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Worin Meister Antifer ein neues, mit dem Monogramm Kamylk-Paschas bezeichnetes Document auffindet.
Meister Antifer nebst seinen vier Begleitern – Ben Omar eingerechnet – hatte nun nichts andres zu thun, als sich nach Bergen, einem der wichtigsten Häfen des westlichen Norwegens, einzuschiffen.
Der gefaßte Beschluß wurde auch sofort ausgeführt. Da Nazim – mit anderm Namen Saouk – einen Vorsprung von vier bis fünf Tagen hatte, galt es, keine Stunde zu verlieren. Noch war der Zeitball auf der Sternwarte nicht heruntergefallen, als die Tramway unsre Bekannten in Leith absetzte, wo sie einen bald abgehenden Dampfer zu finden hofften, da Bergen die erste Etappe auf dem nächsten Wege nach Spitzbergen ist.
Von Edinburg bis zu jenem Hafen rechnete man nur etwa vierhundert Meilen. Von hier mußte es leicht sein, den nördlichsten Hafen Norwegens, Hammerfest, zu erreichen, wenn man den Steamer benutzte, der in der schönen Jahreszeit dem Touristenverkehr nach dem Nordcap dient.
Von Bergen nach Hammerfest sind es auch nicht mehr als achthundert Meilen, und ungefähr sechshundert von hier bis zur Südspitze Spitzbergens, nach der ja die Inschrift auf der Schulter des Reverend Tyrcomel hinwies. Zur Ueberwindung der letzten Strecke mußte freilich ein seetüchtiges Schiff gemiethet werden. Jetzt befand man sich indeß in der Zeit des Jahres, wo das schlechte Wetter die Gewässer des arktischen Oceans noch nicht aufrührt.
Nun blieb nur die Geldfrage übrig. Diese dritte Reise wurde gewiß ziemlich kostspielig, vorzüglich die Ueberfahrt von Hammerfest nach Spitzbergen in eigens gechartertem Schiffe, und der Beutel Gildas Tregomain's fing an, sich bedenklich zu leeren. Zum Glück war die Unterschrift des Banquiers so gut wie baares Geld. Es giebt ja vom Glück so begünstigte Leute, die ihre Hand in jede beliebige Casse Europas stecken können. Zambuco gehörte zu diesen. Er stellte dem Miterben seinen Credit zur Verfügung; die beiden Schwäger wollten dann später abrechnen. Der Schatz, und wenn nicht dieser, so doch der Diamant des einen mußte ja ausreichen, einen etwaigen Vorschuß des andern auszugleichen.
Vor dem Weggange von Edinburg hatte der Banquier also einen sehr einträglichen Besuch bei der Bank von Schottland abgemacht, wo er den besten Empfang fand. Auf diese Weise frisch beladen, konnten unsre Reisenden bis ans Ende der Welt gehen, und wer weiß, ob das nicht noch geschehen sollte, wenn die ganze Geschichte sich in gleichem weiter entwickelte.
In Leith, das einundeinehalbe Meile entfernt im Golfe des Forth liegt, fanden sich stets zahlreiche Schiffe, und diesmal begünstigte das Glück Pierre-Servan-Malo auch insofern, als er günstige Fahrgelegenheit antraf.
Das betreffende Schiff sollte zwar nicht heute, aber am nächsten Tage abgehen. Es war ein einfaches Frachtschiff, der Dampfer »Viken«, der die Passagiere für angemessene Bezahlung nach Bergen mitnehmen sollte. So mußten sie also sechsunddreißig Stunden warten, während der Onkel Juhels an seinem Gebiß nagte, daß er sich fast die Zähne zerbrach. Er erlaubte Gildas Tregomain und Juhel nicht einmal, sich in Edinburg ein wenig umzusehen, was unsern Frachtschiffer, trotz des in ihm erwachten Appetits nach den Millionen des Paschas, nicht wenig ärgerte.
Endlich am Morgen des 7. Juli stieß der »Viken« vom Lande und nahm den Meister Antifer nebst seinen Gefährten mit, von denen der eine – welcher, ist ja leicht zu errathen – gleich beim ersten Rollen der Seekrankheit erlag, als das Fahrzeug kaum über den fast eine Meile hinausreichenden Pier des Hafens gekommen war.
Zwei Tage darauf und nach recht guter Ueberfahrt, bekam der Dampfer das hohe Ufer Norwegens in Sicht und gegen drei Uhr Nachmittag lief er in den Hafen von Bergen ein.
Natürlich hatte sich Juhel in Edinburg auch wieder einen Sextanten, einen Chronometer und eine Zeitvergleichungstabelle besorgt, um die mit der »Portalegre« verlorenen Instrumente zu ersetzen.
Hätte man nun gleich in Bergen ein Fahrzeug nach Spitzbergen auftreiben können, so wäre das eine Zeitersparniß gewesen; leider sollte das aber nicht gelingen.
Uebrigens wurde die Geduld des Meister Antifer, den das Bild Saouk's gar nicht mehr verließ, hier auf keine zu harte Probe gestellt. Das Dampfschiff, das den Verkehr nach dem Nordcap unterhielt, wurde übermorgen erwartet. Immerhin erschienen ihm diese sechsunddreißig Stunden zum Sterben lang, und dem Banquier Zambuco nicht minder, weder der eine, noch der andre war zu bewegen, sein Zimmer im Hôtel Scandinavie nur eine Minute zu verlassen. Es regnete übrigens auch, denn, wie es scheint, fällt hier in Bergen in drei Tagen stets zweiundsiebzig Stunden lang Regen; die Einwohner sind das jedoch von kleinauf gewöhnt.
Das hinderte auch den Frachtschiffer und Juhel nicht, in der Stadt umherzuschweifen. Der von seinem Fieber genesene Meister Antifer hatte nicht von ihnen verlangt, in seiner Nähe zu bleiben. Wozu auch? Für das Concert von Verwünschungen, das sie über den elenden Saouk anstimmten, genügten sich die beiden Erben vollständig.
Freilich, das prächtige Edinburg nicht gesehen zu haben, wurde durch einen Spaziergang in den Straßen von Bergen, früher einer der bedeutendsten Hansestädte, nicht wett gemacht. Es ist eigentlich nicht interessanter, als etwa jeder größere Fischmarkt. Gildas Tregomain hatte jedoch noch niemals eine größere Menge von Häringstonnen, solche Unmassen bei den Lofoten gefangener Dorsche, solche Vorräthe von Lachsen gesehen, wie sie hier in Norwegen in den Verkehr kommen und selbst vertilgt werden. Das verbreitete auch einen ganz charakteristischen Geruch, nicht allein in der Umgebung der Quais, an denen Hunderte von Boote liegen, nicht allein in der Nähe der hohen Häuser, um die glänzende Fischschuppen umherliegen und wo die nicht sehr angenehme Zurichtung des Fanges erfolgt, sondern auch in den reichen Läden mit alten Schmuckgegenständen, mit antiken Stickereien, mit Pelzwerk von weißen und schwarzen Bären, ja sogar bis ins Innere der Museen, bis nach den an den zwei Armen des Fjord gelegenen Villen, wo eine schmale Landzunge den Fjord von einem schönen Süßwassersee scheidet.
Kurz, Gildas Tregomain und Juhel hatten sich genügend in der Stadt und Umgegend umgesehen, als am 11. Juli morgens der erwartete Dampfer Bergen anlief. Um zehn Uhr fuhr er mit seiner Ladung von Touristen, die die Mitternachtssonne am Nordcap bewundern wollten, weiter.
Das war freilich eine Naturerscheinung, die den Meister Antifer, auch den Banquier Zambuco gar nicht, und den Notar Ben Omar deswegen nicht interessierte, weil dieser, wie ein ausgenommener Dorsch auf dem Polster seiner Cabine lag.
Eine herrliche Fahrt war es hier längs der norwegischen Küste mit ihren tiefen Fjorden, ihren schimmernden Gletschern, die zuweilen bis aufs Meer herunterreichen, und mit den entfernten Bergeshäuptern, die in feinem Nebeldufte verschwimmen.
Am meisten wetterte der ungeduldige Malouin über die Aufenthalte des Dampfers, die zur Befriedigung der Wißbegier der Touristen an den Punkten dienen, welche von den Reisehandbüchern als besonders interessant hervorgehoben sind. Der Gedanke, daß ihn Saouk um etwa fünf Tage voraus war, hielt ihn immer in einer, für alle, die sich ihm näherten, recht unangenehmen Aufregung. Alles Zureden Gildas Tregomain's und Juhels nützte hier nichts, und wenn der Malouin mit seinen Verwünschungen endlich aufhörte, geschah das nur, weil der Kapitän des Dampfers gedroht hatte, ihn sofort ans Land zu setzen, wenn er die Ruhe an Bord noch weiter störte.
Wider Willen mußte Meister Antifer auch in Drontheim Halt machen, in der alten Stadt des heiligen Olaf, die zwar nicht so bedeutend, doch vielleicht interessanter als Bergen ist.
Meister Antifer und Zambuco weigerten sich natürlich, ans Land zu gehen. Gildas Tregomain und Juhel benützten dagegen die unfreiwillige Muße, die Stadt eingehend zu besichtigen.
Wenn die Augen der Touristen in Drontheim eine gewisse Befriedigung finden, so gilt dasselbe für ihre Füße jedenfalls nicht. Man möchte glauben, die Straßen hier wären mit Glasscherben gepflastert, so viele spitzige Steine ragen aus der Erde hervor.
»Na, hierzulande müssen die Schuster aber bald reiche Leute werden!« bemerkte pfiffig der Frachtschiffer, der sich vergeblich bemühte, seine Schuhsohlen nicht zu verletzen.
Einen bequemeren Fußboden fanden die beiden Freunde nur unter dem Gewölbe der alten Domkirche, worin die Herrscher des Landes, nach der Krönung als Könige von Schweden in Stockholm, noch als Könige von Norwegen gekrönt werden. Juhel erkannte, daß dieses Denkmal romanisch-gothischer Baukunst, wenn es auch eingreifender Reparaturen bedarf, doch hohen historischen Werth hat.
Nach genauer Besichtigung der Domkirche und des sie umgebenden Friedhofs, nachdem sie am Ufer des breiten Nid hingewandelt waren, dessen Wasserstand von Ebbe und Fluth beeinflußt wird und der die Stadt an den als Quais dienenden Verpfählungen bespült, nachdem sie, wie hier ganz am Orte, die ultrasalzigen Ausdünstungen des Fischmarktes, welche Drontheim getrost gegen die in Bergen vertauschen könnte, gekostet und den Gemüsemarkt überschritten hatten, der fast ausschließlich von England versorgt wird, und nachdem sie schließlich auf der andern Seite des Nid bis zu der, von der Citadelle überragten Vorstadt hinausgewandert waren, kehrten Gildas Tregomain und Juhel ziemlich erschöpft an Bord zurück. Noch an demselben Abend wurde auch ein Brief an Enogate, mit einer freundlichen Nachschrift von der großen Hand und in der großen Schrift des Frachtschiffers, nach Saint-Malo zur Post befördert.
Am frühen Morgen des nächsten Tages ging der Dampfer, nach Aufnahme einiger neuer Passagiere, wieder weiter und schlug den Cours nach den hohen Breiten ein. Immer Aufenthalte, immer Landungen, worüber Meister Antifer tüchtig brummte. Beim Ueberschreiten des Polarkreises, der durch eine quer über Deck gespannte Schnur versinnbildlicht wurde, weigerte er sich auch, darüber zu springen, während sich Gildas Tregomain und Juhel dem lustigen Gebrauche fügten. Weiter nach Norden hinauf vermied der Dampfer den berühmten Maëlstrom, dessen gurgelndes Wasser sich in gigantischen Wirbeln dreht. Dann erschienen die Lofoten, die von den norwegischen Schiffern so viel besuchte Inselgruppe, im Westen, und am 17. ging der Dampfer im Hafen von Tromsö vor Anker.
Wenn man sagt, daß es bei dieser Fahrt sechzehn Stunden von je vierundzwanzig geregnet hatte, so ist das nur bezüglich der Zahlen richtig. Das Zeitwort »regnen« ist aber ganz unzureichend, um eine Vorstellung von den hier herabstürzenden Wassermengen zu geben, worüber sich unsre Reisenden übrigens nicht zu beklagen hatten. Es war das der Beweis, daß die Temperatur sich verhältnißmäßig hoch hielt. Leute, die bis zum fünfundsiebzigsten Breitengrade hinauf wollten, hatten ja weit mehr den plötzlichen Eintritt arktischer Kälte zu fürchten, die jede Annäherung an Spitzbergen sehr erschweren, wenn nicht gar verhindern mußte. Im Juli ist es schon etwas spät, eine Fahrt dorthin anzutreten. Das Meer kann hier durch ein Umspringen des Windes sehr schnell zum Stehen kommen, und wenn Meister Antifer in Hammerfest etwa zurückgehalten wurde, bis schon die ersten Eisschollen nach Süden trieben, dann wäre es unklug gewesen, sich vielleicht auf einem Fischerkutter in jene Gegenden zu wagen.
Diese Möglichkeit machte auch Juhel ernstliche Sorge.
»Und wenn nun das Meer dann zufröre? fragte ihn einmal Gildas Tregomain.
– O, wenn es dazu käme, da wäre mein Onkel es imstande, am Nordcap zu überwintern und da die warme Jahreszeit abzuwarten.
– Ja, mein Junge, man kann doch Millionen nicht im Stiche lassen!« erwiderte der Frachtschiffer.
Entschieden ... der alte Schiffer von der Rance ließ sie nicht aus den Zähnen, ihm wollten die Diamanten von der Ma-Yumbabai nicht mehr aus dem Kopfe.
Und doch, erst von der Sonne Loangos gebraten worden zu sein, und nun auf den Gletschern des nördlichen Norwegens halb erfrieren zu sollen? ... Verwünschter Teufels-Pascha! Mußte er seine Reichthümer denn in so entsetzlicher Gegend verscharren!
Der Dampfer hielt sich nur einige Stunden in Tromsö auf, wo die Passagiere zum ersten Male mit Eingebornen von Lappland in Berührung kamen. Am Morgen des 21. Juli lief er dann in den schmalen Fjord von Hammerfest ein.
Hier kamen Meister Antifer und Banquier Zambuco, Gildas Tregomain und Juhel, und auch Ben Omar, letzter freilich wie ein getrockneter Fisch eingepackt, endlich ans Land. Der Dampfer sollte die Touristen am nächsten Tage nach dem Nordcap, der äußersten nördlichen Spitze Norwegens, weiter befördern. Was kümmerte sich Pierre-Servan-Malo aber um das Nordcap! Dieser geographisch berühmte Kiesel konnte sich für ihn doch nicht mit dem spitzbergischen Eiland Nummer drei vergleichen!
Wie sich's gebührt, fand man ein »Nordpole Hotel« in Hammerfest, und nahm der Malouin mit Gefolge darin Wohnung.
Nun waren sie also in der Stadt, die an der Grenze des noch bewohnbaren Landes liegt. Etwa zweitausend Menschen bewohnen hier die Holzgebäude, darunter gegen dreißig Katholiken, die übrigen Protestanten. Die Norweger sind ein schöner Menschenschlag, vorzüglich die Seeleute und Fischer, leider aber huldigen sie dem Trunke. Die Lappen sind klein, woraus man ihnen ja keinen Vorwurf machen kann, dazu aber auch von Gesicht (mit dem ungeheuern Munde, der Kalmückennase und dem gelblichen Teint) recht häßlich, wenn man auch anerkennen muß, daß sie arbeitssam und gewerbsthätig sind.
Gleich nachdem sie im Nordpole Hotel Zimmer belegt hatten, gingen Meister Antifer und die Seinigen, um ja keine Stunde zu verlieren, sogleich auf die Suche nach einem Fahrzeuge, das sie nach Spitzbergen bringen könnte. So kamen sie zu dem, von dem klaren Wasser eines hübschen Flusses gespeisten Hafen, an dem Holzpfähle eingerammt sind und Wohn- und Lagerhäuser – alle vom Geruche der benachbarten Trockenanstalten verpestet – sich erheben.
Hammerfest ist vor allem andern die Stadt der Fische und aller Erzeugnisse, die man aus dem Meere gewinnen kann. Die Hunde nähren sich davon, die Rinder, die Schafe nähren sich davon, und Hunderte in diesen merkwürdigen Gewässern thätige Boote schaffen davon mehr herzu, als verbraucht werden kann. Im ganzen eine merkwürdige Stadt, dieses Hammerfest, regnerisch in hohem Grade, hell in den langen Sommertagen, finster in den langen Winternächten, die hier häufig durch ein glänzendes Nordlicht gemildert werden.
Vor dem Hafeneingange machten unsre Reisenden Halt vor einer Granitsäule mit bronzenem Kapitale, das das norwegische Wappen zeigte und eine Erdkugel trug. Diese unter der Regierung Oskars I. errichtete Säule erinnert an die frühere Meridianmessung zwischen den Donaumündungen und Hammerfest. Von hier aus begaben sich unsre Reisenden nach den Bohlenwänden, an denen Fahrzeuge jeder Art und Größe, die alle dem Fischfange nahe der Küste oder auf hohem Meere obliegen, vertäut sind.
Norwegisch verstand zwar keiner von unsrer Gesellschaft, Juhel half aber mit der ihm geläufigen englischen Sprache, die ja so kosmopolitischer Natur ist, um auch in den skandinavischen Ländern verstanden zu werden.
Der Tag war noch nicht vergangen, da hatte man schon um ziemlich hohen Preis – was kam's jetzt darauf an? – einen Fischerkutter von hundert Tonnen, den »Kroon«, unter dem Befehl des Schiffers Olaf, gemiethet, der elf Mann Besatzung hatte. Dieser sollte seine Passagiere nach Spitzbergen bringen, sie dort erwarten, dann alles laden, was sie an Bord bringen würden, und endlich sollte er sie nach Hammerfest zurückführen.
Noch ein Glücksumstand für Meister Antifer, dessen Spiele die Trümpfe jetzt zuzufliegen schienen. Juhel hatte sich unter anderm erkundigt, ob im Laufe der letzten Tage ein Fremder hier gewesen und nach Spitzbergen weiter gereist wäre – man antwortete ihm verneinend. Es schien also nicht so, als ob Saouk – o, der erbärmliche Ben Omar! – die beiden Erben Kamylk-Paschas überholt hätte, wenn er sich nicht auf anderm Weg nach dem Eiland Nummer drei begeben hatte. Das war jedoch kaum anzunehmen, da die Linie über Hammerfest die nächste war.
Der Tag verging unter einigen Spaziergängen. Meister Antifer und Zambuco hegten jetzt die Ueberzeugung, daß sie sich ihrem letzten Ziele näherten.
Als sich alle gegen elf Uhr niederlegten, war es noch hell, und die Dämmerung sollte auch nur erlöschen, um sich an den Strahlen des Morgenroths wieder zu entzünden.
Mit günstiger Südostbrise verließ der »Kroon« um acht Uhr morgens den Hafen und steuerte nach Norden zu.
Gegen sechshundert Meilen zu durchmessen, das verlangte höchstens fünf Tage, wenn das Wetter einigermaßen günstig blieb. Jetzt war kein Zusammentreffen mit nach Süden treibendem Eise und auch nicht zu fürchten, daß Spitzbergen von solchem blockiert wäre. Die Temperatur hielt sich auf normalem Mittel und der herrschende Wind machte einen plötzlichen Frost unwahrscheinlich. Der mit Wolken bedeckte Himmel, Wolken, die sich in Regen und nicht in Schnee auflösten, bot keinen beunruhigenden Anblick. Manchmal drangen sogar noch Sonnenstrahlen durch einzelne Lichtungen. Juhel durfte also hoffen, daß die Sonne sichtbar sein werde, wenn er mit dem Sextanten vor dem Auge die Lagebestimmung des Eilands vornahm.
Entschieden lächelte ihnen jetzt das Glück und nichts ließ den Gedanken aufkommen, daß Kamylk-Pascha seine Erben, nachdem er sie bis zur äußersten Grenze Europas geführt hatte, noch ein viertes Mal vielleicht Tausende von Lieues von Spitzbergen hinweg verjagen würde.
Mit vollem Winde in den Segeln war der »Kroon« rasch vorwärts gekommen. Der Schiffer Olaf entsann sich kaum einer so günstigen Reise. Um vier Uhr früh am 26. Juli wurden schon nach Norden zu und bei völlig eisfreiem Meere hohe Berggipfel in Sicht gemeldet.
Das waren die ersten Theile von Spitzbergen, die Olaf von seinen häufigen Fischzügen in dieser Gegend her gut genug erkannte.
Spitzbergen bildet einen, vor zwanzig Jahren noch sehr wenig bekannten Winkel der Erde, dem sich der Touristenverkehr jetzt aber mehr und mehr zuwendet. Gewiß ist die Zeit nicht mehr fern, wo nach diesem norwegischen Gebiete – so wie schon jetzt nach dem Nordcap – Rückfahrkarten, wenn nicht gar solche bis zum Pole, zur Ausgabe gelangen.
Man wußte aber auch damals schon, daß Spitzbergen eine bis fast zum einundachtzigsten Breitengrade hinaufreichende Inselgruppe bildet. Es besteht aus dem eigentlichen Spitzbergen, der Südost- und der Nordostinsel. Ob es zu Europa oder Amerika gehört, ist eine rein wissenschaftliche Frage, die sich hier der Erörterung entzieht. Gewiß ist dagegen, daß vorzüglich englische, dänische und russische Schiffe zum Walfischfang und zum Robbenschlag hierher kommen. Die Erben Kamylk-Paschas kümmerte die Nationalität dieses Archipels nicht weiter, wenn er ihnen nur die, durch ihre Zähigkeit und Ausdauer gewiß verdienten Millionen auslieferte.
Der Name Spitzbergen rührt von dessen schwer zugänglichen Höhen her. Von dem Engländer Willouhby 1553 entdeckt, gaben ihm später die Holländer Barnetz und Cornelius seinen Namen. Der Archipel enthält außer den drei Hauptinseln auch noch einen Kranz kleiner Eilande.
Nachdem er auf der Karte 15-° 11' östl. Länge und 77° 19' nördl. Breite abgestochen hatte, bestimmte Juhel den Schiffer Olaf, die Südostinsel, die südlichste der Gruppe, anzulaufen.
Der »Kroon« segelte mit gutem Rückenwind schnell darauf zu. Die fünf oder sechs Meilen bis zur Insel wurden in einer Stunde zurückgelegt.
Der »Kroon« ankerte zwei Kabellängen vor einem Eilande, das ein am Vorsprunge der Hauptinsel schroff aufsteigendes Vorgebirge überragte.
Es war zwölfeinviertel Uhr. Die ganze Gesellschaft stieg in die Schaluppe des »Kroon« und begab sich nach dem Eilande.
Große Völker von Möven und Taucherenten und dergleichen flatterten unter lautem Geschrei empor. Eine Heerde Robben wälzte sich ins Wasser und machte den Eindringlingen nicht ohne klägliches Gröhlen Platz.
Der Schatz war offenbar gut bewahrt!
Kaum auf dem von Kamylk-Pascha erwählten Eiland, nahm Meister Antifer wegen Mangels an Flaggen und Kanonen mit einem kräftigen Fußtritt von dem Millionen-Boden Besitz.
Welch' unerwartetes Glück nach so vielen Fehlschlägen! Man brauchte nicht einmal unter dem Felsengewirr zu suchen! Gleich zu Anfang waren unsre Reisenden an der Stelle ans Land gekommen, wo der Aegypter seine Schätze vergraben hatte.
Das Eiland war verlassen. Kein menschliches Wesen befand sich darauf, nicht einmal einer jener Eskimos, die das hiesige strenge Klima bequem vertragen. Nach der Seeseite kein Schiff in Sicht. Nichts ... nichts als das unendliche Polarmeer!
Meister Antifer und der Banquier Zambuco vermochten sich kaum noch zu halten. Sogar in den Dörrfischaugen des Notars leuchtete eine kleine Flamme auf. Gildas Tregomain, der jetzt aufgeregter war als je seit der ersten Abreise und der mit gekrümmtem Rücken und gespreizten Beinen dastand, war gar nicht mehr zu erkennen. Doch, warum sollte er sich nicht freuen über das Glück des Freundes?
Noch versprechender war auch der Umstand, daß der Erdboden hier keine Fußspuren zeigte. Neuerdings war hier entschieden niemand ans Land gekommen. Die vom Regen erweichte Erde hätte die Fußtapfen gewiß bewahrt. Bezüglich des schurkischen Saouk konnte man sich also jeder Besorgniß entschlagen. Der schreckliche Sohn Murad's hatte den legitimen Erben des Schatzes nicht zuvorkommen können, oder er war unterwegs aufgehalten worden, so daß, wenn er erst nach Meister Antifer kam, seine Nachsuchungen nutzlos würden.
Wie das erste Document für das erste Eiland, so gab auch das zweite an, daß die Nachsuchungen sich auf eine der südlichen Spitzen richten sollten. Die Gesellschaft begab sich also nach der, die hier ins Meer hinausragte. Ihre scharfen Kanten waren weder von Tang überlagert, noch von Schnee bedeckt, was die Nachsuchungen wesentlich erleichterte.
Faßt einen das Glück erst an der Hand, so braucht man sich nur führen zu lassen, und so wurde auch Pierre-Servan-Malo nach einem Felsen geführt, der jenen Monolithen gleich emporragte, welche die frühere Anwesenheit von Polarforschern an der betreffenden Stelle bezeichnen.
»Hier! ... Hier!« rief er mit vor Erregung erstickter Stimme.
Alle liefen herbei ... sahen nach der angedeuteten Richtung hin ...
An der Vorderseite jenes Monolithen zeigte sich das Monogramm Kamylk-Paschas, das Doppel- K, so tief eingemeißelt, daß auch das Polarklima dessen Linien nicht hatte verwischen können.
Schweigend standen alle davor, und alle entblößten das Haupt, wie angesichts des Grabes eines Helden. Wenn sich's hier auch nur um ein einfaches Loch handelte, so barg dieses Loch ja hundert Millionen! Doch – zur Ehre der menschlichen Natur! – verfolgen wir diesen Gedankengang nicht weiter.
Schnell ging's ans Werk. Jetzt beseitigten Spitzhaue und Schaufel ziemlich leicht die Felsstücken am Fuße des Monolithen. Jeden Augenblick erwartete man, daß der Stahl auf den Eisenreif eines Fasses treffen oder dessen Dauben zerschmettern sollte.
Plötzlich verursachte die Spitzhaue, die Meister Antifer schwang, ein seltsames Knirschen.
»Endlich!« stieß er hervor, indem er eine rohe Felsenplatte emporhob, die die Oeffnung zur Schatzkammer bedeckte.
Dem Freudengeschrei folgte aber sofort ein Ausruf der Enttäuschung, ein so lauter Ruf, daß man ihn einen Kilometer weit hätte hören können.
Die Hauptperson unsrer Erzählung hatte ihn, das Werkzeug fallen lassend, ausgestoßen.
In der Aushöhlung befand sich ein Kästchen – ein metallenes Kästchen mit dem Doppel- K darauf – ein Kästchen, ganz ähnlich denen, die im Golfe von Oman und in der Ma-Yumbabai gefunden worden waren.
»Noch einmal!« seufzte der Frachtschiffer, der die Arme zum Himmel emporhob.
Ja, das war bezeichnend für die Lage ... ja, noch einmal! ... Noch einmal würde es jedenfalls nothwendig werden, ein weiteres – viertes! – Eiland zu suchen ...
In aufbrausender Wuth faßte Meister Antifer seine Spitzhaue und mit wuchtigem Schlage zertrümmerte er das Kästchen ...
Diesem entfiel ein vergilbtes Pergament, das durch eingedrungenes Wasser theilweise übel zugerichtet war.
Für den Reverend Tyrcomel, der ja keine solchen Auslagen, wie seine Miterben gehabt hatte, fand sich diesmal kein Diamant vor. Ein wahres Glück! Der Eiferer hätte ihn doch nur in Rauch aufgehen lassen.
Doch kehren wir zu dem Pergament zurück. Sich seiner zu bemächtigen, es vorsichtig, da es zu zerreißen drohte, zu entfalten, das war für Juhel, der allein seine Ruhe bewahrt hatte, das Werk eines Augenblicks.
Meister Antifer, mit der Faust gen Himmel drohend, Zambuco mit gesenktem Kopfe, Ben Omar ganz zerschmettert und Gildas Tregomain ganz Auge und Ohr – alle bewahrten das tiefste Schweigen.
Das Schriftstück bestand aus einem einzigen Blatte, dessen oberer Theil von der Feuchtigkeit nicht gelitten hatte. Darauf befanden sich einige Zeilen, wie bei den früheren Documenten in französischer Sprache.
Juhel konnte diese ohne zu stocken vorlesen, und sie lauteten:
»Drei Männer giebt es, gegen die ich Verpflichtungen habe und denen ich ein Zeichen meiner Dankbarkeit hinterlassen möchte. Wenn ich drei Documente auf drei verschiedenen Eilanden niederlegte, so geschah es darum, daß sich um diese drei Männer, die bei ihren nothwendigen Fahrten nach einander in nähere Beziehungen treten mußten, ein unlösliches Freundschaftsband schlingen sollte ...«
Nun ja, das hatte er erreicht, der vortreffliche Pascha!
»Wenn es ihnen Mühe und Beschwerden kostet, sich in Besitz dieses Vermögens zu setzen, so mögen sie nicht vergessen, daß es mir nicht leichter geworden ist, es ihnen zu erhalten!
Diese drei Männer sind: Der Franzose Antifer, der Malteser Zambuco und der Schotte Tyrcomel. Sollte einer von ihnen inzwischen durch den Tod abgerufen worden sein, so geht der Anspruch auf diese Erbschaft auf ihre Rechtsnachfolger über. Nachdem nun vorliegendes Kästchen in Gegenwart des von mir zum Testamentsvollstrecker bestimmten Notars Ben Omar geöffnet worden ist und die Erben von dem Document, das das letzte ist, Kenntniß genommen haben, mögen sie sich nach dem vierten Eilande begeben, wo die Fässer mit Gold, Diamanten und Edelsteinen von meiner Hand vergraben liegen.«
Trotz der Unannehmlichkeit, noch ein viertes Eiland aufsuchen zu müssen, gaben Meister Antifer und die andern hierbei doch einen Seufzer der Erleichterung von sich.
»Zur Auffindung dieses vierten Eilands, fuhr Juhel fort, genügt die Weiterführung ...«
Leider war der untere Theil des Pergaments halb zerstört. Die Sätze waren unlesbar ... die meisten Wörter fehlten ...
Vergebens bemühte sich der junge Kapitän, den Rest zu entziffern.
»Eiland ... gelegen ... geometr... Gesetz ...
– Nun weiter, weiter!« drängte Meister Antifer.
Juhel konnte aber nicht weiter lesen. Der untere Theil des Schriftstücks ließ nur noch einzelne Wörter erkennen, die er vergebens verständlich zu verbinden suchte. Von den Ziffern der Länge und der Breite fand sich keine Spur vor ...
Juhel wiederholte den angefangenen Satz.
»Gelegen ... geometr ... Gesetz ...«
Endlich gelang es ihm, noch ein letztes Wort, das Wort »Pole« zu entziffern.
»Pole? ... rief er. Sollte hier vom Nordpole die Rede sein?
– Wenn nicht gar vom Südpole!« murmelte der Frachtschiffer.
Da hatte man ja klar und deutlich die schon vermuthete Mystification! Der Pol, nun gar der Pol! War es denn je einem Menschen gelungen, den Fuß auf den Pol zu setzen?
Meister Antifer sprang auf seinen Neffen zu, entriß ihm das Dokument, versuchte es zu enträthseln ... stammelte aber auch nur die einzelnen halbverwischten Worte hervor.
Nichts ... nichts, was gestattet hätte, die Coordinaten des vierten Eilands zu bestimmen. Man mußte darauf verzichten, das jemals zu entdecken! ...
Und als es Meister Antifer klar wurde, daß das Spiel gänzlich verloren war, da stürzte er, wie vom Blitze getroffen, starr und steif zur Erde.