Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

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4.

Wie Kummer und Reue saß acht Tage später der Amtsrath vor seinem Büreau, auf dem drei ziemlich dicke Briefpackete lagen. Er betrachtete sich eines nach dem andern von weitem, hob sie dann auf und wog sie in der Hand, als wolle er aus dem Gewichte auf den Inhalt schließen, und seufzte tief dazu. Da kam Aphanasia herein getanzt; er drehte den Kopf nach ihr um und sah sie grämlich an, als ärgere ihn ihre Lustigkeit. – Was gibt es schon wieder?! fuhr er sie an.

75 Gute Nachricht, Väterchen! Rittmeister Graf Erbach hat mir so eben pflichtmäßig rapportirt, daß Talmond und Tremouille in der französischen Armee Dienste genommen, und daß Bourbon und Rochefort sich bei den Feinden enrolliren lassen. Baron Appenrode freut sich der Gelegenheit, dem General durch Uebernahme des Admirals eine Aufmerksamkeit zu bezeigen. Den jungen Maler hat Benno von Birk übernommen, der gerade, während der Ferien der Ritterakademie, seine Tante besucht, und so wäre unser Spiel vollständig rangirt.

Desto ärger der Spectakel, der Scandal, die unauslöschliche Schmach, jammerte der Amtsrath: wenn nun doch aus der ganzen Geschichte nichts wird!

Nichts wird? wie so? fragte Aphanasia erschrocken.

Weil hier drei schnöde Absagbriefe liegen, antwortete der Amtsrath.

Wie kannst Du das wissen, lieber Vater? sprach sie begütigend. Sie sind ja noch nicht entsiegelt.

76 Lehre Du mich combiniren! sprach der Amtsrath. Den einen hat mir der Postknecht, den andern ein ABC-Schütze gebracht, den dritten Mamsell Willig selbst unten an die Köchin abgegeben, folglich sind die Wische von Hornecks, vom Conrector und von der holden Laura. Die Couverte sind dickleibig, folglich liegen ihre Rollen darin, die sie folglich mit Protest remittiren, und folglich ist es vorbei mit dem seligen Bayard, denn:

Kann ich Schauspieler aus der Erde stampfen?
Wächst mir ein Kornfeld auf der flachen Hand?

Ich kann es noch nicht glauben, erwiederte Aphanasia, indem sie mit einem um Erlaubniß bittenden Blicke die Umschläge erbrach. Die unglücklichen Rollen fielen allerdings zu ihrem Entsetzen heraus.

Was habe ich gesagt?! rief der Amtsrath. Das hat mir schon bei den fatalen Mienen geahnt, die die Insurgenten bei der Vertheilung der Rollen in der ausserordentlichen Versammlung zogen. Lies mir die Dinger nur hinter einander vor. Ich bin doch neugierig zu 77 vernehmen, wie sich das Nein in den verschiedenen Subjecten verschieden krystallisirt hat.

Und Aphanasia nahm das nächste Billet und las:

»Eben so schätzbar als es mir, eben so angenehm, ehrenvoll und instructiv es für meine Töchter seyn würde, wenn dieselben an Ew. Hochwohlgeboren dramatischer Ergötzlichkeit Antheil nehmen dürften, eben so innig betrauere ich es, daß ich diese gütige Einladung im Namen derselben gehorsamst ablehnen muß. Der Herr Senior, den ich von meinem Vorhaben denn doch avertiren zu müssen glaubte, hat sich so entschieden dagegen erklärt, hat mir die Unziemlichkeit theatralischer actionum für die Töchter eines gottesgelahrten Schulmannes so ernstlich zu Gemüthe geführt, daß ich um so mehr genöthigt bin, mein Versprechen zurückzunehmen, als bei einer dergleichen Meinungverschiedenheit zwischen dem Vorgesetzten und Untergebenen, der letztere nach den Regeln der Dienstgrammatik im Genitivo stehen muß. Im Namen meiner (sit venia verbo!), daß sie der Bock stößt, heulenden Töchter schicke ich daher die Rollen zurück, bitte Ew. Hochwohlgeboren inständigst, dieserhalb auf mich und mein unschuldiges Haus keinen Groll zu werfen, und verharre, ob zwar tief betrübt, jedennoch mit schuldigster Ehrfurcht &c.«

Theekesselei, brummte der Amtsrath: Intoleranz, verdammter Pfaffe! Sequens!

Und Aphanasia ergriff das zweite Billet, und las:

»Sie haben die Güte gehabt, mir unter den sieben Damenrollen des Bayard gerade die alte Hexe auszusuchen, die die Gelegenheitmacherin der schönen Blanca abgibt, und ihr nebenbei zur Folie dienen soll.«

Das ist die Horneck! seufzte der Amtsrath.

»Miranda oder Constantia waren natürlich zu gut für mich, ob ich gleich, wie Sie wissen, musikalisch bin, und also auch dieser Forderung genügen könnte. Wäre ich indeß wirklich zu alt für solche Rollen, so konnte ich doch wenigstens auf die Lucretia Gritti 79 rechnen; aber natürlich mußte diese edle Witwe der Frau von Horst gegeben werden. Für mich bürgerliche Creatur war die alte Duenna gut genug. Unter diesen Umständen werden Sie es wohl natürlich finden, daß ich die Rolle zurückschicke. Wenn sie wirklich so süß ist, wie Sie mir sie machen wollten, so wird sich ja leicht jemand anders dazu finden. Auch mein Mann legt seine Rolle bei. Wenn er auch bisweilen Intriguanten macht, so fühlt er doch nicht Talent genug in sich, einen leibhaftigen Satanas mit Erfolg darzustellen, wie dieser Paolo Manfrone ist. Wir werden daher Beide für dießmal um Erlaubniß bitten, die Künstler vom Parterre aus zu bewundern. Bei der nächsten Darstellung wird es sich ja finden, was man uns anbieten wird, und was wir annehmen können.«

Die Dame hat eine tüchtige Gallausleerung gehabt, sagte der Amtsrath. Ihr Mann wird es uns im Stillen danken, denn nun hat er in vier Wochen keine große Explosion zu 80 befürchten. Sequens! Nun kommt die holde Laura!

Und Aphanasia las das dritte Billet.

»Die liebliche Miranda, die Ihr zu großes Vertrauen in mein schwaches Talent mir zudenkt, hat sich mir erst bei Durchlesung der Rolle in ihrer ganzen Herrlichkeit entfaltet.«

Nun Gottlob! rief der Amtsrath, freien Athem schöpfend: die schreibt doch noch einen vernünftigen Brief.

»und ich möchte blutige Thränen weinen,«

Wie? Was?! schrie der Zuhörer dazwischen. In wiefern?

»daß ich sie nach reiflicher Ueberlegung zurückschicken muß. Sie werden darin mit mir einverstanden seyn, daß ein Mädchen in meinem Alter und in meinen Verhältnissen nichts köstlicheres hat, als ihren guten Ruf. Man hat schon vielfältig mein Auftreten auf Ihrem Theater gemißbilligt –«

Man? Man! tobte der Amtsrath. Das verdammte Man. Wenn der eigne böse Wille sich fürchtet hervorzutreten, so schiebt er das 81 Man vor als Sündenbock. Wenn ich aber das rechte Man einmal erwische, so schlage ich ihm Arm und Beine entzwei!

»Aber mein reines Gewissen hat mir den Muth gegeben, dem Tadel der Welt Trotz zu bieten. Dießmal würde dieser Tadel jedoch leider nicht ungerecht seyn, denn das Erscheinen einer Dame in männlicher Tracht bleibt doch immer eine Unschicklichkeit, die ich mir nicht einmal vor mir selbst zu verantworten getraue, geschweige vor dem strengen Richterstuhle der Welt. Verzeihen Sie deßhalb, wenn die Sorge für zarte, weibliche Sitte –«

Und so weiter! rief der Amtsrath. Diese Laura ist ja auf einmal ganz entsetzlich tugendhaft geworden. Aber ich durchschaue sie. O es ist eine – in den Stricknadeln fing sie an Wespen zu Leibe zu gehen. Darüber habe ich mich lustig gemacht, und Wespe ist nach seiner Weise giftig-witzig gewesen. Das hat sie uns Beiden nachgetragen und nun mit Fleiß die Sache so weit gedeihen lassen, um uns 82 damit die Freude mit einem Schlage zu verderben. Ich weiß, daß sie auf die Miranda zittert; aber die Rache ist ihr doch noch süßer. Ja die Weiber, die entsetzlichen Weiber!

Das sind freilich sehr schlimme Briefe! sprach Aphanasia nachdenkend, die weiße Hand an die schöne Stirn legend.

Zum Rasendwerden! rief der Amtsrath. Der General ist schon provisorisch avertirt, die Gäste sind geladen. Diesen Schimpf überlebe ich nicht. Ich reiße noch in dieser Stunde die verdammten Breter zusammen, lasse anspannen, fahre wie ein Eulenspiegel mitten im Winter in das nächste Bad, und wenn die Gäste kommen, so sollen sie diese drei saubern Briefe wie Vehmladungen angenagelt finden an der verschlossenen und verriegelten Schloßpforte.

So arg soll es doch nicht werden! sprach munter Aphanasia. Da muß man doch vorher alle Möglichkeiten versuchen, und das wollen wir thun. Giebst Du mir Carte blanche?

Ach Gott, ja, so weiß als Du willst! antwortete der Amtsrath. Aber es wird ja alles nichts helfen.

83 Es kommt erst auf die Probe an, sprach Aphanasia. Vor allen Dingen will ich den Assessor zu Rathe ziehen. Sie flog zur Thür.

He! Apropos! rief ihr der Amtsrath nach: Du verkehrst mir jetzt gewaltig viel mit dem Assessor. Ich will doch nicht hoffen, daß sich irgend ein Verhältniß zwischen Euch anspinnt?

Ohne Sorgen, Väterchen, erwiederte lachend Aphanasia. Unsere Pole sind gleichnamige, die sich abstoßen. Er ist überdieß Bräutigam.

Und Du so gut als Braut! fiel der Amtsrath ein. Vergiß das nicht!

Noch hat sich Brauß mein Herz nicht zu erwerben gewußt! antwortete sie. Ich bin überzeugt, daß mein guter Vater diesem Herzen nie Gewalt anthun wird, und darum getrost!

Sie eilte fort. – Mein Herz hat sich dieser Brauß eben auch noch nicht erworben! murrte der Amtsrath. Er bekümmert sich um nichts. Wegen ihm mag der Bayard stolpern, fallen, wieder aufstehen, das ist seine geringste 84 Sorge. Er sitzt auf seinem Gute, oder jubelt in der Residenz herum, und läßt den künftigen Schwiegervater sich todt ärgern und todt arbeiten für das Wohl des Ganzen. Nein, dießmal hat mich der böse Feind verführt, mich an ein Spectakelstück zu wagen, und nun in Ewigkeit nicht wieder!

 


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