Jules Verne
Die Kinder des Kapitän Grant.Zweiter Band
Jules Verne

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Fünftes Kapitel.
Der Indische Ozean in seinem Groll.

Es war zwei Tage nach dieser Unterredung. John Mangles hatte gerade seine Meridianbestimmung gemacht und meldete, daß der Duncan sich unter dem 103°27' östlicher Länge befinde. Die Reisenden zogen die Schiffskarte zu Rate und nahmen nicht ohne Befriedigung wahr, daß sie kaum noch fünf Grade vom Cap Bernouilli entfernt seien.

Zwischen diesem Cap aber und der Spitze Entrecasteaux beschreibt die Küste von Australien einen Bogen, zu dem der siebenunddreißigste Parallelkreis die Sehne bildet. Wenn jetzt der Duncan nach dem Aequator hingefahren wäre, so hätte er bald das Cap Chatam in Sicht bekommen, welches noch etwa hundertundzwanzig Meilen weit im Norden lag. Man fuhr dann in dem Theile des Indischen Meeres, der durch den Kontinent von Australien vor Wind und Wetter geschützt ist. In vier Tagen etwa durfte man so hoffen, daß das Cap Bernouilli sich am Horizonte zeigen werde.

Bis jetzt war der Westwind der Fahrt unserer Yacht günstig gewesen; seit einigen Tagen jedoch ward derselbe nach und nach schwächer, um allmählig ganz aufzuhören, am 13. Dezember trat wirklich vollständige Windstille ein, und die Segel hingen schlaff längs den Masten nieder. Ohne seine mächtige Schraube hätte sich jetzt der Duncan hier festhalten lassen müssen.

Dieser Zustand der Atmosphäre konnte lange Zeit dauern. Glenarvan unterhielt sich am Abend über diesen Gegenstand mit John Mangles. Der junge Kapitän, der es vor Augen sah, wie seine Kohlenvorrathsräume sich leerten, schien über diese Windstille sehr ärgerlich. Er hatte bereits auf dem Schiffe alle Segel aufspannen und sämtliche Bei- und Hilfssegel aufhissen lassen, um auch den geringsten Luftzug aufzufangen; jedoch es war auch nicht soviel Luft da, um, wenn ich mich eines Matrosenausdrucks bedienen darf, einen Hut damit füllen zu können.

»Jedenfalls,« sagte Glenarvan, »darf man nicht zu schwarz sehen, Windstille ist immer noch besser als widriger Wind.«

»Ew. Herrlichkeit haben Recht,« antwortete John Mangles; »indessen führen in der Regel diese plötzlichen Windstillen Wetterveränderungen herbei. Und die fürchte ich ebenfalls sehr, wir fahren jetzt auf der Grenze der PassatwindeEs sind dies die Winde, welche im Indischen Ocean mit einer außerordentlichen Heftigkeit auftreten. Ihre Richtung bleibt sich nicht gleich; sie ändert je nach den Jahreszeiten und die Sommer-Passatwinde sind im Allgemeinen von der entgegengesetzten der des Winters., die vom Oktober bis April von Nordosten herkommen, und uns nur eine kurze Zeit direkt entgegenzuwehen brauchen, um unsere Reise sehr aufzuhalten.«

»Nun, was denken Sie, John? Wenn wir diesen Widerwind bekommen, so unterwerfen wir uns seiner Macht einfach. Es kann uns doch höchstens etwas aufhalten.«

»Ja, wenn wir nicht zugleich Sturm bekommen.«

»Besorgen Sie denn etwa dergleichen wirklich,« fragte Glenarvan, und besah sich den Himmel, der jedoch vom Horizont bis zum Zenith frei von Wolken erschien.

»In der Tat,« antwortete der Kapitän. »Ew. Herrlichkeit kann ich es sagen, aber Lady Glenarvan und Miß Grant möchte ich um keinen Preis einen Schreck einjagen.«

»Das ist sehr vernünftig gedacht. Aber erklären Sie sich jetzt genauer.«

»Alle Anzeichen lassen stürmisches Wetter befürchten. Sie dürfen sich nicht an das Aussehen des Himmels halten, mein Herr. Nichts täuscht mehr als dieses. Seit zwei Tagen aber fällt das Barometer in wirklich beunruhigender Weise; es ist im Augenblick bereits auf siebenundzwanzig ZollDas sind 73,09 Centimeter. Die normale Höhe der Barometersäule ist 76,0 Centimeter. herab; sehen Sie, dieses Anzeichen darf man nicht unbeachtet lassen. Ich fürchte aber ganz insbesondere den Groll des Australischen Meeres, denn ich habe schon einmal schwer mit ihm ringen müssen. Durch die Verdichtung der Dunstmassen an den bedeutenden Südpolgletschern entsteht ein außerordentlich heftiger Luftzug, und daher in weiterer Folge jener Kampf der polaren und äquatorialen Winde, welcher die Windstöße und Wirbel, und alle die anderen Formen gefährlicher Seestürme erzeugt, mit denen sich ein Schiff nie ohne Nachteil in einen Kampf einläßt.«

»Aber John,« antwortete Glenarvan, »der Duncan ist ja ein solides Fahrzeug, und sein Kapitän ein geschickter Seemann. Bricht wirklich ein Sturm aus, nun so werden wir uns zu verteidigen wissen.«

Indem John Mangles seine Befürchtungen hatte und sie aussprach, folgte er seinem Instinct als Seemann. Ein solcher ist aber eben ein Prophet, der sich auf die Beobachtung des Wetters wirklich versteht. Der tiefe Stand des Barometers ließ ihn alle Maßnahmen, welche ihm die Klugheit an die Hand gab, an Bord ergreifen. Er machte sich auf einen heftigen Sturm gefaßt, den ihm freilich der Zustand des Himmels noch nicht anzuzeigen vermochte, über dessen Nahen ihn aber sein sicheres Instrument nicht in Zweifel ließ. Die atmosphärischen Strömungen kommen aus Gegenden, wo die Merkursäule hoch steht, zu solchen, wo sie sinkt; je mehr sich diese nahe kommen, desto rascher stellt sich das Niveau in den Luftschichten her, und der Windstoß ist um so heftiger.

John blieb während der ganzen Nacht auf dem Verdeck. Gegen ein Uhr verdüsterte sich der Himmel im Süden. Der Kapitän ließ darauf seine ganze Mannschaft aufklettern und die kleineren Segel fortnehmen.

An den übrigen Segeln änderte er Nichts. Gegen Mitternacht erhob sich ein frischer Wind, der bald eine Geschwindigkeit von sechs Toisen in der Secunde erreichte.

Das Krachen der Masten, das Aneinanderschlagen des Takelwerkes, das Pfeifen der auf den Wind gebraßten Segel, das Dröhnen der Verschlage im Innern – dies Alles gab den Passagieren kund, was sie bis jetzt noch nicht wußten.

Paganel, Glenarvan, der Major und Robert erschienen auf dem Verdeck, die einen, um neugierig zu fragen, die anderen sofort bereit, mit Hand an's Werk zu legen. Am Himmel, der, als sie hinabgegangen waren, noch mit Sternen bedeckt, klar und hell ausgesehen, flogen dichte Wolkenmassen dahin, und dazwischen Streifen, die wie Leopardenfelle gefleckt waren.

»Also wirklich Sturm?« fragte Glenarvan John Mangles.

»Wir haben ihn noch nicht, bekommen ihn aber bald«, antwortete der Kapitän, und zugleich gab er Befehl, die Segel zum Theil zu binden. Alsbald kletterten die Matrosen auf den Strickleitern in die Höhe, und es gelang ihnen mit schwerer Mühe die Segeloberfläche zu verringern.

Es war John Mangles darum zu thun, den größten Theil des Segelwerkes möglichst so zu belassen, um die Yacht so zu stützen und ihre schwankenden Bewegungen gelinder zu machen.

Nachdem diese Vorsichtsmaßregeln ergriffen waren, gab er Austin und dem Rüstmeister Befehle, dem Anprall des Sturmes, der bald losbrechen mußte, zu begegnen. Alles geschah nach des Kapitäns Anordnung, und dieser stand da wie ein Officier auf der Höhe einer Schanze, wich und wankte nicht, und strebte von seinem Posten aus dem sturmbewegten Himmel seine Geheimnisse zu entreißen.

Das Barometer war jetzt auf sechsundzwanzig Zoll herabgesunken, ein so niedriger Stand der Quecksilbersäule, wie es nur selten vorkommt; das SturmglasMan versteht darunter Gläser, die eine chemische Mischung enthalten, welche je nach der Windrichtung und der elektrischen Spannung der Atmosphäre ihr Aussehen ändert. zeigte den Sturm an.

Es war jetzt ein Uhr Mittags. Eben wagten es Lady Helena und Miß Grant, die in ihrer Kajüte zu heftig hin- und hergeschüttelt wurden, auf das Verdeck zu kommen. Der Wind, welcher im Augenblicke eine Schnelligkeit von vierzig Toisen in der Secunde hatte, pfiff durch das Takelwerk mit äußerster Heftigkeit und die Metallsaiten desselben tönten, wie die eines Instrumentes, als ob ein riesiger Bogen in heftige Schwingungen versetzt würde. Die Zugwinden schlugen an einander, das Takelwerk aber pfiff scharf beim Hinaufziehen. Die Segel donnerten wie Kanonenschläge, immer mächtiger wälzten sich die Wogen auf die Yacht los, die wie ein Eisvogel sich auf ihren schäumenden Spitzen schaukelte.

Sobald der Kapitän John die Passagiere bemerkt hatte, eilte er auf sie zu und bat sie inständig, in die Kajüte zurückkehren zu wollen. Gerade jetzt wurde das Schiff von einigen großen Wellen überspült.

In jedem nächsten Augenblicke konnte eine Welle hinwegfegen, was sich auf dem Verdeck befand.

Das Toben der Elemente war damals so stark, daß Lady Helena den jungen Kapitän kaum verstehen konnte. Sobald der Sturm nur eine Minute nachließ, richtete sie die Frage an ihn:

»Es ist doch nicht etwa Gefahr vorhanden?«

»O, durchaus nicht, meine Damen,« antwortete John Mangles, »aber Sie dürfen unter keinen Umständen auf dem Verdeck bleiben, und auch Sie nicht, Miß Mary.«

Lady Glenarvan und Miß Grant folgten der Weisung, die fast wie eine Bitte klang, unverzüglich, und gerade als sie wieder in die Kajüte traten, brandete eine Welle über das Hinterverdeck hinaus und es zitterten die Scheiben des Treppenschutzdachs in ihren Fugen.

Im selben Moment verdoppelte sich die Heftigkeit des Sturmes; die Masten bogen sich unter dem Druck der Segel, und es schien fast, als ob die Yacht sich über die Fluthen erhebe.

»Den Vordermast aufgeien! Das Mars- und die Fockmastsegel einziehen!« commandirte jetzt John Mangles, und die Matrosen stürzten sich auf ihre Posten. Die Hißtaue wurden schießen gelassen, die Geitaue stärker angezogen, die Vorderstagsegel mit lärmendem Getöse beigezogen, und der Duncan, dem schwarze Rauchsäulen entströmten, fuhr mit ungleichen Schlägen der Schraube, die mitunter aus den Wogen herausragte.

Mit Bewunderung und Entsetzen zugleich sahen Glenarvan, der Major, Paganel und Robert diesem Kampfe des Duncan mit den Wogen zu. Sie mußten sich aber dabei fest an die Geländer klammern; ein Wort mit einander zu wechseln, war ihnen nicht möglich, stumm betrachteten sie die Reihen der geflügelten Satansboten, die unglückseligen Sturmvögel, die in den entfesselten Winden flatterten.

Da vernahmen sie plötzlich neben dem Toben des Sturmes ein furchtbares Pfeifen. Gleichzeitig begann außerordentlich heftig der Dampf auszuströmen und zwar nicht auf dem gewohnten Wege, sondern durch die Ventilklappen; die Alarmpfeife ertönte mit einer ungewöhnlichen Stärke; Wilson aber, der am Rade stand, wurde plötzlich durch einen Schlag mit der Stange niedergeworfen. Der Duncan hatte keine Führung mehr.

»Was ist das?« rief John Mangles, und lief auf den Steg.

»Das Schiff legt sich schief!« antwortete Tom Austin.

»Um Gottes Willen, ist das Steuerrad entzwei?«

»An die Maschine, an die Maschine!« rief jetzt der Ingenieur.

Alsbald stürzte John nach der Maschine hin und eilte die Treppe hinab. Der ganze Raum war eine Dampfwolke; die Stempel bewegten sich nicht in den Cylindern, das Triebwerk stand stille.

Der Maschinist, der jetzt die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen sah, und da er für seine Kessel fürchtete, schloß den Zulaßhahn und ließ den Dampf durch das Ventil ausströmen.

»Was giebt's denn?« fragte der Kapitän.

»Entweder ist die Schraube zerbrochen oder gehemmt,« antwortete der Maschinist; »jedenfalls arbeitet sie nicht mehr.«

»Und es ist schlechterdings nicht möglich, sie frei zu machen?«

»Nein.«

Der Augenblick war jetzt nicht dazu geeignet, nach einem Mittel zur Abhilfe zu suchen. Die Thatsache war unbestreitbar, daß die Schraube nicht weiter arbeiten konnte, und der Dampf deswegen durch die Ventile fortgelassen werden mußte. Was blieb John nunmehr übrig, als wieder zu den Segeln zu greifen und mit Hilfe desselben Windes, der jetzt sein gefährlichster Feind war, seine Rettung zu suchen.

Er begab sich wieder auf das Verdeck, und erklärte Lord Glenarvan mit zwei Worten die Sachlage, dann drang er in ihn, daß er zugleich mit den anderen Passagieren das Verdeck verlassen möge. Glenarvan aber wollte gern oben bleiben.

»Nein, Ew. Herrlichkeit,« antwortete John Mangles mit fester Stimme. »Ich muß durchaus mit meiner Mannschaft allein hier sein. Gehen Sie schnell hinunter. Denn das Schiff kann jetzt jeden Augenblick in die bedenklichste Lage kommen, und die Wellen nehmen Sie dann ohne Erbarmen mit fort.«

»Aber wir können uns doch unter Umständen hilfreich erweisen.«

»Gehen Sie zurück, Mylord, ich wiederhole es. Es muß sein! Es können Fälle eintreten, wo ich unumschränkte Herrschaft an Bord habe! Ziehen Sie sich jetzt zurück, muß ich Sie auffordern.«

Wenn John Mangles seine Autorität in solcher Weise geltend machte, so mußte die Situation wirklich zum Aeußersten gekommen sein.

Glenarvan sah ein, daß er mit dem Beispiel des Gehorsams vorangehen müsse, und verließ mit seinen drei Genossen das Verdeck; sie trafen unten die beiden Damen, die mit Angst der Erlösung aus diesem Kampfe mit den Elementen entgegensahen.

»Es ist doch ein energischer Mensch, der wackere John,« sagte Glenarvan, als sie in die Kajüte traten.

»Gewiß,« antwortete Paganel, »und ich habe eben lebhaft an den Steuermann denken müssen, den Ihr großer Landsmann Shakespeare im ›Sturm‹ auftreten und dem König, als er sich an Bord begeben will, zurufen läßt:

Hinweg, und gar kein Wort! In Eure Koje!
Wenn Ihr nicht Ruh' gebieten könnt den Elementen,
So schweigt, und gehet selbst mir aus dem Wege.«

Inzwischen ließ John Mangles nicht eine Secunde unbenutzt, um das Schiff aus der gefahrvollen Lage, worin es durch die Unthätigkeit seiner Schraube gekommen, herauszuziehen. Es galt, die Kraft der Segel zu behalten, und diese schief zu richten.

Die Yacht, welche von großer Seetüchtigkeit war, drehte sich rasch wie ein Pferd, welches den Sporn fühlt, und bot den auf sie einstürmenden Wellen die Flanke dar. Aber war auch das Segelwerk im Stande zu halten? Es war zwar aus dem besten Dundeeleinen fabricirt, doch war auch das stärkste Gewebe im Stande, einer solchen Gewalt zu widerstehen?

Es hatte diese Vorkehrung den Vorteil, daß sie dem Anprall der Wogen die festesten Teile der Yacht darbot und dieser gestattete, ihre erste Richtung beizubehalten. Trotzdem war sie nicht gefahrlos, denn das Schiff konnte leicht zwischen den aufgetürmten Wogen in eine Lage geraten, daß es nicht im Stande war, sich wieder aufzurichten. Indessen John Mangles hatte keine Wahl mehr, und entschloß sich deshalb, dem Schiffe die Haltung zu geben, daß die Masten und Segel nicht abwärts kämen. Seine Mannschaft hielt sich unter seinen Augen, jeder einzelne stets bereit sich dahin zu begeben, wo seine Gegenwart erheischt wurde. Sich an dem Haupttau haltend, überwachte John das aufgeregte Meer.

In dieser Situation durchlebte man auch den Rest der Nacht und trug sich mit der Hoffnung, daß mit Anbruch des Tages der Sturm sich legen würde. Aber man hoffte vergeblich. Gegen acht Uhr morgens wurde derselbe vielmehr noch stärker – seine Schnelligkeit kam auf achtzehn Toisen in der Sekunde – man hatte jetzt Orkan.

John sprach kein Wort, aber er hatte nunmehr wirklich Besorgnis für sein Schiff, die Bemannung und Passagiere. Immer mehr kam der Duncan in eine so arg geneigte Lage, daß das Schlimmste zu befürchten war. Die Deckstützen krachten, und der Schaum der Wogen spritzte schon bis zum äußersten Ende des Vordermastes. Einen Augenblick glaubte man wirklich, die Yacht werde nicht wieder in die Höhe kommen. Schon standen die Matrosen, das Beil in der Hand, bereit, aufzuklettern und die Taue am Hauptmast abzuhauen, als die Segel losrissen und wie riesige Albatrosse davonflogen.

Der Duncan kam wieder in aufrechte Lage; doch jetzt inmitten der Wogen ohne Halt und ohne Richtung, mußte er sich dergestalt hin- und herwerfen lassen, daß die Masten Gefahr liefen, bis zu ihrer Einfügung hinab abzubrechen. Lange konnte ein solches Schwanken nicht dauern; es drohten die Fugen auseinander zu gehen, so daß die Wogen eindrangen.

John Mangles blieb jetzt nur das Eine übrig, einen Sturmfock herzustellen und mittelst seiner dem Wetter zu entfliehen. Aber es kostete mehrere Stunden Arbeit, und bis man soweit war, konnte man zwanzigmal verloren sein. Erst um drei Uhr Nachmittags ward man damit fertig.

Der Duncan lief also in der Richtung nach Nordost, wohin ihn der Wind trieb. Die größtmögliche Schnelligkeit mußte er beibehalten, denn davon hing allein sein Heil ab.

Manchmal übertraf er an Schnelligkeit die Wellen, mit denen er dahingerissen wurde; er durchschnitt sie mit seinem Vordertheil, so daß das Verdeck von vorn bis hinten überfluthet wurde. Dann wieder kam seine Schnelligkeit der den Wogen gleich, so daß sein Steuerruder Nichts zu leisten vermochte, und er kam wiederholt in Gefahr umzuwerfen. Schließlich kam es auch vor, daß unter dem Sturmeswehen die Wogen schneller liefen als das Schiff. Sie sprangen dann über Rand, und das Verdeck wurde mit einer Gewalt, der unmöglich Widerstand zu leisten war, vollständig abgespült.

In dieser aufregenden Situation, fortwährend zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, blieb man den ganzen 15. December und die auf ihn folgende Nacht. John Mangles wich keinen Augenblick von seinem Posten, nicht einmal um nur Nahrung zu sich zu nehmen. Fortwährend quälte er sich mit den schlimmsten Befürchtungen, welche er nicht in seinen Gesichtszügen verrathen wollte; starr blickten seine Augen, als möchten sie die im Norden sich dicht lagernden Nebelschatten durchdringen können.

Aber er hatte in Wirklichkeit auch Grund das Schlimmste zu befürchten. Der Duncan konnte, einmal aus seiner Bahn geworfen, wie er war, auf die australische Küste mit einer Schnelligkeit anlaufen, die zu hemmen nicht möglich war.

Jeden Augenblick fürchtete er den Anprall auf eine Klippe, wobei die Yacht in tausend Stücke zerschellen mußte. Er meinte, die Küste könne nur noch zwölf Meilen unter'm Wind entfernt sein.

Aber Land, das war gleichbedeutend mit Schiffbruch, mit dem Verlust des Schiffes. Dagegen war der unbegrenzte Ocean weit besser, denn gegen seine Wuth konnte ein Schiff sich schützen, wenn es auch weichen mußte. Wenn es aber der Sturm an's Land warf, war es unter allen Umständen verloren.

John Mangles suchte jetzt Glenarvan auf, und erstattete ihm ganz speciellen Bericht; er schilderte ihm die Lage, wie sie war, ohne ihr von ihrer Härte etwas zu nehmen; er schaute ihm dabei in's Gesicht mit der Kaltblütigkeit eines Seemannes, der zu Allem bereit sein muß, und sprach sich dann dahin aus, daß er vielleicht gezwungen sein würde, den Duncan an's Land zu werfen. Um, wenn es möglich ist, seine Passagiere zu retten, setzte er hinzu.

»Thun Sie das, John,« antwortete Glenarvan.

»Und wie steht es mit Lady Helena und Miß Grant?«

»Ich gedenke sie erst im letzten Moment, wenn alle Hoffnung, daß wir uns auf dem Meere halten können, geschwunden ist, davon zu benachrichtigen. Sie werden mir bei Zeiten einen Wink geben.«

»Das will ich tun, Mylord.«

Darauf wandte sich Glenarvan zu den Damen, die, wenn sie auch die Gefahr noch nicht in ihrer ganzen Größe erkannten, es sich immerhin bewußt waren, daß sie groß genug sei. Ihr Muth, den sie zeigten, war mindestens dem ihrer männlichen Gefährten gleich. Paganel erging sich nun in den unzeitigen Theorien über die Richtung der atmosphärischen Strömungen, und entwickelte Robert, der ihm zuhörte, interessante Vergleiche über die Wirbelströmungen, die Wasserhosen und die gradlinigen Stürme. Der Major aber erwartete das Ende mit dem Fatalismus eines Muselmannes.

Gegen elf Uhr schien sich der Sturm ein wenig zu legen; die feuchten Nebel zerstreuten sich, und als es mit einem Male klar geworden, erblickte John ein niedriges Land, etwa sechs Meilen unter'm Wind. Er lief jetzt mit vollem Segeln darauf los. Aber die See brandete dort zu außerordentlicher Höhe, wohl bis zu fünfzig Fuß und darüber. John nahm an, daß sich dort ein fester Stützpunkt befinden mußte, der sie bis zu einer solchen Höhe aufspringen ließ.

»Es sind da Sandbänke,« sagte er zu Austin.

»Das ist auch meine Ansicht,« antwortete der Steuermann.

»Wir sind in Gottes Hand,« fuhr John fort. »Will Er dem Duncan keinen irgendwie fahrbaren Ausweg weisen, und ihn nicht selbst führen, so sind wir verloren.«

»Die Fluth ist in diesem Augenblicke auf der Höhe, Kapitän, vielleicht können wir über diese Sandbänke hinauskommen.«

»Aber was meinen Sie, Austin, dieser Aufruhr der Wogen. Wie könnte ein Schiff ihm widerstehen? Flehen wir um Gottes Beistand.«

Inzwischen näherte sich der Duncan mit Hilfe seines Sturmfocks der Küste mit einer erschrecklichen Schnelligkeit. Schon waren es bald nur noch zwei Meilen bis zu den Sandbänken. Jeden Augenblick verdeckten die Nebel das Land auf's Neue. Nichtsdestoweniger glaubte John jenseits des schäumenden Gürtels ein ruhigeres Bassin wahrzunehmen. War man einmal dort, so befand sich der Duncan verhältnißmäßig sicher. Aber wie dahin durchkommen?

John ließ jetzt seine Passagiere auf's Verdeck kommen. Er wollte nicht, daß sie, wenn wirklich die Stunde des Schiffbruches gekommen sei, in der Kajüte eingeschlossen wären. Glenarvan und seine Gefährten betrachteten das fürchterliche Meer. Mary Grant erblaßte.

»John,« begann Glenarvan leise zu dem jungen Kapitän, »ich meinerseits will versuchen meine Frau zu retten, wenn es nicht möglich, mit ihr untergehen. Nehmen Sie sich der Miß Grant an.«

»Ja, Ew. Herrlichkeit«, antwortete John Mangles, und führte die Hand des Lords an seine feuchten Augen.

Der Duncan war jetzt nur noch einige Faden weit vom Fuße der Bänke entfernt.

Das Meer, gerade sehr hoch, hätte zweifellos genug Wasser unter dem Kiel der Yacht gelassen und ihr den Durchbruch der gefährlichen Sandbänke schon gestattet; aber damals mußte die Höhe der Wogen, das abwechselnde Steigen und Fallen, den Kiel unfehlbar auf den Grund stoßen lassen. Gab es nicht ein Mittel, die Bewegungen der Wellen zu besänftigen, das Gleiten ihrer flüssigen Elementarteile zu erleichtern, mit einem Worte, das stürmische Meer zu beruhigen?

Zuletzt kam John Mangles noch auf eine Idee.

»Oel!« rief er, »Kinder einen Strahl von Oel«, wiederholte er.

Augenblicklich verstand die gesamte Mannschaft diese Worte.

Es handelte sich darum, ein Mittel anzuwenden, das allerdings bisweilen glückte. Man konnte nämlich die aufgeregte Fluth dadurch besänftigen, daß man sie mit einer Oelschicht bedeckte, diese Schicht bleibt dann oben schwimmen, und wirkt dem Stoß der Wogen, die es schlüpfrig macht, entgegen. Die Wirkung folgt unmittelbar, aber sie dauert nicht an. Und sobald ein Schiff über diese Schicht hinaus ist, verdoppelt das Meer seine Wut, und wehe dann dem, der sich danach noch hineinwagen sollte.Die Seegesetze verbieten daher auch dem Kapitän die Anwendung dieses verzweifelten Mittels für den Fall, daß ein zweites Schiff nachfolgt und den Durchgang mit benutzen will.

Die Tönnchen mit dem Vorrath von Seehundsöl wurden jetzt durch die Mannschaft, deren Kräfte inmitten der Gefahr hundertfach gesteigert waren, auf das Vorderdeck gezogen, mit dem Beil aufgeschlagen und an das Geländer des Steuer- und Backbords aufgehängt.

»Nun gebt Achtung!« rief John Mangles, der auf den richtigen Moment lauerte.

In zwanzig Sekunden erreichte die Yacht den durch die brausende Springflut versperrten Durchgang. Jetzt war der Augenblick da.

»Gott sei mit uns!« rief der junge Kapitän.

Die Tonnen wurden umgewendet, und so ergoß sich denn aus ihnen die ölige Flut. Augenblicklich wurde die schäumende Oberfläche von der Oelschicht überströmt. Der Duncan glitt rasch über die beruhigten Wogen, und befand sich bald in einem ruhigen Becken jenseits der gefährlichen Bänke, während der Ocean hinter ihm mit unbeschreiblicher Wut tobte.

 


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