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1.
Das Haus der zwei Geheimeräthinnen.


Wer die lange Leipziger Straße hinabgeht vom Potsdamer Thore aus, und sich dem Dönhofsplatze nähert, wird ein Haus gewahren, das ein gewisses mißvergnügtes und übelwollendes Ansehen zur Schau trägt. Immer, scheint es, ist die eine Hälfte des Hauses mit der andern in Zwiespalt. Sind die Vorhänge in den sechs ersten Fenstern des ersten Stockwerks herabgelassen, so sind sie in sechs folgenden Fenstern hinaufgezogen, stehen sie hier offen, so sind sie dort geschlossen; sind Blumen hier, so fehlen sie dort, und kommen hervor, wenn jene sich zurückgezogen haben, es fehlt nur noch, daß die Sonne den einen Theil immer in Schatten stellt, wenn sie grade den andern bescheint. Aber Sonne und Regen kümmern sich um keine menschliche Sonderinteressen. Wenn man sich in das Innere dieses Hauses begeben hat, und [2] auf dem Treppenflur oben angelangt ist, so findet man zwei sich gegenüber befindliche Thüren, an deren eine ein Porzellantäfelchen angeheftet ist mit der Aufschrift »Frau Geheimeräthin von Reinicke, preußische Offizierswittwe;« auf dem andern Porzellanschildchen steht: » Juliane Blimke, deutsche Geheimeräthin.« Die beiden Worte » preußische,« » deutsche« sind auf dem Schildchen mit merklich größern Lettern geschrieben.

Einst – vor dem 18. März 1848, nach dem »Straßenkampfe« (Frau Geheimeräthin Blimke fällt uns gleich hier in's Wort und ruft: » Revolution«) waren die beiden Geheimeräthinnen intime und unzertrennliche Freundinnen. Sie bezogen ein Haus und machten Contracte auf viele Jahre hinaus, um immer bei einander zu sein, sie hatten gemeinschaftlich Hund und Katze, und liehen sich abwechselnd ihre Hauben und ihre Hausthürschlüssel. Sie waren seit undenklichen Zeiten auf die Vossi'sche Zeitung abonnirt. Himmel! wie war es anders geworden!

Eine unermeßliche Kluft hatte sich zwischen beiden ausgedehnt!

Eine unermeßliche Kluft!

Daß über die Kluft irgendwie einmal eine Brücke könne geschlagen werden, war gar nicht zu denken, [3] wie, und wann, und wodurch sollte das geschehen? Die Offizierswittwe hatte zu ihrer Freundin gesagt: »Zu der Blimke geh' ich nicht wieder, und sollte ich dafür nie wieder das Antlitz Seiner Majestät des Königs sehen,« und die Geheimeräthin Blimke hatte gesagt, mit jenem giftigen Ausdruck um den linken Mundwinkel, der ihr allein eigenthümlich war: »Wenn ich diese schwarzweiße Kreuzspinne jemals wieder über meine Schwelle lasse, so will ich ferner keine deutsche Frau mehr heißen.«

Nun ging die Scheidung der Hunde, der Katzen und der Hausthürschlüssel vor sich.

Eine schwarz und weiß gefleckte Katze wurde ausschließliches, unveräußerliches Eigenthum der Wittwe, während eine roth, gelb und schwarz gezeichnete Pinscher-Hündin, sammt ihren Jungen, die, wundersamer Weise, Toilette wie die Mutter gemacht hatten, für immer der Geheimeräthin verblieben. Es konnte keine ärgere Feindschaft zwischen Thieren geben, als solche zwischen dem Kater und der schwarz-roth-gelben Hündin bestand. Es geht das Gerücht, daß ein kleiner reaktionärer Mops, der in der benachbarten Straße wohnte, aber öfters, an kalten Tagen mit einem Paletot bekleidet, die Pinscher-Hündin zu besuchen kam, deshalb [4] seine Besuche einstellen mußte, weil er der Besitzerin der Hündin mißliebig geworden war.

Aber auch die Zeitungen wurden getheilt.

Die preußische Wittwe abonnirte sich sofort auf die Kreuzzeitung.

Die deutsche nahm die Nationalzeitung an.

Die Preußische hatte gewisse Straßen und Plätze, und in diesen Kaufläden, die für sie verschlossen waren, oder gleichsam gar nicht existirten. Es waren jene Straßen, wo die demokratischen Compagnien der Bürgerwehr thatsächlich zu finden gewesen waren, und dann jene Kaufläden, in welchen namhafte Barricadenkämpfer – oder wenigstens für Barricadenkämpfer sich bethätigende Händler ihre Waare feilboten. Um keinen Preis der Welt hätte die Preußische sich bewogen gefühlt, auch nur ein Battisttaschentuch, oder ein Knöpfchen am Handschuh hier einzukaufen. Alle Gegenstände waren in diesen verpönten Localen mit einem Spinnenflor von grauer Verdächtigung umspannt, nichts war hier rein, nichts hell, nichts untadelhaft.

Die Deutsche ging dagegen in jene Läden mit großem Vergnügen hinein, die an merkwürdigen Plätzen lagen, wo die Häuser Spuren von Kugeln trugen, oder wo noch das Steinpflaster, für den aufmerksamen [5] Kenner und Beobachter, Zeichen längst geschwundener Barricaden blicken ließ.

In ihrem geselligen Umgang war die Preußische außerordentlich sensible geworden. Ihre Reizbarkeit überstieg oft den Grad jeder, nur irgend noch erlaubten Intoleranz. Nicht allein daß sie zu ganzen Schaaren und Abtheilungen Verwandte und Freunde in's Exil schickte, ihre Namen gar nicht mehr vor ihrem Ohre wollte erklingen lassen, sondern sie besaß auch ein so merkwürdiges Ahnungs- – oder soll man es lieber Spürvermögen – nennen, daß sie sogleich beim Eintritte in eine Gesellschaft die unlauteren Elemente, die sich etwa eingeschlichen hatten, herausmerkte, und ganze Häuserreihen in einer Straße zu bezeichnen wußte, deren Bewohner anfingen, in ihren Physiognomien einen schwarz-roth-goldnen Zug zu bekommen.

Die Deutsche ging dagegen unglaublich leichtfertig mit dem Ausdrucke »reactionär« um, und dehnte ihn aus auf Fenstervorhänge, Polsterstühle, Klingelzüge und Sophakissen. Für sie war die Stadt und das Land – vielleicht die ganze civilisirte Erde – nur in zwei große Lager getheilt, in »ganz unsinnige, tollkühne, aberwitzige Reactionäre,« und in »edle, große, herrliche, schwarz-roth-goldne Volksfreunde.« Sie nannte auch ihre Feindin nie anders, als die [6] Schwarz-Weiße, oder die Reactionärin, wo sie dann am Ende des Worts ein zweites »r« sehr deutlich dazu schnarren ließ. Ein billiger, aber doch seine Wirkung machender Witz.

Dabei hatte die Deutsche eine kleine geheime Freude an der »dunkelrothen Republik.«

Und die Preußische hatte eine kleine geheime Freude an der »absoluten Monarchie.«

Darum sagte auch die Preußische, wenn sie auf's äußerste erbittert war auf ihre Feindin: »Die rothe Republikanerin –«

Und die Deutsche sagte: »Die Baschkirin – die Knutenfreundin.«

Das war aber nur, wenn Beide auf einander, durch irgend einen unglücklichen Umstand, auf's feindlichste gestimmt waren. Für gewöhnliche Zustande genügten die obigen Titel.

Nun sage der Leser selbst, ob irgend eine Brücke über diese Kluft denkbar war.


[7]


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