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Die Post war eben gekommen. Horneck saß an seinem vergitterten Arbeittische und durchsah die Briefcharte. Am Fenster nähete seine Eheconsortin und sah Wespen gerade auf das Haus zukommen.
Aha! rief sie schadenfroh. Eine Gesandtschaft von der hochlöblichen Theater-Direction. Das sage ich Dir, Horneck, daß Du Dich nicht etwa wieder übertölpeln läßt!
Sey doch unbekümmert, brummte dieser zurück. Ehe ich ihnen diesen Manfrone mache –
Da trat Wespe in das Zimmer mit dem gleichgiltigsten Gesichte von der Welt, grüßte höflich, gab ein Paar Briefe ab, fragte: ob keine an ihn angekommen wären, bat sich die frischen Zeitungen zum Durchfliegen aus, und setzte sich damit an das Fenster, der designirten Duenna gegenüber.
Apropos, fragte er nach einer Pause ruhig unter dem Lesen: wer von den hiesigen Honoratioren mag wohl die beßte Bibliothek haben? 93 Ich bedarf ein Buch – was ich hier wahrscheinlich vergebens suchen werde.
Es kommt darauf an, antwortete Madam Horneck, empfindlich über das schlechte Zutrauen des Hauptstädters zu den Krautberger Bücherschätzen: der Herr Senior hat eine starke Sammlung aus allen Fächern. Was für ein Buch brauchen Sie denn?
Den Titel weiß ich selbst nicht, erwiederte Wespe. Es gilt vorher den Catalog nachzuschlagen. Ich suche einige historische Notizen für das Costüm des Bayard.
Das gestehe ich! sagte die Horneck mit boshaftem Lächeln. So wird das große Spectakelstück doch noch wirklich gegeben?
Leider! seufzte Wespe und las emsig weiter.
Leider? fragte sie befremdet: und ich habe geglaubt, daß Ihnen der Bayard am allermeisten am Herzen läge.
Glauben Sie denn wirklich, fragte sie Wespe dagegen: daß mir der jämmerliche Volteggio, der sich in der einzigen Scene, die er hat, gegen Bayard wie ein Strohrenommist benimmt, 94 den geringsten Spaß macht? Doch das ist das Wenigste. Ich hätte Ihnen den Rock küssen mögen, als Sie die Duenna zurückschickten, aber zuletzt ergibt sich, daß Sie mir das größte Drangsal damit angethan haben.
Sie reden lauter Widersprüche! sagte sie.
Ich will sie lösen und Ihnen reinen Wein einschenken, erwiederte Wespe. Sehen Sie, ich möchte mich doch auch gern einmal in einer ordentlichen Rolle versuchen, und zeigen, daß ich wohl noch zu etwas Besserem, als zu einem Bedienten, tauge.
Das ist niemandem zu verargen! bemerkte Madam Horneck. Die Bedienten und Duennen können sich der Herr Amtsrath und Mamsell Aphanasia selber behalten!!
Mit den Ritterstücken ist es nichts, fuhr Wespe fort: das ist mir bei den Zurüstungen zum Bayard klar geworden. Die Mühe und Noth ist grenzenlos, und doch fehlt es überall, und oft am Beßten. Da hatte ich zum nächsten Stück den Rehbock im Sinne, wo mir der Stallmeister recht gut zusagen würde. Ich 95 habe auch schon den Amtsrath dazu breit geschlagen.
Den Rehbock?! rief sie. Ich kenne ihn; ein liebes, lustiges Stück. Wie wollten Sie ihn denn besetzen?
Aphanasia die Gräfin, antwortete Wespe, die Willig ihre Schwägerin, Sie die Pächterin Grauschimmel.
Nun, das ist nicht übel, meinte die Horneck, ihr Entzücken mühsam verbergend. Die Rolle der Pächterin möchte ich wohl einmal spielen.
Auch das ist ja eben das Aergerliche! rief Wespe, unmuthig die Zeitungen hinwerfend. Sie werden sie nicht spielen, und der Stallmeister, auf den ich mich schon so gefreut hatte, wird mir keinen rechten Spaß machen, denn das Stück wird miserabel gehen.
Die Nadel der Postmeisterin feierte, mit neugierigen Augen sah diese den listigen Schwätzer an, und ihre Blicke ersuchten ihn fortzufahren.
Sehen Sie, liebe Freundin, demonstrirte er treuherzig: Sie mögen die Duenna nicht 96 spielen, was ich Ihnen keinesweges verdenken kann; hätte ich nicht besondere Ursachen, den Amtsrath bei Gutem zu erhalten, ich hätte ihm meinen Volteggio wahrhaftig auch zurückgeschickt. Der Bayard soll und muß nun einmal gegeben werden, ohne Duenna geht das nicht, und also ist die Postmeisterin Spörner dazu ausersehen worden.
Um Verzeihung! rief Madam Horneck erglühend. Der Titel gebührt diesem Weibe auf keine Weise. Ihr Mann wurde erst Postmeister, als er sich schon, ihres lüderlichen Wandels wegen, von ihr hatte scheiden lassen.
Dem sey wie ihm wolle, fiel Wespe ein. Ich kenne sie nur oberflächlich, aber doch hinreichend, um in voraus zu beschwören, daß sie alle Scenen verderben wird, in denen sie auftritt. Das ist aber das Wenigste. Die Duenna ist eine höchst undankbare Rolle –
Deßhalb hatte sie auch die Freundschaft des Herrn Amtsrathes für mich ausgesucht! flocht Madam Horneck grimmig ein.
Da nun, fuhr Wespe fort: die Spörner 97 auf dem Schlosse niemals breterfähig war, und dießmal ganz eigentlich als Nothnagel gebraucht wird –
Sie ist auch dazu zu schlecht! rief hitzig die Dame.
Das sieht der Amtsrath recht gut ein, parenthesirte Wespe: und es wird ihm schwer genug, aber Noth kennt kein Gebot – so will man ihr, wie ein Stück Zucker auf eine böse Medicin, auf die Duenna eine dankbare Rolle geben, und dazu ist die Pächterin im Rehbock bestimmt, die Sie so brav dargestellt haben würden. Es ist Jammerschade um das Röllchen. In Ihrem Spiel ist so viel Natur. Ein frisches Gesicht, volle Arme, Sie sind dazu geboren. Die Spörner ziert sich schon im gemeinen Leben genug, und wird als naive Bäuerin unerträglich seyn.
Das ist gewiß! rief die Horneck, und fügte hastig hinzu: Ist ihr schon der Antrag gemacht?
Ich bin eben auf dem Wege zu ihr, sprach Wespe, verdrossen aufstehend. Ach, es ist ein 98 überreifer und doch sehr sauerer Apfel, in den ich beißen soll. Aber es kann schon nichts helfen. Er muß hinunter gewürgt werden.
Er schlich zur Thür. Mit sich im Kampfe sah ihm die Horneck nach, wollte sprechen, zwang das Wort zurück, aber als er die Thür hinter sich zuziehen wollte, da hielt sie sich nicht länger, und rief laut: Herr Referendar!
Plait-il? fragte er gleichgiltig, den Kopf in das Zimmer steckend.
Wenn ich nun – begann sie – aber so kommen Sie doch noch einmal herein. Das ganze Haus braucht es ja nicht mit anzuhören, was wir mit einander zu besprechen haben.
Die Winke einer jungen, hübschen Frau sind für mich Befehle, erwiederte Wespe, und war mit einem Satze wieder auf dem Stuhle, der Dame gegenüber. Was steht noch zu Dienst?
Wenn ich mich nun – begann sie stockend von neuem: wenn ich mich aus übermenschlicher, fast thöriger Nachgiebigkeit für dieses Mal noch zur Duenna verstände –
99 Sie sind ein Engel, charmante Frau! rief Wespe, sie auf den vollen Arm küssend. Nun? – wenn –?
Wollten Sie auf diesen Fall, fuhr sie freundlich lächelnd fort: mit Ihrem Ehrenworte verbürgen, daß das nächste Stück der Rehbock ist, und daß ich die Pächterin bekomme?
Wenn mir bis dahin der Amtsrath nicht das Haus verboten hat, ja! rief Wespe schnell entschlossen, und hielt die Hand hin.
Das hat gute Wege! sprach sie, seine Hand ergreifend. Topp, ich spiele die Duenna!
Da haben der Herr Referendar wohl auch schon für einen guten Paolo Manfrone gesorgt?! rief der Postmeister boshaft aus seinem Käfig heraus.
Wenn ich nicht recht bei Trost wäre, erwiederte Wespe. Wo fände ich wohl einen bessern, als Sie, lieber Horneck, zehn Meilen in die Runde?
Ich habe mich ja bereits darüber erklärt, brummte Horneck. Ich spiele den Kerl auf keinen Fall.
100 Wenn Sie ein roher Dilettant wären, ohne alle höhere Kunstansicht, sprach Wespe, so würde ich glauben, daß das Ihr Ernst sey; aber bei Ihrer Theorie und Breterpraxis müssen Sie es ja erkennen, was sich aus diesem köstlichen Böswicht für ein Kunstwerk schaffen läßt.
Zugestanden! zankte Horneck: aber so wenig meine Seele etwas von Eitelkeit weiß, so ist es doch für einen Mann, den die Natur nicht ganz stiefmütterlich behandelt hat, eine starke Zumuthung, sich in ein Ungeheuer zu verwandeln.
Ein Ungeheuer? fragte Wespe ruhig. Nun ja, ein moralisches. Das ist ja recht, das ist gut. Da kann sich der erste Intriguant unserer Bühne zeigen!
Nein, nein, ein physisches! rief der Postmeister, zornig aufspringend, und hielt dem Referendar den Bayard aufgeschlagen vor die Augen. Lesen Sie. Hier wird Manfrone angemeldet. Basco sagt: 101
Draußen steht
ein wunderlicher Mann. Gleich einer Larv'
ist sein Gesicht. Ein Auge sah mir auf
den Knebelbart, das andre schien die Franzen
an meinen Stiefeln zu betrachten.
Und eine solche scheußliche, schieläugige Fratze soll ich machen? Muß gehorsamst danken!
Sie haben gewiß nicht gelesen, sagte Wespe: wie sich Iffland über die Darstellung des Franz von Moor ausspricht. – Der Schauspieler braucht dem Dichter auch nicht allzu sclavisch zu folgen. Der reiche, gebildete, mailändische Edelmann, der in alle Sättel gerecht ist, der bei den Großen Europa's Zutritt hat und von ihnen gebraucht wird, kann keine solche Carricatur seyn. Blanca's rechtschaffene Aeltern konnten auch, trotz ihrer Armuth, die geliebte Tochter keinem solchen Unthiere ausliefern. Nach meiner Ansicht kleiden Sie sich ganz schwarz. Der Teint italiäner-gelb, ohne Rouge, aber keine Entstellung, weder durch Schminke noch Tracht. Ihr Spiel wird dann schon das Weitere besorgen und den Teufel vollenden. Die Schilderung Basco's, ohnehin ein 102 hors d'oeuvre und blos für die Gallerie berechnet, wird gestrichen.
Dieser Manfrone ist doch aber eine gar zu böse Bestie, sprach der Postmeister, im Buche blätternd, zwar um Vieles milder, doch noch immer unzufrieden. Ich muß dem ganzen Publicum zuwider werden, wenn es mich als ein solches Scheusal sieht.
Das wäre der Triumph Ihrer Kunst! rief Wespe. Ach, wäre ich nur schon mit Allem so im Reinen, als mit meiner Ansicht Ihrer Rolle. Da plage ich mich heute den ganzen Tag, die Decoration des päpstlichen Ordens vom goldenen Sporn auszumitteln, und wenn ich nicht in der Bibliothek des Seniors das Nöthige darüber finde, so müssen Sie mir wahrhaftig noch einen Brief nach der Residenz zur Post annehmen.
Der Orden vom goldenen Sporn? fragte Horneck neugierig. Wer soll den tragen?
Wer anders als Sie, antwortete Wespe. Manfrone ist eine zu wichtige Person, um nicht besonders ausgezeichnet zu werden, und 103 es ist gar nicht anders möglich, als daß der Papst, der diesen Cavallier auf so riscante Expeditionen ausschickt, ihn auch dafür mit Ehren und Würden geschmückt hat.
Nun, so machen Sie nur, beßter Wespe, liebster Freund! rief der augenblicklich besiegte Postmeister: daß Sie zu dem Herrn Senior kommen und sich die nöthige Auskunft verschaffen. Für den schlimmsten Fall will ich die Briefcharte für Sie offen halten. Meine Frau versteht es, mit dergleichen Decorationen umzuspringen und wird mir den Orden recht hübsch machen.
Also auf baldiges Wiedersehen, gestrenger Ritter vom goldenen Sporn! sprach Wespe mit komischer Ehrerbietung und verließ rasch das Zimmer. Geleitgebend kam ihm Madame Horneck nach.
Sehen Sie mich einmal gerade und steif an, ohne zu lachen, sprach sie, als er ihr das Abschied-Compliment machte.
Es ist mir ein Vergnügen, erwiederte er galant und sah ihr recht treuherzig in die Augen.
104 Wahrhaftig, er verzieht keine Miene! rief sie. Sie sind ein großer Schelm, mein Herr Referendarius, und Gnade Gott den armen Partheien, gegen die Sie einmal auftreten werden.
Wie so, liebe Horneck? fragte Wespe mit möglichster Unbefangenheit. Sie fürchten doch nicht, daß ich Ihnen mein Wort brechen werde?
Das nicht, antwortete sie. Mit mir mögen Sie es ehrlich meinen, aber mein armer, guter Mann! Da sind Sie dahinter gekommen, daß er in Stern und Band ein wenig vernarrt ist, und weil Sie ihn stätisch finden, so sporniren Sie ihn mit dem päpstlichen Ordensporne, daß er gehen muß, Paß und Trab und Galopp, wie Sie es haben wollen. O – Sie – Mephistopheles!
Liebe, beßte, einzige Frau, wie verkennen Sie mich doch! rief Wespe mit dem Schmerze erlittenen Unrechts.
Nun, mag es seyn! sagte sie. Ich will Ihnen keinen Schlagbaum vorziehen. Ich weiß, 105 was Sie im Schilde führen, und wünsche Ihnen von Herzen Glück dazu. Ihnen gönne ich Aphanasia auf jeden Fall lieber, als dem überstudirten Brauß. Für mich wären Sie ohnehin kein Mann. Sie sind mir viel zu pfiffig!
Welche Pfiffigkeit der Erde müßte nicht vor der Ihrigen die Segel streichen? sprach Wespe. Brauchen Sie sie nur nicht gegen mich, sonst bin ich freilich verloren und scheitere noch im Hafen.
Schaffen Sie mir nur die Pächterin, und ich bin die Ihrige mit Leib und Seele! rief sie, und still vor sich hin lachend ging Wespe aus dem Hause.