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Worin Meister Antifer und der Banquier Zambuco ungeheuer lange Nasen bekommen.
Nach der Höhe der Sonne über dem Horizonte zu urtheilen, war es um acht Uhr morgens – oder »ungefähr so weit«, womit man sich zufrieden geben mußte, da die Uhren der Schiffbrüchigen durch eingeströmtes Wasser stehen geblieben waren.
Wenn die Leute Barroso's den Schatzsuchern nicht nachfolgten, so war das doch mit den Vierhändern anders.
Etwa ein Dutzend Schimpansen trennte sich von dem Haufen, offenbar in der Absicht, die Eindringlinge zu begleiten, die sich erlaubten, ihre Insel zu durchsuchen.
Die andern waren rund um das Lager zurückgeblieben.
Unterwegs warf der Frachtschiffer immer einen Seitenblick auf die wilde Leibwache, die ihm mit abscheulichen Grimassen, mit drohenden Bewegungen und mit heiserem Geschrei antwortete.
»Offenbar, so dachte er, können die Bestien mit einander sprechen. Ich bedaure nur, sie nicht zu verstehen. Es wäre doch lustig, in ihrer Sprache plaudern zu können!«
Wahrlich, das wäre eine gute Gelegenheit zu philologischen Beobachtungen gewesen, sich zu überzeugen, ob die Affen, wie es der Amerikaner Garner behauptet, Lautzeichen haben, die ihnen zur Bezeichnung gewisser Dinge dienen, wie whouw für »Futter«, cheny für »Getränk«, iegk für »Vorsicht!« und ob in der Affensprache a und o fehlen, ob i selten ist, e und é wenig vorkommen und u und ou die Grundvocale sind. Der amerikanische Naturforscher Garner hatte die Affensprache an Ort und Stelle studiert und es über sich gebracht, einige Monate in den Wäldern von Guinea ganz in der Art und Weise der Affen zu verleben.
Bekanntlich hatte das auf dem Eilande des Golfs von Oman gefundene Document für das in der Ma-Yumbabai die Stelle angegeben, wo das Doppel-K die Lage des Schatzes bezeichnete.
Auf dem ersten Eiland war das ein nach Süden gerichteter Landvorsprung gewesen; für das zweite dagegen sollte es eine nach Norden zu liegende Spitze sein, wo ein Felsen dasselbe Monogramm trüge.
Nach dem Schiffbruche waren unsre Reisenden nur nach dem Südende des Eilands gekommen. Sie mußten sich also nach Norden wenden und gegen zwei Meilen weit hinwandern.
Meister Antifer und Zambuco an der Spitze, Ben Omar mit Nazim in zweiter Linie und Gildas Tregomain mit Juhel als Nachtrupp schlug die Gesellschaft diese Richtung ein.
Daß die beiden Erben vorauseilten, kann ja nicht auffallen. Raschen Schrittes gingen sie stumm dahin, hätten aber keinem gestattet, sie zu überholen.
Dann und wann warf der Notar einen ängstlichen Blick auf Saouk. Er bezweifelte nicht, daß dieser, in Uebereinstimmung mit dem portugiesischen Kapitän, einen schlechten Streich vorhabe. Noch ein andrer Gedanke wollte auch nicht von ihm weichen: Wenn der Schatz dem Malouin entging, würde es mit dem ihm zustehenden Procent wohl ebenso gehen. Ein- oder zweimal versuchte er, Saouk darüber auszuforschen, doch dieser, der düster und wild vor sich hinstarrte und sich von Juhel beobachtet wußte, gab ihm keine Antwort.
Das Mißtrauen Juhels nahm, wenn er Ben Omar und Nazim bei einander sah, in der That mehr und mehr zu. Auch in einem Bureau von Alexandria konnte es nicht wohl vorkommen, daß der Schreiber befehligte und der Notar gehorchte, und so verhielt es sich doch zwischen diesen beiden Persönlichkeiten.
Der Frachtschiffer beschäftigte sich nur mit den Affen. Zuweilen antwortete sein gutmüthiges Gesicht auf ihre Grimassen, schloß sich sein Auge, rümpfte sich seine Nase und rundeten sich seine Lippen. Nanon und Enogate hätten ihn nicht wiedererkannt, als er diesen Vierhänderstudien oblag.
Enogate! ... Ach, das arme Kind! Gewiß dachte sie in diesem Augenblick an ihren Verlobten, weil sie seiner ja stets gedachte. Daß Juhel heute aber, nach erlittenem Schiffbruche, unter einem Gefolge von Schimpansen dahin spazierte, das wäre ihr doch nicht in den Sinn gekommen!
Unter dieser Breite und zu dieser Jahreszeit beschreibt die Sonne einen vollen Halbkreis von Osten nach Westen, wobei sie also durch den Zenith geht. Infolge dessen fallen ihre Strahlen nicht schräg, sondern gerade herunter. Die heiße Zone trägt deshalb ihren Namen mit Recht, denn hier wird einem vom Morgen bis zum Abend tüchtig eingeheizt.
»Und den Possenreißern da oben scheint es gar nicht warm zu sein! sagte sich der Frachtschiffer, wenn er das Dutzend Vierhänder betrachtete, die an der Seite der Gruppe ihre Sprünge machten. Da bekommt man wirklich Lust, selbst so ein Affe zu sein!«
Um dieser Fluth von Sonnenschein zu entgehen, hätte es ja besser geschienen, unter dem Schatten der Bäume zu wandern. Das aus sehr tief unten verästelten Stämmen bestehende Waldesdickicht wäre aber gar nicht zu durchdringen gewesen. Ohne Vierhänder zu sein – wie Gildas Tregomain es sich wünschte – hätte sich, wer nicht von Zweig zu Zweig springen konnte, niemand einen Weg hier hindurch brechen können. Deshalb wanderte die kleine Gesellschaft am Ufer hin, umkreiste dessen Buchten, ging den da und dort verstreuten Felsblöcken aus dem Wege und mühte sich auf dem Steingeröll ab, da der sandige Strand bereits wieder von der wachsenden Fluth bedeckt wurde. Der Weg zum Glücke ist ja immer schwierig. Sie schwitzten Blut und Wasser, doch wenn sie schließlich mit tausend Francs für jeden Schritt belohnt wurden, war das ja wohl für die gehabte Mühe genug.
Eine Stunde nach dem Aufbruche aus dem Lager war erst eine Meile – etwa die Hälfte des Weges – überwunden, von der nun erreichten Stelle aus konnte man aber die Nordspitzen des Eilands erkennen. Drei oder vier solche erstreckten sich ins Meer hinaus. Welche war die richtige? Ohne einen kaum denkbaren Zufall würde es die, die zuerst untersucht wurde, wahrscheinlich nicht sein, und welche Mühsal mußte das unter dem Brande der Mittagssonne kosten!
Der Frachtschiffer war am Ende seiner Kräfte.
»Laßt uns einen Augenblick ausruhen, bat er.
– Nicht eine Minute! versetzte Meister Antifer.
– Lieber Onkel, erklärte Juhel, Herr Tregomain zerschmilzt beinahe!
– So laß ihn schmelzen!
– Ich danke, alter Freund!«
Gildas Tregomain setzte sich, da er nicht zurückbleiben wollte, wieder in Bewegung. Am Ziele der Wanderung kam er aber sicherlich nur noch als Bach an, der durch die Uferfelsen rieselte.
Noch bedurfte es einer halben Stunde, um die Gegend der vier Spitzen zu erreichen. Die Schwierigkeiten des Weges dahin nahmen nur noch zu. Dichtes Stachelgras bedeckte den Boden, auf den keiner hinfallen konnte, ohne sich ernstlich zu verletzen. Wahrlich, Kamylk-Pascha hatte eine so glückliche Hand gehabt beim Verbergen seiner Schätze, daß ihn die Könige von Bassora, von Bagdad und von Samarkand darum beneidet hätten.
An dieser Stelle hörte der Wald auf. Die Herren Schimpansen zeigten offenbar keine Lust, mit weiter zu gehen. Diese Thiere verlassen nicht gern den Schutz der Bäume, und der Anschlag der brodelnden Wellen hat kein Interesse für sie. Ein Wort im Sinne von »Poesie« hätte Garner schwerlich in ihrer lückenhaften Sprache entdeckt.
Als die Escorte am Waldessaume Halt machte, geschah das nicht ohne recht feindselige Drohungen gegen diese Fremdlinge, die ihre Untersuchung bis zum Ende des Eilandes auszudehnen im Begriff waren. Da erscholl ein wildes Geheul, und wüthend rieben sie sich die Brust. Einer davon hob Steine auf, die er mit kräftigem Arme schleuderte, und da die andern ihm nachahmten, liefen Meister Antifer und seine Genossen große Gefahr, gesteinigt zu werden. Dazu wäre es gewiß auch gekommen, wenn sie, an Zahl und Kräften ihren Gegnern unterlegen, es sich hätten einfallen lassen, gleiches mit gleichem zu vergelten.
»Nicht wieder werfen ... halt! Haltet ein! rief Juhel, da er Gildas Tregomain und Saouk schon Steine sammeln sah.
– Und doch sollte ... begann der Frachtschiffer, dem durch einen Steinwurf eben der Hut vom Kopfe geworfen worden war.
– Nein, nein, Herr Tregomain! Schnell fort von hier, so sind wir in Sicherheit, da die Affen jedenfalls nicht nachkommen!«
Das war auch das klügste, und kaum fünfzig Schritte weiter waren alle außer Schußweite vom Feinde.
Es war jetzt etwa halb elf Uhr. Wie lange hatte der Marsch gedauert! Im Norden reichten die Ausläufer des Eilands hundertfünfzig bis zweihundert Meter weit hinaus. Den längsten nach Nordwesten zu beschlossen Meister Antifer und Zambuco zuerst zu besichtigen.
Nichts Oederes als diese Wüstenei von Felsen, deren einige in den sandigen Erdboden eingesenkt, andre verstreut und bei schlechtem Wetter dem Anprall des Meeres ausgesetzt waren. Von Vegetation keine Spur, nicht einmal bescheidene Moose, die doch gern jeden feuchten Felsblock überdecken. Kein Gewirr von Tang, der in gemäßigten Zonen so massenhaft antreibt. Hier war also auch wegen des von Kamylk-Pascha vor einunddreißig Jahren eingemeißelten Monogrammes nicht zu fürchten, daß es nicht ganz unversehrt geblieben wäre.
Nun begannen unsre Schatzgräber dieselben Nachsuchungen, wie früher auf dem Eiland im Golfe von Oman. Es erscheint kaum glaublich, doch die beiden, von ihrer Habgier beherrschten Erben schienen weder von den Anstrengungen des Marsches, noch von der Gluth der Sonne etwas zu empfinden. Auch Saouk nicht, der im Interesse seines Prinzipals – man hätte glauben können, in seinem eigenen? – eifrig ans Werk ging.
Der zwischen zwei Felsblöcken ausruhende Ben Omar sprach kein Wort. Würde der Schatz gefunden, so war es für ihn immer noch Zeit, sich wegen der Tantieme zu melden, auf die er als mit anwesender Testamentsvollstrecker Anspruch hatte. Und, bei Allah! er würde dann in Hinsicht auf die überstandenen Mühen und Gefahren der letzten langen drei Monate immer noch nicht überreichlich bezahlt sein.
Natürlich blieb Juhel auf Anordnung Pierre-Servan-Malos bei diesem und unterzog den Erdboden einer methodischen genauen Prüfung.
»Es ist kaum annehmbar, sagte er für sich, daß wir das Millionennest hier finden. Zuerst muß der Schatz auf diesem, und nicht auf einem andern Eilande vergraben sein. Zweitens müßten wir in dem Felsengewirr hier den entdecken, der das Doppel- K trägt. Und endlich, wenn das alles einträfe, wenn dann nicht alles eine Mystification durch den abscheulichen Pascha ist, wäre es nicht, wenn ich die Hand auf sein Monogramm legte, doch vielleicht das klügste, gar nichts davon zu sagen? Mein Onkel würde auf die bedauerliche Idee verzichten, mich mit einer Herzogin und meine liebe Enogate mit einem disponibeln Herzoge verheirathen zu wollen. Doch nein, mein Onkel müßte einem solchen Schlage unterliegen ... er würde den Verstand verlieren. Dann hätt' ich eine schlechte That auf dem Gewissen. Jetzt heißt's aushalten bis zum Ende!«
Während sich Juhel solchen Gedanken hingab, saß der Frachtschiffer mit schlaff herabhängenden Armen und Beinen und triefenden Wangen auf einem Steinblock, und fauchte wie eine Robbe, die aus dem Wasser aufs Trockne kam.
Die Untersuchungen gingen inzwischen erfolglos weiter. Meister Antifer, Zambuco, Juhel und Saouk besichtigten und betasteten die Steinwände, die ihrer Gestalt und Lage nach das kostbare Monogramm tragen konnten. Vergebens wurden zwei mühselige Stunden diesem Zwecke bis zum Ende der Spitze geopfert. Nichts ... nichts! Und in der That, wie hätte einer auf den Gedanken kommen können, eine Stelle zu wählen, die der Brandung und dem Wogenschlage so sehr ausgesetzt war? Nein, nach Absuchung der einen Spitze, mußte man diese an einer andern wieder aufnehmen. Gewiß, das sollte geschehen ... morgen ... und Meister Antifer fing seine Arbeit sicherlich auch auf einem andern Eiland wieder an, wenn sie auf diesem ohne Erfolg blieb. Er würde sein Vorhaben nicht aufgeben, nicht bei allen Heiligen seines Taufzeugnisses!
Da sich keine Spur vorgefunden hatte, ging die Truppe längs der Spitze zurück, faßte noch einmal jede Felswand jeden Steinblock scharf ins Auge ... Nichts ... nichts!
Jetzt blieb nichts andres übrig, als zurückzukehren, sich auf einem der gewiß beim Lager gelandeten Boote einzuschiffen und einstweilen nach Ma-Yumba zu gehen, um dann die Operationen auf einem andern Eilande fortzusetzen.
Als alle am Anfang der Inselspitze zurück waren, fanden sie den Notar und den Frachtschiffer noch am alten Platze.
Ohne ein Wort zu äußern, wendete sich Meister Antifer und Zambuco dem Waldesrande wieder zu, wo die Schimpansen nur warteten, um sich feindseligen Demonstrationen hinzugeben.
Juhel trat an Gildas Tregomain heran.
»Nun, wie steht's? fragte dieser.
– Keine Spur eines doppelten, nicht einmal eines einfachen K!
– So ... muß es also ... wo anders versucht werden?
– Allerdings, Herr Tregomain. Doch jetzt stehen Sie auf und kommen Sie mit nach dem Lager ...
– Aufstehen? ... Ja wohl, wenn ich's nur könnte! Na, hilf mir einmal ein bischen nach, mein Junge!«
Für Juhels kräftige Arme war es keine zu schwere Aufgabe, Gildas Tregomain wieder auf die Füße zu helfen.
Ben Omar befand sich bereits bei Saouk.
Meister Antifer und Zambuco wanderten zwanzig Schritte voraus. Von Geberden und Geschrei gingen die Vierhänder nun zu Tätlichkeiten über. Es regnete Steine, und man mußte sich doch in der Defensive verhalten.
Die verwünschten Affen schienen die Schatzgräber verhindern zu wollen, sich Barroso und seinen Leuten im Lager wieder anzuschließen.
Plötzlich erscholl ein Aufschrei. Ben Omar hatte ihn ausgestoßen, als wenn er von einem Steine an der empfindlichsten Körperstelle getroffen worden wäre.
Nein, kein Schmerzens-, ein Freudenschrei war es, den er von sich gab.
Die andern blieben stehen. Mit weit offenem Munde und blinzelnden Augen zeigte der Notar mit Hand nach Gildas Tregomain.
»Da! ... Da! wiederholte er.
– Was soll das heißen? fragte Juhel. Sind Sie übergeschnappt, Herr Ben Omar?
– Nein ... da ... das K ... das doppelte K!« antwortete der Notar mit vor Erregung erstickter Stimme.
Auf diese Worte hin kamen Meister Antifer und Zambuco eiligst zurückgelaufen.
»Das K ... das Doppel- K? riefen sie.
– Ja.
– Wo?«
Sie suchten mit den Augen nach dem Felsen, auf dem, nach Ben Omar's Rufe, das Monogramm Kamylk-Paschas eingraviert sein sollte. Nichts ... sie sahen nichts!
»Wo denn ... Langohr! rief der Malouin aufbrausend.
– Da!« wiederholte der Notar noch einmal.
Seine Hand wies nach dem Frachtschiffer, der sich achselzuckend halb umwendete.
»Da seht ... auf seinem Rücken!« rief Ben Omar.
In der That ließ die Jacke Gildas Tregomain's deutlich den Abdruck eines Doppel- K erkennen. Ohne Zweifel trug der Felsen, an den er sich angelehnt hatte, das Monogramm, von dem der Rücken des würdigen Mannes den Abdruck bewahrte.
Meister Antifer springt in die Höhe, packt den Frachtschiffer beim Arme und zwingt ihn, nach seinem Ruheplätzchen zurückzukehren.
Binnen einer Minute stehen alle vor einem Felsblock, an dem das so eifrig gesuchte Monogramm deutlich zu lesen ist.
Gildas Tregomain hatte sich nicht nur an den mit dem Doppel- K gezeichneten Stein gelehnt, sondern auch genau an der Stelle des Schatzes ausgestreckt gehabt.
Keiner sprach ein Wort. Alle gingen ans Werk. Ohne Werkzeuge mußte die Arbeit recht schwierig werden. Sollten einfache Messer hinreichen, den Steinboden auszuhöhlen? Gewiß, und wenn man sich dabei auch die Nägel zerbrach und die Finger abnutzte! ...
Glücklicher Weise ließen sich die von der Zeit benagten Steine im Boden ziemlich leicht beseitigen. Eine Stunde Arbeit, und die drei Fässer mußten bloßgelegt sein! Dann waren diese nur noch nach dem Lager und nach Ma-Yumba zu schaffen. Freilich, der Transport mochte schwierig werden und ohne Verdacht zu erregen kaum ausführbar sein.
Doch, wer dachte jetzt an so etwas? Erst der Schatz, der Schatz, gehoben aus dem Grabe, worin er seit einunddreißig Jahren verborgen lag ... das übrige würde sich später schon finden.
Meister Antifer arbeitete sich die Hände blutig. Er hätte es keinem andern vergönnt, die Eisenreifen der kostbaren Fässer zuerst zu fühlen ... zu betasten.
»Endlich!« jubelte er auf, als sein Messer an einem metallenen Gegenstand abbrach ...
Doch welch' ein Aufschrei gleich danach? ... Allmächtiger Gott! ... Das ist nicht die Freude, das ist die Verblüffung, die Enttäuschung, was von seinem erbleichenden Gesichte zu lesen ist ...
Statt der in Kamylk-Paschas Testamente erwähnten Fässer, fand sich auch hier ein eisernes Kästchen vor – ein Kästchen ganz gleich dem, das auf dem Eiland Nummer eins gefunden worden war, und das auch das nämliche Monogramm zeigte.
»Noch einmal!« konnte Juhel sich nicht enthalten zu rufen.
– Es war unbedingt nur eine Mystification!« murmelte Gildas Tregomain.
Der Kasten wurde aus der Grube gezogen und Meister Antifer öffnete ihn gewaltsam ...
Da wurde ein Schriftstück, ein vom Alter vergilbtes Pergament sichtbar, auf dem einige Zeilen standen, die Meister Antifer laut vorlas:
»Länge des Eilands Nummer drei: fünfzehn Grad elf Minuten östlich von Paris. Nach Kenntnißnahme dieser Länge durch die beiden Collegatare Antifer und Zambuco, ist sie, im Beisein des Notars Ben Omar, dem Herrn Tyrcomel, Esqu., Edinburg, Schottland, zu überbringen und mitzutheilen. Der Genannte besitzt die Breite jenes dritten Eilands.«
Innerhalb der Gewässer der Ma-Yumbabai lag der Schatz also auch nicht vergraben! Man mußte ihn an einer andern Stelle der Erdkugel suchen und dazu diese neue Länge mit der im Besitz des genannten Tyrcomel in Edinburg befindlichen Breite combinieren! ... Jetzt waren es nicht mehr Zwei, sondern schon Drei, die sich in Kamylk-Paschas Hinterlassenschaft zu theilen hatten!
»Und warum sollte jenes dritte Eiland uns nicht nach zwanzig ... nach noch hundert andern verschlagen? rief Juhel ärgerlich ... Ich bitte Sie, lieber Onkel, könnten Sie so halsstarrig, so ... beschränkt sein, auf der ganzen Erde umherzulaufen?
– Ohne zu berücksichtigen, setzte Gildas Tregomain dazu, daß die Legate, wenn sich Hunderte von Berechtigten fänden, es gar nicht mehr Werth wären, sich darum zu bemühen!«
Der Onkel betrachtet seinen Freund und seinen Neffen von unten bis oben, zermalmt den Kiesel zwischen den Kinnladen und kommandiert:
»Ruhe im Gliede! ... Die Sache ist noch nicht zu Ende!«
Er hebt das Schriftstück noch einmal in die Höhe und liest dessen letzte Zeilen mit folgendem Inhalt:
»Für ihre Mühe und zur Deckung der bisherigen Unkosten finden die Collegatare in diesem Kästchen zwei Diamanten, deren Werth weit unter dem der Steine steht, die sie später noch erhalten werden.«
Zambuco stürzte auf Meister Antifer zu und riß ihm das Kästchen aus den Händen.
»Diamanten!« rief er voller Habgier.
In der That lagen in dem Behälter zwei ungeschliffene Edelsteine, die – der Banquier verstand sich darauf – wenigstens ihre hunderttausend Francs Werth sein mochten.
»Noch immer die alte Geschichte, sagte er, nahm den einen Diamanten und überließ den andern seinem Miterben.
– Ein Tropfen ins Meer! knurrte dieser, während er seinen Diamanten in die Westen-, und das Schriftstück in die Rocktasche steckte.
– Ei, ei! ... stieß der Frachtschiffer hervor, die Sache wird ernsthafter, als ich dachte! ... Na, werden ja sehen ... werden ja sehen!«
Juhel begnügte sich mit einem Achselzucken. Saouk ... nun, der ballte die Fäuste bei dem Gedanken, eine so gute Gelegenheit nicht gleich wieder zu finden.
Ben Omar endlich, der nicht den winzigsten Diamanten bekommen hatte, obgleich auch die letzte Mittheilung seine fernere Mitwirkung zur Bedingung machte, stand mit schlaffen Gesichtszügen, herabhängenden und halb geknickten Knien dabei, wie ein fast ausgeleerter Sack, der gleich vollends zusammensinken soll.
Saouk und er befanden sich zwar nicht in derselben Lage, wie: Erstens, als sie Saint-Malo verlassen hatten, ohne zu wissen, daß sie nach Mascat reisen sollten, zweitens, als sie Mascat verließen, ohne zu wissen, daß sie sich nach Loango begeben müßten. Von bedauerlicher Erregung übermannt, hatte Meister Antifer ein Geheimniß preisgegeben, das er hätte sorgsam bewahren sollen. Alle hatten ihn die neue Längenangabe: fünfzehn Grad elf Minuten östlich von Paris, verkündigen hören, alle kannten den Namen des Herrn Tyrcomel, Esquire, wohnhaft in Edinburg, Schottland ...
Wenn auch nicht Ben Omar, so hatte doch Saouk diese Zahlen und diese Adresse seinem Gedächtniß sicherlich fest eingeprägt, um sie baldigst in sein Notizbuch einzuschreiben. Meister Antifer und der Banquier Zambuco achteten aber gewiß auch darauf, weder den Notar noch den schnurrbärtigen Schreiber aus den Augen zu verlieren, noch sich von ihnen in der zweiten Hauptstadt Großbritanniens den Rang ablaufen zu lassen.
Saouk mochte ja, bei der ihm mangelnden Kenntniß des Französischen, nichts verstanden haben, dagegen durfte als ausgemacht gelten, daß Ben Omar ihm jenes Geheimniß verrathen würde.
Juhel hatte indeß recht wohl bemerkt, wie Nazim ordentlich befriedigt aussah, als die Zahlen der Länge und der Name Tyrcomel den Lippen des Meister Antifer so unkluger Weise entschlüpften.
Immerhin erschien es ihm als sinnlos, sich noch ein drittes Mal den posthumen Launen Kamylk-Paschas zu fügen. Jetzt galt es nur noch, nach Loango zurückzukehren und das erste Passagierschiff zu benutzen, um wieder nach der guten Stadt Saint-Malo zu gelangen.
Dahin zielte der weise und logische Vorschlag, den Juhel seinem Onkel machte.
»Nimmermehr! antwortete Meister Antifer. Der Pascha schickt uns nach Schottland, und wir gehen dahin, müßt' ich auch den Rest meines Lebens an weitere Nachforschungen setzen ...
– Meine Schwester Talisma liebt Sie zu innig, um nicht – wenns sein müßte – auch zehn Jahre lang zu warten! setzte der Banquier hinzu.
– Sapperment! dachte der Frachtschiffer, da steuert das Mägdlein aber stark auf die Sechzig zu!«
Alle Einwendungen blieben unnütz. Meister Antifer hatte seinen Entschluß gefaßt: er wollte dem Schatze nachjagen, damit punktum! – ob sich der Nachlaß des reichen Aegypters auch statt auf die Hälfte, nun auf ein Drittel davon vermindert hatte, wenn jenem Tyrcomel auch ein gleicher Antheil zukam ...
Gut, so würde sich Enogate begnügen, einen Grafen, und Juhel eine Gräfin zum Altare zu begleiten.