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Fünftes Kapitel.

Ich schreibe dir alles, was ich auf der Seele habe, lieber Hug, sei aber so gut, alle Briefe sorgfältig zu verschließen und für mich aufzuheben. Der Gedanke, daß du immer alles herumliegen läßt, beunruhigt mich, und dann traue ich auch deinem neuen Kammerdiener nicht. Er ist an einem kleinen Hofe groß geworden, und das sind bei aller Gewandtheit und Brauchbarkeit stets Intriganten und Schnüffler, wie Papa stets sagte. Deiner lieben Elli werde ich die Briefe nach meiner Heimkehr an den langen Abenden vorlesen, es fallen mir dann wieder die vielen Einzelheiten ein, die man nicht alle schriftlich festhalten will. Ins Regiment werde ich wohl nicht wieder zurückkehren. Man wächst hier in dem internationalen Leben aus den beschränkten Verhältnissen heraus, und ich glaube deswegen, daß ich meine letzten Remonten ausgebildet habe.

Meine täglichen Ritte mit der Prinzessin dauern unverändert an. Sehr häufig fahren wir auch im Automobil in die Berge. Die Großherzogin ist etwas leidend und zieht sich zurück. Sie hat in jedem Jahre um diese Zeit so einen kleinen Anfall. Die Reutters nennt es periodische Neurasthenie, ich glaube aber, der Gram um das frühzeitige Ende ihres hohen Gemahls, dessen Todestag sich jetzt gerade wieder jährt, ist der Grund. Er gibt ihr auch diese entsagungsvolle, unendliche Herzensgüte und jene natürliche Hoheit, die nur nach großen inneren Qualen reift und das äußere Wesen so unendlich ausgeglichen erscheinen läßt. Wenn der alte Beserbeck von dem Glück dieser Ehe spricht, laufen selbst dem alten Fuchs Tränen über die Wangen. Gestern haben wir eine herrliche Töff-Töff-Reise nach Mentone gemacht. Wir wollten eigentlich versuchen, bis Bordighera oder San Remo zu kommen, um der Prinzessin die Villa des hochseligen Dulders zu zeigen. Leider fanden wir die Corniche so voll von Equipagen, Autos und Lastfahrzeugen, daß wir schon in Mentone umkehren mußten, um zur rechten Zeit zu Hause zu sein. An der scharfen Ecke, kurz vor der Einfahrt nach Monte Carlo, wären wir fast mit der elektrischen Bahn karamboliert. Überhaupt muß man sehr vorsichtig fahren, besonders abends. Da huschen die eleganten Coupéautos um die vielen, unübersehbaren Kurven, und manchmal vermag der Chauffeur, geblendet von dem intensiven Licht der Scheinwerfer, kaum den entgegenkommenden Wagen auszuweichen. Oder es kommt in der Dunkelheit eine Maultierkarre des Weges, die man erst an den erschreckten Rufen der Treiber erkennt. Ich bin froh, daß mein Führer nüchtern und zuverlässig ist und sicher fährt. Dein braver Jochen Pösel würde sich wohl sehr bald mit seinem Kasten ins Meer bugsieren.

*

Ach, Hug, mir ist scheußlich! Ich möchte mich am liebsten in eine stille Ecke verkriechen und nichts mehr sehen und hören und denken.

Und doch habe ich heute gejauchzt. Sie liebt mich, ich weiß es ganz gewiß, ich fühlte es ja schon lange, aber jetzt weiß ich es ...

Wir ritten unseren alten wunderschönen Weg über die bewaldeten Berge. Stumm, ernst, in Gedanken versunken. Beide von dem gleichen Wunsche beseelt, uns zu sagen, was wir fühlten. Aber wir durften ja nicht, wir konnten ja nicht, eisig und hart lag zwischen uns beiden die Scheidewand: das Gesetz der Ebenbürtigkeit!

Du kannst dir nicht die Qual eines solchen Nebeneinanderreitens vorstellen. Man fühlt instinktiv den glühenden Wunsch des anderen, der sich mit dem eigenen haarscharf deckt, und man kann nicht reden, man darf nicht reden. Es war zum Verzweifeln. Der schon ohnehin schwermütige Ausdruck meines Gesichts mag wohl ein ganz besonders elender gewesen sein, ich fühlte, wie mich der Blick der Prinzessin streifte. Und plötzlich drängte sie ihr Pferd an das meine, ergriff meine schlaff herunterhängende Hand und führte sie an ihre Wange und an ihren Mund:

»Da, fühlen Sie mal, wie mir die Haut vom Autofahren aufgesprungen ist ...«

Und ich sah ihre flehenden, verzagten Augen, die eines krankgeschossenen Rehs, das den Coup de grâce herbeisehnt, und – Hug, ich versichere dich, das Blut tropfte mir von der Lippe, und mein empfindlicher Vollblüter stieg kerzengerade in die Luft, so hatte ich ihm die Eisen in die Seiten gestoßen. Hug, ahnst du auch nur, was ich in dem Moment durchgekämpft habe, als ich die Lippe zwischen die Zähne nahm, um die Herrschaft über meine tobenden Gedanken nicht zu verlieren? Wortlos ritten wir nach Hause, trennten uns fast ohne Adieu ...

Nun sitze ich hier, ein gebrochener Mann, und erflehe vom Schicksal ein schnelles Ende. Soll ich heute nacht noch abreisen? Sie ist noch jung, kann vergessen, genesen ... ich nie! Hug, hilf mir, ich bin klein und hilflos, ich, der stolze Brägelsdorff, bin im Niederbrechen ...


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