen zu erneuern?

Unbekümmert hierum hielten Godfrey und Carefinotu doch immer auf ihren Posten aus. Der Schwarze hatte sich der Schußwaffe mit nicht geringerer Geschicklichkeit bedient, als Godfrey selbst. Wenn das nur die Folge instinctiver Nachahmung war, so durfte man dieselbe gewiß eine erstaunliche nennen.

Gegen zwei Uhr Morgens entstand neues Lärmen – jetzt eher noch toller als vorher. Die Gefahr wuchs mit jeder Minute, die Lage im Inneren des Will-Tree wurde nachgerade unhaltbar.

Am Fuße der Sequoia ertönte von Neuem das schreckliche Gebrüll. In Folge der an den Seiten angebrachten Fensteröffnungen konnte weder Godfrey noch Carefinotu die Angreifer sehen, und in Folge dessen natürlich auch nicht von den Gewehren Gebrauch machen.

Jetzt stürmten die Bestien nämlich die Thür selbst, und es war nur zu bestimmt zu fürchten, daß diese unter dem Drängen derselben aufspringen oder von ihren Klauen zerrissen werden würde.

Godfrey und der Schwarze waren wieder nach dem Erdboden herabgeglitten. Schon gab die Thür unter den Tatzenschlägen von außen nach – ein heißer Athem drang durch die Spalten der Rinde.

Noch versuchten Godfrey und Carefinotu die Thür zu verstärken, indem sie die Pfähle, welche ihre Lagerstätten trugen, dagegen stemmten, aber auch das konnte nicht auf die Dauer vorhalten.

Godfrey erkannte seine Ohnmacht. Wenn seine Genossen und er sich noch im Innern des Will-Tree in dem Moment befanden, wo die blutgierigen Angreifer hereinstürmten, mußten alle Waffen zur erfolgreichen Vertheidigung unzulänglich sein.

Godfrey hatte die Arme gekreuzt. Er sah wie die einzelnen Theile der Thür allmählich auseinanderwichen und konnte doch nichts dagegen thun. Wie verzweifelt preßte er in einem Augenblick der Schwäche die Hand vor die Stirn; sofort gewann er jedoch die Selbstbeherrschung wieder.

»Hinauf! rief er, hinauf! Alle!«

Er zeigte dabei nach der engen Aushöhlung, welche zwischen den ersten starken Testen des Will- Tree mündete.

Carefinotu und er packten die Flinten, die Revolver und versorgten sich noch einmal mit Patronen.

Jetzt galt es nun, Tartelett zu veranlassen, ihnen nach jener Höhe, die er noch nie erstiegen hatte, zu folgen.

Tartelett war nicht mehr zu finden. Er hatte sich, noch als seine Gefährten das Feuer unterhielten, aus dem Staube gemacht.

»Hinauf!« wiederholte Godfrey.

Das war die letzte Zuflucht, welche wenigstens einen sicheren Schutz gegen die Raubthiere bot. Selbst wenn eines derselben, ob Panther oder Tiger, versucht hätte, nach der Krone der Sequoia zu gelangen, so konnte die enge Oeffnung, welche allein dahinführte, ja leicht unter wirksamem Feuer gehalten werden.

Godfrey und Carefinotu befanden sich kaum dreißig Fuß hoch oben, als das Gebrüll aus dem Innern des Will-Tree herausdrang.

Einige Augenblicke Verzögerung, und sie wären verloren gewesen. Die Thür brach in tausend Stücke zusammen. Beide beeilten sich natürlich, weiter hinaufzusteigen, und erreichten glücklich den oberen Ausgang auf dem Stamme.

Ein Ausruf des Schreckens empfing sie hier. Dieser rührte von Tartelett her, der einen Panther oder Tiger hervorkommen zu sehen glaubte. Der Professor hielt sich, nit der entsetzlichsten Furcht, hinabzustürzen, an einen Ast geklammert.

Carefinotu kletterte zu ihm hin, zwang den Aermsten, nach einer bequemeren Zweiggabel zu reiten, und band ihn dort mit seinem eignen Gürtel ordentlich fest. Jetzt wartete man der weiteren Entwicklung der Dinge.

Unter den gegebenen Bedingungen hatten die Belagerten entschieden alle Aussicht, von einem directen Angriff verschont zu bleiben.

Inzwischen bemühte sich Godfrey immer, zu erkennen, was unten vorging, doch machte die noch herrschende Finsternis; ein deutliches Erkennen unmöglich. Nur das Gehör belehrte ihn, daß die Thiere, dem immer anwachsenden Gebrüll nach zu urtheilen, gar nicht daran dachten, den Platz zu räumen.

Plötzlich, es mochte gegen vier Uhr Morgens sein, wurde es unten im Baume überraschend hell. Bald drang der Lichtschein aus den Fenstern und der Thür. Gleichzeitig wirbelte ein beißender, aus der oberen Oeffnung aufsteigender Rauch in das Geäst des Baumes.

»Was hat das zu bedeuten?« rief Godfrey.

Er konnte nicht lange darüber im Unklaren bleiben. Bei der Verwüstung des Inneren ihres Will- Tree hatten die reißenden Thiere die Kohlen vom Feuerherd umhergeworfen, und das Feuer mochte sich zunächst den in der Wohnung vorhandenen Geräthen mitgetheilt haben. Dann ergriffen die Flammen wohl die Rinde, welche bei ihrer Trockenheit leicht Feuer fangen mußte. Der riesige Mammuthbaum brannte in seiner Basis.

Die Lage der Aermsten du oben wurde jetzt noch verzweifelter als vorher.

Bei dem Scheine der Feuersbrunst, welche den unteren Theil der Baumgruppe hell erleuchtete, konnte man die Bestien am Fuße des Will-Tree herumspringen sehen.

Gleichzeitig erfolgte eine gewaltige Explosion. Die furchtbar erschütterte Sequoia erzitterte von dm Wurzeln bis zu den Zweigen des hohen Gipfels.

Das war der Pulvervorrath gewesen, der verpufft war, und die heftig ausgedehnte Luft drängte sich durch die obere Mündung, wie die Gase aus einem abgeschossenen Gewehrlauf.

Godfrey und Carefinotu wären fast weggeschleudert worden, und Tartelett würde, ohne den ihn haltenden Gürtel, zweifellos zur Erde gestürzt sein.

Erschreckt durch die Explosion, vielleicht auch mehr oder weniger verletzt, wandten sich die Bestien zur Flucht.

Gleichzeitig gewann aber die Feuersbrunst, genährt durch die plötzliche Verbrennung des Pulvers, ungemein an Verbreitung, der gleich einem Schornstein wirkende Schlauch der Höhlung des Baumes belebte sie noch weiter. Von den mächtigen Flammen, welche die inneren Wände verzehrten, züngelten die höchsten schon bis zur Gabelung des Baumes hinauf, während das trockene Holz krachte, wie tausendfache Revolverschüsse. Ein gewaltiger Feuerschein erhellte jetzt nicht nur die Bäume, sondern auch die ganze Umgebung bis zum Strande, von der Flaggenspitze bis zum Südende der Dream-Bai.

Bald ergriffen die Flammen die untersten Zweige der Sequoia und drohten die Stelle zu erreichen, nach der Godfrey und seine Gefährten sich geflüchtet hatten. Sollten sie hier den Feuertod erleiden, da sie gegen die Flammen nichts auszurichten vermochten, oder es vorziehen, sich aus dir schwindelnden Höhe herabzustürzen, um dem Feuer zu entgehen?

In jedem Falle drohte ihnen der gewisse Tod. Godfrey dachte nach, ob es noch ein Rettungsmittel gäbe. Er fand keines. Schon standen die unteren Zweige in hellem Brand und dichter Rauch Verschleierte den ersten Schein des neuen Tages, der langsam im Osten emporstieg.

Da erfolgte ein furchtbares Krachen.... die über den Wurzeln total ausgebrannte Sequoia sank etwas zusammen, neigte sich und fiel....

Bei dem Sturze begegnete aber der Stamm einem der anderen Bäume, die ihn umstanden; seine mächtigen Aeste verwirrten sich mit denen der anderen, und so blieb er schief stehen und bildete mit dem Erdboden höchstens einen Winkel von fünfundvierzig Graden.

In dem Augenblick, wo die Sequoia sich senkte, glaubten Godfrey und seine Gefährten ihren letzten Augenblick gekommen.....

»Der 19. Januar!« rief da eine Stimme, welche Godfrey trotz seiner Bestürzung sogleich erkannte.

Das war Carefinotu gewesen ... ja Carefinotu, der diese Worte in englischer Sprache rief, welche er bisher niemals zu sprechen oder zu verstehen im Stande gewesen war.

»Was sagst Du? fragte Godfrey, indem er etwas näher zu ihm hinglitt.

– Ich sage, antwortete Carefinotu, daß heute Ihr Onkel Will eintreffen muß, denn wenn er nicht kommt, sind wir des Teufels!«

 


 << zurück weiter >>