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3.
Die Unterbrechung.


Aber ehe die Dame dazu gelangte, ihre Rede fortzusetzen, warf Frau Piersig einen Blick durch's Fenster und fuhr zusammen, als wenn eine Viper sie gestochen hätte. Sie sah die Straße herauf die »Deutsche« kommen. Sie kam hierher, daran war nicht zu zweifeln. Ein ganz außerordentlicher Fall. Es war durchaus keine Zeit vorhanden, zu untersuchen, warum die Deutsche grade heute kam, wo es gar nicht ihr Tag war, es mußte nun vor allen Dingen schnell Rath geschafft werden, wie es anzustellen sei, daß die beiden erbitterten Feindinnen sich nicht begegneten.

Frau von Reinicke, benachrichtigt wer sich nahte, flüchtete sich in das Nebenzimmer, und Frau Piersig hatte nur noch Zeit, schnell die Neue Preußische Zeitung bei Seite zu schaffen und dem Kinde an die [20] Mütze die schwarz-roth-goldne Kokarde zu stecken und die andre untern Tisch zu werfen. In diesem Augenblick trat auch die Geheimeräthin Blimke ein. Sie war etwas erhitzt und eilig, sonst hätte sie das schwarz und weiß gewürfelte Halstuch bemerken müssen, das Frau Piersig abzunehmen vergessen hatte.

»Ich wünsche Sie im Geheimen, und sehr eilig zu sprechen, liebe Frau,« hub die Dame an. »Deshalb komme ich zu ungewöhnlicher Zeit.«

»Auch ganz zu Diensten, theuerste Frau Geheimeräthin.«

»Sie sind treu wie Gold, nicht wahr?«

»Wie Schwarz-Roth-Gold!« betheuerte die Geschmeichelte.

»Wie Schwarz-Roth-Gold!« wiederholte die Dame wohlgefällig. »So hören Sie denn. Es gilt eine Portion Pulver und eine Anzahl Gewehre zu verstecken.« –

Der Spalt der Nebenthüre öffnete sich unmerklich etwas weiter.

»Haben Sie ein heimliches Plätzchen in ihrem Hause?«

»Ein heimliches Plätzchen, Frau Geheimeräthin? O je! welches Plätzchen wäre heimlich genug, wo die Wüthriche, die Soldaten nicht eindrängen?«

[21] »Sei'n Sie keine Närrin. Die Soldaten haben für's Erste jetzt die Nachsuchungen aufgegeben. Sie finden nichts, und wer etwas hat, behält's. Es ist nur, bis der Sohn meiner Freundin nach Amerika entwischt ist.«

»Will er mit den Waffen entwischen?«

»Nein. Die Waffen haben eine andre Bestimmung. Da ich zu einem geheimen Bunde gehöre, darf ich Ihnen, liebe Frau, für's Erste noch nicht sagen, zu welchem Zweck der Kriegsvorrath bestimmt ist. Also ein heimliches Plätzchen?«

»Nun, wird sich finden, wenn die Frau Geheimeräthin –«

»Erkenntlich sein werden? Ich verstehe. Hier sind gleich zwei Friedrichsd'or, das Uebrige folgt nach. Morgen Nacht um zwölf Uhr wird ein gewisser Wagen vor Ihrer Thür halten.«

»Ein gewisser Wagen? Darin sind doch nicht die bewußten?«

»Ja, darin sind sie. Wir haben dies sehr schlau berechnet. Man geht diesem Wagen ohnedies gern aus dem Wege.«

»Ach, Frau Geheimeräthin, welche tiefe Menschenkenntnis!« –

»Die muß unser Einer haben. Die [22] verwünschten Spitzbuben, die Reactionäre sind überall versteckt.«

Der Spalt der Thüre wurde etwas enger.

Frau Piersig warf einen beherzten Blick dorthin. Sie saß wie auf Kohlen. Die Geheimeräthin stand auf, und.näherte sich dem Sprößling des Hauses Piersig. »Nun, mein Jüngelchen wie geht es Dir?«

Der Angeredete öffnete einen unglaublich großen Mund, und zog ihn grinsend bis an die Ohren. Dann zwinkerte er etwas mit den Augen, und brachte die Spitze der Zunge zwischen den schwülstigen Lippen hervor, welches alles zusammen eine sehr ausdrucksvolle Mimik darstellte. Der Kanter wollte damit sagen, daß er etwas wisse, aber nichts sagen werde.

»Das wird einmal ein tüchtiger Demokrat werden!« rief die Geheimeräthin.

»Bis jetzt ist's gleichsam nur ein Phantom!« sagte die Mutter seufzend. »Er wächst nicht, spricht nicht, ißt und schläft für zwei, und macht uns nichts als Kummer.«

Der Kanter machte eine Miene, die da ausdrücken sollte, daß ihm dies ganz gleichgültig sei.

»Es giebt ein altes Sprichwort, Frau Geheimeräthin, es heißt: der Apfel fällt nicht weit vom Stamme. Aber dieser Apfel, Gott zu klagen, ist [23] gar weit gefallen. Es ist nur gut, daß er der einzige ist. Gar zu viel von dieser Sorte, brächte mich um.« –

Der Kanter gab durch ein heiseres Lachen zu verstehen, daß er ganz zufrieden sei, zu dieser und zu keiner andern Sorte von Aepfeln zu gehören.

»Also um Mitternacht kommt meine Sendung!« sagte die Dame nochmals, den Zeigefinger bedeutsam erhoben. »Jetzt empfehle ich mich.«

Kaum war sie fort, als die Thür des Nebenzimmers sich öffnete, und auf der Schwelle derselben eine moderne Meduse, eine Meduse des neunzehnten Jahrhunderts, die Frau Geheimeräthin von Reinicke erschien. »Piersig,« schrie sie – »Piersig! erklären Sie mir das!«

Frau Piersig wollte vergehen vor Schaam und Zerknirschung.

»Piersig! Piersig! Mir das! Und ich bin ihre Wohlthäterin!« tönte die Stimme, »ich habe Ihren Mann unterstützt, ihn im Geschäft erhalten!«

»Aber meine theuerste Frau Geheimeräthin,« schrie eben so laut Frau Piersig. »Sahen Sie denn nicht, daß das alles nur Verstellung ist? Muß ich denn nicht so handeln, um hinter die Schliche und Tücke dieser verruchten Bösewichte zu kommen?«

[24] Frau Piersig lebte auf, sie hatte sich in diesem Augenblick selbst mit kühner Hand gleichsam ein moralisches Glas Zuckerwasser auf den Schreck gegeben, einen Trank, der alle Unruhe und Besorgniß niederschlug. Sie hatte, im Drang der Umstände, eine vortreffliche Erfindung zu Tage gefördert. Sie hatte die Handschuhfabrik, ihren Mann, den Wasserkopf, sich selbst gerettet. Mit dem Bewußtsein eine Frau zu sein, die in schwierigen Fällen sich zu helfen wisse, erfüllte ihren Busen ein unaussprechliches Gefühl hoher weiblicher Würde.

»Wie, Piersig – also Alles Verstellung?«

»Ja, Frau Geheimeräthin, was sollte es anders gewesen sein? ich die stolzeste und kühnste Frau ihres Jahrhunderts.« Der Kanter wollte sich ausschütten vor Lachen, aber Niemand merkte auf ihn.

»Alsdann thut es mir leid, Sie verkannt zu haben,« hub Frau von Reinicke an, und reichte die Spitzen ihrer Finger der Handschuhfabrikantin hin.

»Bitte!« sagte Frau Piersig, »lassen wir das!« Sie war ganz gekränkte Tugend und edles Selbstgefühl. »Wie müßte denn eine Patriotin handeln, wenn sie nicht so handelte,« setzte sie hinzu. »Wahrlich, ich wüßte nicht, wie sie handeln sollte, durchaus nicht!«

[25] Aber nun ergoß sich ein Strom des Zornes bei der Geheimeräthin gegen ihre Feindin. Sie rannte im Zimmer auf und ab, indem sie rief: »O, es ist mir nur lieb, daß ich sie jetzt habe. Sie ist in meinen Händen. Ein Druck und sie hat ausgeathmet! Die Verrätherin! Das Scheusal! Heimlich Waffen verbergen, und zu diesen Waffen noch Pulver fügen! O Gott, und der liebe gute König, das herrliche Kriegsheer – alles das schläft ruhig, während diese nächtliche Schlange, diese Unke den Nachtwagen benutzt, um! – Aber ich gehe selbst, um es sofort anzuzeigen; ich lasse mich bei dem Befehlshaber in den Marken melden! – Warte, Schwarz-Roth-Goldne! Warte Republicanerin! Warte – Und dieser Molch hat einmal an meinem Busen gelegen als Freundin! Das war eine teuflische Verirrung, ein ganz diabolisches Blendwerk! Piersig – kommen Sie her – wir wollen vereint wirken, um diese Frau zu vernichten!«

»Ja, beste Frau Geheimeräthin – aber mit Vorsicht!«

»Wir wollen sie mit ihrem eignen Pulver und Blei zu Tode bringen.«

»Gott, Frau Geheimeräthin, das gäbe einen Knall!«

[26] »Es soll auch knallen! Die ganze Nachbarschaft soll wissen, welche That hier geschehen. Wir wollen Allarm schlagen.«

Es herrschte eine unbeschreibliche Aufregung in der Stube des Handschuhfabrikanten unter den beiden Frauen, von denen die Eine immer auf und ab rannte, und die Andre ganz dunkelroth auf dem Sopha saß, und zwar saß sie auf dem schwarz-roth-goldnen Arbeitsbeutel, den die deutsche Geheimeräthin hier vergessen hatte, und den Frau Piersig nicht anders vor den scharfen Blicken der Feindin zu verbergen wußte, als durch ihre höchsteigene Person. Sie war deshalb gleichsam in Haft auf ihrem eigenen Sopha. Zu ihrem allergrößten Schrecken gab ihr der Wasserkopf Zeichen, daß wiederum etwas Gefahrbringendes nahe.

Es war die Deutsche, die da kam, ihren Arbeitsbeutel abzuholen.

Frau Piersig stürzte sich mit einer wahren Wuth auf die Preußische, mit großer Geschicklichkeit die Tasche hinter sich haltend, und dergestalt manövrirend, daß das Kind die Tasche empfing, und sie aus dem Fenster reichte. Alles das war das Werk eines Augenblicks, und mit ungemeiner Thatkraft und unerhörter List ausgeführt. Als es geschehen war und [27] die Preußische nichts bemerkt hatte, brach der Kanter in ein anhaltendes Schnarren, Prusten und Kichern aus, indem er von Zeit zu Zeit eines seiner magern Beinchen emporstreckte, und der Mutter damit irgend ein wichtiges telegraphisches Zeichen machte, das nur sie verstand.

»Gott sei Dank, die Gefahr wäre vorüber.«

Die Geheimeräthin, nachdem sie ein kleines Glas Liqueur und eine Zuckersemmel verzehrt, kam auf den Beweggrund ihres diesmaligen Besuches zurück. »Es ist der Wunsch,« sagte sie, »daß Sie mir, liebe Seele, auf ein Paar Wochen ein anständiges Zimmer in ihrer Wohnung ablassen, wohin ich eine Verwandte, ein junges Mädchen, das ich für's Erste noch nicht bei mir kann wohnen lassen, hinbringe. Natürlich für ein hübsches Pensionsgeld.«

Frau Piersig bedachte sich nicht lange; sie ging mit Freuden in diesen Vorschlag ein. Die Geheimeräthin bemerkte, daß hierzu die Einwilligung des Herrn Piersig auch nöthig sein dürfte, allein Frau Piersig erwiederte mit einem gewissen Stolz, daß sie und ihr Mann niemals uneins seien, wo es den wahren Vortheil der Familie gelte.


[28]


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