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Wir verlassen Herrn Kieselack, wir verlassen Helenen und den Handschuhfabrikanten, wir verlassen die beiden verfeindeten Geheimeräthinnen, um einen Blick auf die politische Lage zu werfen, in der sich Berlin befand in dem Moment, in welchem diese Erzählung spielt. Eine unbeschreibliche Aufregung beherrschte die Stadt. Es war so eben die Nachricht eingelaufen, daß die Reichsversammlung in Frankfurt einen deutschen Kaiser gewählt habe, und daß ihre Wahl auf die Person König Friedrich Wilhelm IV. gefallen. Alle Elemente der politischen Agitation waren durch diese Wahl in wirbelnde Bewegung gerathen. In die beiden Kammern, die noch tagten, hatte die Nachricht einen wahren Feuerbrand [52] geschleudert. Das Ministerium wurde mit Interpellationen und dringenden Anträgen »überschüttet«, der Hof und der König wurden auf eine Weise beobachtet und ausgeforscht, die kein Mittel unversucht ließ. Alles vergebens: die Minister antworteten nicht, der König hüllte sich in ein undurchdringliches Schweigen, Niemand wußte, welcher Bescheid der Deputation werden würde, die fast schon vor den Thoren angelangt war, und jede Stunde in den Straßen sein konnte. Die Clubs debattirten: große Versammlungen waren in Folge des noch immer waltenden Belagerungszustandes verboten, allein man fand das Mittel, eine große Versammlung in eine Anzahl kleine aufzulösen. Diese gesonderten Theilchen flossen und flogen wie die Quecksilberkügelchen rasch wieder zusammen, wenn sich die Gelegenheit darbot. Man war immer beisammen, sollte man auch durch Straßen und Plätze getrennt sein.
Wir wollen, um die Farbe der politischen Agitation schärfer zu bezeichnen, einen Blick auf diese Clubs werfen, oder vielmehr auf diese politischen Salons.
Berlin hatte die Clubs in diesem Sinne, und in dieser Ausdehnung früher nicht gekannt. Vor etwa dreißig Jahren zurück hatte man in Berlin Salons, [53] die sich nach den Notabilitäten der Kunst und der Mode nannten. Man hatte Sonntag-Kränzchen, nicht nach dem Schlußtag der Woche so benannt, sondern nach der berühmten Prima Donna des Königstädter Theaters; man hatte einen Poeten-Club in der Weinhandlung von Lutter und Wegener, wo der Verfasser des »Kater Murr« seine rhapsodischen Dichtungen mittheilte und Ludwig Devrient nach jedem exaltirten Theaterabend noch seinen Freunden einen phantastischen Nachgenuß bereitete. Man hatte den Club der Dramatiker, oder die Mittwochgesellschaft, in welcher Ernst Raupach die Erstlinge seiner Muse vortrug, endlich hatte man auch einen Club der Stutzer, die »Veilchen-Gesellschaft,« wo es Gesetz war, nur von »wohlduftenden« Gegenständen zu sprechen, zu welchen man die Frauen und die Gedichte zählte. Dann gab es einen Salon, wo die Mode-Philosophen oder vielmehr die Mode-Sophisten zusammenkamen, um über ein Kapitel der»Lucinde« stundenlange Abhandlungen zu sprechen oder vorzulesen. Es konnte dieser Salon seine Thätigkeit nur durch den Johannisberger Ausbruch und durch Sillery frisch erhalten. Die Mitglieder verirrten sich öfters in die Austernläden. Ihm direct entgegen in der Tendenz, aber nicht in der Neigung zu Austern [54] und Champagner war der Jockey-Club, wo über die Mecklenburger Pferde-Raçen debattirt, und die Tugenden des Hengstes » Prince royal« und der Stute » belle Madelaine« erörtert wurden. Auch diese Versammlung hatte ihre Reize, aber die Annehmlichkeiten eines andern Clubs waren schwer herauszufinden, dies war der Club, deren Mitglieder zusammenkamen, um über ein altdeutsches Zeitwort, oder über ein Fragment des Codex der Minnelieder zu debattiren. Doch auch einen solchen Club gab es.
Das Jahr 1848 erschien:
Und von allen jenen Clubs keine Spur mehr.
Dagegen gab es Salons:
Der »Rochen.«
Der »Blauen.«
Der »Weißen.«
Ehe wir an die Beschreibung dieser Clubs gehen, müssen wir noch einer Antiquität Erwähnung thun, eines antediluvianischen Clubs, eines Clubs, in dem ein verrotteter alter Liberalismus der zwanziger Jahre herrscht, und wo ein Kind, das berühmte »Kind,« das uralte, aber immer noch alberne, immer noch kindische Kind den Vorsitz führt. Dieser schwache greisenhafte Club kokettirt mit dem modernen blutrothen und nestelt sich fest an die Berühmtheiten der [55] Barrikaden. Das »alte« Kind kann nichts weniger vertragen, als »vergessen« zu sein, darum wirbt diese greisenhafte Penelope »ohne Freier« noch immer liberale Gespinnste, zu welchen sie jeden schmutzigen Faden auf der Gasse auflies't. Sie hat unter ihren Gemächern melancholische Cabinette, wohinein sie arglose Knaben lockt, und sie dort mit den endlosen zähen Fäden ihrer Poesien umstrickt. Es sitzt, gleichsam verzaubert, in diesen Gemächern, manch wundersames Antlitz, uralte Forscher und Dichter, petrefakte Diplomaten, die vor undenklichen Zeiten sich einmal compromittirt haben, aber auch moderne Würdenträger und republikanische Agitatoren, und alles dieses summt und träumt von der neuesten blutrothen Republik, und von den vergessenen Studentenwirren auf der Wartburg, und dieses Mischmasch im Zauberkessel der alten kindischen Hekate nennt der Club Politik. Es ist gefährlich, dieser hektischen Versammlung nahe zu kommen. Die Luft hier hat etwas von der Atmosphäre Bedlam's.
Neben diesem senilen Salon, in welchem das moderne republikanische Blut in die pergamentnen Wangen morscher Lüge hineinspritzen muß, hat sich der blutrothe Club festgesetzt. Er verbirgt sorgfältig seine sehr grelle Färbung, aber durch die [56] Unvorsichtigkeit einzelner Mitglieder wird sie immer wieder verrathen. Er hat direkte Verbindungen mit den Blutrothen in Paris und aus ihm schöpfen die Oppositionsmänner der zweiten Kammer ihre Kräfte. Die Umsturzmänner vom Fach gehören hierher; die, die nicht mehr mit unfruchtbaren Theorien verkehren, sondern thatkräftig dem Bestehenden zu Leibe gehen. Hier wird nicht gefaselt, nicht getändelt, es giebt hier keine melancholischen Cabinette und keine alten Minnesänger, es giebt hier auch keine alten Kinder, sondern junge feurige Jüdinnen, aus deren dunkeln Augen der Atheismus und die cynische Ausgelassenheit sprühen. Hier ist alles verbannt, was Pietät heißt, Treue, Glauben, Rechtlichkeit. Diese neue Welt kennt nur den Genuß, und zu dem zu gelangen, ist ihr jedes Mittel recht. Sie zieht die Corruption in jeder Form und Gestalt zu sich heran. Ihr Motto ist der »lascive Egoismus,« den sie die neue Lehre von der Freiheit der Völker nennt.
Zu dem Club der »Blauen« gehören die hoffnungsreichen politischen Schwärmer, die auf einem Beine stehen, die das andere gehoben haben, um es auf einen neuen Boden zu setzen, die aber diesen Boden nicht finden können. Sie machen wider Willen eine komische Figur. Zu ihnen gehören die [57] »rechtlichen« Männer, die mit den vorigen Zuständen gebrochen haben, allein noch zu keinem Verhältniß mit den neuen gelangen können, die in der Unschuld ihres Herzens oft »blutroth« stimmen, ohne es zu wollen und zu wissen. Hier sind die »Theorieen« noch in voller Geltung, und eine endlose Literatur häuft sich um die Sitzungssäle des Clubs an. In diesen Salons sind die schwarz-roth-goldene Fahne, die Einigung Deutschlands und der Constitutionalismus an der Tagesordnung. Man ist ganz »deutsch,« und vermeidet jede Anlehnung an französische Muster. Aus diesen Salons versorgt sich die Linke und das Centrum der Kammern mit ihren Oppositions-Elementen.
Unter den Salons der »Weißen« befindet sich ein sehr alter, sehr gemüthlicher, sehr naiver und sehr liebenswürdiger Club; es ist dies die Versammlung der freiwilligen Jäger von 1813 und 1815. Hier ist die alte Treue und der alte, kernhafte, preußische Patriotismus zu Hause. Diese Männer, die einst in Pulverdampf gestanden, die Schlachten und Blut gesehen haben, sind jetzt friedliche Staatsbeamte geworden. Ihre Frauen, die Geliebten ihrer Jugend, sind mit ihnen gealtert, aber diese Frauen haben, grade wie die Männer, ein junges Herz im [58] alternden Busen bewahrt. Auch sie glühen noch für die Zeit des Ruhms, für jene unaussprechlich herrlichen Tage des Sieges, der Befreiung des Vaterlandes aus schmachvollen Ketten. Daß sie den König lieben, daß sie sein Haus verehren, bedarf das einer Frage? Sie sind moralisch durch und durch, und sehen die Constitution wie eine Art verfänglichen Handel an, in den sich ganz unnützer Weise der Staat eingelassen. Für sie ist der König da, und immer wieder der König. Es ist rührend, wie diese alten »Treuen« ihre Erinnerungsfeste feiern. An solchen Tagen erwacht der alte freiwillige Jäger unter Pulverdampf und Schlachtenlärm. Seine Träume haben ihn auf das Schlachtfeld von Leipzig oder Belle Alliance geführt. Er hat den Jugendfreund, den guten Kameraden eben an seiner Seite fallen sehen – nun kehrt er heim, und an der Schwelle seines Vaterhauses tritt sie ihm entgegen, die Liebliche, die Blühende, die Schöne, und mit ihr kommen die greisen Eltern, und Blumengewinde und Eichenlaub umschlingen das glückliche Paar. Und siehe, der alte Träumer sieht die Thür sich öffnen, und wieder ist sie es, die ihm an diesem Tage entgegentritt, aber es ist ein Mütterchen, im Hauskleide, im Häubchen, und auf dem Caffeeteller, auf dem die heiße [59] Morgentasse schwankt, liegt ein kleiner verdorrter Lorbeerzweig – von damals! Aber der alte Freiwillige freut sich doch. Er nimmt den Zweig, küßt ihn, und legt mit dankbarer Rührung dieses Vermächtniß seiner schönen Jugend vor das Bild des dahingeschiedenen, inniggeliebten Königs.
So denken, so fühlen diese alten Freiwilligen.
Ist's da noch nöthig hinzuzufügen, daß sie zur conservativen Partei gehören?
Nicht ganz so weiß, aber noch immer zu den »Weißen« gehörend, ist der Club der Männer, die von der Menge »die Reactionäre« gescholten werden. Es sind redliche Kräfte, die mit aller Anstrengung den Wagen des Staats von einer Bahn ablenken wollen, die sie für eine irreleitende halten. Sie sind fromm, wahrhaft fromm, und wollen die Religion wieder in ihre Kraft, den Staat wieder in seine Würde eingesetzt sehen. Mit großer Erbitterung treten sie den »Rothen,« aber mit noch größerer den »Blauen« entgegen, denn Jene sind ihnen offene, also minder gefährliche Feinde, diese erscheinen ihnen als heimliche Buhler mit dem Umsturz und der Anarchie. Es ist in ihrer Ansicht kein anderes Rettungs-Mittel möglich, als die absolute Monarchie wieder in ihr volles Recht einzuführen, und sie setzen auf [60] einen edlen Fürstenstamm, auf ein gebildetes und mit den Forderungen der Zeit vertrautes Volk die feste Zuversicht, daß auch ohne die kostspieligen Experimente mit neuen, aus der Fremde adoptirten Formen, der Staat blühen und groß bleiben werde. Sie ertragen den Haß des Pöbels geduldig und gehen in stiller Beharrlichkeit auf ihrem Wege vorwärts. –
Hier haben wir nun die politischen Clubs und Salons von Berlin zu Anfang des Jahres 1849.
Alle diese Clubs bewegte am 2. April nur eine Frage:
»Wird er sie annehmen, oder nicht?«
– Nämlich die deutsche Kaiserkrone. –