Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreißigstes Kapitel.

Der Welsche berichtet. – Huck im Feuer. – Die Geschichte wird ruchbar. – Neue Sensation. – Hoffnung. – Verzweiflung.

 

Beim ersten Schimmer des folgenden Sonntagmorgens hatte Huck den Hügel erstiegen, und pochte leise an des Welschen Thor. Die Insassen schliefen, aber mit halboffenen Augen unter dem Eindruck der nächtlichen Ereignisse.

»Wer ist da?« tönte es von innen.

Huck antwortete erschrocken und leise:

»Bitte laßt mich ein! Ich bin's nur, Huck Finn!«

»Das ist ein Name, dem sich diese Thüre fortan bei Tag oder Nacht öffnen wird! Komm herein, mein Junge, und sei herzlich willkommen!«

Das waren ungewohnte Worte in den Ohren des Vagabunden, und die angenehmsten, die er je vernommen. Er konnte sich nicht entsinnen, jemals so freundlich begrüßt worden zu sein. Das Thor ward rasch geöffnet und er trat ein. Man gab ihm einen Stuhl, und der Alte und seine Söhne kleideten sich hurtig an.

»So, mein Junge, ich hoffe, du hast einen tüchtigen Appetit mitgebracht. Mit Aufgang der Sonne wird das Frühstück bereit sein, und gut und warm soll es sein, deswegen sei unbesorgt. Ich und die Jungen hofften gestern Nacht, du würdest bei uns übernachten!«

»Ich hatte so entsetzlich Angst, und bin davongelaufen! Ich riß aus, als ich die Schüsse hörte, und rannte drei Meilen in einem Atem! Nun bin ich gekommen, um zu erfahren, wie es ging, und ich kam vor Tage, um nicht jenen Teufeln in die Hände zu laufen, tot oder lebendig, gleichviel!«

»Ja, ja, mein armer Junge, du hast eine harte Nacht gehabt, deinem Aussehen nach! Aber da ist ein Bett für dich bereit, sobald du mit dem Frühstück fertig bist. Nein, mein Junge, sie sind nicht tot! Leider sind sie es nicht! Siehst du, nach deiner Beschreibung wußten wir schon, wie die Sache anzugreifen war. Wir schlichen auf den Zehen bis fünfzehn Schritt an sie heran, immer jenem finsteren Sumachpfad folgend – da kam mich ein Reiz zum Niesen an. Das war nun ein schlimmer Zufall. Ich suchte den Reiz zu unterdrücken, umsonst – ich fühlte es kommen und es kam. Ich befand mich an der Spitze mit erhobener Pistole, und als die Schurken, durch das Geräusch aufgeschreckt, aus dem Pfad hervorbrechen wollten, kommandierte ich: »Feuer!« und schoß in der Richtung, von woher ich ihr Auffahren vernommen, meine Waffe ab. Das Gleiche thaten meine Söhne, dann ging's drauf und dran! Aber fort waren die Schufte! Wir ihnen nach, das Gehölz hinunter, konnten sie aber nicht einholen. Wir müssen nicht getroffen haben. Jeder von ihnen hatte ebenfalls einen Schuß auf uns abgegeben; ihre Kugeln jedoch pfiffen unschädlich an uns vorüber. Sowie sich ihre Fußtritte in der Ferne verloren, gaben wir die Jagd auf, stiegen abwärts, und alarmierten die Konstabler. Sie zogen einige Streitkräfte zusammen und setzten sich in Marsch, um die Flußufer zu besetzen, und so bald es hell genug sein wird, wird der Scheriff mit einer Abteilung den Wald absuchen. Meine Söhne werden an der Streife teilnehmen. Wenn, wir nur entfernt wüßten, wie die Schurken aussehen. Das würde die Verfolgung mächtig fördern. Du kannst wohl keine Auskunft darüber geben, mein Junge, da du sie nun im Dunkel und von weitem beobachtet hast?«

»Gewiß kann ich das! Ich sah sie unten und folgte ihnen!«

»Das wäre prächtig! Wie sahen sie aus, mein Junge? Beschreibe sie.«

»Der eine davon ist der taubstumme Spanier, der sich einigemal in der Stadt sehen ließ – der andere ein schlecht aussehendes, zerlumptes Subjekt – .«

»Genug, mein Junge. Wir kennen diese Strolche. Wir stießen eines Tages auf sie, wie sie im Gehölz hinter der Besitzung der Witwe lauerten, und sich bei unserem Anblick, auf die Socken machten. Fort mit euch, ihr Jungen, und erzählt das dem Scheriff! Zum Frühstück ist es noch morgen Zeit!«

Die Söhne des Welschen brachen ungesäumt auf. Bevor sie das Zimmer verließen sprang Huck auf:

»Um Gottes willen, sagt nur nicht, daß ich es war, der die Geschichte ausbrachte!«

»Wie du willst, Huck! Wird dir aber dann die gebührende Ehre, den Schurkenstreich vereitelt zu haben, nicht, entgehen?«

»Nein, nein! Sagt nur nichts!«

Als die Jungen sich entfernt hatten, sagte der Alte:

»Sie werden nichts sagen, und ich ebensowenig. Aber warum willst du, daß wir schweigen?«

Huck ließ sich auf keine weiteren Erörterungen ein. Nur das gestand er, daß er von dem einen der beiden schon soviel gesehen, daß er gar nicht zweifle, umgebracht zu werden, wenn dieser je erfahren sollte, daß er seine Hand mit im Spiele gehabt.

Der Alte versicherte ihm aufs neue das unverbrüchlichste Stillschweigen und sagte:

»Wie kamst du, mein Junge, dazu, diesen Menschen nachzustreichen?«

Huck schwieg lange, während er nach einer vorsichtigen Antwort suchte:

»Nun, seht Ihr, ich bin ein übelgeratener Junge – wenigstens höre ich das von allen Seiten und muß annehmen, es sei so. Das läßt mich oft nicht ruhig schlafen, und da kommen mir allerlei Gedanken, wie ich es wohl angreifen könne, um meinem Thun und Lassen eine neue, bessere Richtung zu geben. So war es wieder in der verflossenen Nacht. Ich konnte keinen Schlaf finden – so stand ich auf und streifte umher, immer mit diesen Gedanken beschäftigt. Gegen Mitternacht kam ich in die Nähe des alten Ziegelmagazins bei der Temperenz-Taverne und lehnte mich an die Mauer, um meinen Ideen immer weiter zu folgen. Gerade in diesem Augenblick schlüpften diese zwei Kerle an mir vorüber, mit Etwas unter dem Arme, das mir aussah, wie etwas Gestohlenes. Der eine rauchte, der andere wollte Feuer haben. Sie hielten mir gerade gegenüber, und beim Lichte der Zigarre erkannte ich den größeren als den taubstummen Spanier an seinem weißen Backenbart und dem Pflaster aus dem Auge, und der andere war ein verrosteter, schmutziger, lumpiger Teufel!«

»Konntest du denn die Lumpen bei dem bloßen Scheine einer Zigarre unterscheiden?«

Huck schwieg einen Augenblick überrascht und fuhr fort:

»Ich weiß nicht recht, vermute es jedoch.«

»Dann gingen sie weiter, und du – –?«

»Ich folgte ihnen. So war es. Ich war begierig, zu erfahren, was sie im Schilde führten. Sie thaten so geheimnisvoll! Ich schlich ihnen nach bis zum Pförtchen der Witwe. Dort, im Dunkel stehend, hörte ich, wie der Zerlumpte für die Witwe bat, und wie der Spanier schwor, er würde ihr Gesicht entstellen, wie ich es Euch und Euren Söhnen ja schon erzählt –«

»Was? Wie? Der taubstumme Mann hat alles das gesagt?«

Huck hatte sich schlimm verrannt. Er hatte den Alten über den Spanier möglichst im Unklaren lassen wollen, und seine Zunge verriet ihn jeden Augenblick. Er machte verschiedene Versuche, sein Versehen wieder gut zu machen, aber des alten Mannes ernstes Auge haftete an dem seinigen, und so machte er einen Mißgriff um den andern.

»Komm, Junge, fürchte dich nicht vor mir! Ich würde kein Haar auf deinem Haupte krümmen, um die ganze Welt nicht! Nein, ich würde dich schützen! Mit allen Kräften schützen! Dieser Spanier ist nicht taubstumm! Das ist dir entschlüpft! Du kannst es nun nicht mehr ungeschehen machen. Du weißt etwas von ihm, das du gern verheimlichen möchtest! Vertraue mir! Sei es, was es wolle, sprich offenherzig, ich werde dich nicht verraten!«

Huck that einen tiefen Blick in des alten Welschen ehrliches Auge, neigte sich gegen ihn und flüsterte ihm ins Ohr:

»Es ist kein Spanier – es ist der Indianer Joe!«

Der Alte wäre vor Ueberraschung fast vom Stuhle gefallen, und sprang auf: »Jetzt ist alles sonnenklar! Als du uns von Nasenlöcheraufschlitzen und von Ohrenstutzen fabeltest, hielt ich das für deine eigenen Zuthaten und Verschönerungen, da weiße Männer das nie thun. Aber ein Indianer, das ändert die Sache gewaltig!«

Man setzte sich zum Frühstück. Im Verlaufe desselben wurde das Abenteuer weiter besprochen. Der Alte erzählte, daß er beim Schimmer einer Laterne vor Schlafengehen mit seinen Söhnen das Pförtchen und dessen nächste Umgebung genau nach Blutspuren durchsucht, aber nichts gefunden hatte, als ein umfangreiches Bündel von –«

» Von was

Wenn diese Worte Blitze gewesen wären, hätten sie Hucks schreckensbleichen Lippen nicht schneller entfahren können. Mit weit aufgerissenen Augen und atemlos harrte er der Antwort des Alten. Dieser sah verwundert auf, drei – fünf – zehn Sekunden, und sagte:

»Von Diebsgeräten! Aber was hast du?«

Huck stieß einen Seufzer unsäglicher Befriedigung aus. Der Alte fixierte ihn ernst und neugierig:

»Jawohl! Diebswerkzeugen! Das scheint dir ein großer Trost zu sein! Was vermutetest du wohl in dem Bündel?«

Huck befand sich arg in der Klemme. Das forschende Auge des Alten ruhte auf ihm – was hätte er nicht um eine rasche, plausible Antwort gegeben! Nichts fiel ihm ein, die Zeit drängte, und so sagte er mit zitternder Stimme: »Vielleicht Sonntagsschulbücher!«

Der arme Huck konnte in seiner Angst kein Lächeln zu stande bringen. Der Alte aber brach in lautes, frohes, zwerchfellerschütterndes Gelächter aus, setzte allen Verdacht Huck gegenüber beiseite, und meinte schließlich, daß ein solch fröhliches Lachen so gut sei, wie bares Geld, denn es verkürze die Doktorrechnung um ein namhaftes.

»Armer Junge!« fuhr er fort, »du bist ganz blaß und verstört! Dir ist nicht wohl! 's ist auch kein Wunder! So ein kleiner magerer Junge verliert bald das Gleichgewicht! Du wirst dich aber schnell besser fühlen! Ruhe und Schlaf werden dich bald wieder gekräftigt haben!«

Huck war ärgerlich, sich so gänsemäßig kopflos benommen und eine so außerordentliche Aufregung bei Erwähnung, des Bündels verraten zu haben. Indessen fühlte er sich beruhigt und erleichtert. Er wußte nun, daß sie den Schatz nicht entführt, und derselbe folgerichtig noch in Nummer 2 liegen müsse. Alles ging nach Wunsch. Die beiden mußten noch heute eingefangen und eingekerkert werden, und Tom und er waren durch nichts gehindert, sich in der nächsten Nacht ohne alle Gefahr und Beschwerde in den Besitz des Schatzes zu setzen.

Kaum war das Frühstück zu Ende, so wurde an die Thüre gepocht. Huck sprang auf, um ein Versteck zu suchen, während der Welsche verschiedene Damen und Herren einließ, und unter diesen die Witwe Douglas. Zugleich bemerkte er, daß ein förmlicher Pilgerzug sich den Hügel herauf bewege, wahrscheinlich, um das Pförtchen anzustieren. Die Geschichte war also ruchbar geworden.

Der Welsche mußte die Erlebnisse der letzten Nacht erzählen, und die Witwe sprach ihm ihren Dank für die geleistete Hilfe aus.

»Kein Wort darüber, Madame! Das ist ein anderer, dem Sie zu mehr Dank verpflichtet sind, als mir und meinen Söhnen. Er will aber nicht genannt sein. Ohne ihn wären wir gar nicht zur Stelle gewesen!«

Diese Antwort erregte die Neugier der Anwesenden aufs höchste, so, daß sogar das Interesse am nächtlichen Angriff darüber schwand. Der Alte ließ sich nicht erweichen und schwieg. Er sah mit geheimem Vergnügen die Neugierde unbefriedigt um sich fressen, um demnächst die ganze Stadt anzustecken.

Nachdem alle Nebenumstände besprochen waren, sagte die Witwe:

»Ich las noch vor Einschlafen im Bette, und schlummerte dann ruhig, ohne von dem ganzen Vorgang auch nur das geringste wahrzunehmen. Warum weckten Sie mich nicht?«

»Wir hielten es für unnötig. Die Schufte besaßen keine anderen Werkzeuge, als die zurückgelassenen, und ohne sie, wozu wiederkommen? Es war höchst überflüssig, Sie aus dem Schlafe zu wecken und ihnen tätliche Angst einzujagen! Ueberdies hatte ich meine drei Schwarzen als Wache um Ihre Besitzung her aufgestellt! Eben sind sie zurückgekommen.«

Einige Stunden hindurch folgte ein Besuch dem andern, und der Welsche mußte seinen Bericht immer wieder von vorne anfangen.

Während der Ferien feierte auch die Sonntagsschule. Dagegen fand sich alles in der Kirche ein. Das vorgefallene Ereignis wurde sattsam erörtert. Man wußte, daß die beiden Nichtswürdigen der Verfolgung bislang entgangen waren. Nach Schluß der Predigt erwartete Mrs. Thatcher Mrs. Harper und sagte:

»Schläft meine Becky noch? Ich sah voraus, daß sie todmüde werden würde!«

»Ihre Becky?«

»Ja«, ergänzte Mrs. Thatcher überrascht. »Hat sie denn die Nacht nicht bei ihnen zugebracht?«

»Ich sah sie mit keinem Auge!«

Mrs. Thatcher erblaßte und sank in den nächsten Kirchenstuhl, eben als Tante Polly in eifrigem Gespräch mit einer Freundin vorbei kam. Tante Polly redete sie an:

»Guten Tag, Mrs. Thatcher! Guten Tag, Mrs. Harper! Ich vermisse meinen Jungen seit gestern. Hat er vielleicht bei Ihnen übernachtet, oder bei Ihnen? Er hat sich wohl gefürchtet, zum Gottesdienst zu kommen; ich werde aber mit ihm abrechnen!«

Mrs. Thatcher verneinte schwach und wurde bleicher.

»Er war nicht bei uns,« erwiderte Mrs. Harper, und wurde unruhig. Die Besorgnis trat in Tante Pollys Züge.

»Joe Harper, hast du meinen Tom heute noch nicht gesehen?«

»Nein, Madame!«

»Wann sahst du ihn zuletzt?«

Joe suchte sich zu erinnern, konnte aber nichts Bestimmtes sagen. Der Zug aus der Kirche geriet ins Stocken. Geflüster hin und her, und Besorgnis auf allen Zügen. Kinder und junge Lehrer und Lehrerinnen wurden mit Fragen bestürmt. Sie alle konnten keinerlei Auskunft über Becky und Tom geben, und wußten nicht einmal, ob sie die Rückfahrt auf dem Fährboote mitgemacht hätten. Es war ja so finster, und niemand hatte daran gedacht, nachzusehen, ob die ganze Schar vollzählig sei. Endlich sprach einer der jungen Leute schüchtern die Befürchtung aus, die Vermißten könnten vielleicht noch in der Höhle sein. Mrs. Thatcher fiel in Ohnmacht. Tante Polly weinte heftig und rang die Hände. Der Alarm flog von Lippe zu Lippe, von Gruppe zu Gruppe, von Straße zu Straße, und nach fünf Minuten stürmte es vom Kirchturme. Die ganze Stadt war auf den Beinen. Das Cardiff-Hill-Abenteuer war plötzlich vergessen; niemand dachte an die Räuber; Pferde wurden gesattelt, Boote bemannt, die Dampffähre lichtete die Anker, und bevor die Neuigkeit eine halbe Stunde alt war, strömten zweihundert Mann auf der Land- und Wasserstraße nach der Höhle. Den ganzen langen Nachmittag blieb das Dorf verödet und leer. Viele Frauen statteten ihre Beileidsbesuche bei Mrs. Thatcher und Tante Polly ab, und versuchten sie zu trösten. Sie weinten miteinander, und das war besser als unnütze Worte. Die ganze Nacht verfloß in quälender Erwartung. Alles, was in der Morgendämmerung bekannt wurde, waren die wenigen Worte:

»Sendet mehr Kerzen und – Mundvorrat!«

Mrs. Thatcher stand am Rande des Irrsinns, und Tante Polly ditto! Richter Thatcher sandte ermutigende Botschaften aus der Höhle; sie wollten aber wenig fruchten. Mit frühem Morgen kehrte der Welsche, über und über mit Lehm besudelt, mit Talg beschmiert und todesmatt nach Hause zurück. Er fand Huck noch im Bette, und in heftigem Fieberdelirium. Die Aerzte waren alle in der Höhle, und so hatte die Witwe Douglas ihre Stelle vertreten. Sie wollte ihr Möglichstes für ihn thun. Sei er was er wolle, gut, schlecht, oder zwischen durch, er war des Herrn, und um des Herrn willen wollte sie ihn pflegen. Der Welsche meinte, Huck sei nicht ohne etwas Gutes in ihm, und die Witwe sagte:

»Gewiß nicht. Das sind die Zeichen Gottes. Wer nur einen kleinen Hauch der Gottheit in sich fühlt, den verläßt er nicht. Und jedes Geschöpf seiner Hand ist von ihm gezeichnet!«

Vormittags kamen zerstreute Gruppen überwachter, abgematteter Männer ins Dorf zurück. Die Kräftigen waren in der Höhle geblieben und setzten ihre Forschungen eifrig fort. Hie und da kamen Nachrichten aus der Höhle. Man hatte Stellen derselben untersucht, an die bis jetzt kein menschliches Wesen vorgedrungen war. Die mindesten Winkel und Spalten wurden erforscht. Wohin man sich in den unterirdischen Wirrsalen auch wandte, flackerten Lichter und widerhallten die Gewölbe von Pistolenschüssen und lauten, das Echo tausendfältig weckenden Rufen. In einem der früher von Touristen nie betretenen Gänge hatte man die mit Kerzenrauch an die Felswand angeschwärzte Inschrift »Becky und Tom« entdeckt und nicht weit davon ein beschmutztes Seidenband. Mrs. Thatcher erkannte es und benetzte es mit bitteren Thränen. Sie wollte es aufbewahren als letzte Reliquie ihres geliebten Kindes, das letzte, was es getragen, ehe es seinem schauerlichem Tode entgegen ging! Einige erzählten, daß manchmal ein unverhoffter Schimmer sich zeige, daß dann alles mit Jubel darauflos stürze, und daß die Bestürzung keine Grenzen kenne, wenn es nur das Licht eines abseits gekommenen Suchers sei.

Drei schreckenvolle Tage und Nächte verstrichen ohne den mindesten Erfolg. Alle Hoffnung war geschwunden, trübseliger Stumpfsinn hatte sich aller Gemüter bemeistert, und bodenlose Entmutigung. Selbst die große Neuigkeit, daß der Wirt der Temperenzler insgeheim ein Schnapsmagazin hielt, machte keinen Eindruck mehr, so entsetzlich auch diese Kunde war. In einem lichten Moment hatte nämlich Huck das Gespräch auf die Temperenz-Taverne gebracht, und das Schlimmste befürchtend, leichthin gefragt, ob seit seiner Krankheit dort etwas entdeckt worden sei.

»Ja!« sagte die Witwe.

Huck setzte sich im Bett aufrecht und starrte sie mit wilden Augen an. »Was? Was war's?«

»Schnaps! Und das Lokal ist seitdem geschlossen! Liege ruhig nieder, Kind! Wie hast du mich erschreckt!«

»Nur eines möchte ich wissen, nur dieses eine! Bitte! Hat Tom Sawyer diese Entdeckung gemacht?«

Die Witwe brach in Thränen aus.

»Still, Kind, sei ruhig! Ich habe dir erst vorhin gesagt, daß du nicht viel reden darfst. Du bist sehr, sehr krank!«

So, also nur starke Getränke waren gefunden worden! Welch Geschrei, wenn das Gold zum Vorschein gekommen wäre! Es war fort, unwiederbringlich verloren! Aber warum weinte die Frau? Um wen oder was vergoß sie diese Thränen? – Mit diesen Gedanken, die sich verworren kreuzten, fiel er in unruhigen Schlummer.

»Gottlob, er schläft, der arme Junge. Tom Sawyer die Entdeckung gemacht? Ach du lieber Gott, wenn er nur selbst entdeckt werden könnte! Nur wenige sind geblieben, die noch hoffen, oder stark genug sich fühlen, die Nachforschungen fortzusetzen!«


 << zurück weiter >>