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In der Kinderklinik

Vier Jahre waren seitdem vergangen.

Die junge Frau Professor Werner huschte wie ein Irrwisch durch ihr trauliches Nest, rückte hier an einem Bilde, zog dort an einem Deckchen und stand auch nicht für die Dauer einer Sekunde auf demselben Fleck.

Von dem behaglichen Speisezimmer ging's in die Kinderstube, ob denn Klein-Hänschen noch immer nicht aus seinem Nachmittagschlaf aufzuwachen geruhte. Wie ein Raffaelscher Engel lag er da mit seinen goldbraunen Löckchen und den rosigen Schlafbäckchen. Nein, Hänschen durfte nicht geweckt werden, nicht einmal solchem großen Ereignis zuliebe, wie dem bevorstehenden Besuche. War es denn möglich? Fast vier Jahre hatte sie ihre Daisy, ihr einstiges zweites Ich, nicht gesehen. Seit ihrer Hochzeit war Daisy nicht mehr in Berlin gewesen. Sie hatte in Würzburg, München und Freiburg studiert. Nicht einmal die Ferien hatte sie in Berlin verbracht. Daß es sie nicht zu den Verwandten zog, war ja verständlich. Aber warum hatte sie ihre und ihres Mannes wiederholte Einladung, die Ferien in ihrem jungen Heim zu verleben, stets ausgeschlagen? Hilde stand vor einem Rätsel. Denn daß Daisy immer und ewig zu büffeln hatte, das glaubte sie einfach nicht. Aber nun war das Staatsexamen mit Glanz erledigt, der Dr. med. errungen. Endlich hatte Daisy sich bei den Freunden angemeldet. Hänschen, ihren kleinen Paten, kannte sie überhaupt noch nicht – still, in Andacht versunken, stand die eben noch so lebhafte Frau Hilde am Gitterbettchen des kleinen Schläfers. Da schlug der Kleine die Augen auf, leuchtend blaue Sterne, wie sein Vater sie hatte, nur tiefer, klarer.

»Mama, anschiehn!« kommandierte er und streckte der Mutter zwei rosige Strampelbeinchen entgegen.

Hilde schwenkte das jauchzende Kind erst einige Male durch die Luft, ehe sie sich entschließen konnte, die Beinchen in die Wadenstrümpfe zu stecken, anstatt sie zu liebkosen. Es war immer ein schwieriges Stück, Hänschen anzukleiden. Denn der Kleine war nach Ausspruch des Vaters genau solch Perpetuum mobile wie seine Mutter. Aber heute war die Sache noch erschwert; beide, Mutter und Sohn, waren noch weniger geduldig als sonst. Hänschen sollte Daisy zu Ehren in die ersten Höschen hinein. Diese wichtige Angelegenheit leuchtete aber dem Kleinen durchaus nicht ein. Er sah darin nur eine Freiheitsberaubung. In einem unbewachten Augenblick entschlüpfte er den mütterlichen Händen – auf allen Vieren, schnell wie ein Wiesel, aus der Tür und zur gegenüberliegenden, die in das Studierzimmer des Vaters führte. Dort begann er mit Leibeskräften mit den kleinen Fäusten gegen die Tür zu bumbern. Er wußte, daß er hier stets willkommen war. Und wirklich, ehe Frau Hilde noch den Ausreißer einfangen konnte, saß er bereits auf des Vaters Knie, fuhr mit seinen dicken Patschhändchen respektlos in die gelehrten mathematischen Berechnungen auf dem Schreibtisch und verlangte: »Ticketacke!«, indem er an der Uhrkette energisch zu reißen begann.

»Dein Sohn ist heute wieder aus Rand und Band,« rief Gerhard Werner lachend der hinzueilenden Hilde entgegen, sie mit dem freien Arm ebenfalls umschlingend. Aber die hatte heute keine Zeit zu einem Familienidyll.

»Ausgekniffen ist der Bengel – jeden Augenblick kann die Tante Daisy hier sein! Komm, Jungchen, sei verständig, laß dich anziehen.«

Aber »Jungchen« dachte gar nicht daran, Vernunftsgründen zugänglich zu sein. Der rettete sich zu seinem Vater. Der gelehrte Herr Professor setzte sich den Filius auf die Schulter und galoppierte mit dem »hü«rufenden Sprößling der Mutter davon im Zimmer umher. Die lachende und schimpfende Frau Hilde hinterdrein.

»Gerd – Gerd – bleibe doch stehen – die Männer müssen doch immer gegen uns arme Frauen zusammenhalten – wenn dich deine Studenten so sähen, Gerd – der Junge ist ja noch gar nicht fertig angezogen – einer von euch ist immer unvernünftiger als der andre« – sie konnte vor Lachen nicht weitersprechen.

Klein-Hänschen juchzte vor Seligkeit und zauste sein Pferdchen in die blonde Haarmähne. Der Professor sprang im Trab und im Galopp. Hilde versuchte vergeblich, Roß und Reiter zu zügeln. Keiner vernahm bei dem Radau die Türglocke. Das Klopfen des anmeldenden Mädchens verhallte – und plötzlich stand im Türrahmen eine blonde Dame mit lachenden Augen und rief in den Tumult hinein: »Darf ich mitspielen?«

»Daisy!« jubelte Hilde los.

Mit großen Augen sah Klein-Hänschen, daß die Mutter eine fremde Dame so liebevoll in die Arme nahm, wie sie es sonst mit ihm zu machen pflegte. Unzufrieden mußte er wahrnehmen, daß auch sein Pferd auf kein »Hü« mehr gehorchte, sondern den kleinen Reiter einfach abwarf, um sich ebenfalls voller Freude der Fremden zuzuwenden. Da drängte sich Hänschen eifersüchtig dazwischen. Ehe er es sich versah, hatte die fremde Dame ihn auf dem Arm und drückte ihn zärtlich an sich. Hänschen wehrte sich aus Leibeskräften – was gingen ihn fremde Tanten an?

»Da hast du ihn, Daisy, deinen Patenjungen,« stellte Hilde, strahlend vor Mutterglück, vor. »Er ist noch gar nicht empfangsbereit, der Schlingel, unbehost, und das Willkommensträußchen für Tante Daisy muß er auch erst noch feierlich überreichen. Junge, benimm dich anständig! Gib ihm ruhig einen Klaps, Daisychen, wenn er nicht brav ist. Dazu bist du als Patin ermächtigt.«

»Ich werde mich ja hüten,« lachte Daisy, »mir gleich die Feindschaft eures Herrn Sohnes zuzuziehen.« Sie holte ein Spielzeug hervor, und damit war die Freundschaft mit Tante Daisy besiegelt.

»Also, Fräulein Doktor, nun laß dich erst mal anschauen,« rief Hilde in ihrer lebhaften Art, nachdem Hänschen zur Vervollständigung seines äußeren Menschen dem Mädchen überliefert war. »Gut sieht sie aus, die Daisy, nicht wahr, Gerd? Größer und, wie soll ich sagen, viel erwachsener bist du geworden. Das Büffeln scheint dir glänzend bekommen zu sein.«

»Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken,« zitierte der Professor lachend.

» Darling – wie hast du mir gefehlt,« war alles, was Daisy zuerst nur herausbrachte.

Hilde aber kannte keine sentimentale Regung.

»So, Daisychen, dies ist der Willkommenskuß – und der da, der ist für das fein bestandene Examen, so – und einen gibt's noch als besondere Zugabe, und nun wollen wir Kaffee trinken.«

Davon aber wollte Daisy wieder nichts wissen.

»Erst muß ich mir dein Heim ansehen, Hilde, ich kenne zwar schon jedes Winkelchen aus deinen Briefen, aber nun will ich mir doch das Nest, in dem meine Hilde so glücklich haust, auch einmal näher besehen.«

Arm in Arm schritten sie von Zimmer zu Zimmer, Hilde froh und stolz erläuternd, und Daisy jedes Bild und jede Bronze studierend. Am meisten aber wurde Hänschen bewundert. Tante Daisy ließ ihn nicht vom Schoß.

Das gab ein gemütliches Kaffeestündchen. Gerhard und seine ehemalige Schülerin Daisy waren ebenfalls inzwischen Freunde geworden.

Daisy mußte Bericht erstatten.

»Also nun beichte mal erst, Daisy. Warum bist du die ganze Zeit über unsichtbar geblieben? Wo sitzt er, in Freiburg, Würzburg oder München, der dich uns abspenstig gemacht hat?« scherzte Hilde.

»Weder dort, noch wo anders,« lachte Daisy. Ernst werdend fügte sie hinzu: »Ich mußte mich daran gewöhnen, auf mich allein angewiesen zu sein, Hilde. Man erstarkt, wenn man seine Kräfte selbständig im Leben erprobt.«

Gerhard ließ sich vom Examen erzählen.

»Mächtig schwer war's. Das Physikum ist Kinderspiel dagegen.«

»Gut, daß ich mich vorher verheiratet habe,« meinte Hilde in ihrer drolligen Art. »Wenn ich mich auch genug mit dem Mann hier ärgern muß.«

»Strafe muß sein,« der Professor versuchte ihr den übermütigen Mund zu schließen.

»Aber Gerd« – Hilde machte sich aus seinen Armen frei – »was soll denn bloß Daisy davon denken?«

»Daß wir, trotzdem wir schon solch altes, würdiges Ehepaar, noch genau so unvernünftig glücklich sind wie am ersten Tage, stimmt's, Herzchen?«

Hilde sah warmen Blicks in seine liebevollen Augen.

Daisy fühlte sich durch die Zärtlichkeit der beiden ein wenig bedrückt. Sie beschäftigte sich angelegentlich mit Hänschen.

»Nun bleibst du doch für immer hier, Daisy, nicht wahr?«

»Das hängt davon ab, ob ich hier eine Anstellung als Volontärärztin an einem Kinderkrankenhaus bekomme. Ich muß noch mein Praktikantenjahr erledigen, ehe ich mich niederlassen kann. Die Aussichten sind hier in Berlin besser, als in Süddeutschland. Darum bin ich zurückgekommen.«

»Also nur deshalb, Gerd, darauf können wir uns nichts einbilden.« Die noch immer wie einst so lustige Hilde sah voll Staunen, wie ernst und zielbewußt die Freundin in den vier Arbeitsjahren geworden war.

»Wirst du wieder bei Tante Malwine wohnen?«

»Ich werde es wohl nicht umgehen können; übrigens Fränze, die hat sich in der Ehe verändert, es ist kaum zu glauben.«

»Wieso – ist sie nicht mehr solch Greuel?« erkundigte sich Hilde mit alter Natürlichkeit.

»Nein, sie ist eine ganz verständige Frau geworden.«

»Ich hätte nicht gedacht, daß der schüchterne Lämmergeier sie kirre kriegt,« meinte Hilde bedächtig. »Ja, solche Ehe bringt viel zuwege, auch ich bin ganz bescheiden und demütig geworden.«

»Na – na,« warf Gerhard ein und wurde zur Strafe dafür von Hilde unter Lachen und Jubel in sein Studierzimmer befördert.

Die beiden Freundinnen waren allein.

»Weißt du, Daisychen, was ich wünschte,« sagte Hilde mit einem Male ganz unvermittelt, »du wärest auch so glücklich verheiratet wie ich!«

Daisys Gesicht färbte sich glutrot.

»Aber Hilde, wie kommst du bloß auf solche Dummheiten,« wehrte sie ab, »ich habe doch meinen Beruf, der ersetzt mir doch alles andre.«

Hilde schüttelte den Kopf.

»Du sprichst wie der Blinde von der Farbe. Ich habe früher auch genau so gedacht, aber habe nur erst einen richtig lieb. Richard ist auch seit kurzem verlobt und – – –«

»Und – Günter Berndt?« Daisy hätte sich auf die Lippen beißen mögen, daß ihnen diese Frage, die sie ganz geheim nur gedacht, entschlüpft war.

»Pah, der – an dem ist Hopfen und Malz verloren, unheilbarer Weiberfeind. Der lebt nur seiner Medizin. Aber halt, Daisy, Günter Berndt kann dich doch in seiner Kinderklinik anbringen, er ist dort Oberarzt. Gleich schreibe ich an ihn.« Mit altem Ungestüm eilte Hilde zum Schreibtisch. Vornahme und Ausführung war bei ihr immer noch dasselbe.

»Nein – Hilde, nein,« Daisy lehnte sich mit aller Entschiedenheit dagegen auf, »an den kannst du dich nicht wenden. Das ist mir peinlich.«

»Aber Daisy, hab' dich doch nicht, du bist aber wirklich komisch. Solch ein guter Freund, der tut mir doch gern den Gefallen. Und ihr kennt euch doch auch viele Jahre. Es muß für dich doch angenehmer sein, unter einem bekannten Arzt zu arbeiten, als unter einem fremden.«

»Ich möchte die Anstellung mir selbst verdanken, nicht einer Empfehlung,« wandte Daisy noch ein. Doch Hilde schrieb bereits mit ihrer schnellen Entschlossenheit ein Briefchen an Günter Berndt.

Daisy verstummte. Vier Jahre war sie der Heimat fern geblieben, um vergessen zu lernen, andere Werte für Verlorenes zu erringen. Und jetzt, wo sie heimkehrte, sollte sie gleich auf so harte Probe gesetzt werden? Tägliche Zusammenarbeit mit dem, den sie meiden wollte? Aber wenn sie mit ihrem Jugendtraum wirklich abgeschlossen hatte, mußte sie doch ihrer selbst sicher sein. Dann brauchte sie nicht feige Versteck zu spielen, sondern durfte nur den Kollegen in Günter Berndt sehen, wie er es ja umgekehrt auch sicher tat.

Erst Klein-Hänschens lustiges Radebrechen gelang es, den Ernst von der Stirn der neuen Tante zu scheuchen.

Als Doktor Günter Berndt am nächsten Morgen das zierliche Briefchen mit Hildes steilen Schriftzügen in Empfang nahm, dachte er, wie gewöhnlich eine Einladung von ihr zu erhalten. Aber je weiter er las, desto mehr verfinsterten sich seine Züge, und mit einem »Nein – entschieden nein!« schleuderte er das Briefchen auf den Tisch. Mit großen Schritten trat er zum Schreibtisch und tauchte energisch seine Feder ein. Er wollte sofort die Absage vom Stapel lassen.

»Liebe Frau Professor!«

prangte bereits als Überschrift.

Was gab er nun für einen Grund an? Überfüllung natürlich, keine Stelle frei, das war das Glaubhafteste. Aber ob Daisy es auch glauben würde? Ob sie sich nicht am Ende heimlich einbildete, er wolle eine Begegnung mit ihr vermeiden, er wäre seiner selbst nicht sicher.

Die Feder spritzte in großem Bogen über das weiße Papier, nein, er hatte es nicht nötig, ihr auszuweichen. Er konnte voller Seelenruhe mit ihr zusammenarbeiten. Er würde nur die Kollegin in ihr sehen, ihn berührte ihre Anwesenheit absolut nicht.

So ging statt der geplanten Absage ein einverstandenes Schreiben an Hilde ab.

Und zu Beginn des nächsten Monats trat Dr. med. Daisy Greeham ihre neue Volontärstelle an.

Gepreßten Herzens schritt Daisy zum ersten Male durch das ziegelrote Gebäude der Kinderklinik. Doch als sie Günter nach langer Zeit wieder gegenüberstand, sagte ihr das laute Pochen ihres unverständigen Herzens, daß die jahrelange Trennung sie noch immer nicht vergessen gelehrt hatte.

Aber die sachlich kühle Art, mit der Günter Daisy in ihr neues Arbeitsfeld einführte und die jedes Persönliche ausschloß, gab ihr Ruhe und Gleichgewicht der Seele wieder. Allerdings nur, solange sie mit ihm gemeinsam tätig war. Abends, wenn ihr Tagewerk vollbracht, und ihr Gefühl nicht mehr durch die Arbeit des Augenblicks betäubt war, wallte es jäh in ihr empor, »ich gehe nicht mehr hin, ich gehe morgen bestimmt nicht mehr hin,« beteuerte sie sich jeden Abend und – am nächsten Tage tat sie wieder den weißen Arztkittel um, und schritt wieder von einem Bettchen zum andern.

Die kranken Kleinen liebten in kurzer Zeit die »neue blonde Tante Doktor« über alles. Keiner hatte solch weiche Hand zum Verbinden, keiner tat so wenig bei der Untersuchung weh, ja selbst die gräßliche Medizin schmeckte nicht mehr so bitter, wenn die Tante Doktor sie reichte. Und wie freundlich und zärtlich sie einem jeden Kinde zuzusprechen wußte, wie sie es verstand, auf all die kindlichen Interessen einzugehen.

Der junge Oberarzt, der seine Gedanken sonst klar und bestimmt auf seine Tätigkeit richtete, der jedes Abschweifen streng verpönte, ertappte sich jetzt öfters bei sekundenlanger Unaufmerksamkeit.

Die echt weibliche, mütterliche Art der jungen Ärztin, verbunden mit ihrer zuverlässigen Berufstätigkeit machten ihm die Zusammenarbeit mit ihr zur Freude. Er vergaß es manchmal, nur die Kollegin in ihr zu sehen. Gab es wirklich Frauen, die sich ihre Gefühlstiefe, ihre weibliche Anmut, trotzdem sie kaltblütig das Operationsmesser handhabten, bewahrt hatten? Die Theorie, die Günter Berndt von studierten Frauen aufgestellt hatte, kam ins Wanken. Jedes Wort Daisys im Verkehr mit den kranken Kindern offenbarte eine solche Gemütstiefe, solch einen Reichtum des Gefühlslebens, daß er seine Augen dem nicht verschließen konnte.

Und wieder begann ein stiller Kampf in Günter Berndts Innerem. Der Funke hatte nur unter der grauen Aschenschicht des Vergessenwollens geschlummert. Jetzt war er aufs neue geweckt; langsam entfachte sich die erstickte Glut wieder.

Daisy merkte nichts von alledem. Er behielt seinen höflich kollegialen Ton ihr gegenüber bei. Er war der Oberarzt, sie eine junge Praktikantin wie viele andere. Alles Persönliche in ihrem Verkehr war von Anfang an ausgeschaltet.

Heute mußte er eine schwierige Operation vollführen, und da er in Daisys Gegenwart heimlich für die Sicherheit seiner Hand fürchtete, hatte er sie ersucht, inzwischen die notwendigen Verbandwechsel im chirurgischen Saal vorzunehmen.

Heiter lachend und scherzend führte sie ihre schmerzhafte Tätigkeit aus. Kein Schreien und Weinen ertönte dabei. Was die liebe Tante Doktor machte, tat nicht weh.

Da – mitten im Erzählen eines Märchens eilte eine Schwester aufgeregt in den Saal.

»Fräulein Doktor, Herr Doktor Berndt läßt bitten, daß Sie sofort kommen. Die kleine Margot will sich von keinem andern halten lassen, sie stößt mit Händen und Füßen um sich und schreit unausgesetzt nach Tante Doktor.«

Daisy eilte in den Operationssaal. Wütendes Geschrei tönte ihr bereits daraus entgegen. Mit schnellem Schritt trat sie zu dem aufgeregten Kinde. Sanft strich ihre Hand über das verweinte Gesichtchen, und zärtliche Laute, wie daheim die Mutter sie für ihre kleine Margot gehabt hatte, schlugen an das Ohr der verängstigten Kleinen. Da umklammerte das heiße Kinderhändchen fest die kühle, schlanke Mädchenhand: »Bleib du bei mir, geh nicht wieder fort,« schluchzte sie stoßweise.

Leise sprach Daisy auf die ruhiger und ruhiger werdende Kleine ein, und bald hatte sie das verzogene und eben noch so störrische Kind so weit, daß die Narkose gemacht werden konnte.

Mit sicherer, gewandter Hand assistierte sie Günter, zurückscheuende Nerven kannte sie nicht mehr.

Die Operation war gelungen, das Kind im Separatzimmer gebettet, und nun saß Günter Berndt allein an seinem Schreibtisch.

Es stürmte in ihm, seine Gedanken jagten sich – wie weich und zärtlich Daisy das eigensinnige Kind eben noch umfangen, und wie kaltblütig und ohne jedes Wimperzucken sie ihm gleich darauf das Messer zugereicht hatte. Reimte sich Frauentum und Frauenstudium nicht doch zusammen? Lieferte Daisy ihm nicht täglich den Beweis, daß die studierte Frau an weiblichem Reiz nichts einzubüßen brauchte?

Günter Berndt sprang auf, er hatte seine Verblendung einsehen gelernt. Hell schlugen die zurückgehaltenen Flammen in seinem Herzen empor. Es war noch nicht zu spät, gut zu machen. Und doch – jenes Wort, das sie damals gesprochen und das ihn so verletzt, legte sich wieder erkältend auf die Glut seiner Gefühle: »Ein studiertes Mädel liebt nicht so leicht. Dem ist der Mann nur guter Kamerad, nur Berufsgenosse –« Er vernahm wieder ihre gereizte Stimme.

In heftigem Zwiespalt mit sich selbst schritt er noch einmal zu dem Privatzimmer der kleinen Margot, um zu sehen, ob die Kleine schon aus der Narkose erwacht sei. Die Tür war halb offen, die Schwester schien abwesend.

Doch da – vom Bett her eine Mädchenstimme, so zart, so süß – Günter Berndt hielt den Atem an.

»Schlaf in süßer Ruh',
Tu' die Äuglein zu,«

wie ein Hauch, hold und duftig schwebten die Töne zu dem angestrengt Lauschenden.

Mit klopfendem Herzen lugte Günter durch die Türspalte. Da saß Daisy am Bettchen, sie hatte sich über das unruhige Kind geneigt. Voller Zärtlichkeit blickte sie auf die ruhiger atmende Kleine. Die Augenlider der kleinen Margot senkten sich wieder, die süße Stimme hatte dem Kind den Genesungsschlaf gebracht.

Behutsam erhob sich Daisy. Als sie sich aufrichtete, stand Günter Berndt mit bewegten Mienen vor ihr.

Versunken war in ihm jene Zeit der Entfremdung, Daisys weiche Altstimme hatte jede Erinnerung daran ausgelöscht.

Er rang nach Worten.

»Miß Daisy – Daisy – ich wollte mich nicht ergeben – ich habe mich dagegen gewehrt, aber es ist stärker als ich, das Gefühl in mir ist mächtiger als alle falschen Vorurteile. Als ein Reumütiger stehe ich vor Ihnen, Daisy, wollen Sie mich noch hören?«

Zitternd umspannte die Mädchenhand den kalten Bettpfosten. Die bleich gewordenen Lippen öffneten sich, aber kein Ton entrang sich ihnen.

Und Günter Berndt sprach weiter von seiner Verblendung, von seinen Kämpfen, und wie er sehend geworden. Lautlos hörte Daisy ihm zu. Aber die jubelnde Freude, die seine Worte in ihr hätten entzünden müssen, blieb aus. Ihr Empfinden war wie gelähmt. Günter hatte geendet. Mit einem leisen »Daisy, ich weiß ja, du hast mich auch lieb, ich bin dir nicht nur Berufsgenosse,« wollte er sie innig an sich ziehen.

Aber sanft machte sich Daisy aus seinem Arm frei.

Sie blickte geradeaus an ihm vorbei. Ihre Stimme klang wie gesprungenes Erz.

»Ja, Günter Berndt,« sagte sie tonlos, »ich habe Sie lieb gehabt – mehr als ich sagen kann. Auch ich habe gekämpft und gerungen, um zu vergessen, und ich muß es noch. Und trotzdem kann ich nicht die Ihre werden, ich darf es nicht.«

Und mit leiser Stimme erzählte sie, wie sie einst seine Worte, daß er nie ein studiertes Mädel würde lieben können, belauscht habe. »Jenes Wort,« schloß sie mit zuckender Lippe, »würde sich immer wieder zwischen uns stellen. Um unser beider Glück willen, Günter – lassen Sie mich!«

Aber nur umso fester hielt Günter Berndt die bebenden Finger umschlossen.

»Nein, Daisy, ich lasse dich nicht mehr, nie mehr, seitdem ich aus deinem Munde weiß, daß mir dein Herz gehört, und daß nur jenes unüberlegte Wort die unseligen Mißverständnisse heraufbeschworen. Meine Liebe soll jenes Wort in deinem Gedächtnis verlöschen, Daisy. Sieh mich an, hast du denn gar kein Vertrauen zu mir?«

Schüchtern hoben sich die goldenen Wimpern, tief blickte sie ihm in die reuevollen lieben Augen – und da war es um ihre Abwehr geschehen.

»Nicht nur mein geliebtes Weib wirst du mir sein, Daisy,« sagte Günter innig, »du sollst mir auch die treue Gefährtin im Beruf sein. Nicht nur auf Liebe, auf gemeinsamer Arbeit gründen wir unsern Bund.« – – –


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