Else Ury
Was das Sonntagskind erlauscht
Else Ury

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In Großmutters Flickenkasten

Nach langer Zeit war Großmutters Flickenkasten wieder einmal geöffnet worden, und ein großes Stück Pelz war hineingewandert. Der neue Ankömmling, ein dicker Herr, machte sich ziemlich breit in dem engen Kasten.

»Au« – rief ein Stückchen Spitze mit zarter Stimme, »Sie treten mir ja auf den Fuß!«

»Sehen Sie sich doch gefälligst etwas vor,« rief die weiße Leinwand, welche die Spitze bemutterte, ärgerlich.

»Jeder ist sich selbst der Nächste,« brummte der Pelz in seinen Bart. –

»Sie sind aber wirklich ein recht ungeschlachter Geselle und haben nicht viel Manieren,« meinte das lila Seidenband, eine alte Jungfer, ziemlich spitz.

»Und was für ein Parfüm gebrauchen Sie nur!« rief das großgeblümte Bund Flicken, das wunderschön nach Lavendel roch, sich die Nase zuhaltend.

»Hatschi« machte der rote Flanell, der Überrest eines alten Unterrockes, »wie kann man sich nur so einkampfern – hatschi!«

Und »hatschi – hatschi« machten auch all' die anderen Bewohner des Flickenkastens.

»Wenn Sie sich etwas mehr eingekampfert hätten,« sagte der Pelz spöttisch zu dem roten Flanell, »dann würden Sie heut' ein gut Teil hübscher aussehen, nicht so abgetragen und von Motten zerfressen!« –

»Kinder,« sagte die alte Schlafrocktroddel, die sich mit allen duzte, begütigend, »Kinder, zankt euch doch nicht schon wieder – man soll doch Frieden halten mit seinem Nachbar!« –

»Meine Frau hat recht,« sprach der türkische Schlafrock, zu dem die Troddel gehörte, »der Pelz soll uns lieber erzählen, wie unsere Herrin jetzt ausschaut – es ist schon viele Jahre her, daß ich sie nicht mehr gesehen.« –

»Das will ich wohl glauben,« meinte der Pelz, »seit Jahren ist die alte Frau gelähmt und sitzt beständig in ihrem Lehnstuhl.«

»O – o,« sagten die Flicken traurig, und der weiche Kachemir weinte so große Tränen, daß er ganz fleckig wurde.

»Und wie sieht sie aus?« fragte der türkische Schlafrock wieder, »hat sie noch ihre schönen, braunen Locken?« –

»Braune Locken!« lachte der Pelz, daß der ganze Kasten dröhnte, und hielt sich seinen dicken Bauch, »braune Locken! Die hat Großmutter wohl vor fünfzig Jahren gehabt, jetzt hat sie einen schneeweißen Scheitel, und mit der welken Hand streicht sie jetzt über die braunen Locken ihres Urenkelkindes.« –

»Urenkel hat sie auch schon?« sagte da eine alte, zittrige Stimme verwundert aus der Tiefe des Flickenkastens – es war ein ganz ergrautes Stückchen Mull.

»Na – und ob,« sprach der Pelz, stolz daß er so gut Bescheid wußte, »neun Enkelkinder hat sie und drei Urenkelchen!« –

»Freilich – freilich,« nickte der Mull vor sich hin, »wir sind beide alt und grau geworden, auch ich bin vergilbt und zerknittert, ja, damals, als wir noch jung waren – das war eine selige Zeit!«

»Erzählen Sie – ach bitte erzählen Sie,« riefen die Flicken alle, »alte Geschichten hören wir gar zu gern!«

Und der Mull begann:

»Sechzig Jahre ist es nun bald her, da war ich so jung und so schön, wie meine Herrin, die mich von allen ihren Kleidern am liebsten trug. Eine schneeweiße Haut hatte ich, gerade so wie sie, und so zart und duftig waren wir beide, daß jedermann uns nachblickte.

Am längsten schaute uns aber immer der junge Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft an; ganz aufgeregt war ich, wenn er kam, und mein Herz pochte gerade so laut, wie das meiner Besitzerin, nur so zu erröten verstand ich nicht – ich blieb immer ganz bleich.

Und eines Tages machten wir beide eine Landpartie, meine junge Herrin und ich; wir hatten uns heute ganz besonders schön gemacht, ich hatte lauter hellblaue Schleifchen angesteckt, und das junge Mädchen hatte ganz dieselben durch ihre braunen Locken geschlungen. Der junge Gutsbesitzer war auch bei dem Ausfluge, und wie es kam, das weiß ich heute nicht mehr, aber mit einem Male hatte der junge Mann uns beide im Arm, meine Herrin küßte er und mich zerdrückte er ganz und gar.

Und da war meine junge Herrin Braut – ja, das war eine selige Zeit!« –

Ein verträumtes Lächeln spielte um die Lippen des alten Mulls. –

»Und dann kam ein Tag,« rief da eine Stimme aus der anderen Ecke des Flickenkastens, – es war eine alte, weiße Atlasschleppe, – »ein Tag, an dem die junge Braut mich fromm und andächtig trug, ich schmückte sie an ihrem Hochzeitstage!« Der Weiße Atlas blähte sich so stolz auf, daß er laut knisterte.

»O – war das eine herrliche Hochzeit,« fuhr die Atlasschleppe fort, »ich wurde nur mit weißen Glaceehandschuhen angefaßt, kein Mensch wagte es, auf mir herumzutrampeln. Und als wir durch die Kirche gingen, trugen mich schöngekleidete Kinder, und über Rosen und Myrten schritten wir zum Altar empor.

Schade, daß die weiße Brauttaille, mit der ich verschwägert bin, nicht mehr lebt, die könnte Ihnen sonst erzählen, wie schön der Prediger gesprochen, wie die Tränen des Glückes aus den Augen der jungen Braut auf sie herniedergerieselt, und wie andächtig sie das junge Herz hat schlagen hören.

Ich habe für solch rührselige Sachen wenig Gedächtnis, ich bin mehr fürs Reelle; an das auserlesene Hochzeitsmahl im funkelnden Kerzenglanz denke ich gern zurück, ich bekam auch etwas davon zu kosten, man begoß mich mit Champagner, ach – wie süß schmeckte der! O, das war eine prächtige Hochzeit!« –

Die Atlasschleppe schnalzte mit der Zunge und verstummte in Erinnerung an den herrlichen Wein! –

Da nahm ein winziges Pumphöschen das Wort:

»Ja – schauen Sie mich nur an, wie abgetragen und schäbig mein schwarzer Samt geworden ist,« piepste es mit hoher Stimme, »und doch war einst die junge Mutter und ihr kleiner Bube so stolz auf mich!

Ich war das erste Paar Höschen, das der Älteste der jungen Frau bekam, ach – wie oft hat Mutter zärtlich mich und den kleinen Paul auf den Schoß genommen. Und auf Vaters Knie sind wir beide hü und hott gar lustig geritten.

Aber einstmals hatte der kleine Paul den Fido, den treuen Hofhund, mutwillig gequält, da legte ihn Mutter über den Stuhl, und ich armes Samthöschen, das doch gar nichts dafür konnte, bekam die Prügel!

Aber dem Paul muß es ebenso weh getan haben, wie mir, denn er schrie erbärmlich.

Ja – davon bin ich wohl so elend geworden, ein so winziges Höschen wie ich kann nicht viel aushalten!«

»Auch mich hat unsere Herrin einst zur Hochzeit getragen,« sagte da ein ganz zerschlissener, grauer Seidenstoff, der schon gern vor den Pumphöschen gesprochen hätte, »ehe ich zu einem seidenen Unterrock erniedrigt wurde – war ich ein prächtiges Hochzeitskleid, ich schmückte meine Besitzerin zum Silberhochzeitsfeste.

Ja, sehen Sie nur meinen Umfang, so schlank war meine Herrin damals freilich nicht mehr, wie zur grünen Hochzeit – aber ein schönes Fest war es doch, und schimmerte durch die einst so braunen Locken, in denen nun die Silbermyrte prangte, auch hin und wieder schon ein Silberfaden, die Augen blickten gerade so jung und glücklich, wie auf der grünen Hochzeit, voll Freude schaute sie heute auf die blühende Kinderschar und auf das erste Enkelchen, das ›Omama‹ lallte.

Damals habe ich es auch nicht gedacht, daß ich einst ein Unterrock werden würde!«

Die zerfetzte, graue Seide schwieg und nickte schwermütig vor sich hin. –

»Nun komme ich wohl heran,« sprach eine milde Stimme, und die Flicken schauten alle begierig auf die neue Sprecherin.

Es war ein gelbliches Spitzenhäubchen.

»Sehen Sie die goldene Myrtenblüte, die man in meiner Spitze vergessen hat?« sprach das Häubchen und blickte liebevoll auf das kleine Goldblütchen herab, »wir beide haben das Haupt der Greisin zu ihrem goldenen Hochzeitsfeste geschmückt. O, wie glücklich war ich, als mich die zitternde Hand der hohen Siebzigerin auf ihren schneeweißen Scheitel drückte, und als Großvater dann sein runzliges Gesicht herabneigte und die welken Lippen meiner greisen Herrin küßte, da habe ich Tränen der Rührung vergossen.

Und die Kinder, Enkel und Urenkelchen drängten sich um die Lehnstühle der alten Leutchen; es war kein lautes Fest, aber eine erhebende Feier war's!« Gedankenvoll schwieg das Spitzenhäubchen, und der türkische Schlafrock nahm nun das Wort.

»Jetzt haben wir wohl alles Wissenswerte von unserer Herrin erfahren, liebe Freunde,« sprach er, »oder weiß noch einer etwas?«

»Ich,« meldete sich bescheiden ein Stückchen schwarzer Krepp, der ganz oben in dem Flickenkasten lag, »auf mich hat unsere Herrin heiße Tränen des Schmerzes geweint, mich trug sie am Beerdigungstage ihres Mannes, mit dem sie mehr als fünfzig Jahre glücklich zusammengelebt hatte.

Ja – das war eine schwere Zeit, aber die Tränen, die aus den alten, halberloschenen Augen flossen, waren milde und ergeben; meine Herrin wußte, der liebe Gott würde sie bald wieder im Himmel mit ihrem lieben Manne vereinigen!« traurig verstummte der schwarze Krepp. –

Und auch all' die anderen Flicken schwiegen, wehmütig dachten sie an die Zeit, wo sie einst jung und schön gewesen, still – ganz still wurde es in Großmutters Flickenkasten!

 


 


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