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14.
Der ungetreue Begleiter.


Wir kehren in den Laden unsers Handschuhfabrikanten zurück. Helene hatte zum erstenmale in ihrem Leben, so weit sie sich besinnen konnte, acht Tage in vollkommener Ruhe und von Niemand behelligt und von keiner Seite her gestört zugebracht. In ihrem elterlichen Hause war es ihr nie so gut geworden. Ihre Seele hatte oft der Einsamkeit, der Stille, des Friedens bedurft, aber sie hatte sie nie gefunden. Ein Geist einer »lärmenden« Liebe, und eines noch viel lärmendern Hasses herrschte beständig in diesem unglücklichen Hause. Es giebt eine Art von Familienzärtlichkeit, die sich immer mit harten, schreienden und kreischenden Lauten, mit umgeworfenen Stühlen, zertrümmerten Gläsern, Hin- und Herlaufen, Thürzuschlagen und wilden Sprüngen umgiebt. Eine solche Zärtlichkeit hatte von Beginn an im Hause des [180] Kaufmanns Hermes geherrscht, und war eigentlich durch die Mutter und deren Verwandte hinein versetzt worden. Helene und der Vater waren die einzigen stillen Naturen. Aber noch viel schlimmer als diese klappernde und klatschende Zärtlichkeit, wo oft ein Kind fünf-, sechsmal stürmisch umarmt, und dann mit einem lauten kreischenden Schrei wieder losgelassen wurde, war der Familienzank. Die Mutter besaß eine Gabe, über jede mißfällige Kleinigkeit in einen Wortschwall auszubrechen, der jeder Schleuse spottete, in die man ihn einzuzwängen beabsichtigte. So wie die Frau immer in lebhafte, schreiende Farben sich kleidete, so liebte sie's auch, die grellgefärbten Ausdrücke zu brauchen. Ihre Söhne standen ihr redlich bei. Helene konnte diese Weise durchaus nicht vertragen, und dennoch befand sie sich von ihrer Kindheit an immer in der Nähe dieses Niagarafalles von aufregender Affection, und das ewige Brausen und Sausen hatte sie zuletzt, als die politischen Kämpfe ausbrachen, ordentlich krank und bettlägerig gemacht. Gebt doch Frieden! hatte sie oft bittend gewehklagt, und dabei ihre Hände gefalten, – gebt doch Frieden! Aber dies war denn immer gerade das Signal gewesen zu einem noch ärger ausbrechenden Tumult. Der Vater hatte ein untrügliches Mittel, er zog sich [181] in sein Comptoir zurück. Dahin durfte, ohne seine Aufforderung, Niemand, selbst Helene nicht, ihm folgen. Er ließ alsdann seine Familie im Schiffbruch zurück, er selbst hatte eine Art Robinson-Insel erreicht, wo nur sein treuer Freitag, sein großes Contobuch, ihm Gesellschaft leistete. –

Hier, in fremdem Hause, hatte Helene die erwünschte Ruhe. Wenn sie in den Laden gehen wollte, so fand sie daselbst, wie gewöhnlich, den Vater und den Sohn, und Beide gaben, Jeder auf seine Weise, sich Mühe die ihnen liebgewordene junge Dame auf das Beste zu unterhalten. Frau Piersig war selten daselbst zu finden, denn sie besorgte den Haushalt oder ging ihre geheimnißvollen Gänge. Herr Piersig hatte seine Hausgenossen mit dem Namen sämmtlicher Offiziere bekannt gemacht, die damals in Ohlau gestanden, als er sich daselbst bei den braunen Husaren befand. Diese Mittheilung war dem jungen Mädchen von sehr geringem Interesse, allein sie erlaubte sich nie ein Zeichen der Ungeduld oder der Unaufmerksamkeit, weil ihre natürliche Gutmüthigkeit ihr verbot Herrn Piersig in seinen liebsten Erinnerungen zu kränken. Dafür hatte der Handschuhfabrikant ihr versprechen müssen alle jungen unverschämten Pflastertreter, vor Allen Herrn Kieselack, vom [182] Laden fern zu halten, und es war ihm auch gelungen. Die einzige Aufmerksamkeit, die er, wenn Helene im Laden war, auf die Außenwelt richtete, war, daß er von Zeit zu Zeit geschwind die Kokarden an dem kolossalen Kopfe seines Sohnes wechselte, je nachdem dieser oder jener Kunde in der Nähe sichtbar wurde.

»Bester Herr Piersig,« hub eines Tages Helene mit einiger Schüchternheit an, »ich sehe mich genöthigt Sie um eine Gefälligkeit zu bitten.«

»Mein Engel, bitten Sie nur,« sagte Herr Piersig. »Wollen Sie Ihre kleinen, niedlichen Handschuhe, die Sie hierher mitbrachten, in die Wäsche geben?«

»Nein, liebster Meister. Seitdem ich in Ihrem Hause wohne, brauche ich fast gar nichts auf meinen Putz zu verwenden.«

»Und dennoch sehen Sie immer so anständig aus,« sagte der Handschuhfabrikant mit Ehrerbietung. »Es giebt selten junge Damen, die so anständig aussehen. Man sieht Ihnen die Tugend, ich möchte sagen am Zipfel ihres Schnupftuches an, mein Fräulein. Es ist Alles aus einem Guß gleichsam. Andere Frauen sehen auch anständig aus, allein wenn man recht genau hinsieht, guckt irgendwo doch etwas hervor, woraus man merkt, daß es ihnen doch mit dem [183] Anstand nur Spaß ist. Also wenn's nicht die Handschuhe sind, was ist's denn?«

»Ich möchte gerne Abends ausgehen« sagte Helene und eine flüchtige Röche bedeckte ihre Wangen.

»Ausgehen? Sehn Sie mal!« rief Herr Piersig. » Sie, die Sie nie ausgehen! die gar nicht mehr weiß, ob in unsrer Straße Häuser oder Pilze stehen, Sie wollen ausgehen, und noch dazu Abends!«

»Ich muß nothwendig eine alte Verwandte sprechen, die vor dem Oranienburger Thore wohnt. Es läßt sich nicht länger verschieben. Allein will ich nicht gehen, und möchte darum Sie zum Begleiter haben. Wir gehen Abends um neun Uhr aus, und um zehn sind wir wieder hier.«

»Sind wir wieder hier,« wiederholte Herr Piersig. »Ja, es läßt sich hören. Aber warum muß es denn gerade Abends sein?«

»Weil ich am Tage Jemand begegnen könnte, und weil ich meinen Verwandten versprochen habe, am Tage nie auszugehen, ohne sie es wissen zu lassen. Verstehen Sie lieber Herr Piersig?«

»Vollkommen, meine junge engelhafte Dame, vollkommen. Ich stehe ganz zu Diensten. Soll es heute sein?«

»Ja – dann ist's abgethan.«

[184] Herr Piersig bedachte, daß gerade neun Uhr die Stunde war, wo er für seine Familie und für die ganze Welt abzusterben pflegte, wo er sich völlig besiegt erklären mußte von den dämonischen Gewalten der »rothen Laterne;« allein er nahm sich vor, diesmal die rothe Laterne zu meiden, und dagegen vom Lichte der Tugend und Mäßigkeit seinen Pfad beleuchten zu lassen. Denn dem lieben engelhaften Mädchen war nichts abzuschlagen. Er sagte also, daß er um neun Uhr bereit sein werde, sein Führeramt anzutreten, und siehe da, um neun Uhr stand er auch mit dem grauen Filzhütchen, das immer aufgesetzt wurde, wenn die ersten Frühlingslüfte zu wehen begannen, mit einem Paar gelben Glacéhandschuhen, der rothen Waterloo-Weste bekleidet und mit dem Regenschirm unterm Arm, an der Hausthür. Helene ließ nicht auf sich warten, und das Paar machte sich auf den Weg. Man mußte die ganze Friedrichsstraße, die Straße, deren Länge und wechselnde Bedeutsamkeit Herr Piersig mit seinem eignen Lebenslaufe verglich, hinaufgehen, und diese Straße, die nie aufhört belebt zu sein, war es auch jetzt. Herr Piersig hatte seinen Hut tief in's Gesicht gedrückt, denn er war entschlossen keinen Bekannten zu grüßen, weil dies doch nur Aufschub und Störung für seine [185] Gefährtin herbeigeführt hätte. Helene hätte ihrerseits gern einen kleinen Umweg gemacht, um in der Dorotheenstraße das Haus zu sehen, in welchem ihre Eltern gewohnt, allein auch sie gab dies Verlangen auf, um nur den beabsichtigten Gang bald zu beendigen.

Noch war ein gutes Stück Weges in die Chausseestraße hinab zu machen, endlich stand man vor dem Häuschen, das von einem weitläufigen Garten umgeben war, und Helene, die Klingel ziehend, bat ihren Begleiter inständigst, um zehn Uhr nicht auf sich warten zu lassen. Er versprach es. Jetzt gingen aber für Herrn Piersig die Prüfungen an. Er fühlte sich von einer unerklärlichen Schwäche befallen. Die Welt erschien ihm öde, und jeder Freude bar. Die menschlichen Handlungen dünkten ihm alle kleinlich und gering; was er früher bewundert hatte, erschien ihm verächtlich. Schwärmerei und Begeisterung zeigte sich ihm als Kinderpossen und selbst das solideste Paar Handschuhe mit untadelhaften Näthen und unverwüstlichem Leder erschien ihm als ein irdisches Lumpenwerk. Er wußte sich diese tiefe Melancholie anfangs nicht zu deuten, nach und nach entdeckte er, daß sie wie ein unendliches Weh aus der Tiefe der innersten Organisation seines Leibes emporstieg, und [186] das Herz und die edlen Theile ergreifend, jenen philosophischen Verdruß zu stande brachte.

Da stand er nun mit den herrlichen gelben Handschuhen, mit dem grauen Hute, und der Waterloo-Weste, und dem Regenschirm – als Muster eines Mannes, wie er Sonntags zu Biere geht – aber es war nicht Sonntag, und er ging nicht zu Biere.

Mit einem unbeschreiblich unbehaglichen Gefühle blickte er sich um und warf einen Blick auf das Häuschen der alten Dame, in welches seine junge schöne Gefährtin eben verschwunden war.

An der Ecke der Straße befand sich ein kleiner Tabaksladen, der, obgleich er sehr klein und sehr bescheiden aussah, doch sich die grenzenlose Frechheit erlaubte seinen Kunden vorzulügen, daß er in directer Verbindung mit Havannah stehe, und von dort, und von keinem Orte der Welt anders seine Waare beziehe. In dieses Muster eines kleinen prahlerischen und lügenhaften Ladens trat nun Herr Piersig und ließ sich eine Cigarre verabreichen, die er anzündete und Einiges, aber nur vorübergehend, mit dem Eigenthümer dieser exotischen Handlung plauderte. Dann setzte er seinen Weg wieder fort. Aber der Ueberdruß wuchs. Es entwickelte sich eine nicht zu beschreibende Bitterkeit in dem angegriffenen Gemüthe – nicht allein [187] die Dinge, deren Farbe ursprünglich in's Dunkle ging, sondern auch ganz ohne Unterschied alle anderen Dinge, sah er sehr schwarz: Damen in rosenrothen Kleidern, Kinder in gelben Strohhüten, Droschken, die in dem leuchtendsten Smaragdgrün glänzten, und Fensterläden, die von den Fingern der Morgenröthe selbst bemalt zu sein schienen. Endlich warf er die Cigarre zu Boden, stampfte ihre Gluth aus, kreuzte die Hände auf dem Rücken und sah mit einem wahren Muthwillen von Zorn und Erbitterung in die blaue Luft hinauf. In dieser Stimmung konnte Herr Piersig ein schlechter Familienvater sein; er konnte selbst die edelsten Gefühle verleugnen, es war nicht gerathen, ihm in einer Stunde, wie diese, nahe zu treten, um an ihn als Mensch, als Bürger und als Christ Ansprüche zu machen. Er hätte jeden solchen Anspruch mit Hohn zurückgewiesen.

Endlich ging Herr Piersig durch das Thor, und hier sah ihm die erste rothe Laterne entgegen, wie ein funkelndes Auge leuchtend und unheimlich lockend. Er ging an ihr vorüber. Da tauchte die zweite auf. Dieses rothe Auge warf schon einen viel lieblichern Strahl. Als der Handschuhfabrikant unter ihr wegging, sah er sich wie mit kleinen Purpurrosen überstreut, und dieses Phänomen hatte so viel Anziehendes [188] und Ueberraschendes für ihn, daß er stehen blieb, und einen verwunderten, lächelnden Blick hinauf zu der Laterne sandte. Die dritte Laterne hatte offenbar von ihrer Vorgängerin dieses spitzbübische Kunststückchen abgeborgt, sie fing, als Herr Piersig unter ihr wegschritt, ebenfalls an Rosen zu streuen, und lockte ebenfalls Herrn Piersig's Blick in die Höhe. Oben war ein Fenster geöffnet, und in einer Wolke von Tabaksqualm sah ein bekanntes Antlitz aus die Straße hinab, und grüßte den Bekannten.

Der Handschuhfabrikant besann sich, daß er diesem Manne etwas zu sagen habe. Er wollte es ihm schnell, gleichsam im Fluge sagen, und gleich wieder fortstürzen – allein es verging eine Viertelstunde, es verging eine halbe – endlich schlug es zehn, und Herr Piersig war nicht in der Straße erschienen.


[189]


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