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Spare nie auf morgen, was du übermorgen
gerade so gut thun kannst. –
Benjamin Franklin.
Dieser Mensch war eins von den Individuen, welche man Philosophen nennt. Er kam als Doppelwesen oder als ein paar Zwillinge zur Welt, gleichzeitig in zwei verschiedenen Häusern von Boston. Diese Häuser stehen noch heutigen Tages und tragen Tafeln, deren Inschriften die obige Thatsache bezeugen. Die Tafeln nehmen sich ganz gut aus, aber notwendig sind sie gerade nicht, da die Einwohner dem Fremden sowieso die beiden Geburtsstätten zeigen, zuweilen sogar mehrmals an einem Tage.
Der Mann von welchem diese Denkschrift handelt, war heimtückischer Gemütsart und mißbrauchte seine Gaben schon frühzeitig zur Erfindung von allerlei Lebensregeln und Denksprüchen, die darauf berechnet waren, dem heranwachsenden Geschlecht aller folgenden Zeitalter Schmerzen zu bereiten. Sogar seine alltäglichsten Handlungen verrichtete er im Hinblick darauf, daß sie den Knaben fort und fort zur Nacheiferung vorgehalten werden sollten – den Knaben, die sich sonst hätten glücklich fühlen können. Aus gleicher Absicht wurde er der Sohn eines Seifensieders, wahrscheinlich nur damit die Bestrebungen aller zukünftigen Knaben, die es zu irgend etwas bringen wollten, von vornherein mit Mißtrauen betrachtet werden möchten, wenn sie nicht Söhne von Seifensiedern wären. Mit einer Böswilligkeit, die in der Geschichte ohne gleichen dasteht, pflegte er den Tag über zu arbeiten und dann die Nacht hindurch aufzubleiben, unter dem Vorwand, daß er beim Schein eines glimmenden Feuers Algebra studiere – damit alle andern Knaben genötigt wären das auch zu thun, weil man ihnen sonst Benjamin Franklin vorrückte. Ja noch mehr: es war seine Gewohnheit, sich nur von Wasser und Brod zu nähren und während der Mahlzeit Astronomie zu treiben – das hat seitdem Millionen von Knaben, deren Väter Franklins verderbliche Biographie gelesen hatten, in große Trübsal gebracht.
Seine Lebensregeln waren voll Feindseligkeit gegen die Jugend. Heutzutage kann kein Knabe irgend einer natürlichen Regung folgen, ohne daß er auf der Stelle über einen jener unvermeidlichen Denksprüche stolpert und von Franklin zu hören bekommt. Kauft er sich für zwei Cents Pfeffernüsse, so sagt sein Vater: »Weißt du nicht, mein Sohn, daß Franklin spricht: ›Einen Heller den Tag, einen Groschen das Jahr‹? – und mit der Freude an den Pfeffernüssen ist's vorbei. Will der Knabe nach gethaner Arbeit Kreisel spielen, gleich mahnt der Vater: »Aufschieb ist ein Tagedieb.« Wenn er eine gute That thut, bekommt er nie etwas dafür, denn »die Tugend trägt ihren Lohn in sich.« Er wird zu Tode gehetzt und der nötigsten Ruhe beraubt, weil Franklin in einem begeisterten Anflug von Bosheit einmal gereimt hat:
»Früh zu Bett und früh wieder auf,
Macht klug, gesund und reich im Kauf.«
Als ob einem Knaben etwas daran läge, um solchen Preis klug, gesund und reich zu werden! Was mir dieser Denkspruch für Leiden gebracht hat, als mein Vater damit Versuche bei mir anstellte, spricht keines Menschen Zunge aus. Das naturgemäße Ergebnis derselben ist meine jetzige körperliche Hinfälligkeit, Armut und Geistesschwäche. Als ich ein Knabe war, pflegten mich meine Eltern bisweilen schon vor neun Uhr des Morgens zu wecken. Hätten sie mich schlafen lassen wie es meine Natur verlangte – was würde nicht aus mir geworden sein? Vielleicht wäre ich jetzt Ladenbesitzer und allgemein geachtet . . .
Benjamin Franklin hat viel Anerkennenswertes für sein Vaterland gethan und dessen jungen Namen bei andern Völkern zu hohen Ehren gebracht, weil es solchen Sohn erzeugt hat. Das will diese Denkschrift durchaus nicht bestreiten oder mit Stillschweigen übergehen. Ihr Zweck ist nur, Einspruch gegen seine anmaßlichen Lebensregeln zu erheben, die er unter dem Schein als wären sie von ihm erdacht, aus selbstverständlichen Wahrheiten zusammengestoppelt hat, welche schon abgedroschene Gemeinplätze waren, noch ehe sich die Völker beim Turmbau zu Babel zerstreuten. Mein Wunsch war lediglich, gegen die unter den Familienhäuptern herrschende unselige Idee zu Felde zu ziehen, als habe Franklin seine angeborene Geistesgröße eigens dadurch erworben, daß er umsonst arbeitete, bei Mondlicht studierte und in der Nacht aufstand, statt wie ein guter Christ bis zum Morgen zu warten – und als könne dieses Programm, wenn es nur streng durchgeführt würde, aus jedes Vaters dummem Jungen einen Franklin machen. Es ist Zeit, daß die Herren Väter sich endlich klar machen, daß jenes abscheuliche Thun und Treiben nur die Wirkung des Genius war und nicht seine Ursache. Ich wollte, ich wäre lange genug der Vater meiner Eltern gewesen, um ihnen diese Wahrheit zu Gemüte zu führen, damit sie versuchten, ihrem Sohne das Leben leichter zu machen. Als Kind mußte ich Seife sieden, obgleich mein Vater ein wohlhabender Mann war, ich mußte zeitig aufstehen, beim Frühstück Geometrie studieren, mit meinen eigenen Gedichten hausieren gehen und alles ganz so thun wie es Franklin gethan hatte. Man war der festen Hoffnung, ich würde auf solche Weise einst ein Franklin werden. Und was bin ich nun?! –