Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9.

Der Liebesrausch bei diesem Paare, dem gleich, den die zwei Trinker gegen einander heuchelten, welche gefärbtes Wasser als Wein zur Wette tranken, hatte so weit nachgelassen, daß sie wieder Augen für andere Gegenstände hatten. Da fiel Laura's Blick auf die arme Miranda-Rolle, die, verachtet und verschmäht, in einem Winkel des Sopha lag. Sie nahm sie und blätterte darin. Die Rolle ist wirklich belohnend, sprach sie nach einer Weile. Ich hätte beinahe Lust, mich in ihr zu versuchen.

O Geist des Widerspruches, dein Name ist Weib! scherzte Wespe. Weil das böse Mädchen es weiß, daß mir mit der Zerstörung des Bayard ein Gefallen geschieht, so will sie ihn halten!

Und es ist wirklich mein Ernst, sprach Laura, Wespe's Hand begütigend drückend, mit einem ihrer Liebesblicke, von denen sie immer einen guten Vorrath zum augenblicklichen Bedarf bei sich führte. Wäre es auch nur, 132 um diesen undankbaren Spötter öfter zu sehen. So ungestört wie heute werden wir hier vielleicht nie mehr seyn können. Mein Vater geht zwar seinen Geschäften nach, und überläßt mich mir selbst, aber noch heute Abend kommt meine Tante von einer Reise zurück, und dann fahre wohl, goldene Freiheit! Dagegen die angenehmen Proben im traulichen Dunkel der Coulissen, unsere gegenseitige Freude an unserem Spiel und Costüm; daß Volteggio nur wenig zu thun hat, ist nicht mit Golde zu bezahlen. Dadurch wird es mir möglich, ihn so oft zu finden, als ich frei bin, und der Fleck zwischen der Thürwand und dem Waldhintergrunde ist ein liebes, herrliches Plätzchen. O das Liebhaber-Theater ist wahrlich das picanteste Vergnügen unter dem Monde!

Wenn einer Laura Kuß es würzt! sprach Wespe zärtlich, indem er zugleich heimlich die Uebereilung belachte, mit der die Dame ihre wohlerworbene Localkunde, durch diese Schilderung, wahrscheinlich sehr gegen ihre Absicht, an den Tag legte.

133 Ja, es bleibt dabei! sprach die Eitle, die Rolle durchsehend. Die Fräulein-Tracht im ersten Akte wird mir gut lassen. Mit der Guitarre läßt sich die Grazie in der Armhaltung zeigen. Singen mag die Birk in Gottes Namen. An der Romanze ist ohnehin nichts, und wenn man nicht vortrefflich singt, muß man es auf dem Theater gar nicht wagen. Nun, und wenn ich erst in meinem Pagenkleide erscheinen werde, dann mag sich jeder Schmetterling wohl in Acht nehmen, daß er sich nicht an meiner Flamme die Flügel versengt!

Wespen langweilte das fade Selbstlob, und er hielt sich die Hand vor den Mund, weil ihn ein Gähnen anwandelte, das ihn, wenn es Laura wahrnahm, leicht um den ganzen Lohn seines sauern, aus Lug und Trug bestandenen Tagewerkes hätte bringen können.

Da trat, Lauren eine verhaßte Störung, ihm eine willkommene Erlöserin, die Willig'sche Köchin in das Zimmer, ein gewaltiges Packet tragend. – Die Liese des Herrn Seniors, 134 sprach sie gleichsam entschuldigend: hat das gebracht, und expreß verlangt, daß es gleich an den Herrn Referendar abgegeben werden soll.

Aha! sagte Wespe zu sich. Die Furcht ist doch ein allmächtiger Hebel! Er erbrach. Der Bayard lag auf zwei respectabeln Folianten, auf ihm ein Billet, und Wespe las:

»Ewr. Wohlgeboren schicke ich den Bayard mit ergebenstem Danke zurück. Wie Pontius Pilatus (Absit tamen comparatio) muß ich bekennen und ausrufen: Ich finde keine Schuld an ihm! Das ist ein vortreffliches, wahrhaft christliches Stück, bei dessen Lesung mir die hellen Thränen über die Wangen gerollt sind. Ja, wenn vor zwanzig Jahren dergleichen Stücke unsere Bühne geschmückt hätten, wer weiß, ob die große Diana jemals geschrieben worden wäre! Durch die ausgezeichnete Moralität dieser Tragödie habe ich mich denn auch veranlaßt gefunden, die Begriffe des Herrn Conrectors, über die Schicklichkeit von dergleichen Darstellungen in vertrauten Familienkreisen, 135 zu berichtigen. Derselbe schätzt es sich zur Ehre, seine Töchter dabei zu produciren, und bittet nur, nebst mir, inständig: daß weder seiner anfänglichen Weigerung, noch ihrer näheren oder entfernteren Veranlassungen gegen irgend jemanden erwähnt werden möge. Beifolgen zwei Bücher, worin Ew. Wohlgeboren die gewünschten Notizen finden werden. Wären sie nicht hinreichend, so erweisen Sie mir die Ehre, Sich in meiner Bibliothek, die Ihnen ganz zu Befehl steht, das Fehlende selbst zu suchen. Es wird mich dieß um so glücklicher machen, als es mir Gelegenheit gibt, Ihnen persönlich von Grund meines Herzens die Versicherung zu wiederholen, daß ich mit wahrer Liebe und Hochachtung lebenslang seyn werde« u. s. w.

Eine lange Epistel! sprach Laura, neugierig auf den Brief sehend. Was haben Sie denn mit dem pedantischen Senior so viel zu correspondiren?

Verlegen schwieg Wespe, denn er hatte 136 keine Lust, den Brief zu manifestiren, weil sich Laura erst über seine Thätigkeit für den Bayard hätte wundern können, aus dem er sich angeblich nichts machte. Zugleich sehnte er sich, das, was er so glücklich ausgerichtet, seiner Aphanasia zu melden, und scheuete sich, die ganz frische Liebe für Laura durch einen schnellen, unvorbereiteten Abschied zu ersticken. Da saß er kläglich da, neugierig von Lauren und der Köchin betrachtet, und eben überlegte er, ob ihn erdichtetes Nasenbluten oder Zahnweh aus dieser peinlichen Lage befreien solle, als ein Wagen draußen vorbei rasselte und vor der Hausthüre stille hielt.

Die Köchin sprang zum Fenster. Das Gott erbarme, die Mamsell Tante! schrie sie, und rannte fort.

Himmel, die Tante! jammerte Laura. Ich rechnete noch auf ein Paar schöne Stunden. Auf Wiedersehen in der Leseprobe, leider nicht früher, doch um so herzlicher! und rasch drückte sie ihre Lippen auf die seinen und sprang der Köchin nach.

137 Der Sieg ist errungen, und nicht allzu theuer, flisterte Wespe mit einem Faungesichte, und schlich sich, einen gewaltigen Katzenbuckel machend, zur Thür hinaus.

 


 << zurück weiter >>