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VII.

Worin verschiedene Ereignisse und Zwischenfälle erzählt werden, die die Reisenden zwischen Dakar und Laongo erlebten.

 

Niemals hätte Gildas Tregomain es sich träumen lassen, daß einst der Tag kommen sollte, wo er mit Juhel auf den Quais von Dakar, dieser alten Hauptstadt der goreanischen Republik, lustwandeln würde. Und doch dachte er das an diesem Tage, als er den von zweifachen Granitmauern geschützten Hafen besuchte, während sich Antifer und der Banquier Zambuco, zwei ebenso Unzertrennliche wie Ben Omar und Saouk, nach der französischen Seeagentur begaben.

Ein ganzer Tag reicht übrig aus, die Stadt zu besichtigen. Sie bietet keinerlei Merkwürdigkeiten ... einen hübschen öffentlichen Garten, eine Citadelle, die der Besatzung als Kaserne dient, und die Bel-Air-Spitze mit dem Krankenhaus für Seeleute, die vom gelben Fieber befallen wurden. Wenn unsre Reisenden mehrere Tage in diesem Bezirke, der Gorea als Regierungssitz und Dakar als Hauptstadt hat, blieben, so mußte ihnen die Zeit gehörig lang werden.

Gildas Tregomain und Juhel sagten sich jedoch, daß es hier gelte, gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Inzwischen schlenderten sie über die Quais und durch die sonnigen Straßen der Stadt dahin, die hier von Strafgefangenen in ziemlich gutem Stande erhalten werden.

Am meisten interessierten sie natürlich die Schiffe, diese »Stücke von sich selbst«, die Frankreich von Bordeaux nach Rio de Janeiro entsandte – jene Packetboote der Messageries impériales, wie sie 1862 noch hießen. Dakar war damals kein so wichtiger Platz wie heute, obwohl der Handelswerth von Senegal sich schon auf fünfundzwanzig Millionen Francs belief. Es zählte nur neuntausend Einwohner, eine Bevölkerung, die jedoch in Folge verschiedener Hafenmeliorationsarbeiten im Wachsen war.

Wenn der Frachtschiffer jener Zeit z. B. mit den M'Bambaras-Negern keine Bekanntschaft gemacht hatte, so wäre ihm das jetzt sehr leicht gewesen, denn nun wimmelt es in den Straßen Dakars von diesen Eingebornen. Dank ihrem Temperament, ihrem dicken Schädel und krausen Wollhaar können sie der Gluth der Tropensonne ungestraft Trotz bieten. Gildas Tregomain freilich hatte nicht umhin gekonnt, das bekannte großkarrierte Taschentuch als Sonnenschirm über seinen Kopf zu breiten.

»Herr, mein Gott, ist das eine Hitze! rief er. Nein, ich bin wahrhaftig nicht für die Tropen geschaffen!

– Das ist jetzt noch gar nichts, Herr Tregomain, antwortete Juhel, wenn wir erst mitten drin im Busen von Guinea sind, so ein paar Grade unterhalb des Aequators ...

– Dann zerschmelz' ich, das steht fest, seufzte der Frachtschiffer, dann bring' ich nur noch Haut und Knochen mit nach Hause! ... Na, übrigens, setzte er mit seinem gutmüthigen Lächeln und das von Schweiß triefende Gesicht abwischend hinzu, weniger kann man ja nicht gut mit heimbringen, nicht wahr?

– O, Sie sind auch schon recht abgemagert, Herr Tregomain, bemerkte der junge Kapitän.

– Findest Du das? ... Pah, ich habe ja Zeit, ehe ein Skelet aus mir wird! Meiner Ansicht nach ist es sogar besser, mager zu sein, wenn man nach Gegenden geht, wo die Leute sich von Menschenfleisch nähren ... Giebt es denn Cannibalen da an der Küste von Guinea?

– Nicht mehr, das hoff' ich wenigstens, antwortete Juhel.

– Nun, mein Junge, da wollen wir die Kerle jedenfalls durch unsre Wohlgenährtheit nicht noch lüsterner machen. Und – wer weiß? – vielleicht müssen wir nach dem Eiland Nummer zwei noch eins Nummer drei in Ländern aufsuchen, wo man sich gegenseitig aufißt ...

– Wie in Australien und auf den pacifischen Inseln, Herr Tregomain.

– Ja, wo die Einwohner Anthropophagen sind!«

Er hätte auch »Philantrophagen« sagen können, der würdige Frachtschiffer, wenn er im Stande gewesen wäre, dieses Wort zu erfinden, denn in jenen Ländern verzehrt man seinesgleichen aus reiner Leckerei.

Daß sich der Meister Antifer von seiner tollen Millionensucht aber auch noch bis dorthin jagen ließe, war ja nicht wohl anzunehmen. Jedenfalls wollten sein Freund und sein Neffe ihm dann nicht mehr folgen und ihn – müßte er dazu auch in ein Irrenhaus gesperrt werden – verhindern, eine solche Fahrt zu unternehmen.

Als Tregomain und Juhel ins Hôtel zurückkamen, trafen sie Meister Antifer und den Banquier daselbst an.

Der französische Agent hatte seinen Landsmann freundlichst empfangen. Als letzterer aber fragte, ob sich in Dakar wohl ein nach den Häfen von Loango abgehendes Schiff vorfände, erhielt er eine recht entmuthigende Antwort. Packetboote, die diesen Dienst versehen, verkehren sehr unregelmäßig und laufen Dakar nur einmal monatlich an. Wohl besteht ein wöchentlicher Verkehr zwischen Sierra Leone und Grand-Bassam, von da nach Loango ist's aber noch recht weit. Vor Ablauf von acht Tagen sollte das erste Packetboot in Dakar nicht eintreffen. Welches Unglück! Acht Tage lang in diesem Flecken am Zügel zu kauen! Und der müßte auch noch aus bestgehärtetem Stahle sein, um den Zähnen Pierre-Servan-Malos, die jetzt tagtäglich einen Kiesel zermalmten, Widerstand zu leisten. – An Kieselsteinen fehlt es an der Küste Afrikas ja nicht, und Meister Antifer konnte seinen Vorrath daran leicht erneuern.

Wir müssen wahrheitsgemäß anerkennen, daß eine Woche in Dakar lang, sehr lang ist. Die Spaziergänge am Hafen, die Ausflüge bis zu dem sumpfigen Gewässer, das östlich von der Stadt abfließt, bieten dem Touristen kaum für einen Tag genug Abwechslung. Hier heißt's also, sich mit der Geduld zu wappnen, die nur eine glückliche Philosophie verleihen kann. Mit Ausnahme Gildas Tregomain's aber, der sich nach dieser Seite hervorthat, waren der reizbare Malouin und die andern Persönlichkeiten, die er mit sich herumschleppte, alle weder Geduldsmuster noch Philosophen. Wenn sie Kamylk-Pascha segneten, von ihm zu Erben eingesetzt zu sein, so verwünschten sie ihn wegen seiner Schrulle, seinen Nachlaß in so weiter Ferne verscharrt zu haben. Es war ja schon zu viel, bis zum Golf von Oman gegangen zu sein, und jetzt sollten sie gar bis zum Busen von Guinea hinunter! Hätte der Aegypter denn nicht auch ein anständiges, recht verstecktes Inselchen in europäischen Meeren aussuchen können? Im Mittelmeere, in der Ost- und Nordsee, dem Schwarzen Meere und längs den oceanischen Küstenstrecken giebt es doch wahrlich genug solche, die sich zum Panzergeldschrank vortrefflich eignen. Der Pascha hatte sich mit einem wahren Luxus von Vorsichtsmaßregeln umgürtet. Indeß, was da war, das war einmal, und ohne die ganze Sache aufzugeben ... Aufzugeben? O, der wäre schön angekommen, der dem Meister Antifer, dem Banquier Zambuco und selbst dem von der Faust des jähzornigen Saouk gefesselten Notar einen derartigen Vorschlag zu machen gewagt hätte!

Das gemeinschaftliche Band, das alle diese verschiedenen Personen verknüpfte, lockerte sich aber sichtlich. Es gab jetzt drei wohlgeschiedene Gruppen: die Gruppe Antifer-Zambuco, die Omar-Saouk und die Gruppe Juhel-Tregomain. Diese lebten getrennt, sahen sich nur zu den Stunden der Mahlzeiten, wichen sich unterwegs aus und sprachen von der großen Angelegenheit unter einander niemals. Sie beschränkten sich auf Duette, die zu keinem Schluß-Sextett zu verschmelzen versprachen – das übrigens auch nur zur entsetzlichen Kakophonie geworden wäre.

Die erste Gruppe: Juhel-Tregomain. Man kennt das gewöhnliche Thema ihrer Gespräche: die unbestimmte Verlängerung der Reise, die räumlich zunehmende Trennung der beiden Verlobten, die Furcht, daß der Lohn für alle Mühen und Beschwerden auf eine Mystification hinauslaufen werde, der Gemüthszustand ihres Onkels und Freundes, dessen Aufregung mit jedem Tage wuchs und seinen Verstand bedrohte. Lauter Ursachen des Kummers für den Frachtschiffer und den jungen Kapitän, die sich darein gefügt hatten, jenem nicht entgegenzutreten und ihm bis an's Ende zu folgen.

Zweite Gruppe: Antifer-Zambuco. Welch merkwürdige Studie hätten die beiden zukünftigen Schwäger der Beobachtung eines Moralisten geboten! Der Eine, bisher anspruchslos ein ruhiges Leben in seiner ruhigen Provinz führend, erfüllt von der natürlichen Philosophie des pensionierten Seemannes, und jetzt eine Beute der sacra fames nach Gold, den Kopf verwirrt durch jenes Spiegelbild von Millionen, das seine Augen blendete! Der Andre, schon vorher steinreich, und doch nur darauf versessen, Schätze auf Schätze zu häufen, so daß er sich sogar solchen Mühseligkeiten, ja solchen Gefahren aussetzte, nur um seine Reichthümer zu vermehren!

»Acht Tage lang in diesem Loche zu schimmeln! wetterte Meister Antifer, und wer weiß, ob das verwünschte Packetboot dann nicht gar eine Verspätung hat.

– Und obendrein, setzte der Banquier hinzu, will's das Unglück, daß es uns auch nur bis Loango befördert, von wo aus wir noch an die fünfzig Lieues bis zur Ma-Yumbabai haben!

– Ach, um das Eckchen Weg kümmr' ich mich nicht! versetzte der wüthende Malouin.

– Wir werden uns aber darum kümmern müssen, bemerkte Zambuco.

– Gut ... später ... zum Kuckuck! ... Man läßt den Anker nicht fallen, ehe man über der richtigen Stelle ist! Erst wollen wir nach Loango kommen, dann wird sich das weitere schon finden.

– Vielleicht könnte man den Kapitän des Packetbootes bestimmen, den Hafen von Ma-Yumba anzulaufen ... das würde ihn nur wenig aus seiner Route bringen.

– Ich zweifle, daß er darauf eingeht, weil ihm das nicht erlaubt sein wird.

– Wenn wir ihm für den kleinen Umweg eine anständige Entschädigung bieten ... meinte der Banquier.

– Das werden wir ja sehen, Zambuco; doch Sie haben immer den Kopf voller Dinge, die mir zunächst sehr gleichgiltig sind. Jetzt handelt sich's darum, nach Loango zu kommen, von dort werden wir schon – tausend Bomben und Kanonen! – nach Ma-Yumba zu gelangen wissen! Wir haben ja Beine, und wenn von Dakar nicht anders wegzukommen ist, na, da geht's eben längs der Küste hin ...

– Zu Fuß? ...

– Natürlich zu Fuß.«

Er plapperte das so hin, der Pierre-Servan-Malo. An die Gefahren, die Hindernisse, an die Unmöglichkeit einer solchen Wanderung dachte er nicht. Achthundert Lieues durch Liberia und die Elfenbeinküste, durch das Aschantiland, Dahomey und Groß-Bassam hinzuziehen! Nein, er mußte sich wohl sehr glücklich schätzen, allen da unvermeidlichen Gefahren durch die Reise auf einem Packetboote entgehen zu können. Keiner, der ihn auf einem solchen Landmarsche begleitet hätte, wäre davon zurückgekehrt, und Fräulein Talisma Zambuco hätte in ihrem Hause auf Malta das Eintreffen ihres allzu waghalsigen Freiers vergeblich erwartet!

Sie mußten sich also auf das Packetboot verlassen, wenn das auch erst nach acht Tagen erscheinen sollte. Freilich würden ihnen die Stunden in Dakar recht langweilig dahinschleichen.

Ganz anders klang das Gespräch des Paares Saouk-Omar. Nicht etwa, daß der Sohn Murad's minder ungeduldig gewesen wäre, nach dem Eiland zu kommen und den Schatz Kamylk-Paschas zu heben. Bewahre! Er überlegte nur, zum Schrecken Ben Omar's, wie er die beiden Erben zu seinen Gunsten berauben könne. Nach dem unmöglichen Versuche in Mascat, wollte er das jetzt in gleicher Weise durch gedungene Schurken auf dem Rückwege von Ma-Yumba nach Loango ausführen. Unter den Landeseingebornen oder den Schmugglern der Factoreien fand er gewiß Leute, die zu allem fähig waren, selbst Blut zu vergießen, und die gegen ein gutes Stück Geld für seinen verbrecherischen Zweck zu haben sein mußten.

Diese Aussicht erschreckte den zaghaften Ben Omar, wenn auch nicht in Folge übermäßigen Zartgefühls, so doch aus Furcht, in eine böse Geschichte mit hineingezogen zu werden – und das ließ ihm keinen Augenblick Ruhe.

Er wagte darauf hin auch eine schüchterne Einwendung zu machen und versicherte, Meister Antifer und seine Gefährten seien die Leute dazu, ihr Leben theuer zu verkaufen. Er hob hervor, daß sich Saouk trotz guter Bezahlung auf die von ihm ermietheten Schurken doch nicht verlassen könne, daß sie früher oder später schwatzen würden, daß der Ueberfall bekannt werden müsse, da die Wahrheit ja endlich einmal selbst z. B. dann ans Licht komme, wenn Forschungsreisende tief drin in unbekanntem Lande ermordet worden wären. Alles das bezog sich, wie man sieht, nicht auf das Verbrecherische des Vorhabens selbst, sondern war nur von der Furcht vor dem Entdecktwerden eingegeben – dem einzigen Grunde, der Saouk vielleicht zurückhalten konnte.

Diesen rührte das jedoch gar nicht. Er hatte ja schon andre Dinge gesehen und selbst mit ausgeführt, und mit einem Blicke, der dem Notar das Mark erfrieren machte, antwortete er:

»Ich kenne nur einen Schwachkopf, der mich verrathen könnte!

– Und der wäre Excellenz? ...

– Du, Ben Omar!

– Ich?

– Ja. Doch nimm Dich in Acht, ich habe ein gutes Mittel, den Leuten den Mund zu stopfen!«

An allen Gliedern zitternd, ließ Ben Omar den Kopf sinken. Er wußte ja, daß es Saouk auf einen Cadaver mehr oder weniger auf der Straße von Ma-Yumba nach Loango gewiß nicht ankam.

Das erwartete Packetboot ging am Morgen des 12. Mai im Hafen von Dakar vor Anker. Es war die »Cintra«, ein portugiesischer Dampfer für Personen- und Güterbeförderung nach San Paolo de Loanda, jener wichtigen lusitanischen Colonie im tropischen Afrika. Dieses lief Loango regelmäßig an, und da es früh am nächsten Morgen weiter fuhr, beeilten sich unsre Reisenden, darauf Plätze zu erhalten. Bei seiner mittleren Geschwindigkeit von neun bis zehn Meilen sollte die Ueberfahrt eine Woche dauern, während der sich Ben Omar schon wieder der jämmerlichsten Seekrankheit versah.

Nach der Landung einiger Passagiere verließ die »Cintra« am folgenden Morgen den Hafen bei schönstem Wetter und mäßigem Landwinde. Meister Antifer und der Banquier stießen einen mächtigen Seufzer der Befriedigung aus, als ob ihre Lungen eine Woche lang unthätig gewesen wären. Das war ja ihre letzte Fahrstrecke, ehe sie den Fuß auf das Eiland Nummer zwei setzten und die Hand auf die von diesem treubewahrten Schätze legten. Die Anziehung, die jenes Eiland auf sie ausübte, wurde nach Naturgesetz und umgekehrt mit dem Quadrate der Entfernung immer stärker. Und mit jeder Drehung der Schraube der »Cintra« verminderte sich diese immer mehr ... immer mehr ...

Leider vergrößerte sie sich aber für Juhel ... er kam immer weiter weg von Frankreich, von der Bretagne, wo Enogate trauerte. Er hatte ihr gleich nach der Ankunft in und kurz vor der Abfahrt von Dakar geschrieben, und das arme Kind mußte also erfahren, daß ihr Verlobter sich immer noch weiter von ihr entfernte, und dazu war er nicht einmal in der Lage, den wahrscheinlichen Zeitpunkt seiner Rückkehr zu bestimmen!

Zunächst hatte Saouk zu erfahren gesucht, ob die »Cintra« etwa Passagiere nach Loango hätte. Vielleicht fand er unter Abenteurern mit weitem Gewissen, die ihr Glück in entlegnem Lande suchten, solche, die außer ihrer Bekanntschaft mit diesem geeignet gewesen wären, seine Spießgesellen zu spielen. Hierin hatte Seine Excellenz sich getäuscht. Er mußte seine Wahl also erst in Loango treffen. Zum Unglück kannte er die portugiesische Sprache ebenso wenig, wie Ben Omar. Das war hinderlich, wenn es darauf ankommt, delicate Geschäfte zu behandeln, bei denen man sich unbedingt klar und deutlich aussprechen können mußte. Auch die Uebrigen sahen sich auf den Verkehr nur unter einander beschränkt, da wiederum niemand an Bord französisch sprach.

Nur einer, dessen Verwunderung seiner Befriedigung gleich kam, war hier: der Notar Ben Omar. Es wäre übertrieben, zu behaupten, daß er sich auf der »Cintra« gar nicht unwohl gefühlt hätte, jedenfalls blieben ihm aber die früheren ärgeren Leiden erspart. Die Fahrt verlief unter den günstigsten Umständen. Das Meer blieb ruhig längs der Küste, der die »Cintra« in zwei- bis dreimeiliger Entfernung folgte. Kaum machte sich eine leichte Dünung vom hohen Meere her fühlbar.

Das blieb auch ebenso, als das Packetboot das Cap Palmas an der äußersten Spitze des Busens von Guinea umschiffte. Wie es häufiger beobachtet wird, folgte der Wind der Gestaltung der Küste, und der Golf erwies sich jetzt ebenso freundlich, wie vorher der Ocean, obwohl der »Cintra« beim Course auf Loango die Anhöhen des Landes außer Sicht kamen. So erblickte man nichts vom Aschantilande oder von Dahomey, nicht einmal den Kamerunberg, der sich hinter der Insel Fernando-Po und an der Grenze Ober-Guineas auf dreitausendneunhundertsechzig Meter Höhe erhebt.

Am Nachmittage des 19. Mai erlebte Gildas Tregomain eine gewisse Aufregung. Juhel hatte ihm gesagt, daß er nun den Aequator überschreiten werde. Zum ersten und ohne Zweifel auch zum letzten Male sollte der Exkapitän der »Charmante Amélie« also nach der südlichen Halbkugel der Erde kommen. Welch ein Abenteuer, er, der Schiffer von der Rance! So opferte er denn, dem Beispiele aller Mitreisenden folgend, ohne großes Bedauern ebenfalls seinen Piaster als Willkomm zu Ehren der Passage der Linie.

Mit Sonnenaufgang am nächsten Morgen befand sich die »Cintra« in der Breite der Ma-Yumbabai und etwa hundert Meilen davon entfernt. Wenn der Kapitän des Packetbootes sich nur dazu verstanden hätte, diesen zum Staate Loango gehörigen Hafen anzulaufen, hätte er dem Meister Antifer und den Seinen viele Mühen und Fährlichkeiten ersparen können. Das würde sie eines sehr beschwerlichen Zuges längs der Küste hin enthoben haben.

Auf Betreiben seines Oheims suchte Juhel auch den Kapitän, der nothdürftig englisch sprach, hierfür zu gewinnen. Er stellte ihm vor, daß der Umweg dahin seine Reisedauer kaum um achtundvierzig Stunden verlängern würde ... man wünsche auch nichts mehr, als für diese Verzögerung zu bezahlen und die Rheder der »Cintra« nach allen Seiten hin schadlos zu halten u. s. w.

Der Kapitän verstand wohl, was Juhel von ihm wünschte, vor allem als dieser sein Anliegen durch eine Erklärung mittelst der Karte des Golfes von Guinea unterstützte, und es erschien ja so einfach, ein halbes Dutzend Reisende in Ma-Yumba abzusetzen, Leute, die für diese Gefälligkeit reichlich bezahlen wollten.

Und doch schlug der Kapitän das Verlangen ab. Ein Sclave des Schiffreglements, war er verpflichtet, nach Loango zu dampfen, und dabei mußte es bleiben – von Loango ging er dann nach San Paolo de Loanda – doch nirgends anders hin, und hätte man ihm das Gewicht seines Fahrzeuges in Gold angeboten. So lautete seine Antwort, die Juhel dem Meister Antifer übersetzte.

Natürlich brauste dieser, unter einem Schwall von Schimpfreden auf den Kapitän, gehörig auf. Das half alles nichts. Ja, ohne das Dazwischentreten Gildas Tregomain's und Juhels wäre Meister Antifer als Rebell für den Rest der Fahrt beinahe noch in den untern Laderaum eingesperrt worden.

So kam es denn, daß die »Cintra« am übernächsten Tage, am Abend des 21. Mai, vor den langen Sandbänken stoppte, die die Küste von Loango schützen, mittelst der Schaluppe die Passagiere landete und drei Stunden später nach San Paolo de Loanda, der Hauptstadt der portugiesischen Colonie, weiter dampfte.


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