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Im Laufe der folgenden Tage, am 13., 14. und 15. Juni, fiel das Barometer langsam und stetig, ohne dazwischen wieder anzusteigen, das Vorzeichen einer Tendenz, sich unter »Veränderlich« – zwischen »Regen« und »Sturm« – zu halten. Die Brise frischte kräftig auf und lief nach Südwesten um. Damit bekam der »Dream« Gegenwind und mußte nun gegen die groben Wellen ankämpfen, welche ihn von vorn faßten. Die Segel wurden also gerefft und nur die Schraube arbeitete weiter, aber unter mäßigem Dampfdruck, um jede Beschädigung der Maschine zu vermeiden.
Godfrey ertrug die heftigen Schwankungen des Schiffes ohne Beschwerden, so daß ihm dabei niemals die gute Laune ausging; der wackere junge Mann liebte offenbar das Meer.
Tartelett dagegen liebte es bestimmt nicht, und dieses zahlte ihm seinen Widerwillen mit Zinsen heim. Man mußte den unglücklichen Lehrer des Anstandes und der Haltung sehen, wie er sich selbst nicht mehr zu halten vermochte, den berühmten Tanzlehrer, wie er hier gegen alle Regeln der Kunst tanzte. Bei den Stößen, welche den Dampfer in seinen Grundfesten erschütterten, in der Cabine auszuhalten, war ihm gleichfalls unmöglich.
»Luft! Luft!« seufzte er.
So befand er sich stets auf Deck. Bei jedem Rollen des Schiffes schwankte er von einem Bord zum anderen, bei jedem Schlingern wurde er nach dem Vorderverdeck geworfen, nur um sofort wieder nach dem Hinterdeck geschleudert zu werden. Er stützte sich auf das Barkholz, klammerte sich an das Tauwerk und gerieth in Stellungen, welche die moderne Choreographie ohne Bedenken verdammt hätte. Ach, daß er sich nicht in die Luft erheben konnte, um den heimtückischen Bewegungen dieser unsicheren Planken zu entfliehen! Ein bejahrter Tanzmeister unter seinen Ahnen hatte ausgesprochen, daß, wenn er nicht zustimmte, noch einmal auf der Bühne zu erscheinen, es nur geschähe, um seine Kameraden nicht zu erniedrigen. Er, Tartelett, wäre gewiß niemals zu bestimmen gewesen, dieses Verdeck wieder zu betreten, welches die endlosen Wogen in den Abgrund zu schleudern drohten.
Welch' absonderliche Idee des reichen Kolderup, ihn hierher zu senden!
»Wird dieses abscheuliche Wetter lange anhalten? fragte er den Capitän zwanzig Mal des Tages.
– Hm! das Barometer sieht eben nicht vielversprechend aus! antwortete allemal der Capitän, die Stirne runzelnd.
– Werden wir bald ankommen?
– Bald, Herr Tartelett! ... Hm! Bald! ... Jetzt gilt's noch, sich in Geduld zu fassen.
– Und das wagt man, den »Stillen« Ocean zu nennen!« rief der Unglückliche, während er schluchzend hin- und heroscillirte.
Uebrigens litt Professor Tartelett nicht einzig und allein von der Seekrankheit, sondern nebenbei schüttelte ihn auch die Furcht, wenn er die gewaltigen, schäumenden Wogenberge sah, die sich in gleicher Höhe mit der Schanzkleidung des »Dream« vorüberwälzten, wenn ihm dann und wann die Oeffnungen zu Gesicht kamen, aus denen über der Schwimmlinie der Dampf abblies, und er es fühlte, wie der Dampfer gleich einem Korkstöpsel auf diesen Wasserbergen umhergeworfen wurde.
»Nein, es ist ganz unmöglich, daß das Ding nicht kentern sollte! wiederholte er öfter, die Augen glanzlosen Blickes auf seinen Schüler gerichtet.
– Keine Angst, Tartelett, antwortete dann Godfrey; ein Schiff ist gebaut, um zu schwimmen, es besitzt alle Vorbedingungen dazu.
– Und ich sage Ihnen, das es diese nicht besitzt!« Bei diesen Worten hatte der Professor schon wieder seinen Rettungsgürtel umgeschnallt. Er trug denselben Tag und Nacht, dicht am Oberkörper befestigt. Nicht für Gut und Geld hätte er sich von ihm getrennt. Allemal, wenn das Meer ihm einen Augenblick Erholung gönnte, blies er denselben durch einen tüchtigen Athemzug wieder auf, er schien ihm eben niemals voll genug zu sein.
Wir müssen den freundlichen Leser um Nachsicht wegen diesen Befürchtungen Tartelett's bitten. Wer sich nicht öfter auf dem Meere befindet, dem verursacht dessen Wüthen einen gewissen Schrecken, und wir wissen schon, daß obiger unfreiwilliger Passagier sich früher noch nicht einmal über die friedlichen Gewässer der Bai von San Francisco gewagt hatte. Wir können es ihm also schon hingehen lassen, wenn er sich an Bord eines umhergeschleuderten Fahrzeuges sehr unbehaglich und bei dem Stoßen der Wellen etwas ängstlich beklommen fühlte.
Uebrigens wurde das Wetter nur noch immer schlechter und drohte mit neuen heftigen Böen, welche die Semaphore dem »Dream« gewiß vorher verkündigt hätten, wenn er näher einer Küste gewesen wäre.
Wenn das Schiff aber am Tage entsetzlich umhergeworfen wurde und nur unter halbem Dampf lief, um keine Havarie an der Maschine zu erleiden, so blieb es doch nicht aus, daß die Schraube bei den gewaltigen Niveauveränderungen des Wassers einmal tief unter und einmal halb über demselben arbeitete. Im ersteren Falle traf ihre Flügel ein heftiger Widerstand, im letzteren Falle flatterten sie so zu sagen um ihre Achse mit einer Schnelligkeit, welche den Bestand der gesammten Maschinerie in Gefahr setzte. Es hörte sich dann an wie dumpfe Detonationen unter dem Hintertheil des »Dream«, und die Kolben flogen in den Cylindern auf und ab mit einer Geschwindigkeit, welche der Maschinist kaum noch zu bemustern vermochte.
Inzwischen machte Godfrey eine Beobachtung, welche er sich Anfangs nicht im mindesten zu erklären im Stande war, die nämlich, daß das Stampfen des Schiffes während der Nacht bedeutend milder erschien, als am Tage. Sollte er daraus schließen, daß der Wind sich zu jener Zeit allmählich verminderte, daß nach Untergang der Sonne eine Art Stille eintrat? Die Sache wurde so auffallend, daß er in der Nacht vom 21. zum 22. Juni sich zu überzeugen beschloß, was eigentlich dabei vorging. Der Tag war gerade noch schlechter gewesen, der Wind wehte noch ärger und es schien keine Aussicht vorhanden, daß das während so langer Zeit mächtig aufgewühlte Meer sich während der Nacht beruhigen sollte.
Godfrey erhob sich also um Mitternacht, kleidete sich warm an und stieg auf das Deck.
Am Vordertheil lugte der wachthabende Matrose in die Finsterniß hinaus; Capitän Turcotte befand sich auf der Commandobrücke.
Die Heftigkeit des Windes hatte sich offenbar nicht vermindert; nichtsdestoweniger erschien der Stoß der Wellen, welche der Vordersteven des »Dream« durchschneiden mußte, erheblich abgeschwächt.
Als Godfrey aber die Augen nach dem von schwarzen Rauchwolken umhüllten Schornstein erhob, bemerkte er, daß dessen Rauchsäule statt von vorn nach hinten, sich im Gegentheil von hinten nach vorne zu wälzte und also die gleiche Richtung mit dem Schiffe einhielt.
»Sollte der Wind umgeschlagen sein?« fragte er sich.
Sehr erfreut über diese Wahrnehmung, bestieg er selbst die Commandobrücke und trat auf den Capitän zu.
»Capitän!« rief er.
Dieser hatte, da er den wachstuchnen Südwester trug, ihn nicht kommen gehört und konnte, als er den jungen Mann neben sich erblickte, eine gewisse Verlegenheit nicht verbergen.
»Sie, Herr Godfrey, Sie ... auf der Brücke?
– Ja, ich selbst, Capitän, ich komme Sie etwas zu fragen.
– Und was? rief der Capitän Turcotte schnell.
– Hat sich nicht der Wind gedreht?
– Nein, Herr Godfrey, nein ... und leider fürchte ich, er wird noch zum vollen Sturme anwachsen.
– Und doch haben wir den Wind jetzt von rückwärts?
– Wind von rückwärts ... in der That ... das ist so ... antwortete der Capitän, den diese Bemerkung sichtlich in noch größere Verlegenheit setzte. Freilich, nur sehr wider meinen Willen!
– Was wollen Sie damit sagen?
– Nichts Anderes, als daß ich, um die Sicherheit des Schiffes nicht zu gefährden, mich gezwungen sah, zu wenden, um vor dem Wind zu laufen.
– Das wird uns aber eine bemerkenswerthe Verzögerung verursachen, sagte Godfrey.
– Gewiß, eine sehr unangenehme Verzögerung, meinte Capitän Turcotte, doch mit anbrechendem Tage, wenn das Meer nur ein wenig fällt, werde ich unverzüglich den Curs nach Westen wieder aufnehmen. Ich ersuche Sie also, Herr Godfrey, nach Ihrer Cabine zurückzukehren. Vertrauen Sie mir getrost. Versuchen Sie zu schlafen, während wir mit den Wellen fahren. Sie werden weniger umhergeworfen werden.«
Godfrey konnte dem nur zustimmen; er warf einen letzten, etwas besorgten Blick auf die niedrigen Wolken, welche mit rasender Schnelligkeit dahinjagten; dann verließ er die Commandobrücke, begab sich nach seiner Cabine und fiel nach dieser Unterbrechung bald wieder in gesunden Schlaf.
Am folgenden Morgen, am 22. Juni, hatte der »Dream«, obgleich der Wind nicht merkbar abgeflaut war, entsprechend der Vorhersage des Capitän Turcotte den richtigen Curs wieder eingeschlagen.
Diese Fahrt nach Westen während des Tages und nach Osten während der Nacht dauerte noch achtundvierzig Stunden an; dann zeigte das Barometer Neigung zu steigen, seine Schwankungen wurden minder häufig; es war vorauszusehen, daß dieses schlechte Wetter mit den mehr und mehr nach Nord umgehenden Winden ein Ende nehmen würde.
Diese Annahme bestätigte sich wirklich.
Am Morgen des 25. Juni gegen acht Uhr, als Godfrey auf das Verdeck kam, hatte eine leichte Brise aus Nordosten die Wolken weggefegt, die in der Takelage spielenden Strahlen der Sonne schmückten alle Ecken und Kanten des Fahrzeuges mit ihrem feurig glänzenden Schein.
Das tiefgrüne Meer spiegelte das blendende Licht in weitem Umkreise wieder. Der Wind wehte nur in schwachen Böen, welche den Kamm der Wellen mit leichtem Schaum ränderten, und die unteren Segel wurden nun wieder gehißt.
Genauer ausgedrückt, erhob sich das Meer gar nicht mehr in eigentlichen Wellen, sondern gleichsam in langen Athemzügen, welche den Dampfer nur sanft bewegten.
Athemzüge oder Wellen, das galt dem Professor Tartelett freilich gleich, denn dieser war und blieb krank, ob der Wind »zu weich« oder »zu hart« war. So befand er sich jetzt halb liegend auf dem Verdeck und sperrte den Mund weit auf, wie ein Karpfen, der außerhalb des Wassers nach Luft schnappt.
Der zweite Officier stand eben auf dem Oberdeck und sah durch sein Fernrohr in der Richtung nach Nordosten hinaus. Godfrey näherte sich ihm.
»Nun, mein Herr, begann er heiter, heute ist doch etwas besseres Wetter als gestern.
– Gewiß, Herr Godfrey, erwiderte der zweite Officier; wir fahren jetzt in ruhigerem Wasser.
– Und der »Dream« hat seine vorgeschriebene Route wieder aufgenommen?
– Noch nicht.
– Noch nicht? Weshalb nicht?
– Weil er in der verflossenen stürmischen Periode weit nach Nordost verschlagen worden ist, und wir erst unsere augenblickliche Position genau bestimmen müssen. Heut' ist endlich heller Sonnenschein und ein klarer Horizont. Wenn zu Mittag die Höhe gemessen wird, läßt sich eine verläßliche Berechnung machen und der Capitän wird uns dann den Curs vorschreiben.
– Wo ist denn der Capitän? fragte Godfrey.
– Er hat das Schiff verlassen.
– Das Schiff verlassen?
– Ja; unsere Hundewache glaubte infolge einer weißlichen Färbung des Meeres im Osten vor uns Riffe bemerkt zu haben, Riffe, welche sich auf den Seekarten nirgends finden. Deshalb ist die Dampfbarkasse segelfertig gemacht worden und Capitän Turcotte ist in Begleitung des Hochbootsmanns und dreier Matrosen weggefahren, um die Sache aufzuklären.
– Seit wann?
– Etwa seit anderthalb Stunden.
– O, ich bedaure, davon nichts gehört zu haben, sagte Godfrey, ich hätte ihn mit größtem Vergnügen begleitet.
– Sie schliefen noch, Herr Godfrey, erklärte der zweite Officier, und der Capitän wollte sie nicht wecken lassen.
– Das thut mir sehr leid; doch sagen Sie mir, in welcher Richtung ist er mit der Barkasse gefahren?
– Dorthin, erklärte der Seemann, nach den Krahnbalken an Steuerbord weisend, ... gerade nach Nordosten.
– Und man kann ihn mit einem Fernrohr sehen?
– Nein, er ist noch zu weit von hier.
– Er wird aber doch bald wieder kommen?
– Er kann nicht mehr lange, ausbleiben, versicherte der zweite Officier, denn der Capitän liebt es, selbst das Besteck zu machen, und dazu muß er noch vor zwölf Uhr wieder an Bord zurück sein.«
Auf diese Antwort hin setzte sich Godfrey ganz vorn neben das Bugspriet und ließ sich ein Fernrohr bringen. Er wollte die Rückkehr der Barkasse beobachten. Daß Capitän Turcotte weggefahren war, um sich über die vorliegenden Verhältnisse zu unterrichten, konnte ihn nicht wundernehmen. Es war gegen zehneinhalb Uhr, als ein leichter Rauch, so dünn wie ein Federstrich, über dem Horizont aufstieg.
Dieser rührte zweifellos von der Barkasse her, welche nach vollendeter Untersuchung nach dem Dampfer zurückkehrte.
Godfrey machte sich ein Vergnügen daraus, ihr im Felde seines Fernglases zu folgen. Er sah, wie sie sich allmählich in deutlicheren Linien abzeichnete, über die Meeresfläche emporwuchs, wie die Rauchsäule, in welche sich schon einige weiße Dampfwolken mischten, am klarblauen Himmel scharf hervortrat. Es war ein vortreffliches Fahrzeug von großer Schnelligkeit, und da es unter vollem Dampfe fuhr, wurde es bald dem unbewaffneten Auge sichtbar. Gegen elf Uhr sah man schon das vor dem Buge desselben aufschäumende Wasser und hinter ihm einen langen wirbelnden Streifen, der sich wie der Schweif eines Kometen ausnahm.
Um elfeinviertel Uhr traf Capitän Turcotte beim »Dream« ein und stieg auf das Deck desselben.
»Nun, Capitän, was giebt es Neues? fragte Godfrey, ihm die Hand reichend.
– Ach, guten Tag, Herr Godfrey!
– Wie steht es mit den Klippen? ...
– Bloße Einbildung! antwortete Capitän Turcotte, Wir haben nichts Verdächtiges gefunden; unsere Leute werden sich getäuscht haben. Mir kam die Sache von Anfang an verdächtig vor.
– So dampfen wir vorwärts? sagte Godfrey,
– Ja, wir werden den gewohnten Curs wieder einschlagen; vorher muß ich jedoch noch das Besteck machen.
– Befehlen Sie, daß die Barkasse wieder an Bord geholt wird? fragte der zweite Officier.
– Nein, entgegnete der Capitän, wir könnten sie noch brauchen. Lassen Sie dieselbe nachschleppen!«
Die Anordnung des Capitäns wurde ausgeführt, und die Dampfbarkasse, welche man unter Druck ließ, glitt allmählich hinter den »Dream«.
Dreiviertelstunden später sah man Capitän Turcotte mit dem Sextanten in der Hand die Höhe der Sonne messen; dann führte er die dazu gehörige Berechnung aus und bestimmte die einzuhaltende Richtung.
Nachdem er dann noch einen letzten Blick auf den Horizont geworfen, rief er den zweiten Officier und führte diesen nach seiner Cabine, wo die beiden Männer eine ziemlich lange Verhandlung hatten.
Der Tag war sehr schön. Der »Dream« gelangte rasch vorwärts, und zwar ohne Mithilfe von Segeln, welche man alle gerefft hatte. Es wehte nur ein so schwacher Wind, daß derselbe bei der durch die Maschine allein erzielten Geschwindigkeit des Schiffes dieselben nicht mehr hätte anschwellen können.
Godfrey war in rosigster Laune. Giebt es aber auch etwas Erquickenderes, etwas, was dem Gedankengange mehr Schwung, dem Geiste mehr Befriedigung gewährt, als eine solche Fahrt auf friedlichem Meere? Und dennoch klärte sich unter so günstigen Umständen das Gesicht des Professors Tartelett nur sehr lückenhaft auf. Er versuchte wohl zu essen, aber ohne Geschmack und Appetit. Godfrey schlug ihm vor, wenigstens den Rettungsgürtel abzulegen, der ihm die Brust beengte; er verweigerte es unbedingt. Schwebte diese Verbindung von Holz und Eisen, welche man ein Schiff nennt, nicht jeden Augenblick in Gefahr, sich unter seinen Füßen zu öffnen?
Der Abend kam heran. Es bildeten sich dichte Nebelwolken, ohne bis auf die Meeresfläche herabzusinken. Dadurch wurde die Nacht immerhin dunkler, als man es nach der schönen Witterung am Tage vorausgesetzt hätte.
In dieser Meeresgegend, deren Lage Capitän Turcotte genau bestimmt hatte, war ja aber kein tückischer Fels zu fürchten; ein Zusammenstoß mit anderen Schiffen ist jedoch immer möglich, und ein solcher wird durch dunstige Nächte natürlich besonders begünstigt.
So wurden also die Schiffslichter sorgfältig in Ordnung gebracht, sobald die Sonne untergegangen war; ein weißes Licht stieg nach der Spitze des Fockmastes empor, und die Positionslichter, ein grünes rechts und rothes links, leuchteten von ihren Gestellen unterhalb der Wanten. Wenn der »Dream« einen Zusammenstoß erlitt, so war es wenigstens nicht sein Fehler, was freilich nur ein unzulänglicher Trost ist. Untergehen, selbst wenn man allen internationalen Vorschriften bezüglich der Schiffsführung auf dem Meere nachgekommen ist, bleibt eben immer – untergehen, und wenn irgend Jemand sich mit derartigen Gedanken trug, so war es ganz gewiß Professor Tartelett.
Inzwischen hatte der würdige Mann, immer rollend, immer schlingernd, die Cabine aufgesucht, ebenso wie Godfrey die seinige, dieser mit der Ueberzeugung, jener nur mit der leisen Hoffnung, eine gute Nacht vor sich zu haben, denn der »Dream« bewegte sich kaum auf den langen Wellen.
Capitän Turcotte begab sich, nachdem er das Commando an den zweiten Officier abgetreten, ebenfalls unter Deck, um einige Stunden der Ruhe zu pflegen. Alles war in bester Ordnung. Das Schiff konnte in voller Sicherheit weiter dampfen, obwohl das neblige Wetter anzuhalten schien.
Nach zwanzig Minuten schlief Godfrey schon fest, und die Schlaflosigkeit Tartelett's, der sich wie gewöhnlich in voller Kleidung niedergelegt hatte, verrieth sich nur noch durch einige langsam hinsterbende Seufzer.
Plötzlich – es mochte gegen ein Uhr Morgens sein – wurde Godfrey durch einen furchtbaren Lärm erweckt.
Er sprang vom Lager, zog binnen einer Secunde die Beinkleider an, warf eine Art Seemannskittel über und fuhr eiligst in die Stiefeln.
Fast gleichzeitig hörte er vom Verdeck her schon den Schreckensschrei:
»Wir sinken! Wir sinken!«
In einem Augenblick stürmte Godfrey aus seiner Cabine in den Achterdecksalon. Da stieß er gegen eine unförmliche Masse, welche er nicht erkannte. Das mußte der Professor Tartelett sein.
Die ganze Mannschaft befand sich auf Deck und lief nach den Befehlen des Capitäns und des zweiten Officiers hier- und dorthin.
»Eine Strandung? fragte Godfrey.
– Ich weiß nicht . . . ich weiß nicht . . . dieser vermaledeite Nebel . . . erwiderte der Capitän, aber jedenfalls sind wir im Sinken!
– Wir sinken wirklich?« . . . rief Godfrey.
In der That ging der »Dream«, der unzweifelhaft auf eine Klippe gerathen war, langsam unter. Schon erreichte das Wasser fast die Höhe des Decks. Das Feuer unter den Kesseln mochte in der Tiefe des Maschinenraumes schon längst verlöscht sein.
»In's Meer, in's Meer, Herr Godfrey! rief der Capitän; jetzt ist kein Augenblick zu verlieren. Das Schiff sinkt sichtlich! Es würde Sie in den Strudel mit hinabziehen! . . .
– Und Tartelett? . . .
– Den überlassen Sie meiner Sorge . . . wir befinden uns kaum eine halbe Kabellänge von einer Küste . . .
– Aber Sie selbst? . . .
– Meine Pflicht ist es, bis zuletzt an Bord auszuhalten, und ich bleibe hier, erklärte der Capitän. Aber Sie müssen fliehen . . . fliehen!«
Godfrey zögerte noch, sich in's Meer zu stürzen; jetzt spülte das Wasser jedoch bis an die Schanzkleidung des »Dream« herauf.
Da packte Capitän Turcotte, welcher recht gut wußte, daß Godfrey wie ein Fisch schwimme, den jungen Mann an den Schultern und erwies ihm den Liebesdienst, ihn über Bord zu werfen.
Es war die höchste Zeit! Wäre der Nebel nicht gewesen, so hätte man gewiß an der Stelle, wo der »Dream« sich eben befand, einen feuchten Abgrund gähnen sehen. . . .
Godfrey aber, der sich schon einige Faden weit in stillem Wasser befand, konnte diesem Wirbel, der wie ein Maelstrom Alles mit sich verschlingt, schnell genug entfliehen.
Alles das war das Werk kaum einer Minute.
Einige Augenblicke später schallte noch ein lauter Verzweiflungsschrei durch die Luft und die Lichter des Schiffes erloschen eines nach dem anderen.
Es war kein Zweifel mehr; der »Dream« hatte seinen Untergang gefunden!
Godfrey hatte glücklicher Weise einen hohen, ziemlich breiten und vor der Brandung geschützten Felsblock erreichen können. Dort rief er vergeblich in die Finsterniß hinaus; keine Stimme antwortete der seinigen, und hier erwartete er, unklar, ob er sich auf einem einzelnstehenden Felsen oder am Rande einer Klippenbank befand, vielleicht der einzig Ueberlebende jener Katastrophe, den erlösenden Tag.