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3

Bei dieser Wendung überlief mich ein Zittern der Nervosität. Der Besitzerin des Klubs war ich unbesorgt entgegengetreten, weil sie mich nicht einmal im Schutze des Maskenkostüms gesehen hatte. Anders verhielt es sich mit dem Kellner. Würde er, bei dem ich während der Nacht ein- oder zweimal Bestellungen gemacht hatte, etwa meine Stimme wiedererkennen? ...

Ich sah, wie Tarleton die Stirn krauste, als Madame Bonnell mit ihrem Untergebenen wiederkehrte.

»Danke, Madame«, fertigte er sie mit einem gebieterischen Nicken ab. »Ihre Anwesenheit während Gérards Verhör erübrigt sich.«

Klugerweise verbarg die Französin den Ärger, den diese Behandlung ihr verursachen mochte, und zog sich sofort zurück.

Gérard war der Typ des diskreten Kellners, wie Madame der Typ der diskreten Geschäftsführerin war. Wenn er noch einen kleinen Backenbart getragen hätte, würde er der vollendete Kellner der französischen Bühne gewesen sein. Doch er zählte ein Dutzend Jahre weniger als Madame und zeigte weniger Selbstbeherrschung. Unruhig tasteten uns seine Augen der Reihe nach ab, als suchten sie nach einem Gönner.

»Sie stehen unter keinerlei Verdacht, Gérard«, erklang da die Stimme meines Chefs. »Vorausgesetzt, daß Sie sich streng an die Wahrheit halten, haben Sie nichts zu befürchten.«

Mit sichtlicher Anstrengung riß der Mann sich zusammen. Und von nun an vernachlässigte er sowohl mich als auch den Inspektor und gab sich alle Mühe, Sir Franks Wohlwollen zu erringen.

»Ich hörte, daß der Tote Ihnen vertraute. Vertraute er Ihnen auch seinen wahren Namen an?«

»Niemals, Sir.« Gérard zeigte beide Handflächen vor, als könne er dadurch seine Unkenntnis erhärten. »Ich weiß nichts von ihm außer dem, was ich durch Madame erfuhr.«

»Und das ist?«

»Eigentlich sehr wenig, Sir. Sie wies mich an, ihn als Eigentümer zu behandeln. Er hat auch niemals eine Zeche bezahlt, so daß ich ihn für Madames Teilhaber hielt.«

»Sind Sie der einzige gewesen, der ihn bediente?«

»Während der letzten fünf oder sechs Monate, ja. Er verlangte ausdrücklich von Madame und mir, daß nur ich ihm das Bestellte brächte.«

»Nannte er auch den Grund?«

»Ja. Er sagte, ich solle sein Glas Wein oder seine Tasse Kaffee sehr sorgsam tragen. »Geben Sie acht, daß Sie nichts verschütten, und ebenso acht, daß nichts hineingeschüttet wird«, lauteten seine Worte, wenn ich mich recht entsinne, Sir.«

»Was dachten Sie bei dieser Bemerkung?«

Gérards ausdrucksvolle Hände legten einen stummen Protest ein.

»Ich tue, was man mir befiehlt, ohne lange darüber nachzudenken, Sir«, ergänzte er dann diese lautlose Sprache. »Aber Monsieur Wilson selbst fügte eine Erklärung hinzu. ›Mir paßt es nicht, daß man handgreifliche Scherze mit mir treibt‹, erläuterte er, ›und es gibt in diesem Cercle Leute, die dergleichen lieben.‹« »Gebrauchte er das Wort Cercle oder Klub?«

»Monsieur, er pflegte stets französisch mit mir zu sprechen. Er habe ziemlich lange in Paris gelebt, erzählte er mir einst. Ich glaube ...« Gérard brach ab, als überfielen ihn Zweifel, ob man seinen Glauben als Zeugnis gelten lassen würde.

Aber schon griff Tarleton ermunternd ein. »Keine Scheu! Erzählen Sie mir, was Sie glauben.«

»Ich denke«, verbesserte sich Gérard, »daß Monsieur Wilson diesen Klub deshalb gründete, um der Vergnügungsreisen nach Paris überhoben zu sein.«

»Ah, Sie meinen also, er sei beruflich an London gefesselt gewesen?«

»Ganz recht.« Der Ton des Kellners wurde vertraulich. »Sein Beruf ist ihm sogar bei der Gründung des Klubs zustatten gekommen. Die hohen Herrschaften, die hier tanzten, waren eher seine Kunden als seine persönlichen Freunde. Das ist wenigstens meine Auffassung, Sir.«

Tarleton wandte sich mir und Charles zu.

»Mir scheint, der Mann hat recht. Etwas sehr Dunkles und Lichtscheues ist im Spiel ... Haben Sie jemals gemutmaßt, welchen Beruf er betrieb, Gérard?«

Jäh wie ein Schuß platzte die Frage heraus, doch den kleinen Franzosen verschüchterte sie nicht. Tarletons Anerkennung schien sein Selbstbewußtsein gestärkt zu haben.

»Bisweilen vermutete ich, daß es ein vom Gesetz nicht erlaubter Beruf sei, Sir.« Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, und sein Blick schweifte durch den Saal, als wolle er sich vergewissern, daß sich Madame außer Hörweite befand. »Vielleicht befaßte sich Monsieur Wilson mit Damen, die nicht Mütter zu werden wünschten. Ich hatte oft den Eindruck, daß manche der Damen, die er hier einführte, sich vor ihm fürchteten.«

Inspektor Charles schrieb diese Aussage eifrig nieder. Dann reckte er sich kerzengerade auf und blickte meinen Chef an.

»Wollen wir nicht die Taschen durchsuchen, Sir Frank? Möglicherweise fällt uns eine Adresse in die Hände.«

»Nur eine Minute Geduld. Haben Sie noch eine Frage zu stellen, Cassilis?«

Ich raffte all meinen Mut zusammen, als Gérard mich auskunftbereit anschaute. Sein Gesicht war mir nicht minder vertraut als die leblose Inquisitorgestalt; im nächsten Augenblick würde sich erweisen, ob ihm nun meine Stimme, die ich in Anwesenheit Tarletons nicht zu verstellen wagte, vertraut klang.

»Wir haben gehört, daß diese Nacht auch eine fürstliche Persönlichkeit sich hier vergnügte«, sagte ich langsam und deutlich und machte hierauf eine Pause, um die Wirkung zu beobachten.

Bei meinen ersten Worten weiteten sich Gérards wässerige Augen sekundenlang, so daß ich das Schlimmste befürchtete. Irgendeine Note mußte ein Echo in den Zellen seines Gedächtnisses hervorgerufen haben. Doch schon der nächste Augenblick beschwichtigte meine Unruhe. Wie sollte er unter den hundert Stimmen, die das Gedächtnis eines Kellners aufbewahrt, eine identifizieren können, von der er knapp fünfzehn Worte vernommen hatte? Noch bevor ich fortfuhr, war das Gesicht des Mannes wieder vollkommen ausdruckslos.

»Sind Sie imstande, anzugeben, ob noch andere Fremde zugegen waren?« forschte ich kühn. Und mich an meinen Chef und den Inspektor wendend, erklärte ich: »Ich halte es nämlich für möglich, daß der Anschlag eigentlich dem Prinzen galt und dieser Wilson mit ihm verwechselt wurde.«

Diese Vermutung wies Tarleton nicht so zurück wie vorher die Theorie des Selbstmordes. Ich gewahrte, wie sich ein nachdenklicher Zug über sein Gesicht legte. Grübelnd starrte er auf die bestickten Gazevorhänge, als suche er diese Idee mit einer schon früher aufgekeimten in Einklang zu bringen.

»Wissen Sie, was für ein Kostüm Seine Königliche Hoheit trug, Gérard?«

Der Kellner zauderte.

»Ich habe so meine Vermutung. Aber mit Bestimmtheit kann es Madame Ihnen sagen.«

»Heraus mit Ihrer Vermutung!« befahl mein Chef scharf.

Gérard glich einem Menschen, der sich eine Blöße gegeben hat und es bereut.

»Mir ist ein Gast aufgefallen, der nicht gut im Klub Bescheid zu wissen schien. Er hatte offenbar eine Angelegenheit mit Mr. Wilson zu regeln.«

»Ah!« Jetzt verriet mir Tarletons tiefes Aufatmen, daß diese Fährte ihn der Mühe wert dünkte. »Und welcher Verkleidung bediente sich dieser Gast?«

»Einer sehr merkwürdigen, Sir. Halb war's ein Männerkostüm und halb ein Frauenkleid. Das heißt, der obere Teil bestand aus einem Harnisch und der untere aus einem Frauenrock.«

»Die Jungfrau von Orleans!« rief Inspektor Charles. Entsetzt schrak der Franzose zurück. »Um Gottes willen, Monsieur! Nimmermehr kann es Sainte Jeanne gewesen sein. Der Helm zum Beispiel war römisch.«

»Ein Frauenrock zu einem Harnisch, dazu ein römischer Helm«, wiederholte der Arzt zusammenfassend. »Zenobia vermutlich.«

Das Gesicht des Kriminalbeamten offenbarte, daß er noch nie von der berühmten Königin von Palmyra gehört hatte, und unter anderen Umständen hätte mich diese Ratlosigkeit sehr belustigt. Tarleton aber war ganz von der neuen Fährte in Anspruch genommen.

»Trotz dieses weiblichen Kostüms, trotz des Rockes, hielten Sie diesen Fremden für einen Mann?« fragte er. Abermals protestierten die beredten Hände.

»Pardon – nichts als ein leiser Verdacht. Madame ...«

»Aber Sie glaubten, diese Person – Zenobia – hätte eine Angelegenheit mit Wilson zu regeln«, schnitt der Gelehrte den Hinweis auf die Klubinhaberin kurz ab. »Wieviele Gäste wußten denn wohl, daß Wilson auf dem gestrigen Fest jenes Kostüm dort trug?«

Gérards Blicke folgten dem Finger, der auf den schwarzgekleideten Toten wies, und wandten sich mit einem unbehaglichen Blinzeln schnell wieder ab.

»Jeder wußte es nach meiner Meinung. Es war das Kostüm, in dem er beständig im Klub erschien. Man hätte glauben können, er sei eigens hergekommen, um seinen Klienten zu begegnen, und müsse für sie deutlich erkenntlich sein.«

Während dieser Auskunft hatte Sir Frank verschiedentlich verstehend genickt. Begann sich für ihn das Rätsel zu entwirren? ... Ich bewunderte den Scharfsinn, den er bekundet hatte, indem er statt der Besitzerin des Klubs lieber den Kellner einem längeren Verhör unterzog. Gérard, für den nicht so viel auf dem Spiele stand, erwies sich als ein viel willfährigerer Zeuge.

»Und nun können Sie uns vielleicht sagen, ob auch noch andere Personen das Bestreben zeigten, mit Wilson zusammen zu sein?« fuhr der Vertrauensmann des Ministeriums fort.

Gérards Gesicht klärte sich auf.

»Gewiß. Besonders eine Dame ließ ihn überhaupt nicht aus den Augen. Sie tanzte einmal über das andere mit ihm, und wenn er mit einer anderen tanzte, beobachtete sie diese unverwandt.«

»Und wie war sie gekleidet?«

»Überhaupt kaum bekleidet. Ich hörte, wie Monsieur sie als Salome anredete«, kam der Kellner einem neuerlichen Raten von Inspektor Charles zuvor.

Wieder machte der Beamte Scotland Yards emsig Notizen, während den Arzt Salome weniger zu interessieren schien als vorher Zenobia. Doch jetzt berichtete Gérard aus freien Stücken, als habe er sich im Laufe des Verhörs erwärmt.

»Dann war auch noch eine Dame anwesend, deren Kostüm nicht leicht zu beschreiben ist«, meinte er. »Zum Teil bestand es aus einem Leopardenfell. Und ferner trug sie eine Halskette, die mir aus Krallen dieses Raubtiers zu bestehen schien. Die Leopardin betitelte ich sie im stillen. Wirklich, Sir, wie eine ostindische Prinzessin sah sie aus.«

Bei der Beschreibung der Leopardin zeigte Tarleton neues Interesse. Allerdings mochte es auch nur eine Finte sein, um seine wahre Ansicht von all dem vor dem Zeugen zu verbergen.

»Und tanzte auch diese Dame viel mit Wilson?«

Energisch schüttelte der Kellner den Kopf.

»Gar nicht tanzte sie mit ihm, wenngleich er sie öfters aufforderte. Das wunderte mich, denn im allgemeinen holte er sich keine Körbe. Schließlich redete er sehr ernst, beinahe drohend auf sie ein. Erfolglos. Und sie brach lange vor Ende des Festes auf.«

Eine Frau, die sich schon früh entfernt hatte, konnte kaum eine Rolle in der Tragödie gespielt haben, überlegte ich. Aber wohlweislich behielt ich diese Gedanken für mich.

Im nächsten Moment erhob sich Sir Frank brüsk und schickte den Kellner fort. Von Charles und mir gefolgt, schritt er zu dem Leichnam hinüber, dessen starres Antlitz er eingehend betrachtete. Die leicht bleifarbene Tönung, die mir aufgefallen war, trat noch mehr hervor, und zudem eine gewisse Rauheit der Haut, die ich mir nicht zu erklären vermochte. Diesmal jedoch hütete ich mich, irgendeine Bemerkung zu machen.

»Nein,« sagte der Arzt plötzlich, »das ist nicht das Antlitz eines Mannes, der sich zu einem Gewerbe erniedrigte, wie es der Kellner andeutete. Es ist auch nicht das Antlitz eines Abenteurers. Dies war ein Mann von gesellschaftlicher Stellung, der mit den Leuten, die er hier einführte, auf gleicher Stufe stand. Seine Beweggründe sind nicht vorwiegend gemein und habgierig gewesen. Wir haben es eher mit einem Tiberius als mit einem Tigellinus zu tun, denke ich.«

Ich glaube kaum, daß diese Namen Captain Charles mehr bedeuteten als der Name Zenobia; aber er beugte sich respektvoll Tarletons Urteilsspruch.

»Nach allem, was in Scotland Yard über den Domino-Klub bekannt ist, hat er nie einen verbrecherischen Einschlag gehabt«, ließ er sich vernehmen. »Einer der Richter des Höchsten Gerichtshofes gehört zu seinen Mitgliedern. Er gilt als eifriger Verehrer des schönen Geschlechts, würde sich jedoch nie mit zweifelhaftem Gesindel einlassen.«

»Na, schöne Frauen hätte er auch anderswo treffen können«, meinte Tarleton trocken. »Kommen Sie: Charles, es ist Zeit nachzusehen, ob der Tote nicht selbst über sich aussagt.«

Die goldene Uhr nachlässig in die Tasche stopfend, streifte er geschickt das lange Inquisitorengewand von der Leiche ab. Darunter kam ein tadellos geschnittener Smoking aus bestem Stoff und ein blütenweißes Hemd zum Vorschein: die Kleidung eines Mannes in guter gesellschaftlicher Stellung, wie Sir Frank richtig gesagt hatte, und außerdem eines Mannes, gewohnt, sich selbst zu achten. Ein Bohemien würde sich kaum die Mühe gemacht haben, sich unter einem Maskengewand so sorgfältig anzukleiden.

Captain Charles besichtigte diesen korrekten Anzug mit dem lobenden Blick des ordnungsliebenden einstigen Soldaten. »Ein Gentleman – Sie haben recht geraten, Sir Frank.«

»Ich rate niemals«, rügte der Doktor scharf. »Ich folgerte, mein Lieber.«

Schon durchsuchten seine behenden Finger die Taschen. Die meisten schienen leer zu sein, doch aus der Westentasche förderte er eine silberne Streichholzschachtel zutage. Ein Laut wie ein unterdrücktes Pfeifen kam von seinen Lippen, als er ihr zwei erbsengroße Pillen entnahm.

Von allen meinen Erfahrungen dieser ereignisreichen Nacht – oder besser dieses Morgens – war dies die erstaunlichste. Nur mit Mühe vermochte ich meine Überraschung in den geziemenden Grenzen zu halten. Obwohl ich als einziger die Vermutung eines Selbstmordes hingeworfen hatte, erwartete ich alles andere, als bei dem Toten Gift zu finden.

Mein Chef reichte mir eines der Kügelchen und führte das andere zuerst an die Nase und hierauf an die Spitze seiner Zunge.

»Nun?« ermunterte er mich, seinem Beispiel zu folgen. »Opium in denkbar konzentrierter, leicht löslicher Form«, flüsterte ich heiser, nachdem auch ich gekostet hatte. Und wir wechselten einen Blick höchster Betroffenheit.

»Dann hat Dr. Cassilis also recht gehabt«, urteilte der Inspektor. »Selbstmord!«

Sir Frank maß ihn mit einem nachsichtigen Lächeln.

»Ich bin sicher, daß dieser Fund Dr. Cassilis die Unhaltbarkeit seiner Theorie vor Augen führt«, erwiderte er. »Ein Mann, der an Opium in solchen Dosen gewohnt war, hätte, um sich zu töten, eine unendliche Menge nehmen müssen. Und diese Schachtel ist fast voll.«

Mein Hirn arbeitete fieberhaft, während er sprach ... mühte sich, etwas Unfaßbares zu erklären, und ich starrte meinen Chef in größerer Bestürzung an als der Inspektor.

»Dr. Cassilis und ich stehen folgendem Problem gegenüber«, fuhr Tarleton fort. Er richtete seine Erklärung an Inspektor Charles, desungeachtet war ich mir durchaus bewußt, daß sie ebenso sehr mir galt. »Die Leiche zeigt alle die üblichen Symptome einer Opiumvergiftung. Doch wenn der Verstorbene sein Körpersystem an Opium gewöhnt hatte, ist es unbegreiflich, wie ihm jemand genug geben konnte, um den Tod herbeizuführen. Bei der enormen Dosis müßte er den Geschmack in jedem gewöhnlichen Getränk, wie zum Beispiel einer Tasse Kaffee, sofort entdeckt haben. Die Folgerung, zu der ich deshalb gelange, ist, daß Wilson nicht dem Opiumlaster frönte, und daß diese Pillen nicht für ihn selbst bestimmt waren. Ich halte es für wahrscheinlicher, daß er sie sozusagen als Selbstverteidigungswaffe bei sich trug. Vielleicht hätte er Salome vergangene Nacht heimlich eine Pille verabfolgt, wenn ihre Eifersucht ihm allzu unbequem geworden wäre; vielleicht auch Zenobia.«

Allmählich kehrte die normale Klarheit in mein Hirn zurück. Pah, in dem Zusammentreffen, über das ich stutzte, lag wirklich nichts Außergewöhnliches. Schließlich war Opium das Rauschgift, dem man unter solchen Umständen allgemein den Vorzug geben würde. Es ließ sich leicht untermischen, seine Wirkungen wurden meist, selbst von dem Opfer, für die Wirkungen des Alkohols gehalten, bis es zu spät war, ihnen zu widerstehen.

Während mein Hirn diese tröstlichen Überlegungen gebar, widmete sich Tarleton nochmals den Taschen – ohne etwas zu entdecken. Um so erstaunter blickten Charles und ich deshalb drein, als der Doktor sich plötzlich triumphierend aufrichtete und rief: »Ich hab's!«

Inspektor Charles beugte sich nach vorn; ich hielt den Atem an ... denn der nächste Satz barg die Entscheidung.

»Die Schlüssel fehlen, sämtliche Schlüssel! Nicht einmal ein Haustürdrücker ist vorhanden. Derjenige, der ihm das Rauschgift einflößte, nahm seine Schlüssel an sich, und zwar zu einem bestimmten Zweck.« Wie ein General, der einen Vorstoß auf der ganzen Linie befiehlt, ließ Tarleton nun einen Hagel von Kommandos auf den verdutzten Inspektor herabprasseln. »Rufen Sie sofort Ihr Büro an und finden Sie heraus, ob ein Bericht eingelaufen ist, daß im Laufe der Nacht oder gegen Morgen irgendein Haus widerrechtlich betreten wurde. Veranlassen Sie weiterhin, daß einer Ihrer Beamten sämtliche Masken- und Theaterkostümateliers abklappert und sich erkundigt, ob man kürzlich ein Kostüm der Zenobia, der Salome und ein tropisches Gewand mit einem Leopardenfell geliefert hat. Von dem letzteren werden Sie meines Erachtens freilich nichts in Erfahrung bringen – es dürfte aus privater Quelle stammen. Inzwischen will ich Madame Bonnell um ein Frühstück bitten.«

Madame bewilligte es mit tausend Freuden. Gérards Bericht über das Verhör hatte sie offenbar für uns günstig gestimmt. Irgendwie empfand sie wohl, daß Sir Frank die Untersuchung mit lobenswerter Vorsicht führte und den Domino-Klub nicht unnötig den Klatschmäulern ausliefern würde. Und sie strahlte vor Seligkeit, als er ihr mitteilte, daß er Wilsons Adresse innerhalb der nächsten Minuten zu erfahren hoffe, und daß dann der Fortschaffung der Leiche nichts mehr im Wege stände.

In ihrer Abwesenheit gab er hernach Charles noch einige Winke.

»Ich rate Ihnen, Captain Charles, persönlich zum Ministerium des Auswärtigen zu gehen und sich zu vergewissern, ob dieser Prinz tatsächlich sich vergangene Nacht hier von dem Zwang der Etikette erholt hat. Ihnen wird man eher Auskunft erteilen als einem gewöhnlichen Polizeibeamten ... Verstehen Sie mich recht: das Fehlen der Schlüssel schaltet die Möglichkeit eines geplanten Attentats auf den Prinzen aus. Indes kann der Schlüsseldieb die Anwesenheit der Königlichen Hoheit insofern ausgebeutet haben, als er sich durch sie vor einer allzu scharfen polizeilichen Nachforschung gesichert wähnte.«

»Madame Bonnell hatte hinlänglich Zeit, die Leiche vor Eintreffen der Polizei zu durchsuchen und den Inhalt der Taschen nach Gutdünken zu entfernen«, warf ich ein.

Doch mein Chef klopfte mir gutmütig auf die Schulter. »Junger Freund, von Madames Sittenkodex hege ich keine hohe Meinung, aber ihrer Intelligenz traue ich genügend, um überzeugt zu sein, daß sie die Schlüssel ihres Partners wieder in seine Tasche zurückgesteckt haben würde, ehe Captain Charles auf dem Schauplatz erschien.«

Zwei Minuten später lief die erwartete Botschaft von Scotland Yard ein.

In das Haus Doktor Weathereds, Warwick Street am Cavendish Square, sei während der Nacht eingebrochen worden. Der Geldschrank habe offen gestanden, mit dem Schlüsselbund im Schloß. Und der Hausherr selbst würde vermißt.


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