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Drei lange Stunden mußten noch vergehen, ehe die Sonne wieder über dem Horizonte erscheinen konnte. Das waren solche Stunden, von denen man sagen kann, daß sie »Jahrhunderte lang dauern«.
Für den Anfang war diese Prüfung etwas hart: doch, wir wiederholen, Godfrey hatte sich nicht auf eine einfache Spaziertour begeben. Er hatte sich bei der Einschiffung voraus gesagt, daß er alles stille Glück, alle Ruhe hinter sich lasse, die er auf abenteuerlicher Fahrt nicht wiederfinden konnte. Jetzt galt es also, sich der Lage gewachsen zu zeigen.
Vorläufig war er ja in Sicherheit. Aller Wahrscheinlichkeit nach konnte ihn das Wasser auf diesem Felsen, den nur eine leichte Brandung umspülte, nicht erreichen.
Hatte er zu fürchten, daß die Fluth bis zu seinem Zufluchtsorte ansteigen würde? Nein, denn eine weitere Ueberlegung belehrte ihn, daß der Schiffbruch zur Stunde der höchsten Neumondsfluth stattgefunden hatte.
War dieser Felsblock aber isolirt? Ueberragte er vielleicht eine niedrige Rifflinie, welche sich seitswärts von ihm ausstreckte? Welche Küste war es, die Capitän Turcotte in der Dunkelheit noch wahrgenommen zu haben glaubte? Welchem Festlande gehörte sie an? Es unterlag ja keinem Zweifel, daß der »Dream« durch die letzten stürmischen Tage weit aus seinem Curs verschlagen sein mußte. Eine genauere Ortsbestimmung war während dieser Zeit ganz unausführbar gewesen. Wie hätte er etwas Anderes annehmen können, zumal, da der Capitän noch wenige Stunden vorher versicherte, daß seine Karten in diesem Meerestheile keine Spur von Klippen und Riffen nachwiesen? Er hatte sogar noch mehr gethan, indem er ausfuhr, sich über die Ursachen der Brandungserscheinungen zu unterrichten, welche seine Leute beobachtet zu haben glaubten.
Leider erschien es nur zu wahr, daß, wenn die Untersuchungen des Capitän Turcotte sich etwas weiter erstreckt hätten, wohl der schreckliche Unfall vermieden worden wäre. Doch was nützte es, sich über Vergangenes den Kopf zu zerbrechen?
Die wichtigste Frage gegenüber der vollendeten Thatsache – eine Frage, bei der es sich um Leben und Tod handelte – blieb für Godfrey die, zu wissen, ob er sich in der Nachbarschaft irgend eines Landes befinde. In welchem Theile des Stillen Oceans, das konnte späterer Erörterung vorbehalten bleiben. Vor Allem mußte er nach Tagesanbruch daran denken, diesen Felsblock zu verlassen, der an seiner Oberfläche nur zwanzig Schritt in der Länge und Breite maß. Man verläßt aber einen Ort nur, um sich nach einem anderen zu begeben Und wenn dieser andere nicht existirte, wenn der Capitän inmitten des Nebels sich getäuscht, wenn sich rings um diese Klippen nur das grenzenlose Meer ausdehnte und in Sehweite Himmel und Wasser zu einem kreisrunden Horizonte verschmolzen . . .
Die Gedanken des jungen Schiffbrüchigen liefen alle in diesem Punkte zusammen. Mit der ganzen Kraft seiner Augen bemühte er sich trotz der noch dunklen Nacht zu erkennen, ob irgend welche größere Landmasse, eine Anhäufung von Felsen oder ein steiler Uferabhang die Nähe eines Landes östlich von den Riffen verriethe.
Godfrey sah nichts. Kein Waldesduft erreichte seine Nase, kein Lichtschein seine Augen, kein Laut seine Ohren. Kein Vogel flatterte durch das Dunkel. Es schien, als ob rings um ihn nur eine öde Wasserwüste liege.
Godfrey verhehlte sich nicht, daß er bezüglich seiner Rettung nur die allergeringste Aussicht habe. Es handelte sich nicht mehr darum, ruhig einer Reise um die Erde – sondern dem drohenden Tode entgegen zu sehen. Voll Vertrauen und Muth erhob sich dabei sein Gedanke zur Vorsehung, welche selbst für das Schwächste ihrer Geschöpft Alles vermag, wenn dieses selbst aller Hilfe aus eigener Kraft beraubt ist.
Godfrey selbst konnte aber in diesem Falle nichts Anderes thun, als zunächst den Tag abzuwarten, Verzicht zu leisten, wenn sich eine Rettung als unmöglich erwies, dagegen jedoch Alles zu versuchen, wenn sich ihm nur die geringste Aussicht zu einer solchen bot.
Beruhigt durch den Ernst seines Gedankengangs, hatte Godfrey sich auf den Felsblock niedergesetzt. Einen Theil seiner von Meerwasser durchtränkten Kleidung, die Wollenjacke und die schwer gewordenen Stiefeln, hatte er abgelegt, um, wenn es nothwendig würde, im Schwimmen nicht behindert zu sein.
Sollte denn wirklich Niemand außer ihm den Schiffbruch überlebt haben? Wie? Keiner der Leute des »Dream« wäre an das Land getragen worden? Wären sie wirklich alle verschlungen von dem unwiderstehlichen Wirbel, den ein versinkendes Schiff rings um sich zieht? Der Letzte, den Godfrey gesprochen, der Capitän Turcotte, hatte sein Schiff nicht verlassen wollen, so lange sich noch ein Mann von der Besatzung auf demselben befand. Der Capitän war es auch gewesen, der ihn, eben als das Verdeck des »Dream« dem Verschwinden nahe war, eigenhändig in's Wasser geworfen hatte.
Aber die Anderen und der unselige Tartelett, der bedauernswerthe Chinese, Beide ohne Zweifel durch den Wasserschwall überrascht, der Eine unter oder auf dem Oberdeck, der Andere in der Tiefe des Kielraumes, was war aus diesen geworden? Sollte er von allen lebenden Wesen, die der »Dream« trug, der einzige Gerettete sein? Der Dampfer schleppte ja glücklicher Weise die Barkasse hinter sich – nach dieser konnten doch wohl einzelne Passagiere oder Seeleute noch zur rechten Zeit gelangt sein, um dem Ort des Schiffbruches zu entfliehen. Ja, aber war nicht vielleicht zu fürchten, daß die Barkasse mit dem Schiffe in den Abgrund gezogen worden sei und jetzt vielleicht in zwanzig Faden tiefem Wasser liege?
Godfrey sagte sich dann, daß er, wenn ihm die finstere Nacht auch das Sehen unmöglich machte, sich doch wenigstens durch die Stimme bemerkbar machen könne. Nichts hinderte ihn ja zu rufen, ein lautes Halloh in das tiefe Schweigen hinauszusenden. Vielleicht antwortete der seinigen die Stimme irgend eines Gefährten.
Er rief also wiederholt, stieß einen langgedehnten Schrei aus, der weithin vernehmbar sein mußte . . .
Kein Ruf erschallte als Antwort.
Er fing mehrmals von Neuem an, indem er sich dabei nach allen Himmelsrichtungen wandte.
Ringsum Todtenstille.
»Allein! Allein!« murmelte er.
Es hatte nicht nur kein anderer Ruf dem seinigen, geantwortet, nicht einmal ein Echo hatte den Ton seiner Stimme zurückgeworfen. Befand er sich in der Nähe einer hohen Uferwand, unfern einer Felsengruppe, wie sie ja viele Strandlinien aufweisen, so hätten seine, an dem Hindernisse sich brechenden Rufe doch zu ihm zurückschallen müssen. Oestlich von dem Riff verlief also entweder nur eine sehr flache, zur Erzeugung eines Echos ungeeignete Küste, oder – was noch mehr Wahrscheinlichkeit für sich hatte – es befand sich überhaupt kein weiteres Land in der Nachbarschaft – die zerstreuten Felsen, auf welchen der Schiffbrüchige Schutz gefunden, lagen gänzlich isolirt. Drei bange Stunden schlichen dahin. Halb erstarrt, bemühte sich Godfrey, auf dem Plateau des Felsens umhergehend, die Wirkung der Nachtkälte einigermaßen auszugleichen; endlich färbten einige bleiche Strahlen die Wolken im Zenith, es war der Reflex des ersten Lichtscheines am Horizont.
Sich nach dieser Seite wendend – der einzigen, wo ein Land zu vermuthen war – suchte Godfrey zu erkennen, ob sich nicht ein hoher Uferabhang im Schatten hervorheben würde. Wenn die Sonne dessen Kanten färbte, mußten sich seine Umrisse desto deutlicher abzeichnen.
In der unbestimmten Morgendämmerung war jedoch nichts zu unterscheiden. Aus dem Meere stieg ein leichter Nebel empor, der ihn sogar hinderte, nur die Ausdehnung der Klippenreihe zu überblicken.
Er konnte sich also keinen Illusionen hingeben. War Godfrey wirklich auf einen isolirten Felsen im Stillen Ocean geworfen, so bedeutete das den Tod in kürzester Frist, den Tod durch Hunger und Durst, oder wenn nöthig, als letztes Hilfsmittel, den schnelleren Tod im Wasser.
Inzwischen lugte er immer hinaus und es schien, als ob die Schärfe seiner Sehkraft unendlich zunehme, so concentrirte sich sein ganzer Wille in diesem Sinne.
Endlich begann der Morgennebel zu schwinden, Godfrey erkannte nun, wie die einzelnen Felsen, welche einen Klippengürtel bildeten, Seeungeheuern gleich aus dem Wasser emporragten. Es war eine lange, unregelmäßig angeordnete Reihe schwärzlicher, verschiedengestalteter Steine aller Größen und Formen, welche ziemlich genau von Westen nach Osten verlief. Der große Block, auf dem Godfrey sich befand, lag am westlichen Rande dieser Bank, wenigstens dreißig Faden entfernt von der Stelle, wo der »Dream« versunken war. Das Meer mußte hier sehr tief sein, denn von dem Dampfer war gar nichts wahrzunehmen, nicht einmal die Spitze seiner Masten, Vielleicht war er auch auf abschüssigem Felsengrund noch weiter nach der offenen See zu hinuntergeglitten.
Ein Blick hatte genügt, Godfrey über diese Verhältnisse aufzuklären. Nach dieser Seite konnte seine Rettung nicht liegen. Er wandte seine Aufmerksamkeit also dem anderen Ende der Klippenreihe zu, welche der sich erhebende Nebel allmählich zu Tage treten ließ. Hierzu muß auch bemerkt werden, daß das Meer gerade jetzt, bei tiefster Ebbe, die Felsen weniger als vorher bedeckte. Man sah sie fast von ihrer nassen Basis aus aufwachsen. Hier trennten dieselben ziemlich ausgedehnte Wasserflächen, dort wieder nur einfache Pfützen. Wenn dieselben bis an ein Ufer reichten, konnte es nicht schwer sein, nach demselben zu gelangen.
Von einer Küste war vorläufig freilich nichts zu sehen; nichts verrieth in dieser Richtung auch nur die Nähe eines höher ansteigenden Landes.
Der Nebel schwand mehr und mehr und vergrößerte damit das Gesichtsfeld, an dem Godfreys Auge unbeirrt hing. Allmählich wurde ein Raum von etwa einer halben Meile frei. Schon erschienen einige Sandflächen zwischen den Felsen, welche mit zähem Varec bedeckt waren. Deutete dieser Sand nicht wenigstens auf das Vorhandensein eines Vorlandes hin, und wenn ein solches existirte, konnte man daran zweifeln, daß dasselbe sich an das Ufer eines ausgedehnteren Landes anschloß?
Endlich schien eine lange Linie niedriger Dünen, welche mit größeren Felsen untermischt deutlicher sichtbar wurden, den Horizont im Osten abzuschließen. Die Sonne hatte alle Dünste der frühen Morgenstunden weggetrunken und ihre Scheibe brannte jetzt in vollem Feuer.
»Land! Land!« rief Godfrey.
Er streckte die Hand aus nach dem festen Boden und fiel, getrieben von inniger Dankbarkeit gegen Gott, auf die Kniee.
Ja, das war das Land! Die Klippen bildeten hier nur eine vorspringende Spitze, wie sonst die Landspitze einer Bucht, die sich in der Tiefe von höchstens zwei Meilen vor ihm ausdehnte. Der Hintergrund dieser Ausbuchtung zeigte sich als flaches Vorland, umringt von einer Reihe kleiner Dünen, auf denen sich verschiedene Linien niedriger Gewächse hinzogen.
Von der Stelle, die Godfrey einnahm, konnte er das ganze Bild dieser Küste überblicken.
Im Norden und im Süden von zwei ungleichen Vorbergen begrenzt, zeigte sie eine lange Entwicklung von mehr als fünf bis sechs Meilen. Danach war es wenigstens möglich, daß sie einem größeren Landcomplex angehörte. Doch abgesehen davon, bot sie doch für den Augenblick rettende Zuflucht. Ueber einen Punkt konnte Godfrey nun nicht mehr in Zweifel sein; er war nicht auf ein ganz vereinzeltes Riff geworfen, und er durfte hoffen, daß dieses ihm noch unbekannte Fleckchen Land wenigstens seine ersten Bedürfnisse decken würde.
»An's Land! An's Land!« rief er erfreut.
Doch vor dem Verlassen der Klippe sah er sich noch zum letzten Male um; seine Augen schweiften weit hinaus über das glänzende Meer. Konnte nicht irgend etwas auf dessen Wellen schwimmen, einige Trümmer vom »Dream« oder gar Einer, der den Unfall überlebt hatte?
Nichts!
Auch die Barkasse war nicht sichtbar. Sie mußte in den allgemeinen Strudel mit hinabgerissen sein.
Da kam Godfrey der Gedanke, daß auf einer anderen Klippe möglicher Weise einer seiner Gefährten Zuflucht gefunden haben könnte, der, wie er selbst, den Tag erwartete, um eine Rettung nach der Küste zu versuchen.
Niemand! Weder auf den Felsen, noch am Strande! Das Riff erschien eben so leer wie der Ocean.
Doch wenn auch keine Lebenden, sollten denn die Wellen nicht wenigstens einzelne Leichname angespült haben?
Sollte Godfrey am Rande der Klippenreihe auch nicht den leblosen Körper irgend eines seiner Gefährten finden?
Nein, so weit sein Auge reichte – nichts; die nackten Felsen starrten jetzt bei tiefster Ebbe leer empor.
Godfrey war allein!
Er konnte nur auf sich zählen im Kampfe gegen Gefahren aller Art, die ihn bedrohen würden.
Doch sagen wir zu seinem Lobe, daß der junge Mann angesichts dieser Thatsache nicht den Muth sinken ließ. Da es ihm jedoch vor allem Anderen darauf ankam, festen Boden unter den Füßen zu fühlen, von dem ihn ja nur ein geringer Zwischenraum trennte, so kletterte er vom Gipfel des Felsblocks herab und begann sich dem Ufer zu nähern.
Wenn der Raum zwischen den Steinen zu groß war, um übersprungen werden zu können, warf er sich in's Wasser und erreichte, ob er darin nun Grund fand oder sich schwimmend verhalten mußte, immer leicht den zunächst liegenden Felsen. Hatte er dagegen nur den Raum von ein bis zwei Yard vor sich, so sprang er von einem Stein zum anderen. Der Weg über diese schlüpfrigen, mit feuchtem Seegras bedeckten Steine war nicht eben leicht und immerhin ziemlich lang. Er mußte etwa eine Viertelmeile in dieser Weise zurücklegen.
Gewandt und kräftig, wie er war, gelang es Godfrey doch endlich, den Fuß auf dieses Land zu setzen, wo ihn, wenn auch nicht ein unmittelbarer Tod, doch ein elendes Leben – vielleicht noch schlimmer als jener – erwartete. Hunger und Durst, Kälte und Entblößung, Gefahren jeder Art, ohne eine Waffe zu seiner Vertheidigung, ohne ein Gewehr, um Wild zu erlegen, ohne Kleidung zum Wechseln, das waren die wenig verlockenden Aussichten, die sich ihm darboten.
Oh, der Thor! Er hatte erfahren wollen, ob er fähig sei, sich unter schwierigen Verhältnissen durchzuhelfen.
Nun, hier konnte er die Probe darauf machen. Er hatte das Loos eines Robinson beneidet, jetzt konnte er sich überzeugen, ob ein solches so beneidenswerth sei.
Und dann erwachte in ihm wieder der Gedanke an jene glückliche Existenz, an das gemächliche Leben in San Francisco, inmitten einer reichen und liebevollen Familie, die er verlassen, um sich in ungeahnte Abenteuer zu stürzen. Er erinnerte sich seines Onkels Will, seiner Braut Phina, seiner Freunde, die er jedenfalls nicht wieder sehen sollte. Bei diesen Bildern aus vergangener Zeit krampfte sich ihm das Herz zusammen, und trotz seiner Entschlossenheit drängte sich ihm eine Thräne in die Augen.
Und wenn er nur nicht allein gewesen wäre, wenn irgend ein anderer Ueberlebender aus dem Schiffbruche hätte diese Küste erreichen können, wäre es auch, wenn nicht der Capitän oder der zweite Officier, selbst der letzte der Matrosen gewesen, nur der Professor Tartelett, obgleich er von diesem gewiß wenig Unterstützung erwarten durfte, wie viel weniger erschreckend hätte ihm die Zukunft entgegengesehen! Doch auch nach dieser Seite wollte er noch nicht alle Hoffnung aufgeben. Wenn er an den Klippen keine Spuren von Menschen gefunden hatte, konnte er nicht Einem oder dem Anderen auf dem Sande des Vorlandes begegnen? Sollte wirklich nicht noch Einer diese rettende Küste erreicht haben, der vielleicht ganz wie er jetzt nach einem Gefährten suchte?
Godfrey überflog mit dem Blicke noch einmal die ganze Umgebung nach Norden und nach Süden. Er entdeckte kein menschliches Wesen. Offenbar war dieser Theil des Landes unbewohnt. Eine Hütte zeigte sich nicht, von einer in die Luft aufsteigenden Rauchsäule war keine Spur zu sehen.
»Vorwärts also!« rief Godfrey sich selbst zu.
Bevor er die sandigen Dünen hinaufklomm, die ihm einen umfassenden Ueberblick über das Land gewähren mußten, ging er erst nach Norden längs des Vorlandes hin.
Allüberall ungestörtes Schweigen. Der Sand wies keinerlei Fußspur auf. Einige Seevögel, Möven und Taucherenten flatterten, die einzigen lebenden Wesen in dieser Einöde, am Rande der Klippen hin. So wanderte Godfrey eine Viertelstunde. Endlich schickte er sich an, den Kamm einer der höchsten Dünen, welche mit Binsen und magerem Gesträuch bestanden war, zu ersteigen, als er plötzlich inne hielt.
Ein unförmlicher, stark aufgeblasener Gegenstand, etwa wie der Cadaver eines von den letzten Stürmen an's Land geworfenen Seeungeheuers, lag da kaum fünfzig Schritte von ihm am Rande der Klippenreihe.
Godfrey eilte nach demselben hin.
Jemehr er sich näherte, desto lauter fing sein Herz an zu schlagen. Wahrlich, er glaubte in diesem gestrandeten Geschöpfe gar eine menschliche Gestalt zu erkennen!
Godfrey befand sich nur zehn Schritte davon entfernt, als er wie angewurzelt stehen blieb und rief:
»Tartelett!«
Es war der berühmte Tanz- und Anstandslehrer.
Godfrey stürzte auf seinen Begleiter los, in dem doch vielleicht noch ein Fünkchen Leben glühte.
Ein Augenblick später überzeugte er sich, daß es nur der Rettungsapparat war, der so aufgeblasen erschien und dem unglücklichen Professor das Aussehen eines Meeresungeheuers verlieh. Obwohl Tartelett regungslos dalag, war er doch vielleicht nicht todt. Möglicher Weise hatte ihn jener Schwimmapparat oberhalb des Wassers gehalten, während ihn die auf und ab wogenden Wellen an's Ufer trugen.
Godfrey ging an's Werk. Er kniete neben Tartelett nieder, befreite ihn von dem Gürtel, frottirte seinen Körper mit kräftiger Hand und beobachtete endlich einen leisen Athemzug zwischen den halbgeöffneten Lippen. Er legte ihm die Hand auf's Herz ... das Herz klopfte noch.
Godfrey rief seinen Namen.
Tartelett bewegte den Kopf und gab einen rauhen Ton von sich, dem einige unzusammenhängende Worte folgten.
Godfrey schüttelte ihn tüchtig.
Da öffnete Tartelett die Augen, fuhr mit der linken Hand über seine Stirne, erhob dann die rechte und überzeugte sich, daß seine kostbare kleine Geige und der Bogen, den er noch fest hielt, ihm nicht abhanden gekommen waren.
»Tartelett! Mein, bester Tartelett!« rief Godfrey, ihm vorsichtig den Kopf erhebend.
Dieser Kopf mit seinen zerzausten Haaren nickte schwach als Antwort.
»Ich bin's, ich, Godfrey!
– Godfrey?« erwiderte der Professor.
Dann drehte er sich um, richtete sich auf den Knieen in die Höhe, blickte umher, lächelte und gelangte auf die Füße... Er hat gefühlt, daß er endlich festen Boden unter sich habe, hat begriffen, daß er sich nicht mehr auf dem Verdeck des Schiffes befindet, das jedem Augenblick dem Rollen und Schlingern unterliegt. Das Meer trägt ihn nicht mehr. Er steht auf sicherem Land!
Da fand Professor Tartelett auch den ganzen Aplomb wieder, den er seit der Einschiffung eingebüßt hatte; seine Füße richteten sich wie von selbst nach außen in regelrechte Stellung, seine linke Hand ergriff die Geige, die rechte schwenkte den Bogen, und obgleich die hart mitgenommenen Saiten nur einen feuchten Ton von melancholischem Klang gaben, kamen über seine lächelnden Lippen doch die Worte:
»Auf den Platz, zwei, drei, mein Fräulein!«
Der brave Mann dachte an Phina.