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Hug, ich bin so glücklich und doch wieder so sterbenselend ...
Wir waren in Cannes zum Rennen. Bunte Frühjahrstoiletten, elegante Herren, kurz, das Farbengemenge einer fröhlichen, sorgenfreien Menschheit breitete sich vor unseren Augen aus. Man konnte sich auf die Grunewaldbahn versetzt denken, es fehlten nur die vielen Uniformen, die ja aber »allenfalls« durch die blauenden Berge und das schimmernde Meer ersetzt wurden.
Cannes ist doch das beste aller Rivierabäder. Die vielen Fürstlichkeiten mit ihrem rasenden Gelde machen es dazu. Trotzdem ist es sehr ruhig und liegt so wunderschön, daß man sich wundern muß, warum so viele Menschen Nizza vorziehen.
Die Rennverwaltung hatte einen eigenen Fürstenpavillon errichtet mit vier atlasbezogenen Sitzreihen. Wir kamen reichlich früh, und ich hatte das Glück, für meine hohen Herrschaften in der ersten Reihe zwei Plätze reservieren zu können. Vichien, der mit uns herübergekommen war, mußte sich mit der Reutters und mir mit der zweiten Reihe begnügen.
Ich hatte die Prinzessin seit dem Basar noch nicht allein gesprochen. Über mein Spiel hatte sie kein Wort gesagt, und ich war glücklich darüber. Dazu kam, daß ich mir einbildete, die Großherzogin beobachtete uns, und daß ich heimliche, sorgenvolle Blicke zu erhaschen glaubte. Ich sprach daher auf der Fahrt mit der Prinzessin möglichst wenig und ging sogar so weit, daß ich schließlich fürchtete, unser gegenseitiges Ausweichen, Einandernichtansehen könnte auffallen.
Aber auch, wenn ich sie nicht ansehe, fühle ich ihre Nähe und ihre Augen. Wo hat sie nur diese großen weltfremden Augen her, die mich um die Besinnung bringen, woher den unsagbaren Charme einer Geste, eines flüchtigen Lächelns, das mich plötzlich packt und mir die Kehle zuschnürt? Bin ich größenwahnsinnig, Hug? Hat mich die Distanz verrückt gemacht, die zwischen ihr und mir liegt? Ist es nichts wie überspanntes Selbstbewußtsein, das mich zu ihr treibt?
Am interessantesten war die große Internationale, in der ich eigentlich den Hengst Sinaval reiten sollte. Weißt du, wenn man selbst lange Jahre im Sattel tätig war, kommt man schließlich mit dem Schah von Persien zu dem gleichen überraschenden Resultat, daß ein Pferd schneller laufen kann als das andere, und daß der der Sieger ist, der zufällig auf dem schnellsten sitzt und am besten reitet. Deswegen schaute ich ziemlich gleichgültig den galoppierenden Pferden nach. Der Herzog hatte einen jungen Herrn aus dem Klub, den Vicomte Laterre, mit dem Ritt beauftragt, der aber anscheinend nicht recht mit dem Pferde fertig wurde. Schon im Aufgalopp suchte sich der bildschöne Hengst in mächtigen Luftsätzen vom Zügel frei zu machen. Der Vicomte hielt ihn gleich von vornherein zu fest, und ich hätte ihn gern gewarnt. Diese ängstlichen, unsicher und flatternd springenden Pferde sind ja eigentlich immer meine Spezialität gewesen, ich erinnere dich an die Armada, die mir trotz ihrer wenigen Freunde zweimal die Armee gewann. Schnaubend sausten die Pferde dicht vor unseren Augen über den Tribünensprung, zwei, drei Längen vor den anderen Sinaval. Der Herzog zupfte vor freudiger Erregung an seinem Henrybart, glänzte über das ganze Gesicht und unterhielt sich mit dem braven Beserbeck, der keine Ahnung von Pferden hat, sich aber um so geehrter fühlte und diskret meckerte. Da brauste das Feld zum zweiten Male heran, weit voran der Sinaval mit mächtigen, raumfassenden Sprüngen. Aber der Franzose hielt ihn zu fest, ich sah das Unglück kommen. Er ist einer von den allzu weichen Reitern, die kein Kreuz, kein Knie, kein Gegengewicht mehr an den Zügel zu legen haben und wohl alles aus einem schwierigen Pferde herauslassen, aber nichts herausholen können und allein auf die Passion und den guten Willen des Pferdes angewiesen sind, weil kein Gleichgewicht da ist. Oft geht's gut, manchmal aber auch schlecht. Hier ging's schlecht. Der zwischen Maul und Schulter ohne jede Verbindung nach hinten gerittene Hengst spitzte die Ohren, dann kam ein unschlüssiges, ängstliches Hin- und Herflattern in der rasenden Fahrt, zwei, drei klatschende Peitschenhiebe, ein viel zu früher, verzweifelter Sprung des gutwilligen Pferdes, das noch in der Luft den Kopf frei zu bekommen versuchte, dann wälzten sich Roß und Reiter nach dumpfem Fall auf dem harten Geläuf. In pfeilschneller Fahrt stürmte das Feld über sie hinweg. Hoch in der Luft sahen die Pferde erst den Favoriten hinter dem Hindernis liegen, und lang, lang streckten sie sich, um nicht in den Fall verwickelt zu werden. Es war ein mörderisches Tempo für eine Steeplechase. Der Hengst erhob sich wieder und galoppierte mit fliegenden Bügeln und Zügeln hinter dem Felde her. Auch der Reiter versuchte aufzustehen, sank aber wieder zusammen. Ich muß gestehen, daß er den Sturz verdient hat, denn mit guten Pferden habe ich mehr Mitleid als mit schlechten Reitern. Der Herzog eilte zu ihm und half ihn auf den Wagen des Starters heben, der im langen Galopp quer über die Bahn herbeikam. Für die hohen Herrschaften war es eine recht peinliche Situation, und alles atmete erleichtert auf, als der Herzog mit der Nachricht kam, daß es sich nur um einen unbedeutenden Schlüsselbeinbruch handelte. Meinen geübten Augen aber war es nicht entgangen, daß der Vicomte sehr schwer verletzt war. Die Prinzeß sah sich nach mir um, wir verstanden uns.
Ach, Hug, wäre es nicht doch besser gewesen, ich hätte statt seiner still und bleich im Ankleideraum gelegen und nur noch ein sieches Leben von wenigen Jahren vor mir? Dann wäre mir alles wie ein Traum erschienen, ein Traum der Verheißung, und ich hätte ihn im Rollstuhl weiterträumen können, wie ich wollte ...
Wir speisten bei der Wales, die mich in ihr Herz geschlossen hat, weil ich mich mit ihren Kindern sehr angefreundet habe. Die Prinzessin wurde vom Großfürsten Michael zu Tisch geführt, der ihr sehr den Hof machte. Seine Frau saß mir gegenüber. Sie ist sehr elegant und beweglich, und wir plauderten leicht und angeregt zusammen.
Die Großherzogin hatte sich auf dem Rennen ein wenig erkältet. Die Wales wollte sie daher nicht heimfahren lassen, und die Reutters mußte zur Gesellschaft dableiben. Die Prinzessin, die sich schon sehr auf die Nachtfahrt gefreut hatte, durfte nach einem leichten Zögern der Mutter unter des alten Beserbeck und meiner Eskorte zurück.
Nach kurzem Rumpeln hatten wir das Pflaster Cannes' hinter uns und flogen auf der glatten Chaussee dahin. Auf die Bitte der Prinzessin hatte ich die Vorhänge über die elektrischen Birnen gezogen, damit wir die nächtliche Landschaft genießen konnten. Sie saß allein im Fond, fast schmächtig auf den breiten, üppigen Kissen. Der Marschall hatte sich auf einen der hintersten Fauteuils gesetzt und im Halbdunkel beide Arme durch die Schlafriemen gezogen. Ich saß auf einem der mittleren Sessel der Prinzessin gegenüber, und wir starrten durch die angelaufenen Scheiben auf das im Mondlicht glitzernde Meer, auf die gigantischen Schatten der Berge und die vorübersausenden Häuser. Dazu summte ununterbrochen die elektrische Heizung des Wagens, und schemenhaft glitten die Schatten der Bäume über uns hin. Der alte Beserbeck war sanft entschlummert und begann diskret zu schnarchen. Die Prinzessin fragte nach euch, Hug, und ich begann zu erzählen, von Brägelsdorf, von Egenolfshausen und von unserer Mutter. Ich sprach von ihrer Lebensweisheit, ihrer unendlichen Herzensgüte und ihrem schweren Ende. Dann schwiegen wir wieder und dachten an das eine. Und ich suchte sie zu belügen, machte auf eine von den Scheinwerfern grell beleuchtete Felswand aufmerksam oder sprach vom Rennen, als hätte ich an nichts anderes gedacht. Dann biß ich mir auf die Lippen und starrte wieder in die Nacht. Und dann mit einem Male kam eine tastende Hand zu mir, und ich hörte ein leise, erstickte Stimme an mein Ohr klingen.
»Warum quälen Sie mich so ...?«
Und als ich mich umblickte, sah ich ihre vor verhaltenem Schluchzen bebende Brust, die mit Tränen gefüllten Augen und den verzagten Zug um den Mund ...
Da war meine Kraft und mein Wille zu Ende. Ich glitt in den Rückfauteuil und küßte das weit zurückgebeugte bleiche Gesichtchen, küßte die zuckenden Lippen, küßte die großen Lider der geschlossenen Augen. Und ich fühlte das Beben der zarten Gestalt in meinem Arm, fühlte die Zähne in dem willenlos geöffneten Mund und trank von den Wangen die gleitenden Tränen. Und ich fühlte, wie sich leise, leise die Muskeln der Lippen zum Gegendrucke spannten, wie sich zwei weiche Arme kosend um meinen Hals legten und mich an sich zogen ...
Und dann legte die Prinzessin meinen Arm um ihre Schultern, lehnte das Köpfchen an meine Brust, und immer wieder bog sie den Kopf zurück und bot mir den Mund, immer wieder sog ich den Duft ihres wundervollen Haares und fühlte den zuckenden Druck ihrer schwachen Hand. So saßen wir eng aneinandergeschmiegt, bis die Scheiben erklirrten und anzeigten, daß wir durch die Straßen Nizzas fuhren. Verschlafen fuhr der alte Beserbeck auf, und selig lächelnd nahm die Prinzessin die Versicherung entgegen, daß er nicht geschlafen und die herrliche Nachtfahrt so recht in seiner einsamen Ecke genossen hätte.
Der Haushofmeister und die Kammerfrau nahmen die Prinzessin in Empfang, und, strahlend und errötend auf die Buchstaben deutend, die gespenstisch über den elektrischen Kandelabern leuchteten, rief sie:
» La joie est morte, vive la joie!«
Ich war zu aufgeregt, um schlafen zu gehen, und lief an den Strand. Die nächtlichen Wanderer auf der Promenade mögen sich über den Mann den Kopf zerbrochen haben, der da im flatternden Pelz an ihnen vorüber die Treppe hinunterstürmte, laut singend und den Hut schwenkend, und der dann schließlich zusammengekauert in einem Strandkorb saß und in unsinnigem Liebesweh leise in sich hineinweinte.
Ach, Hug, wenn du hier wärest, ich könnte mit dir sprechen, und mir würde leichter ums Herz. Nun sitze ich in der Nacht und schreibe an dich aus übervollem Herzen. Und Hug, es kommt wieder die Furcht, die entsetzliche Angst vor der Zukunft und grinst mich mit undurchdringlichen Blicken höhnisch an. Und ich fühle die Augen unserer Mutter, die mir aus dem Bilde überall durch das Zimmer folgen, so milde und tröstend auf mir ruhen, als wollte sie bis über das Grab hinaus da helfen, wo selbst ihre Hand hilflos wäre. Und ich denke an die Großherzogin, an all die Liebe und Güte, die sie mir erweist, ich denke an das »Wir«, in das sie mich einschließt, wenn sie zu den anderen Höchsten spricht, und an das zarte, mahnende: Faites attention. Und ich denke an ihr großes Vertrauen zu mir, an den Wert, den sie auf meinen Umgang mit der Sophie legt, und ich höre ihre liebe Stimme mit dem wundersamen Schleier der Entsagung, wie ich die unserer Mutter höre ...
Ich bin ein kranker Mann, Hug, krank an der Seele, ohnmächtig ... mehr Künstler als Soldat. Wo ich doch jetzt so viel drum geben würde, mehr Soldat zu sein als Künstler ...