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XVI.

Ein Capitel, das nur von unsern, nach einigen hundert Jahren lebenden Kindeskindern zu lesen ist.

 

Wenn der Exkapitän von der Küstenfahrt nicht ein vollkommener Narr war, was bedeutete dann sein Benehmen, als er die unzweifelhafte Lage des Eilands, das den Schatz Kamylk-Paschas barg, endlich erfuhr?

In den folgenden Tagen – ein plötzlicher, unbegreiflicher Rückfall – hatte Pierre-Servan-Malo seine alten Gewohnheiten wieder ausgenommen und lustwandelte, die Pfeife zwischen den Lippen und den Kiesel im Munde, auf den Wällen und am Hafen umher. Er war aber nicht mehr er selbst. Ein sardonisches Lächeln umspielte seine Lippen. Er erwähnte des Schatzes nicht mehr, sprach nicht, von den früheren Reisen und auch nicht von einer zu unternehmenden letzten, die es ihm ermöglicht hätte, die so viel gesuchten Millionen heimzuholen.

Gildas Tregomain, Nanon, Enogate und Juhel wußten nicht, woran sie waren. Jeden Augenblick erwarteten sie, daß Meister Antifer ein »Nun vorwärts« rufen sollte, er rief es aber nicht.

»Was hat er nur? fragte Nanon.

– Den hat man uns vertauscht! meinte Juhel.

– Es ist vielleicht die Furcht, Fräulein Talisma Zambuco zu heiraten! bemerkte der Frachtschiffer. Doch gleichviel ... wir dürfen nicht zugeben, daß er so viele Millionen im Stiche läßt!«

Kurz, unser Malouin war jetzt ein ganz andrer und Gildas Tregomain der, der »den Antifer spielte«. Jetzt nagte der Durst nach Gold an ihm! Das war ja nur logisch. Erst, wo man nicht wußte, ob sich ein Eiland finden würde, zog man zu dessen Entdeckung aus, und jetzt, wo dessen Lage bekannt war, schwieg Alles davon, dorthin aufzubrechen?

Der Frachtschiffer sprach hierüber des öfteren mit Juhel.

»Was kann's nützen?« erwiderte der junge Kapitän.

Er sprach darüber mit Nanon.

»Ach, lassen wir den Schatz liegen, wo er liegt!«

Er sprach davon mit Enogate.

»Na, wie wär's, Kleine, dreiunddreißig Millionen in Deine Tasche?

– Hier, Herr Tregomain, haben Sie dreiunddreißig Küsse! Die sind mehr werth!«

Endlich entschloß er sich, Meister Antifer selbst zur Rede zu stellen, und vierzehn Tage nach dem letzten Vorkommnisse sagte er zu ihm:

»Nun ... alter Freund ... das Eiland? ...

– Welches Eiland, Frachtschiffer?

– O, das Eiland im Mittelmeer! ... Das existiert da, glaub' ich bestimmt.

– Ob es existiert, Frachtschiffer! ... Ich sage Dir, ich glaube an seine Existenz fester, als an Deine und meine!

– Warum gehen wir dann nicht dahin?

– Dahin gehen, Süßwasser-Seemann? ... Da wollen wir doch warten, bis uns Kiemen gewachsen sind!«

Gildas Tregomain zerbrach sich den Kopf, was diese Antwort bedeuten sollte. Er ließ den Muth aber nicht sinken. Freilich, die dreiunddreißig Millionen kamen ja weniger ihm, als den Kindern zu gute. Verliebte denken nicht an die Zukunft. Man mußte für sie daran denken.

Kurz, er verharrte bei dieser Angelegenheit so zähe, daß Meister Antifer ihm eines Tages erwiderte:

»Drängst Du denn so darauf, abzureisen?

– Jawohl, ich, alter Freund.

– Du meinst, daß wir das thun sollten?

– Ganz gewiß ... lieber heute als morgen!

– Nun gut ... reisen wir ab!«

Doch mit welchem Tone brachte der Malouin die letzten Worte heraus!

Vor der Abreise galt es aber, sich wegen des Banquiers Zambuco und des Notars Ben Omar klar zu werden. Ihr Verhältniß als Miterbe und Testamentsvollstrecker bedingte: Erstens, daß sie von der Entdeckung des Eilands Nummer vier Kenntniß erhielten und zweitens, daß sie sich an noch zu bestimmendem Tage auf genanntem Eiland einfanden, um der eine seinen Antheil, der andre seine Provision in Empfang zu nehmen.

Meister Antifer hielt vielleicht noch mehr als der Frachtschiffer darauf, daß alles vorschriftsmäßig zuging. So wurden also zwei Depeschen nach Tunis und nach Alexandria entsendet, die ein Zusammentreffen mit den beiden Interessenten für den 23. October in Girgenti, der der Lage des letzten Eilandes am nächsten kommenden Stadt, bestimmten, um von dem Schatze Besitz zu nehmen.

Was den Reverend Tyrcomel anging, sollte diesem sein Antheil zu gelegener Zeit zugesendet und ihm freigestellt werden, seine Millionen in den Forth zu werfen, wenn er sich daran die Finger zu verbrennen fürchtete.

Um Saouk brauchte man sich nicht zu kümmern. Ihm kam ja nichts zu, und er verdiente es, seine Strafjahre in finsterm Loche des Edinburger »Jarl« abzusitzen.

Nachdem die Reise festgesetzt war, wird es niemand wundern, daß sich diesmal Gildas Tregomain drängte, von der Partie zu sein. Erstaunlicher möchte es sein, wenn Enogate sich nicht ebenfalls anschloß. Es wäre kaum zwei Monate nach ihrer Hochzeit gewesen, daß Juhel zugestimmt hätte, sich von seiner Gattin zu trennen, und Enogate gezögert hätte, ihm zu folgen.

Der neue Zug sollte ja bestimmt gar nicht lange währen; man dachte nur hin und zurück zu reisen. Von der etwaigen Aufsuchung eines fünften Eilands sollte in jedem Falle abgesehen werden. Gewiß hatte Kamylk-Pascha seiner schon zu langen Inselkette kein weiteres Glied angeschlossen.

Nein, die Angabe lautete zu bestimmt: Der Schatz lag unter einem der Felsen des Eilands Nummer vier und dieses Eiland nahm mit mathematischer Sicherheit eine Stelle zwischen der Küste Siciliens und der Insel Pantellaria ein.

»Doch muß es eine geringe Ausdehnung haben, bemerkte Juhel, da es nicht einmal auf den Seekarten angegeben ist.

– Wahrscheinlich!« erwiderte Meister Antifer mit mephistophelischem Lächeln.

Das war rein unbegreiflich!

Man beschloß zunächst, die schnellsten Beförderungsmittel zu wählen, also so viel wie möglich die Eisenbahnen. Schon gab es einen ununterbrochenen Schienenweg durch Frankreich und Italien, von Saint Malo bis Neapel. Auf die Kosten kam es nicht an, da man ja jetzt einige dreißig Millionen einheimsen sollte.

Am 16. Oktober des Morgens nahmen die Reisenden von Nanon Abschied und benützten den ersten Bahnzug. In Paris, wo sie sich nicht aufhielten, bestiegen sie den Schnellzug nach Lyon, überschritten die französisch-italienische Grenze, sahen nichts von Mailand, von Florenz oder Rom und langten am 20. Oktober in Neapel an. Gildas Tregomain fühlte sich bezüglich des Erfolgs dieses letzten Auszugs ebenso sicher, wie von dem hundertstündigen Schütteln der Bahnzüge abgemattet.

Am nächsten Morgen schon brachen sie zeitig aus dem »Hôtel Victoria« auf, und Meister Antifer, Gildas Tregomain, Juhel und Enogate belegten sich Plätze auf dem Dampfboote, das zwischen hier und Palermo verkehrt, und kamen nach schöner, eintägiger Fahrt in der Hauptstadt Siciliens an.

Natürlich war nicht davon die Rede, deren Wunder in Augenschein zu nehmen. Diesmal dachte selbst Gildas Tregomain nicht daran, auch nur eine flüchtige Erinnerung an die letzte Reise mitzunehmen, noch voller Andacht den berühmten sicilianischen Vespern, von denen er gehört hatte, beizuwohnen. Nein, für ihn war Palermo nicht die berühmte Stadt, der sich nacheinander Normannen, Franzosen, Spanier und Engländer bemächtigten, es war weiter nichts als der Abgangspunkt der öffentlichen Fuhrwerke, der gewöhnlichen und der Eilposten, die zweimal wöchentlich in neun Stunden nach Corbeone und ebenfalls zweimal wöchentlich in zwölf Stunden von Corbeone nach Girgenti verkehren.

Nach Girgenti mußten sich unsre Reisenden aber begeben, denn für hier, im alten Agrigentum an der Südküste der Insel, war das Stelldichein mit dem Banquier Zambuco und dem Notar Ben Omar verabredet.

Diese Art der Fortbewegung droht freilich zuweilen mit unangenehmen Zwischenfällen. Die Poststraßen sind hier nicht besonders sicher. In Sicilien giebt es noch Räuberhorden und wird es solche stets geben. Sie gedeihen da, wie die Oelbäume und Aloës.

Die Eilpost ging jedenfalls am nächsten Tag ab und die Fahrt verlief ohne Störung. Man erreichte Girgenti am Abend des 23. Oktobers, und wenn noch nicht am Ziele, so war man jetzt doch ganz nahe daran ...

Der Banquier und der Notar waren richtig eingetroffen, der eine von Alexandria, der andere von Tunis. O, du unersättlicher Durst nach Gold, was bringst du alles zu Wege!

Beim ersten Zusammentreffen wechselten die beiden Erben keine andern Worte als:

»Des Eilands sicher, diesmal?

– Ganz sicher.«

Doch in wie sarkastischem Tone hatte Meister Antifer geantwortet, und welch' ironische Flamme leuchtete aus seiner Pupille!

In Girgenti irgend ein passendes Fahrzeug zu finden, das konnte weder schwierig noch zeitraubend sein. Im Hafen hier fehlt es weder an Fischerbooten, noch an Küstenfahrzeugen – an Balancellen, Tartanen, Feluken, Speronaren oder an sonst einer Art mittelländischer Seefahrzeuge.

Es handelte sich ja auch nur um einen kurzen Ausflug aufs Meer hinaus, etwas wie um eine Promenade von vierzig Seemeilen nach Westen von der Küste. Bei gutem Winde und wenn man noch am Abend absegelte, mußte man auf dem gesuchten Punkte zeitig genug anlangen, um noch am Vormittage ein Besteck machen zu können.

Das Schiff wurde gemiethet. Es hieß die »Providenza« und war eine Feluke von dreißig Tonnen, geführt von einem alten Seebär – Lupus maritimus – der diese Gegend seit fünfzig Jahren befuhr. Der kannte hier das Wasser! Um zwischen Sicilien bis Malta, oder zwischen Malta und der tunesischen Küste zu segeln, hätte er die Augen zumachen können!

»Es ist ganz unnütz, ihn hören zu lassen, was wir hier vorhaben, Juhel! –

Diese Empfehlung des Frachtschiffers erschien Juhel sehr klug und weise.

Der Führer der Feluke nannte sich Jacobo Grappa. Da den Erben Kamylk-Paschas das Glück einmal lächelte, hätte dieser Jacobo, der zwar nicht französisch sprach, doch hinreichend verstanden, wovon zwischen ihnen etwa die Rede war.

Und dann, ein weiteres Glück, ein – wie man so sagt – unverschämtes Glück! Jetzt, im October, ganz nahe der schlechten Jahreszeit, war schon zehn gegen eins zu wetten, daß das Wetter ungünstig, das Meer stark bewegt und der Himmel bedeckt wäre. Doch nein! Bei mäßiger Frische und trockener Lust wehte der Wind vom Lande her, und als die »Providenza« unter vollen Segeln abfuhr, lag ein herrlicher Mondschein auf den Berghöhen Siciliens.

Jacobo Grappa hatte nur fünf Mann bei sich, diese genügten schon für alle Segelmanöver der Feluke. Das leichte Fahrzeug glitt auf die hohe See hinaus bei so ruhigem Wasser, daß selbst Ben Omar nicht einmal von einem Anfalle der Seekrankheit heimgesucht wurde. Noch nie war er bei einer Fahrt so außerordentlich begünstigt gewesen.

Die Nacht verging ohne Zwischenfall und das Morgenroth verkündigte einen wunderschönen Tag.

Pierre-Servan-Malo benahm sich aber wirklich erstaunlich. Die Hände in den Taschen, die Pfeife im Munde und scheinbar ganz gleichgiltig, wanderte er auf dem Verdeck hin und her. Wenn Gildas Tregomain – er eine Beute höchster Erregung – ihn so sah, wollte er gar nicht seinen Augen trauen. Er hatte sich auf dem Vorderdeck niedergesetzt. Enogate und Juhel standen bei einander. Die junge Frau war entzückt über die herrliche Fahrt und träumte davon, ihren Gatten auch bei allen seinen Reisen nach fernen Erdtheilen begleiten zu dürfen.

Von Zeit zu Zeit trat Juhel an den Steuermann heran und gab diesem den richtigen Cours, wenn die »Providenza« zu gerade nach Westen hinaus segelte. Unter Berücksichtigung ihrer Schnelligkeit rechnete er darauf, daß die Feluke gegen elf Uhr den so ersehnten Punkt erreicht haben müsse. Dann begab er sich wieder zu Enogate, was ihm freilich von Gildas Tregomain mehr als einmal die Ermahnung zuzog:

»Beschäftige Dich nicht so viel mit Deinem Weibchen, Juhel, und denke hübsch an das, was jetzt unsre Hauptsache ist!»

Jetzt sagte er »unsre Hauptsache«, der Frachtschiffer. O, welche Wandelung! Und doch war sie nur im Interesse der jungen Leute erfolgt.

Um zehn Uhr noch kein Stück Land in Sicht. In dem Theile des Mittelmeers zwischen Sicilien und dem Cap Bon trifft man in der Richtung nach Westen außer Pantellaria auch keine bedeutendere Insel. Um eine solche handelte es sich aber auch gar nicht, sondern nur um ein Eiland, ein einfaches Eiland, und nicht weit draußen im Meere.

Wenn der Banquier und der Notar den Blick auf Meister Antifer richteten, da konnten sie sein blitzendes Auge, seinen sich bis an die Ohren verlängernden Mund durch die bläulichen Tabakswolken, die er aus der Pfeife blies, kaum erkennen.

Jacobo Grappa begriff nichts von der Richtung, die man hier seiner Feluke gab und ob die Passagiere etwa die tunesische Küste anlaufen wollten. Doch das galt ihm schließlich gleich. Er wurde recht gut dafür bezahlt, nach Westen hinaus zu segeln, und das wollte er so lange thun, bis man von ihm verlangte, wieder umzukehren.

»Donque, sagte er zu Juhel, sollen wir immer noch weiter nach Sonnenuntergang zu steuern?

– Ja.

Va bene!«

Und er steuerte bene.

Um zehneinviertel Uhr begann Juhel, den Sextanten in der Hand, seine erste Beobachtung, die ihm ergab, daß sich die Feluke unter 37° 30' nördlicher Breite und 10° 33' östlicher Länge befand.

Während er das ausführte, sah ihm Meister Antifer, mit den Augen zwinkernd, von der Seite zu.

»Nun, Juhel? ...

– Wir befinden uns in der richtigen Länge, lieber Onkel, und brauchen nur wenige Meilen nach Süden zu segeln.

– Na, so segeln wir hinunter, lieber Neffe, immer zu! Ich glaube immer, wir können gar nicht weit genug nach Süden hinunter kommen!«

Da soll einer von diesem außerordentlichsten aller Malouins der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein Wort verstehen!

Die Feluke fiel nach Backbord ab, um sich Pantellaria zu nähern.

Das Auge halb geschlossen und die Lippen zusammengekniffen, überließ sich der alte Schiffer allerhand Muthmaßungen. Als Gildas Tregomain einmal ganz in seiner Nähe stand, konnte er sich auch nicht überwinden, zu fragen, was die Fremden denn eigentlich hier suchten.

»Unser Taschentuch, das wir früher in dieser Gegend verloren haben! antwortete der Frachtschiffer, den trotz seines gutmüthigen Charakters nun doch die üble Laune übermannte.

Va bene, Signor!«

Um zwölfeinviertel Uhr war auch noch kein Felsenhaufen in Sicht, und doch mußte die »Providenza« jetzt an der Stelle des Eilands Nummer vier schwimmen.

Doch nichts ... nichts, so weit das Auge reichte!

Ueber die Strickleiter an Backbord kletterte Juhel zur Höhe des Mastes hinauf. Von hier aus überblickte er das Meer in zwölf- bis fünfzehnmeiligem Umkreise.

Nichts ... immer nichts!

Als er wieder nach dem Deck herunter kam, trat Zambuco mit dem Notar an der Seite zu ihm und fragte besorgt:

»Nun, Kapitän, das Eiland Nummer vier? ...

– Ist nicht in Sicht.

– Bist Du Dir wegen Deiner Berechnung sicher? setzte Meister Antifer mit halb spöttischer Stimme hinzu.

– Ganz sicher, lieber Onkel.

– Nun, Herr Neffe, dann muß man annehmen, daß Du noch keine ordentliche Beobachtung auszuführen verstehst ...«

Der junge Kapitän fühlte sich tief verletzt, und da sich seine Stirn schon röthete, suchte ihn Enogate durch einen bittenden Wink zu besänftigen.

Gildas Tregomain glaubte dazwischentreten zu müssen und richtete das Wort an den alten Felukenführer.

»Grappa? ... begann er.

– Zu Ihrem Befehl.

– Wir suchen hier nämlich ein Eiland ...

– Si, Signor.

– Liegt denn kein Eiland in dieser Gegend des Meeres? ...

– Ein Eiland? ...

– Ja.

– Ein Eiland, wie Sie es nennen?

– Ja doch, ein Eiland ... er fragt Dich nach einem Eiland! wiederholte Meister Antifer mit den Achseln zuckend. Verstehst Du, so ein hübsches, kleines Eiland ... ein Inso ... Insa ... ein Inselchen! ... Verstehst Du mich denn nun endlich?

– Entschuldigen Sie, Excellenz! ... Eine kleine Insel ist es, die Sie suchen?

– Ja wohl ... rief Gildas Tregomain. Gibt es hier eine solche?

– Nein, Signor.

– Nein? ...

– Nein ... Doch es gab einmal eine ... ich habe sie selbst gesehen und bin sogar daran ans Land gegangen!

– Da ans Land gegangen? ... wiederholte der Frachtenschiffer.

– Die ist aber verschwunden ...

– Verschwunden? ... schrie Juhel auf.

– Si, Signor ... seit einunddreißig Jahren ... bei der heiligen Lucia! ...

– Und welches Eiland war das? fragte Gildas Tregomain die Hände ringend.

– Tausend Kutter und Schuten, Frachtfuhrmann, rief Meister Antifer, das war das Eiland oder vielmehr die Insel Julia!«

Die Insel Julia! ... Da dämmerte Juhel plötzlich ein Licht auf.

In der That, die Insel Julia oder Ferdinandea oder Hothan oder Graham oder Nerita – nenne man sie nun, mit welchem Namen es beliebt – diese Insel war an der vorliegenden Stelle am 28. Juni 1831 aufgestiegen. An ihrem damaligen Vorhandensein war gar kein Zweifel zulässig. Der neapolitanische Kapitän Carrao hatte sich in der Nähe befunden, als der unterseeische Ausbruch, der sie erzeugte, stattfand. Der Fürst Pignatelli hatte die Feuersäule beobachtet, die aus der Mitte der neugeborenen Insel wie ein Stück Kunstfeuerwerk als leuchtende Garbe emporschoß. Der Kapitän Irton und der Doctor John Davy waren Zeugen dieser merkwürdigen Erscheinung gewesen. Zwei Monate lang konnte man die mit Schlacken und warmem Sande bedeckte Insel betreten. Der Meeresgrund war es, den hier Plutonische Kräfte bis über die Meeresoberfläche hinauf gedrängt hatten.

Im December 1831 hat sich das Felsengewirr wieder gesenkt; die Insel war verschwunden und auf dem Meere ringsum keine Spur davon weiter zu entdecken.

In dieser so kurzen Spanne Zeit hatte ein unglücklicher Zufall Kamylk-Pascha und den Kapitän Zô nach diesem Theile des Mittelländischen Meeres geführt. Sie suchten ein unbekanntes Eiland und, wahrhaftig! ein solches war das hier, das im Juni jenes Jahres aufgetaucht und im December wieder versunken war. Jetzt lag der kostbare Schatz gegen hundert Meter tief unter dem Wasser! ... Jene Millionen, die der Reverend Tyrcomel hatte ersäufen wollen ... hier hatte die Natur das Moral verbessernde Werk vollbracht und es war nicht mehr zu fürchten, daß sie sich zum Nachtheil der Welt auf dieser verbreiteten! ...

Hier müssen wir aber mittheilen, daß der Meister Antifer die Sachlage schon vorher kannte. Als ihm Juhel vor drei Wochen die Lage des Eilands zwischen Sicilien und der Insel Pantellaria mittheilte, wußte er gleich, daß es sich um die Insel Julia handelte. Als junger Seefahrer war er häufig genug in die hiesige Gegend gekommen, und wußte von dem zweifachen Vorgange im Jahre 1831, bei dem ein ephemeres Eiland emporgestiegen war, das jetzt längst wieder dreihundert Fuß tief unten lag. Einmal sich darüber richtig klar, hatte er, nach einem Wuthanfalle ohne gleichen, endgiltig darauf verzichtet, den Schatz Kamylk-Paschas zu heben. Aus diesem Grunde hatte er auch nie von einer letzten Fahrt zu dessen Aufsuchung gesprochen. Und wenn er Gildas Tregomain's Drängen nachgab und sich in die Unkosten für eine neue – nutzlose! – Reise stürzte, so geschah das aus Eigenliebe, geschah es deshalb, weil er nicht der am schlimmsten Betrogene bei der ganzen Geschichte sein wollte ... Und wenn er den Banquier Zambuco und den Notar Ben Omar zu einem Zusammentreffen nach Girgenti bestellte, so sollten sie damit die Strafe für ihre Doppelzüngigkeit gegen ihn erhalten ...

Indem er sich also an den maltesischen Banquier und den ägyptischen Notar wendete, sagte er:

»Ja, ja! Da liegen die Millionen ... unter unsern Füßen, und wenn Ihr Euern Theil davon haben wollt ... ei, da braucht Ihr ja nur hinab zu tauchen! Nun vorwärts, ins Wasser, Zambuco! ... Ins Wasser, Ben Omar!«

Wenn es die beiden Leute jemals beklagten, der nasführenden Einladung des Meister Antifer gefolgt zu sein, so war es in diesem Augenblicke, wo der unlenksame Malouin sie mit seinen Sarkasmen überschüttete – während er freilich ganz vergaß, daß er früher ebenso beutegierig wie sie bei dieser Jagd nach dem Schatze gewesen war.

»Jetzt den Bug nach Osten, rief Pierre-Servan-Malo, nach dem Lande!

– Wo wir so glücklich leben werden ... sagte Juhel.

– Auch ohne die Millionen des Paschas! erklärte Enogate.

– Sapperment ... wenn man sie denn einmal nicht haben kann!« setzte Gildas Tregomain im Tone komischer Ironie hinzu.

Nur aus Neugier wollte Juhel jedoch vorher an Ort und Stelle eine Sondierung vornehmen lassen ...

Jacobo Grappa kam seinem Wunsche kopfschüttelnd nach, und als die Schnur dreihundert bis dreihundertfünfzig Fuß abgerollt war, stieß das Bleigewicht auf eine harte Masse ...

Das war die Insel Julia ... das in dieser Tiefe verlorene Eiland Nummer vier!

Auf Anordnung Juhels drehte die Feluke nun um. Da sie damit Gegenwind bekam, mußte sie bis zum Hafen die ganze Nacht über aufkreuzen, was dem unglücklichen Ben Omar die letzten achtzehn Stunden Seekrankheit einbrachte.

Der Morgen war schon etwas vorgeschritten, als die »Providenza« nach dieser fruchtlosen Expedition am Hafenquai von Girgenti anlegte.

Als die Passagiere aber sich eben von dem alten Schiffer verabschieden wollten, trat dieser auf den Meister Antifer zu und sagte:

»Excellenz?

– Nun, was willst Du?

– Ich möchte Ihnen noch eines sagen ...

– So sprich ... Freundchen ... sprich!

– Eh, Signor, alle Hoffnung ist doch noch nicht aufzugeben! ...«

Pierre-Servan-Malo richtete sich in die Höhe; es war als ob ein Blitz wieder erwachter Habgier in seinem Auge aufleuchtete.

»Nicht alle Hoffnung? ... erwiderte er.

– Nein ... Excellenz! ... Die Insel Julia ist seit Ende des Jahres achtzehnhunderteinunddreißig versunken, doch ...

– Doch ...

– Seit dem Jahre achtzehnhundertfünfzig hebt sie sich wieder ...

– Wie mein Barometer, wenn gut Wetter wird! rief Meister Antifer aus vollem Halse auflachend. Leider, wenn die Insel Julia mit ihren Millionen ... unsern Millionen! ... wieder erscheint, sind wir nicht mehr da ... auch Du nicht, Frachtschiffer, denn dann dürftest Du erst als Mehrhundertjähriger sterben! ...

– Was doch nicht sehr wahrscheinlich ist,« meinte der Exkapitän der »Charmante Amélie.«

Was der alte Seemann gesagt hatte, scheint sich tatsächlich zu bewahrheiten. Die Insel Julia steigt allmählich wieder zur Oberfläche des Mittelmeeres empor ...

Nach einigen hundert Jahren könnten die wunderbaren Abenteuer des Meister Antifer vielleicht eine ganz andre Lösung finden!

*

Ende.

 


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