Else Ury
Was das Sonntagskind erlauscht
Else Ury

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Am Ostseestrand

»Morgen verreisen wir – morgen geht's fort!« jauchzten die Kinder, faßten sich an die Hände und tanzten einen wilden Freudentanz um den großen Koffer, den Mama mit Matrosenanzügen und Waschkleidchen voll packte.

»Kinder, wenn ihr nun nicht Ruhe gebt, bleibt ihr zu Haus,« dämpfte Mama den lauten Jubel; »Lotte, du packst jetzt deinen kleinen Puppenkorb; Fritz, du deine Botanisiertrommel, und Erwinchen tut das Sandspielzeug zusammen,« so – nun war die arme Mama doch die laute, kleine Gesellschaft für einige Zeit los und konnte in Ruhe fertig packen.

Ei – wie geschwind waren die Kinder am nächsten Morgen aus den Bettchen; kein Gähnen – kein Räkeln – ganz ausgeschlafen und blank sahen die Blauaugen aus – heut' ging es ja an die Ostsee!

Endlich saßen sie alle in der großen Droschke; Mama und Papa hatten das Erwinchen zwischen sich genommen; Kindermädchen Luise mit Lotte auf dem Rücksitz, und Fritz thronte stolz auf dem Kutschbock.

Die Droschkenfahrt allein war schon herrlich!

Aber in der Eisenbahn war es doch noch viel schöner; hei – sauste die schnell an den Feldern mit dem leuchtenden, roten Mohn und dem blauen Rittersporn vorüber. Da – ein kleiner Gänsehirt – hier Kühe und Ziegen – dort eine sich lustig drehende Windmühle – eine Vogelscheuche – ein richtiger Storch auf einem Bein – die Großstadtkinder hatten gar nicht Augen genug, um all die neuen Herrlichkeiten, die wie im Fluge vorbeisausten, zu bewundern. Sie hätten ewig mit der Eisenbahn fahren mögen. Aber schließlich war es doch auch sehr hübsch, als man in dem netten Ostseebade anlangte; o – wie schön schmeckte das Abendbrot, süße Erdbeeren mit Milch, auf der schönen Veranda!

An den Strand sollten die Kinder erst morgen gehen.

Graue Strandanzüge mit roter Borte bekamen sie am nächsten Morgen an, große, rote Südwesterhüte auf; Eimer und Schippe nahm jedes Kind mit, Fritz hing seine grüne Botanisiertrommel mit dem Frühstück um, und nun zogen sie an den Strand.

Und da lag es vor ihnen – das blaue Meer! – endlos erstreckte es sich bis in den Himmel hinein!

»O wie schön, wie schön!« jubelten die Kinder, als sie die See zum erstenmal erblickten; ach wie lustig tanzten die weißen Wellenköpfchen auf der dunkelblauen Wasserfläche auf und nieder; o – und die vielen, vielen Segelboote – und da – da schossen die silbernen Seemöwen pfeilgeschwind über die schimmernde Flut daher! Lotte und Fritz mochten heute noch gar nicht mit dem weißen Seesand spielen; es gab ja hier so viel Schönes am Meer zu schauen; nur Klein-Erwin machte die prächtigsten Sandkuchen.

Ein ganz klein bißchen Angst hatten die Kinder doch, als sie nun in ihren neuen, roten Badeanzügen zum erstenmal in die See hinein sollten; aber als sie erst drin waren, da war es herrlich, trotzdem die Wellen ihnen immer über den Kopf gingen. Erwinchen hatte die Badefrau auf dem Arm, der panschte lustig in der See umher. Lotte tanzte mit ihrer Badepuppe, und nur Fritz – der wasserscheue Fritz – schrie, wenn wieder eine große Welle kam. –

Was für herrliche Burgen bauten die Kinder am Strand aus dem warmen Sande, mit Türmchen und wehenden Fahnen; Fritz machte einen richtigen Tunnel und ließ seine kleine Eisenbahn hindurchfahren, und Lotte baute sich ein Gärtchen, sie zog aus Sand eine starke Mauer rings herum, eine schöne Sandbank errichtete sie für das Badepüppchen, und nun ging es ans Pflanzen. Kleine Zweige waren die schattigsten Bäume und jedes Blümchen ein prächtiges Gartenbeet, und aus bunten Muscheln wurde um die Bank eine kühle Grotte gebaut.

Muscheln suchten die Kinder gar zu gern; zwar war Mama etwas ängstlich, daß sie zu dicht an das Meer gingen, aber Lotte und Fritz waren ja schon vernünftig, die paßten auf das Erwinchen auf.

Dort in dem elenden, kleinen Fischerhäuschen, wo die großmaschigen Fischnetze zum Trocknen aushingen, wohnte ihre Freundin, das kleine Flundergretel, das die schönen, frischen Flundern, die der Vater fing, an die Badegäste verkaufte.

»Flundergretel – Flundergretel,« jauchzten die Kinder, wenn die Kleine am Strande entlang lief; Lotte und Fritz untersuchten gleich die Taschen ihres geflickten Röckchens. Da hatte sie immer die allerschönsten Muscheln für die Kinder mitgebracht, und Klein-Erwin packte die langen, flachsblonden Zöpfe des Flundergretels, und hü – spielte er Pferd mit ihm.

Die Eltern aber kauften der Kleinen die prächtigen Flundern ab und freuten sich über das wohlerzogene, bescheidene Kind.

Eines Tages hatte es stark geregnet, da zogen die Kinder allein, als der Regen aufgehört hatte, an den Strand; denn nach dem Regen schwemmt das Meer die schönsten Muscheln heran.

Ach – was waren das heute für hohe Wellen; das Meer brandete und toste, und der Sturm peitschte die Wogen.

Aber die Kinder waren jetzt schon abgehärtet, denen schadete Wind und Wetter nicht mehr.

Da ergriff der Sturm plötzlich Erwins Südwester; der kleine Bube wollte ihn greifen, er kam zu nahe ans Wasser – da packte ihn eine große Welle – einen gellenden Schrei stieß der Kleine aus – dann ging er unter.

Lotte und Fritz schrieen laut um Hilfe; aber keiner hörte sie, und die Eltern waren weit. Da sahen sie mit einem Male ein kleines Fischerboot durch die wilden Wogen dahinfliegen; in dem Boot aber stand das Flundergretel, mit ihren schwachen Ärmchen ruderte sie geschickt gegen die Wellen auf die Stelle zu, wo Erwin verschwunden. Jetzt tauchte der Kleine wieder empor, und da – da hatte ihn das Flundergretel auch schon gefaßt und zu sich ins Boot gezogen.

Erwin lebte – bald kam er wieder zur Besinnung, und glückselig schlossen ihn die Eltern, die auf die Schreckensbotschaft entsetzt an den Strand geeilt waren, in die Arme.

Den Eltern des mutigen Flundergretel aber kaufte der Vater zum Dank ein schönes Häuschen mit einem Garten, darin blühten die herrlichsten roten und weißen Rosen, und als Lotte, Fritz und Erwin im nächsten Sommer wieder an die Ostsee reisten, da wohnten sie in dem hübschen, weißen Landhäuschen bei dem braven Flundergretel.



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