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Der Lärm tut nichts zur Sache: Oft gackert eine Henne, die nur ein Ei gelegt hat so laut, als hätte sie einen Planeten gelegt.
Querkopf Wilsons Kalender.
Mittwoch 11. September. Wir fahren jetzt stetig nach Süden und immer weiter hinunter auf dem runden Bauch der Erdkugel. Gestern abend sahen wir den Großen Bären und den Nordstern am Horizont untergehen und aus unserer Welt verschwinden. Das heißt, irgend jemand hat es gesehen und mir davon erzählt. Aber das macht keinen Unterschied, mir ist es sowieso einerlei, da ich die beiden herzlich satt habe. Sie sind ja in ihrer Art gar nicht übel, aber man will sie doch auch einmal los werden. Ich hatte jetzt nur noch Interesse für das ›Kreuz des Südens‹, von dem ich mein Lebenlang gehört hatte, ohne es zu sehen; natürlich brannte ich vor Verlangen danach. Kein anderes Sternbild verursacht so viel Gerede. Im allgemeinen habe ich, wie gesagt, gegen den Großen Bären nichts einzuwenden – wie sollte ich auch? Er ist ja ein Bürger unseres Himmelsgewölbes und gehört zum Besitzstand der Vereinigten Staaten. Aber doch war ich froh, daß er aus dem Wege ging, um diesem Fremdling Platz zu machen. Nach meinem Dafürhalten brauchte ein Sternbild, von dem man so viel Wesens macht wie von dem Kreuz des Südens, den ganzen Himmel für sich allein.
Aber das war ein Irrtum. Heute abend haben wir das Kreuz gesehen; es ist weder groß noch ungewöhnlich hell. Freilich stand es tief am Horizont; es wird vielleicht noch schöner, wenn es hoch am Himmel steht. Sein Name ist sehr sinnreich gewählt, denn es sieht gerade so aus, wie ein Kreuz aussehen würde, das man ebensogut für etwas ganz Anderes halten könnte. Aber diese Bemerkung ist viel zu allgemein und unbestimmt, ich will mich deutlicher ausdrücken: ein Kreuz mag es wohl sein, doch ist es entweder aus den Fugen gegangen oder verzeichnet, denn es hat zwar einen langen und einen kurzen Balken, aber letzterer ist ganz schief geraten.
Vier große Sterne und ein kleiner bilden das Kreuz. Der kleine Stern liegt außer dem Strich und verdirbt die Form vollends; er sollte an der Stelle stehen, wo die Balken zusammengefügt sind. Wenn man nicht eine gedachte Linie zwischen den Sternen zieht, würde man gar nicht auf die Idee kommen, daß sie ein Kreuz vorstellen – oder überhaupt irgend etwas.
Um den kleinen Stern darf man sich nicht kümmern; er muß ganz beiseite bleiben, weil er alles verwirrt. Läßt man ihn weg, so kann man aus den vier Sternen wohl eine Art schiefes Kreuz machen, aber ebenso gut einen schiefen Drachen oder einen schiefen Sarg.
Mit den Namen, die man den Sternbildern gegeben hat, ist es von jeher eine heikle Sache gewesen; sie wollen sich diesen Namen durchaus nicht anpassen und bestehen meist hartnäckig darauf, den Dingen, nach denen sie benannt sind, in keiner Weise zu gleichen. Zur Beruhigung der Gemüter sieht man sich zuletzt häufig genötigt, den phantastischen Namen in einen solchen umzuwandeln, der dem gemeinen Menschenverstand besser einleuchtet. Wenn es auf mich ankäme, würde ich das ›Kreuz des Südens‹ nicht den ›Sarg des Südens‹, sondern den ›Drachen des Südens‹ nennen. Kreuze und Särge haben dort oben in dem großen leeren Raum nichts zu schaffen, aber für einen Drachen ist es gerade der rechte Platz. In einiger Zeit – ob über kurz oder lang weiß ich nicht – wird der ganze Erdball im Besitz der englisch redenden Rasse sein und natürlich auch das Himmelsgewölbe. Dann müssen alle Sternbilder neugeordnet, blank geputzt und umgetauft werden; die meisten wird man vermutlich ›Victoria‹ nennen, schon jetzt tragen viele Städte und Geräte den Namen ihrer britischen Majestät. Aber ein Sternbild wird auch als ›Drache des Südens‹ droben wandeln oder überhaupt von der Bildfläche verschwinden.
In den letzten paar Tagen sind wir durch eine förmliche Milchstraße von Inseln gefahren. Auf der Karte liegen sie so dicht beisammen, daß man denken sollte, es wäre dazwischen kaum Platz für ein Kanoe – und doch bekommen wir selten eine Insel zu Gesicht. Neulich sahen wir einmal zwei in weiter Ferne gespenstisch und schattenhaft auftauchen, Alofi und Futuna oder Horne. Auf der größeren herrschen zwei eingeborene Könige, die einander grimmig befehden. Sie sowohl wie ihre Untertanen gehören zur katholischen Kirche; französische Missionare haben sie bekehrt.
Von den unzähligen Inseln in diesen Meeren bezog man früher die ›Rekruten‹ für die Plantagenarbeit in Queensland, und ich glaube, man holt sie noch jetzt dorther. Fahrzeuge, die in ihrer Ausrüstung den alten Sklavenschiffen glichen, schafften die Eingeborenen nach jener großen Provinz Australiens, wo sie als Arbeiter Verwendung fanden. Anfangs raubte man die Leute ohne alle Umstände, wie die Missionare bezeugen; von anderer Seite wird das zwar geleugnet, aber es läßt sich nicht widerlegen. Später verbot das Gesetz, die Eingeborenen gegen ihren Willen anzuwerben, und die Regierungsbeamten hatten Befehl, auf allen Werbeschiffen für Aufrechterhaltung des Gesetzes zu sorgen, was sie nach Aussage der Werber wirklich taten, aber auch oft unterließen, wie die Missionare behaupten. Ein Arbeiter konnte auf drei Jahre regelrecht angeworben werden und dann freiwillig noch ebenso lange im Dienst bleiben, wenn es ihm gefiel. War seine Zeit um, so durfte er auf seine Insel zurückkehren und erhielt auch die Mittel dazu. Die Regierung ließ sich dies Geld von dem Arbeitgeber auszahlen, ehe der ›Rekrut‹ ihm überlassen wurde.
Kapitän Wawn, der viele Jahre ein Werbeschiff befehligte, hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben, aus dem hervorgeht, daß das Werbegeschäft im allgemeinen bei den Insulanern sehr beliebt war. Doch scheint es dabei weder langweilig noch einförmig gewesen zu sein, denn es bot allerlei kleine Abwechslungen, von denen der Kapitän berichtet, zum Beispiel die folgende:
»Am Nachmittag, nachdem wir die Leprainsel erreicht hatten, lag der Schoner, bei fast vollständiger Windstille, im Schutz des gebirgigen Teils der Insel, etwa dreiviertel Meilen vom Ufer. Wir hatten die Boote ausgesetzt, konnten sie jedoch in Sicht behalten. Das Werbeboot war in eine kleine Bucht der felsigen Küste eingelaufen, wo auf steilem Uferrand eine einsame Hütte lag, hinter der sich dichter Wald erhob. Das zweite Boot, in dem sich der Regierungsbeamte und der Maat befanden, lag etwa 400 Meter westwärts.
»Plötzlich hörten wir Schüsse und das laute Geheul der Eingeborenen am Ufer und sahen das Werbeboot mit anscheinend verminderter Bemannung das Weite suchen. Das andere Boot fuhr ihm rasch entgegen, nahm es ins Schlepptau und brachte es zum Schoner zurück. Von der Mannschaft war kein einziger ohne leichte oder schwere Verwundung davongekommen. Die Insulaner hatten unsere Leute unter dem Schein der Freundschaft in die Bucht gelockt; sie umschwärmten den Stern des Bootes, und einige der farbigen Burschen stiegen sogar an Bord. Urplötzlich schwangen sie aber ihre Keulen und Tomahawks und gingen zum Angriff über. Der Werber schützte sich mit den Fäusten gegen die ersten grimmigen Schläge, bis er Zeit fand, sich des Revolvers zu bedienen. Einer der Matrosen, Tom Sayers, erhielt einen Hieb mit der Streitaxt, der ihm die Kopfhaut durchschnitt, aber zum Glück den Schädel nicht spaltete; einem andern, Babby Towns, wurden beide Daumen zerschmettert, als er die Schläge abwehren wollte; den linken Daumen, der nur noch an Haut und Knochen hing, mußte der Wundarzt ganz von der Hand ablösen. Lihu, ein Knabe aus Lifu, der Diener des Werbers, hatte verschiedene leichte Hieb- und Stichwunden. Dem unglücklichen Jack, einem ›Rekruten‹ von der Insel Tanna, der als Bootsmann angeworben war, wurde der Vorderarm von einem Pfeil durchschossen, der noch auf beiden Seiten herausstak, als das Boot zurückkam. Der Werber selbst wäre frei ausgegangen, hätte nicht, gerade im Augenblick der Abfahrt, ein Pfeil ihm die Hand an den Griff des Steuerruders festgenagelt. Der Kampf war zwar kurz, doch heftig gewesen; auf feindlicher Seite waren zwei Mann erschossen worden.«
Kapitän Wawns Buch enthält eine große Menge von Beispielen solcher gefährlichen Zusammenstöße zwischen den Eingeborenen und den englischen und französischen Werbeschiffen; denn auch die Franzosen betreiben das Geschäft für die Plantagen von Neu-Caledonien. Die Werber scheinen daher doch nicht allzu beliebt bei den Insulanern zu sein, wie ließen sich sonst diese wilden Angriffe und blutigen Kämpfe erklären? Der Kapitän schiebt freilich die ganze Schuld auf die unverständigen Philanthropen. Wenn diese sich nur nicht einmischen wollten, meint er, würden die eingeborenen Väter und Mütter nicht mehr weinen und klagen, daß man ihre Kinder in die Verbannung schleppt, wo sie nicht selten ein frühes Grab finden, sondern ohne Frage ganz damit einverstanden sein und keinen Versuch machen, die freundlichen Werber totzuschlagen.