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Jüngst betraf mich ein Japaner,
und in des Gespräches Wellen,
als wir von Matrosen sprachen,
ließ er ein klein Wörtlein fallen
»Skibi«.
»Was bedeutet das, Geehrter?«
fragt ich leicht und glatt und höflich.
»Nie noch hört ich diese Silben:
Skibi –?
Ists ein Laster? Ein Gesellschafts-
spiel? Kann man es konsumieren?
Tun Matrosen es? Mit wem wohl?
Skibi –?«
Der Japaner nickte höflich,
lächelte und schwieg. Und seitdem
hockt auf mir der Skibi-Wahnsinn.
Skibi! zwitschern alle Spatzen.
Skibi-skibi! gellt die Hupe.
Und die Stadtbahn-Wagenachsen
rattern: Skibi-skibi-skibi …!
Skibi! piept die Bodenmaus.
Und so sieht die Sonne aus:
Traurig krauche ich durchs Leben.
Kann mir niemand Rettung geben?
Auf, nach Japan laßt mich fahren,
seekrank, heiß, mit Möwenscharen,
wochenlang in Schiffsbewegung,
II. Klasse (mit Verpflegung) –
Und ich seh nicht Palästina,
Indien nicht an und China –
Bombay nicht und nicht Kalkutta,
in Port-Said die Kuppelmutter …
Ungegessen, ungeschlafen,
fahr ich.
Auf dem Quai im Japan-Hafen
spring ich auf den ersten Besten,
halt ihn an am Knopf der Westen –
schreiend frag ich:
»Was ist Skibi –?«
Der Japaner, kalten Blutes,
spricht: »Das fragt man nicht. Man tut es.
Skibi-skibi-skibi-skibi –!«
In die Heimat fährt ein Greis.
Stumm. Zerbrochen. Haar schlohweiß.
Geht ins Kloster als Trappist,
weil er nicht weiß, was Skibi ist.
Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück,
nimm mich ein bißchen mit –
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück –
die Zeituhr geht ihren harten Schritt …
pick-pack …
»Sie schläft mit ihm« ist ein gutes Wort.
Im Schlaf fließt das Dunkle zusammen.
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen,
– aber dein Atem fächelt immerfort.
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück –
jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein.
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück,
kann ich dein Gefährte sein.
Nun nimmt wohl bald der Bauer Geld aus der Schatullen
und macht sich auf mit seiner Kuh zum Bullen –
mit seiner Kuh.
Nun wirft wohl diese Kuh ein Kälbchen sonder Schaden,
und dieses Kälbchen legt dort einen runden Fladen –
das Kälbchen
von der Kuh.
Nun wächst aus diesem Fladen auf der Ackerkrume
wohl bald die schönste rote Bauernblume –
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.
Nun hüpft wohl bald ein Stubenmädchen in dem Grase,
pflückt einen Strauß für ihr Hotel und stellt in eine Vase
die Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.
In diesem so geschmückten Raum – denn sieh, er hat ihn
ja vorbestellt – liegt froh der heitere Hochzeitsreisende bei seiner Gattin –
in Zimmer 28
mit den Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.
Und hier empfängt sie einen anfangs anonymen Knaben,
sie trägt ihn aus, gebärt – er ist von großen Gaben –
von den Hochzeitsreisenden
aus Zimmer 28
mit den Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.
Der Knabe reift heran, erbt einen ganzen Batzen
und gründet sich ein Etablissement für Bett-Matratzen –
der Sohn
der Hochzeitsreisenden
aus Zimmer 28
mit den Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.
Nun schneuzt sich breit sein erster Vorarbeiter,
wischt sich den Bart und pinselt flötend weiter –
in der Fabrik
des Sohnes
der Hochzeitsreisenden
aus Zimmer 28
mit den Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.
Der Vorarbeiter hat das Bett lackiert. Nun nimmt er einen Schluck.
In diesem Bett tu ich den letzten Atemzug.
»Ja-!«
»Nein –!«
»Wer ist schuld?
Du!«
»Himmeldonnerwetter, laß mich in Ruh!«
– »
Du hast Tante Klara vorgeschlagen!
Du läßt dir von keinem Menschen was sagen!
Du hast immer solche Rosinen!
Du willst bloß, ich soll verdienen, verdienen –
Du hörst nie. Ich red dir gut zu …
Wer ist schuld –?
Du.«
»Nein.«
»Ja.«
– »
Wer hat den Kindern das Rodeln verboten?
Wer schimpft den ganzen Tag nach Noten?
Wessen Hemden muß ich stopfen und plätten?
Wem passen wieder nicht die Betten?
Wen muß man vorn und hinten bedienen?
Wer dreht sich um nach allen Blondinen?
Du –!«
»Nein.«
»Ja.«
»Wem ich das erzähle …!
Ob mir das einer glaubt –!«
– »Und überhaupt –!«
»Und überhaupt –!«
»Und überhaupt –!«
*
Ihr meint kein Wort von dem, was ihr sagt:
Ihr wißt nicht, was euch beide plagt.
Was ist der Nagel jeder Ehe?
Zu langes Zusammensein und zu große Nähe.
Menschen sind einsam. Suchen den andern.
Prallen zurück, wollen weiter wandern …
Bleiben schließlich … Diese Resignation:
Das ist die Ehe. Wird sie euch monoton?
Zankt euch nicht und versöhnt euch nicht;
Zeigt euch ein Kameradschaftsgesicht
und macht das Gesicht für den bösen Streit
lieber, wenn ihr alleine seid.
Gebt Ruhe, ihr Guten! Haltet still.
Jahre binden, auch wenn man nicht will.
Das ist schwer: ein Leben zu zwein.
Nur eins ist noch schwerer: einsam sein.
Es ist so viel unverbrauchte Zärtlichkeit in Hotelzimmern,
wo sie allein liegen:
ein Mann, oder eine Frau, oder ein angebrochenes junges Mädchen –
in leiser Lächerlichkeit liegen wir allein.
Es ist eine Einsamkeit, umflossen
von den Strömen des städtischen Gases,
des elektrischen Stromes, für alle gemacht,
einer Zentralheizung, eines Zentralessens, einer Zentralzeitung …
aber ein kleiner Fleck ist noch da,
auf dem sind wir allein.
Jeder liegt in seiner Schublade.
Die kleinen Härchen auf den Oberarmen schwanken suchend im Luftzug,
wie die Greifer der Meerespflanzen in strömendem Wasser;
die Haut langweilt sich.
Wenn jetzt einer käme und sagte: »Bitte sehr! ich liege Ihnen zur Verfügung!«
wenn ich jetzt durch die Wand ginge zu meiner Nachbarin –
(»Man ist doch keine Hure! ich werfe mein Leben nicht in Hotels weg!« – Kusch.)
– wenn jetzt eine dicke Dame käme, mich im Bad zu massieren;
wenn sich jetzt der Jungen ein verständiger Mann gesellte, der sie nur streichelte …
ungenützt ist die Nacht.
Dreivierteleins.
Es kocht in den Röhren des Badezimmers;
badet jemand noch so spät?
Neugierig sind wir auf fremde Körper.
Wie legen Sie abends das Hemd auf den Stuhl? Lieben Sie Fruchtsalz?
Ziehen Sie Ihre Uhr morgens oder abends auf?
Und in der Liebe?
Sind Sie gesund? Verzeihen Sie, ich habe solche Furcht vor Krankheiten –
das ist ein Teil meiner Tugend.
I'm in love again –
nein, das eigentlich nicht:
es sollte nur jemand da sein, an dem ich mich spüren kann.
Warum, 318 (mit Bad) liegen Sie so allein?
Denkbar wäre auch eine Hotelgeisha, die höflich liebt,
und die auf der Rechnung nur als kleiner, diskreter Kreis vermerkt ist –
aber schöner wäre ein Gast.
Warum kommt nie ein Einsamer zu einer Einsamen?
Stolz kriechen wir in unser zuständiges Gehäus,
hygienisch, unnahbar, vernünftig,
allein.
Knips das Licht an, sagt der Schlaflose zu sich selbst
(er duzt sich, weil er sich schon so lange kennt) –
und lies noch ein bißchen.
Du hast zu viel Pfirsich-Melba gegessen, daher solche Gedanken,
Luftblasen auf dem Meer der innern Sekretion.
Du bist überhaupt gar nicht allein. Du hast ein Buch. Lies:
8. Fortsetzung
Nachdruck verboten
Schließlich raffte sie ein Spiel Karten auf, kauerte sich neben den Kamin und begann, eifrig und hingegeben zu mischen.
»Ich kam in der Absicht,« begann er mit einer nicht ganz festen Stimme, »noch heute um Ihre Hand anzuhalten.« Das schöne Mädchen
Trudele dahin! Verkehre bei Ingenieuren!
Laß dich als Redakteur von Staatsanwälten verhören!
Sei eingeladen bei Snobs, die wichtigtuende Diplomaten
schnurrend umschleichen, besonders die aus den kleinern Staaten!
Entflieh der Familie! Rutsch die soziale Leiter hinaus und hinab –:
es spielt sich alles unter zweihundert Menschen ab.
Wohn an der Weser, der Oder, der Weichsel, der Elbe –
deine Gesellschaft bleibt immer, immer dieselbe.
Immer dieselben Fahrt- und Leidensgenossen,
wie mit Gittern sind dir die andern Gärten verschlossen.
Freunde sind Schicksal, aber nicht zu knapp.
Es spielt sich alles unter zweihundert Menschen ab.
Fahr nach Amerika!
Wer steht im Hotel auf den Herrentoiletten?
Rosenfeld. Und er spricht: »Was machen Sie in Manhattan?«
Flieh zu den Eskimos, in des Eises kreischende Masse:
der Dicke im Pelz ist bestimmt ein Kind deiner Klasse.
Jag durch die Welt vom nördlichen bis zum südlichen Kap –:
es spielt sich alles unter zweihundert Menschen ab.
Unsere Welt ist so klein. Dies sollst du wissen:
Ganze Klassen und Völker sind nur deines Lebens Kulissen;
du weißt, daß sie sind. Aber sei nicht verwundert:
du lebst ja doch nur inmitten deiner zweihundert.
Und hörst du auch fremde Länder und Kontinente erklingen:
du kannst ja gar nicht aus deinem Kreise springen!
Von Stund an, wo sie dich pudern, bis zum gemieteten Grab
spielt sich alles und alles und alles unter zweihundert Menschen ab.
Plötzlich fängt sich dein Blick im Spiegel
und bleibt hängen.
Du siehst:
Die nackt rasierten Wangen
– »Backe«: das ist gut für andere Leute –
den sanft geschwungenen Mund, die glatte Oberlippe,
die Krawatte sitzt – nein, doch nicht:
zupf!
Jetzt bist du untadlig.
Haare, Nase, Hals, Kragen, Rockschultern sind ein gut komponiertes Bild –
tief bejaht dich dein Blick.
Wohlgefällig ruhst du auf dir,
siehst die seidigen Ränder der Ohrbrezeln,
unmerklich richtest du dich auf –
du bist so zufrieden mit dir
und fühlst das gesunde Mark deines Lebens.
Übrigens haben die Fliegen auf dem Spiegelglas gesessen,
oder ein chemischer Vorgang hat das Quecksilber bepickelt:
kleine blinde Pupillen sitzen darauf …
Nun stell den innern Entfernungsschätzer der Augen wieder um:
An der rechten Schläfe
– aber nur, wenn man schärfer hinsieht –
stehn ein paar kleine Runzeln,
Schützengräben der Haut –
nein, es sind noch keine Runzeln,
doch da, an dieser Stelle, werden sie einst stehen.
Dann bist du ein alter Mann;
dann sagen die Leute: »Der alte Kaspar –
dann wird ein Mädchen leise ausgelacht, der du etwas zuflüsterst –
»Mit dem alten Mann …?« sagen ihre Freundinnen.
Alter Mann.
Wie ihr euch anseht:
der Glasmann und du!
Nie
nie wird dich jemals ein anderer Mensch so ansehen,
ohne Beigeschmack von Ironie.
Du kannst dich gar nicht im Spiegel sehn.
Tat twam asi –?
Glatt ist dein Gesicht, sauber gewaschen und frottiert,
Zeit ist darüber hingespült.
Dein Gesicht, den Schuttplatz deiner Gefühle, hast du zusammengelogen,
zusammengelacht,
geküßt, geschwiegen, gelitten, geseufzt: zusammengelebt –
sieh, unterhalb des linken Auges bist du leicht fleckig.
Mach dein Spiegelgesicht!
Was in den letzten Jahren alles gewesen ist,
nichts davon ist dir anzusehen.
Alles ist dir anzusehen.
Fakire sollen sich manchmal allein hypnotisieren.
Wenn man sich lange in den Spiegel sieht, steht im Lexikon,
verfällt man in Trance …
du siehst den Spiegelmann an,
der sieht, wie du siehst –
du siehst, wie er sieht, wie du …
Reiß deinen Blick zurück! Erwache.
So, mit dem aufgestützten Arm, ergäbe das eine gute Photographie für die illustrierten Blätter:
ernst blickt der Dichter den Abonnenten an,
Ehrfurcht erheischend und einen zerstreuten Blick lang auch zugebilligt; unnahbar, sehr sicher,
wie aus gefrorenem Schmalz gehauen – ein fertiges Ding.
In den zwei glitzernden Pünktchen, die
in der Mitte deiner Augen angebracht sind,
funkt das Leben.
Eigentlich sind wir ganz schön, wie –?
Du betrachtest dich, wie sich die Männer in den Friseurläden betrachten,
wenn sie, haargeschnitten, aufstehn:
»Es ist, Gott sei Dank, alles da, und wir sind repräsentative Erscheinungen –!«
Mit einem langen Blick sehen sie sich im Spiegel an:
Kontrollversammlung der Kompanie, vorgenommen durch den Feldwebel Auge –
nicht losreißen können sie sich,
dann ziehen sie ihre Weste herunter
und gehen neu gestärkt auf die Straße,
durchaus bereit zum Kampf mit den andern, denen man nicht die Haare geschnitten hat.
Aber auf einmal
ist die glatte Sicherheit deines gebügelten Rockes dahin:
die Angst ist da.
Angst sitzt in den dunkeln Vertiefungen deiner Nase,
mit der du die Luft einschaufelst;
das Blech am Kamin erzittert leise,
du hörst mit den Augen –
Sag etwas!
Sprich!
Prophezeie, wie es weiter werden wird!
Ob ich gepflegt sterbe, im Bett: umgeben von einem ernsten
Professor, einer weißen Krankenschwester und süßlich
riechenden Flaschen;
oder ob ich auf kalter Chaussee verrecke, ganz allein –
zu den andern Landstreichern habe ich manchmal französisch
gesprochen, weil ich doch etwas Besseres gewesen bin;
ob ich mich zerhuste oder sacht im Sessel zurücksinke …
In das Weiße der Augen steigt langsam Rot auf –
welch ein Mitleid hast du mit dir!
Du betest dich hastend an.
Sprich!
Prophezeie:
Erfolg – Ansehen – Vergessenheit – Geldmangel –
Demütigung; es gleiten die wohlgenährten Kameraden
vorbei und klopfen dir ermunternd auf die Schulter,
in leiser Schadenfreude.
Flocke. Geküßter Mund. Belebte Kopfkugel.
Mit mobilisierten Muskeln seht ihr euch beide an.
Noch ist nichts zu sehn. Noch seid ihr beide schön.
Tief unten knistert die Angst.
»Sie haben«, so sagt der Spiegelmann zu dem andern Mann,
»da ein Haar auf Ihrem Rockkragen!
Sehn Sie? es glänzt im Schein der abendlichen Lampe –
das darf, merkwürdigerweise, nicht sein; nehmen Sie
es bitte herunter –!«
Sorgsam entfernt ihr das Haar.
Ich gehe vom Spiegel fort.
Der andre auch –
Es ist kein Gespräch gewesen.
Die Augen blicken ins Leere,
mit dem Spiegelblick –
ohne den andern im Spiegel.
Allein.
Für Paul Graetz
Denn, so um'm September rum,
denn kriejn se wacklije Beene –
die Fliejen nämlich. Denn rummeln se so
und machen sich janz kleene.
Nee –
fliejn wolln se nich mehr.
Wenn se schon so ankomm, 'n bisken benaut …
denn krabbeln se so anne Scheihm;
oda se summ noch 'n bisken laut,
aba mehrschtens lassen ses bleihm …
Nee –
fliejn wolln se nich mehr.
Wenn se denn kriechen, falln se beinah um.
Un denn wern se nochmal heita,
denn rappeln se sich ooch nochmal hoch,
un denn jehts noch 'n Sticksken weita –
Aba fliejn … fliejn wolln die nich mehr.
Die andan von Somma sind nu ooch nich mehr da.
Na, nu wissen se – nu is zu Ende.
Manche, mit so jelbe Eia an Bauch,
die brumm een so über de Hände …
A richtich fliejn wolln se nich mehr.
Na, und denn finnste se morjens frieh,
da liejen se denn so hinta
de Fenstern rum. Denn sind se dot.
Und wir jehn denn ooch in'n Winta.
Wie alt bist du eijentlich –?
– »Ick? Achtunnfürzich.«
– »Kommst heut ahmt mit, nach unsan Lokal –?«
– »Allemal.«
Ich, Herr Tiger, bestehe zu meinem Heil
aus einem Oberteil und einem Unterteil.
Das Oberteil fühlt seine bescheidene Kleinheit,
ihm ist nur wohl in völliger Reinheit;
es ist tapfer, wahr, anständig und
bis in seine tiefste Tiefen klar und gesund.
Das Oberteil ist auch durchaus befugt, Ratschläge zu erteilen
und die Verbrechen von andern Oberteilen
zu geißeln – es darf sich über die Menschen lustig machen,
und wenn andre den Naseninhalt hochziehn, darf es lachen.
Soweit das.
Aber, Dunnerkeil,
das Unterteil!
Feige, unentschlossen, heuchlerisch, wollüstig und verlogen;
zu den pfinstersten Pfreuden des Pfleisches fühlt es sich hingezogen –
dabei dumpf, kalt, zwergig, ein greuliches
pessimistisches Ding: etwas ganz und gar Abscheuliches.
Nun wäre aber auch einer denkbar – sehr bemerkenswert! –,
der umgekehrt.
Der in seinen untern Teilen nichts zu scheuen hätte,
keinen seiner diesbezüglichen Schritte zu bereuen hätte –
ein sauberes Triebwesen, ein ganzer Mann und
bis in seine tiefsten Tiefen klar und gesund.
Und es wäre zu denken, daß er am gleichen Skelette
eine Seele mit Maukbeene hätte.
Was er nur andenkt, wird faulig-verschmiert;
sein Verstand läuft nie offen, sondern stets maskiert;
sogar wenn er lügt, lügt er; glaubt sich nichts, redet sichs aber ein –
und ist oben herum überhaupt ein Schwein.
Vor solchem Menschen müssen ja alle, die ihn begucken,
vor Ekel mitten in die nächste Gosse spucken!
Da striche auch ich mein doppelkollriges Kinn
und betete ergriffen: »Ich danke dir, Gott, daß ich bin, wie ich bin!«
Was aber Menschen aus einem Gusse betrifft in der schönsten der Welten –:
der Fall ist äußerst selten.
Götz von Berlichingen und der General Cambronne
(derselbe, der damals in der Schlacht von
Waterloo nicht gesagt hat wie im Heldengedicht:
»Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht!«
Sondern er sagte nur schlicht:
»
Merde!«) –
dieser General Cambronne und Götz von Berlichingen
trafen sich neulich im Café und täten daselbst singen:
»Wir, die Nationalheiligen zweier Nationen,
die man uns anruft, wo nur Franzosen und Deutsche wohnen,
haben uns hier pro Nase einen Mokka Dubel bestellt
und betrachten zur Abwechslung einmal den Lauf der Welt.«
Der Götz begann:
»Was hältst du, Bruderherz, von den Demokraten,
die noch in jeden Wein ihr Wasser abschlagen taten,
vorsichtig,
umsichtig,
nachsichtig,
kurzsichtig –
und liegen immer unten. Was hältst du davon –?«
»
Merde –!« sagte Cambronne.
Und fuhr fort:
»Was aber hältst du, Bruder, von den preußischen Richtern,
diesen Vollzugsbeamten von Denkern und Dichtern?
Wie sie nichts hören und nichts sehn – aber zuschlagen
und um sich Jammer verbreiten und Klagen.
Wie sie die Wehrlosen fangen in ihren Schlingen …?«
»…!« sagte der Götz von Berlichingen.
Und fuhr fort:
»Kennst du aber die uniformierten Burschen in allen Ländern,
die in ihren bekleckerten Indianergewändern
den nächsten Krieg vorbereiten? Mit dem Anspruch aufs Pantheon?«
»
Merde –!« sagte Cambronne.
Und fuhr fort:
»Kennst du aber die Theaterdirektoren?
Jedem ist gerade ein neues Genie geboren,
und besiehst du dir näher die göttliche Ware,
ists ein Genie vom vorigen Jahre.
Haben einen Augenfehler: schielen auf die Kritik
und sitzen in einer Konjunktur-Fabrik.
Wär gar nicht übel. Nur:
es ist immer die falsche Konjunktur.
Wirr. Unzuverlässig. Ja, was können sie denn vor allen Dingen –?«
Da sagte es der Götz von Berlichingen.
Und fuhr fort:
»Was hältst du aber hingegen von den Parlamenten?
Mit ihren Kommissionssitzungen und ihren Re- und Korreferenten?
Bruder, sag mir, ist es bei euch das gleiche
wie in unserm republikanischen Kaiserreiche?
Das Ganze nennt man Demokratie –
ist aber nur eine politische Schwerindustrie.
Gut vor hundert Jahren. Heute: so alt, so alt –
Kluge verlangen eine neue Staatengestalt.
Dumme beharren bei ihrem kindlichen Eifer –
Habt Ihr auch sozialdemokratische Dudelsackpfeifer?
Wir haben sie. Prost, lieber Bruder, du!
Was sagen nur unsre respektiven Wähler dazu –?
Pfeift das nicht alles auf dem vorletzten Loche:
Demokraten,
Theater,
Offiziere,
Richter –
Was sagen sie überhaupt zu dieser Epoche –?«
Da standen beide auf: der Götz und der General Cambronne
und zogen laut rufend die Konsequenz davon.
Jeder sagte seinen Spruch. Die Tassen bebten. Und allen schien,
als werde hier einem Weltenwunsch Ausdruck verliehn …
»
Merde –!« sagte Cambronne. Und der andre der beiden Recken:
»Sag ihnen allen, sie könnten mich und so weiter beklecken!«
An der Wand, ganz heimlich, in guter Ruh,
steht Theobald Tiger und gibt seinen Segen dazu.
Wie war das neulich eigentümlich!
Ich ging im Wald so für mich hin,
und alles, was durchaus nicht ziemlich,
drängt sich mir dauernd in den Sinn.
Da liegt, in heiterm Flug geboren,
ganz weiß, gekrümmt und weich wie Wachs
– das hat gewiß ein Spatz verloren –
ein kleiner Klacks.
Und tiefer in des Waldes Hallen
liegt hingerollt, soweit ich seh,
– das ließ wohl eine Ziege fallen –
ein halbes Pfund Kaffee.
Und wie sich das so weiter machte,
besah ich einen neuen Fund:
– hier stand einst eine Kuh und dachte –
ein Fladen, groß und rund.
Und hat denn alles sich verschworen?
Da liegt im Tümpel, dran ich ging,
– das hat gewiß ein Ochs verloren –
ein Buch von Keyserling.
Das ist nämlich so in Berlin:
Einer ist plötzlich für Biographien.
Und aus einem Grunde, grad oder krumm,
gefällt diese Sache dem Publikum.
Das Publikum mag das Neue gern kaufen …
Nun kommen sie aber alle gelaufen!
Jetzt schießen, mit und ohne Komfort,
die Biographien aus dem Boden hervor:
Kaiser Gustav der Heizbare; Fürstenberg;
der Herzbesitzer von Heidelberg;
Frau Neppach, Einstein und Lindberghs Sohn
und vom Landgericht III der Justizrat Cohn –
sie alle bekommen ihre Biographie
(mit Bild auf dem Umschlag) – jetzt oder nie!
Heute so dick wie ein Lexikon,
und morgen spricht kein Mensch mehr davon.
Denn morgen ist da ein neues Glück:
das englische Grusel- und Geisterstück.
Da kommen aber in hellen Haufen
die Theaterdirektoren gelaufen!
»Die Gräfin auf der Kirchhofswand«,
»Sherlock Piel zwischen Lipp und Kelchesrand«,
»Das Bidet im Urwald« – oder wie das so heißt,
und plötzlich hat jedes Theater 'nen Geist.
»Das kenn Se nich? Das haben Sie noch nicht gesehn –?
Da müssen Sie unbedingt hingehn –!«
Und auf einen, ders nicht gesehn hat, spucken …
Morgen sind die Achseln ganz müde vom Zucken:
»Wenn ich schon Geisterstücke seh –
Passé!«
Mal Punktroller und mal Negerplatten;
mal Freud und mal Kreuzworträtsel-Debatten;
mal Tiergeschichten und mal Autorennen;
mal muß man den ganzen Brockhaus kennen –
(»Frag mich was!« – Sie mir auch.)
Und so haben nun
die Berliner immer was zu tun.
Denn so ist das in diesem Falle:
Was einer macht, das machen sie alle.
Macht einer Film mit Neckarstrand,
dann nehmen das tausend in die Hand.
Schreibt einer ein Buch vom Dauerlauf,
dann greifen das hundert Verleger auf.
Sie begehren immer, die guten Knaben,
des Nächsten Vieh –
»Müssen wir auch mal haben!«
Sie möchten niemals die eigenen Sachen.
»Das? das müssen wir auch mal machen –!«
Lasset uns dieserhalb nicht weinen.
Wo nichts ist, da borg ich mir einen.
Nur ist da eines – o völkische Schmach! –
komisch:
uns macht keiner nach.
Zimmer. Der Zeitungsleser im Schlafrock. Auf dem Tisch, auf Stühlen verstreut und zerknüllt, liegen Zeitungen aller Größen. In einer Ecke ein größerer Packen aufeinandergeschichteter Zeitungen. An der Wand quellen aus einem Regal Zeitungen.
Die Begleitmusik geht durch alle Möglichkeiten: vom Jazz bis zum Choral.
Du lieber Gott, so hör mein leises Flehen!
Tu auf den Packen hier heruntersehen!
Du lieber Gott, ich pfeif am letzten Loche:
das sind die Zeitungen von einer Woche!
Die muß ich alle, alle lesen:
Vom Bürgerkrieg bei Nord- und Südchinesen:
vom Turnerfest mit Grätsche und mit Kippe;
vom Flaggenstreit in Schaumburg-Lippe;
von Abegg, Lübeck, Ahlbeck, Becker;
von Schnillers Testamentsvollstrecker;
vom Prinz von Wales und von Richard Strauß –
das fliegt mir alles so ins Haus!
Ich kaufs auch noch. Sobald ichs seh,
fixe Idee:
»Acht-Uhr-Abendblatt! Acht-Uhr! B. Z.! Die Nachtausgabe!«
Wo nur eine Zeitung ist, da trabe
ich hin – aus Gier
nach Papier – immer nach Papier –
bleib auf der Straße stehn und lese hier:
Die westliche Ostsee ziemlich bewegt;
Pola Negri endgültig trocken gelegt;
Churchill gestürzt – die Kammer tobt;
der Papst mit Mary Wigman verlobt;
(das ist ihm recht!) – Sturm auf den Azoren;
Ludendorffs Dackel hat seinen Schwanz verloren;
in Grönland Badehosenhausse;
Pallenberg hundertmal in einer Posse;
Verfilmung des Dramas Ain und Kabels;
Prämiierung des kleinsten Damennabels;
Mussolini und das schwarze Hemd seiner Amme –
Nachrichten, Nachrichten, Telegramme, Telegramme, Telegramme –
Jazz
Was geht denn mich das an?
Das geht mich gar nichts an!
Das geht mich gar nichts an!
In den Beilagen raschelt und zischelt der Wind –
Ich bin ein armes zerlesenes Kind …
Hat keiner mit mir Armen
Erbarmen?
Man sagt von IHM, daß Er doch auch 'nen Sohn hat? …
Das sind die Zeitungen von einem Monat!
Wenn ich sie seh: mich schaudert und mich graust –
was kommt da noch auf mich herabgebraust?
Choral
Befrei mich Du vom irdischen Bösen.
Warum muß ich denn Silbenrätsel lösen?
Was kostets mich für lange Stunden
bis ich: »Maitresse unter Ludwig XVI.« gefunden –
Auflösung: »Nichtswürdig ist die Nation«
Oder: »Du sollst nicht töten, spricht der Gottessohn!
Es ist manchmal ein Kreuz mit Deinem Wort!
nimm doch die Kreuzworträtsel fort …
So plätschert das tagaus, tagein,
auf mich, den armen Leser herein –
Es regnet Zeitungen
Papier! Papier! Von welchem Riesenbaume
verflattert das in unserm Erdenraume?
Papier! Papier! Genug! Genug des Segens!
Ertränk mich nicht, du Flut des Zeitungsregens!
Marseillaise
Hier sind die Fahnen aller Staaten!
Allons, journaux de la patrie!
Ich kann in Zeitungen schwimmen – in Zeitungen waten –
aber ohne Zeitungen sein: das kann ich nie!
Wie sie mich quälen,
töten beinah –
Und wie sie mir fehlen,
wenn sie nicht da …!
Was soll mir das? Was hats für einen Sinn?
Mein ganzes Leben ging in Kleinigkeiten hin …
Am jüngsten Tage des Gerichts,
da werd ich sehn:
4 Paukenschläge
Ich kam zu nichts.
Zerteilt. Zerspielt. Zerspellt. Zerzettelt.
Mein Lebtag hab ich nur um eins gebettelt:
um Ruhe.
Du gabst sie nicht. So muß ich dienen,
als Sklave aller Rotationsmaschinen.
Du lieber Gott, gebleicht ist all mein Haar.
Hier sind die Zeitungen von einem Jahr …!
Du hast mich ihnen gänzlich preisgegeben –
war das ein Leben – das mein Leben –?
Ich merkte, welche Tageszeit grad war,
nur am Matin, Paris-Midi, Le Soir …
Bis in die letzten Winkel meines Heims
kam deine Zeit, Le Temps, die Times –
Verflucht die Bilder, die Plakate!
die Leitartikel, Inserate!
die Neuigkeit, die, kaum geboren, alt!
das Blatt am Baum – der ganze Blätterwald!
Verflucht! Verflucht die Menschenfibel!
verflucht die Inseratenbibel!
Ruhm: Durch die Zeitung. Heirat: durch die Zeitung.
Krieg: Durch die Zeitung. Friede: durch die Zeitung.
Nimm sie von mir! Die Zeitung triumphiert!
Totenstille. In der Musik aufgelöste Akkorde.
Ruhe nach einem Sturm, ganz sanft
Es hilft ja nichts.
Du bist ja sicher
selber
abonniert …
mit aus gestreckten Armen nach oben –
Vorhang
Praesentia minuit famam
Von ferne gleichen die Großen im Geist
den Göttern, den hehren.
Solange du nichts von ihnen weißt,
kannst du sie verehren.
Doch hast du mit Deutschlands Musenpracht
erst nähere Bekanntschaft gemacht,
dann schick deine Illusionen man pennen:
Du mußt sie nicht kennen! Du mußt sie nicht kennen!
Der flicht an der alten Griechen Statt
die tragische Kette –
doch verreißt ihn das Nordhausener Tageblatt,
dann fällt er aus't Bette.
Der meckert im Alter wie ein Bock
und kriecht einer Tänzerin unter den Rock.
Und was sie an Damen ihr Eigen nennen:
Du mußt sie nicht kennen! Du mußt sie nicht kennen!
Denn mit etwas hat Gott sie schön angeschmiert:
mit ihren Frauen.
»Mein Mann, mein Mann!«
Dergleichen blamiert:
ein Weibstück, scheeläugig und verschmiert,
in den himmlischen Gauen.
Der sitzt in der Höhle, ein krötiger Greis,
der spricht nur von sich, weil er sonst nichts weiß …
Von weitem! Laß sie am Himmel brennen!
In Büchern und an Rundfunkantennen …
Aber: Du mußt sie nicht kennen! Du mußt sie nicht kennen!
Ich bin Prokurist einer Wäschefabrik,
Sternberg, Guttmann & Sohn.
Mein Segelboot heißt »Heil und Sieg«,
zwei Stunden lieg ich hier schon
und seh auf die Kiefern und in das Wasser hinein –
auf meinem Boot ganz allein.
Urlaub hatte ich im August,
ich war in Norderney,
mit Lilly … ihre linke Brust
sieht aus wie ein kleines Ei.
Wenn man sie da kneift, dann wird sie gemein –
auf meinem Boot ganz allein.
Graske ist ein gemeiner Hund,
ein falsches Aas – er tut bloß so …
er weiß, der Alte ist nicht ganz gesund;
wenn mans merkt, bleibt er länger im Bureau.
Und dem Junior kriecht er jetzt auch hinten rein –
auf meinem Boot ganz allein.
Mutter wird alt. Wie alt … warte mal:
vierundsechzig, nein: achtundsechzig, genau.
Grete soll ganz still sein; sie pöbelt mit ihrem Personal
wie eine Schlächtersfrau.
Ich frage mich: muß eigentlich Verwandtschaft sein?
auf meinem Boot ganz allein.
Ich habe es schließlich zu was gebracht,
ich geh auf den Presseball;
auf Reisen fahre ich Zweiter; die Jacht
hier hieß früher »Nachtigall«.
Quatsch. heißt sie richtig. Manchmal lade ich Wälli und Ottmar ein –
nein, Ottmar nicht, der hat mich bei den jungen Aktien
nicht mitgenommen – schließlich werde ich dem Affen doch
nicht nachlaufen, das hab ich nicht nötig; stehen jetzt 192, 193 …
wo ist denn die Zeitung? –
auf meinem Boot ganz allein.
Das ist meine liebste Erholungszeit,
auf meinem Boot ganz allein.
Kein Mensch ist zu sehen weit und breit –
kann man einsamer sein?
Eine Welle gluckst. Ich bin einsam. Zwar
die Inventur beginnt morgen,
und wie die Sirenen mit schwimmendem Haar
ziehen im See meine Sorgen:
Lilly, Mama und die Wäschefabrik,
die Reparatur von »Heil und Sieg«,
Graske und Ottmar, der Egoist;
wer im Silbenrätsel »Fayence-Maler« ist –;
der Krach mit dem Chef von der Expedition;
die Weihnachtsgratifikation –
sonst aber schwimme ich hier im märkischen Sonnenschein –
auf meinem Boot ganz allein.
Für achtstimmigen Männerchor
Wenn die Igel in der Abendstunde
still nach ihren Mausen gehn,
hing auch ich verzückt an deinem Munde,
und es war um mich geschehn –
Anna-Luise –!
Dein Papa ist kühn und Geometer,
er hat zwei Kanarienvögelein;
auf den Sonnabend aber geht er
gern zum Pilsner in'n Gesangverein –
Anna-Luise –!
Sagt' ich: »Wirst die meine du in Bälde?«,
blicktest du voll süßer Träumerei
auf das grüne Vandervelde,
und du dachtest dir dein Teil dabei,
Anna-Luise –!
Und du gabst dich mir im Unterholze
einmal hin und einmal her,
und du fragtest mich mit deutschem Stolze,
ob ich auch im Krieg gewesen wär …
Anna-Luise –!
Ach, ich habe dich ja so belogen!
Hab gesagt, mir wär ein Kreuz von Eisen wert,
als Gefreiter wär ich ausgezogen,
und als Hauptmann wär ich heimgekehrt –
Anna-Luise –!
Als wir standen bei der Eberesche,
wo der Kronprinz einst gepflanzt hat,
raschelte ganz leise deine Wäsche,
und du strichst dir deine Röcke glatt,
Anna-Luise –!
Möchtest nie wo andershin du strichen!
Siehst du dort die ersten Sterne gehn?
Habe Dank für alle unvergesserlichen
Stunden und auf Wiedersehn!
Anna-Luise –!
Denn der schönste Platz, der hier auf Erden mein,
das ist Heidelberg in Wien am Rhein,
Seemannslos.
Keine, die wie du die Flöte bliese …!
Lebe wohl! Leb wohl.
Anna-Luise –!
Der Charité in Züchten
Ein Mediziner, namens L.,
zersägte neulich scharf und schnell
Iwan Kutisker.
Der lag da vor ihm hüllenbar,
so wie er aus der Haft gekommen war –
der tote Iwan Kutisker.
Der Mediziner, namens L.,
sprach also in des Bauches Fell
des toten Iwan Kutisker:
»Der Mann, der hier vor Ihnen liegt,
hat lange nicht genug gekriegt:
er hieß Kutisker, war ein Jude –
(Sie sehen das schon an der Zude) –
er war ganz nikotinisiert
und syphilitisch infiziert –
na ja, ein Jude!«
Das Messer knirscht. Der Kantus stieg
voll ärztlichen Takts. Die Leiche schwieg.
Laßt uns die Zähne zusammenbeißen:
es kann nicht jeder Lubarsch heißen.
In Wien zuckte neulich die Baker mit ihrem Popo,
denn es zieren die Kugeln ihrer Brüste manch schönes Revue-Tableau.
Auch tanzt sie bald auf dem rechten, bald auf dem linken Bein –
und schielen kann sie, daß das Weiße nur so erglänzt in ihren Äugelein.
Dies haben die Zentrums-Schwarzen, die jungen und die alten,
leider für eine Anspielung auf ihre Kirche gehalten.
Auch fühlten sie sich bedroht in ihrer Sittlichkeit,
und sie ließen die Glocken läuten, ganz wie in schwerer Zeit.
Drei Sühnegottesdienste stiegen auf zum oesterreichischen Himmel,
und die Bußglocke gefiel sich in einem moralischen Gebimmel.
Denn:
Wenn eine Tänzerin gut gewachsen ist
und einen Venus-Körper hat, der nicht aus Sachsen ist;
und wenn sie tanzt, daß nur der Rhythmus so knackt,
und wenn sie ein ganzes Theater bei allen Sinnen packt;
und wenn das Leben bunt ist hierzulande –:
das ist eine Schande.
Wenn aber Christus, der gesagt hat: »Du sollst nicht töten!«,
an seinem Kreuz sehen muß, wie sich die Felder blutig röten;
wenn die Pfaffen Kanonen und Flugzeuge segnen
und in den Feldgottesdiensten beten, daß es Blut möge regnen;
und wenn die Vertreter Gottes auf Erden
Soldaten-Hämmel treiben, auf daß sie geschlachtet werden;
und wenn die Glocken läuten: »Mord!« und die Choräle hallen:
»Mord! Ihr sollt eure Feinde niederknallen!«
Und wenn jemand so verrät den Gottessohn –:
Das ist keine Schande. Das ist Religion.
Unsere Flieger haben über den Ozean gemacht –
deutsche Energie! deutsche Energie!
Unsere Flieger hatten eine Schreckensnacht –
so was war noch nie!
Hier ihre Biographie!
Kikeriki –!
Und wir brüllen, daß es durch die Straßen gellt:
»Unsere Flieger sind die ersten auf der Welt!«
Eure Flieger sind ganz nette Leute –
aber kleingedruckt, auf der zweuten Seute.
Unsere Flieger sind der Stolz des Landes!
Vive la France! Quelle rumeur!
Unsre Flieger sind der Gipfel ihres Standes –
Réception et la Légion d'Honneur!
Und dahinter stehn die Industrien,
und sie grinsen in Paris wie in Berlin …
Eure Flieger sind ja schließlich nur
eine kleine zweite Garnitur.
Unsere Flieger fliegen heut nach Mexiko!
Gods own country – our America!
Unsere Flieger halten das Niveau –
For the colonel:
Hip, Hip, Hurra!
Jede Zeitung hat uns das gesagt:
Hat da einer einen Flug gewagt,
wächst empor zum höchsten Firmament
noch der allerdümmste Abonnent.
– »Weil du, Landsmann, doch aus gleichem Holz bist,
bin auch ich ein Held, der johlend tanzt!«
Sage mir, worauf du stolz bist,
und ich sage dir, was du mir kannst.
Unsere Flieger! Unsere Flieger!
Die sind Sieger! die sind Sieger!
Eure Flieger, gar nicht zu vergleichen,
können unsern nicht das Wasser reichen.
Will der Stammtisch aller Welt nicht ohne Lust sein –:
braucht er
Kino, Kirche und das Nationalbewußtsein.
Möchten Sie Saxo-Borusse sein?
Domela hat sie genau beschrieben:
was sie auf ihrer Kneipe trieben –
(Rülps)
wie sie fechten, fressen und saufen,
sich niemals ein Kollegheft kaufen –
jeder ein hochfeudales Schwein …
Ein feiner Verein.
Möchten Sie Saxo-Borusse sein?
Ramsch … Manieren: frech und beflissen –
»Werde zu Hause zu rühmen wissen!«
(Rülps)
Füchsegetriez und Chargenspiel;
Ideal: der uralte Leutnantsstil …
»Kein Bürgerlicher kommt hier zu uns rein –«
Ein feiner Verein.
Möchten Sie Saxo-Borusse sein?
Das ist gar nicht übel. Im Westen und Osten
gehören ihnen die Botschafterposten –
sie beherrschen Deutschland. Sie sind dran.
Sie intriguieren. Mann für Mann.
In Peking, in Rio und in Madrid:
immer läuft ein Korpsband mit.
Und mit diesem Korpsband zieht die Blase
ein ganzes Volk an seiner Nase.
Wir fressens aus. Sie brockens uns ein.
Wer möcht da nicht Saxo-Borusse sein –!
Zum Fünfundsiebzigsten
In manchem Saal hast Du gestanden
und hast die Leute uffjeklärt;
und unter Bockbierfestjirlanden,
da ham sie alle zugehört.
In manchem Saal, da, wo sie hocken,
da hatten sie zu Dir Vertraun;
und wenn die Brieder wollten bocken,
Du hast sie an die Wand jehaun.
Du standst als Mann vor preuß'schen Richtern,
als Mann im Parlamentsskandal;
von weitem sah Dich ein Gesicht an:
Genosse … in so manchem Saal.
Laß mich es Dir auf Hochdeutsch sagen:
Du gingst den graden Weg der Pflicht.
Umfielen die aus alten Tagen –
Du nicht.
Es strahlt Genosse Schulz und Lehmann,
wenn Exzellenz zu ihnen spricht.
Du warst kein richtiger SPD-Mann –
Du nicht!
Da lehnen sie, die weichen Besen.
So fegt man nicht. Du stehst allein.
Du bist ein Sozialist gewesen.
Und das hieß einst: ein Kämpfer sein.
Wenn Millionen arbeiten, ohne zu leben,
wenn Mütter den Kindern nur Milchwasser geben –
das ist Ordnung.
Wenn Werkleute rufen: »Laßt uns ans Licht!
Wer Arbeit stiehlt, der muß vors Gericht!«
Das ist Unordnung.
Wenn Tuberkulöse zur Drehbank rennen,
wenn dreizehn in einer Stube pennen –
das ist Ordnung.
Wenn einer ausbricht mit Gebrüll,
weil er sein Alter sichern will –
das ist Unordnung.
Wenn reiche Erben im Schweizer Schnee
jubeln – und sommers am Comer-See –
dann herrscht Ruhe.
Wenn Gefahr besteht, daß sich Dinge wandeln,
wenn verboten wird, mit dem Boden zu handeln –
dann herrscht Unordnung.
Die Hauptsache ist: Nicht auf Hungernde hören.
Die Hauptsache ist: Nicht das Straßenbild stören.
Nur nicht schrein.
Mit der Zeit wird das schon.
Alles bringt euch die Evolution.
So hats euer Volksvertreter entdeckt.
Seid ihr bis dahin alle verreckt?
So wird man auf euern Gräbern doch lesen:
sie sind immer ruhig und ordentlich gewesen.
Für Ernst Toller
Der schlimmste Feind, den der Arbeiter hat,
das sind nicht die Soldaten;
es ist auch nicht der Rat der Stadt,
nicht Bergherrn, nicht Prälaten.
Sein schlimmster Feind steht schlau und klein
in seinen eignen Reihn.
Wer etwas diskutieren kann,
wer einmal Marx gelesen,
der hält sich schon für einen Mann
und für ein höheres Wesen.
Der ragt um einen Daumen klein
aus seinen eignen Reihn.
Der weiß nichts mehr von Klassenkampf
und nichts von Revolutionen;
der hat vor Streiken allen Dampf
und Furcht vor blauen Bohnen.
Der will nur in den Reichstag hinein
aus seinen eignen Reihn.
Klopft dem noch ein Regierungsrat
auf die Schulter: »Na, mein Lieber …«,
dann vergißt er das ganze Proletariat –
das ist das schlimmste Kaliber.
Kein Gutsbesitzer ist so gemein
wie der aus den eignen Reihn.
Paßt Obacht!
Da steht euer Feind,
der euch hundertmal verraten!
Den Bonzen loben gern vereint
Nationale und Demokraten.
Freiheit? Erlösung? (Gute Nacht.
Ihr seid um die Frucht eures Leidens gebracht.
Das macht: Ihr konntet euch nicht befrein
von dem Feind aus den eignen Reihn.
Bist du sein guter Kamerad
und stehst an seiner Seite –?
Und bist du ihm aus jedem Pfad
im Kampf mit diesem Klassenstaat
Gesellschaft und Geleite –?
Hat er die Frau, die ihn versteht?
Ist euch
ein Lied erklungen?
Und weißt du auch, warum er spät
noch abends in Versammlung geht:
für dich und deinen Jungen –?
Und ist dein Herz denn auch dabei?
Seid ihr die richtige Zweiheit?
Und machst nicht nur die Kocherei?
und tust auch was für die Partei?
Für Licht und Luft und Freiheit –?
Und hilfst du ihm auch für und für
im Wirken und im Schaffen?
Und bildest du dich nach Gebühr?
und stehst nicht an der Kirchentür?
und hörst auf keinen Pfaffen –?
Und hältst du ihn auch nicht zurück,
wenn rote Fahnen rufen –?
Er kämpft für euer Lebensglück!
Geh mit ein Stück! Geh mit ein Stück!
Empor zu neuen Stufen –!
Du, Mutter, halt den Alten jung!
es kann ihm gar nichts schaden.
Du, Frau, trägst viel Verantwortung.
Und hoch ertönt im neuen Schwung
das Lied – das Lied
vom guten Kameraden –!
Wir haben Lungenkranke,
die brauchten Berg und Schnee;
sie heilen –? Kein Gedanke!
Wir brauchen die Armee.
Da kostet jeder Junge
mit Stiefel und Gewehr
pro Mann eine Lunge –!
Das ist unser Heer.
Von dem, was die verschwenden,
von dem, was da veraast:
könnten wir Gutes spenden,
wo die Schwindsucht rast.
Der Proletarierjunge
krepiert so nebenher …
Pro Mann eine Lunge –
das ist unser Heer.
Es fällt durch graue Scheiben
ein trübes Tageslicht;
die Kranken, die da bleiben,
überleben den Sommer nicht.
»Zeigen Sie mal die Zunge!
Na ja – das wird nichts mehr!«
Pro Mann eine Lunge –
das ist unser Heer!
Sie haben Feldgeschütze,
Schiffskreuzer und Musik;
in schwarz-rot-goldner Mütze
bezahlts die Republik.
Sie setzen an zum Sprunge.
Sie sind das Militär.
Sie stehlen uns Herz und Lunge.
Wann – Junge! Junge! –
wirfst du sie in hohem Schwunge
ihrem Kaiser hinterher –?
Du bist so schwer, du bist so blaß –
was hast du, Mutter?
Du willst etwas und weißt nicht was –
was hast du, Mutter?
»Ich trag in meinem Leibe ein Kind;
ich weiß, wie seine Geschwister sind:
ohne Stiefel, ohne Wolle, ohne Milch, ohne Butter –
ich bin eine Mutter! Ich will keine Mutter mehr sein!
Laß mich schrein –!
Laß mich schrein –!«
Es darf und darf mir nicht zur Welt!
»Frau, was wollen Sie?«
Mein Mann ohne Stellung – wir haben kein Geld!
»Frau, was wollen Sie?«
Ich will nicht, daß man für eine Nacht
mich und die Kinder unglücklich macht!
Dieselben Rechte will ich wie die Reichen,
die ungestraft zum Abtreiber schleichen –
Warum will mich denn keiner befrein?
Laßt mich schrein –!
Laßt mich schrein –!
Mit Schreien ist da nichts getan –
Wacht auf, ihr Frauen!
Nieder mit kirchlichem Größenwahn!
Wacht auf, ihr Frauen!
Ihr krümmt Euch vor Schmerzen, und in Euer Ohr
tönt heulend der Unternehmerchor:
»Trag es aus! Trag es aus!
Trag es aus im Sturmgebraus!
Wenn der Staat bleibt bestehn,
könnt Ihr alle zu Grunde gehn!
Ihr habt nichts zu fressen?
Wir brauchen die Kinder für Dortmund und Essen,
für die Reichswehr und für die Bureaus –
und wenn Ihr krepiert, dann sind wir Euch los!«
*
Aus Jodoform und blutigem Leinen
kommt winselnd eines Kindes Weinen.
Es wartet an dem kleinen Bett
bereits ein mächtiges Quartett:
Fabrik. Finanzamt. Schwindsucht. Kirchenzucht.
Das ist das Schicksal, einer deutschen Leibesfrucht.
Einstmals, als ich ein kleiner Junge
und mit dem Ranzen zur Schule ging,
schrie ich mächtig, aus voller Lunge,
hört ich von fern das Tschingderingdsching.
Lief wohl mitten über den Damm,
stand vor dem Herrn Hauptmann stramm,
vor den Leutnants, den schlanken und steifen …
Und wenn dann die Trommeln und die Pfeifen
übergingen zum Preußenmarsch,
fiel ich vor Freude fast auf den Boden –
die Augen glänzten – zum Himmel stieg
Militärmusik! Militärmusik!
Die Jahre gingen. Was damals ein Kind
bejubelt aus kindlichem Herzen,
sah nun ein Jüngling im russischen Wind
von nahe und unter Schmerzen.
Er sah die Rohheit und sah den Betrug.
Ducken! ducken! noch nicht genug!
Tiefer ducken! tiefer bücken!
Treten und Stoßen auf krumme Rücken!
Die Leutnants fressen und saufen und huren,
wenn sie nicht grade auf Urlaub fuhren.
Die Leutnants saufen und huren und fressen
das Fleisch und das Weizenbrot wessen? wessen?
Die Leutnants fressen und huren und saufen …
Der Mann kann sich kaum das Nötigste kaufen.
Und hungert. Und stürmt. Und schwitzt. Und marschiert.
Bis er krepiert.
Und das sah einer mit brennenden Augen
und glaubte, der Krempel könne nichts taugen.
Und glaubte, das müsse zusammenfallen
zum Heile von Deutschland, zum Heil von uns allen …
Aber noch übertönte den Jammer im Krieg
Militärmusik! Militärmusik!
Und heute?
Ach heute! Die Herren oben
tun ihren Pater Noske loben
und brauchen als Stütze für ihr Prinzip
den alten, trostlosen Leutnantstyp.
Das verhaftet, regiert und vertobackt Leute,
damals wie heute, damals wie heute –
Und fällt einer wirklich mal herein,
setzt sich ein andrer für ihn ein.
Liebknecht ist tot. Vogel heidi.
Solche Mörder straft Deutschland nie.
Na und –?
Der Haß, der da unten sich sammelt,
hat euch den Weg noch nicht verrammelt.
Aber das kann noch einmal kommen …!
Nicht alle Feuer, die tiefrot glommen
unter der Asche, gehen aus.
Achtung! Es ist Zündstoff im Haus!
Wir wollen nicht diese Nationalisten,
diese Ordnungsbolschewisten,
all das Gesindel, das uns geknutet,
unter dem Rosa Luxemburg verblutet.
Nennt ihr es auch Freiwilligenverbände:
es sind die alten, schmutzigen Hände.
Wir kennen die Firma, wir kennen den Geist,
wir wissen, was ein Korpsbefehl heißt …
Fort damit –!
Reißt ihre Achselstücke
in Fetzen – die Kultur kriegt keine Lücke,
wenn einmal im Lande der verschwindet,
dessen Druck kein Freier verwindet.
Es gibt zwei Deutschland –: eins ist frei,
das andre knechtisch, wer es auch sei.
Laß endlich schweigen, o Republik,
Militärmusik! Militärmusik –!
Hoher Kragen, eingezwängt in die Affenjacke;
der Zivilleib, angestrengt,
weicht dem Zeitgeschmacke.
Fremd und leer blickt dein Gesicht.
Du verstehst das Ganze nicht.
Letztes Bild und letzter Klang – du bist weggegangen.
Und ich muß nun lebenslang
mich nach beiden bangen.
Um dich pflügt der Bauernpflug.
Du bist Lehm und hast genug.
Lieber, seh ich heut dich an, häßlich und verkleidet,
hab ich oft dich toten Mann
grüßend sehr beneidet.
Läuse, Leutnant, blutiges Gras –
Sage, wofür tatst du das?
Auf uns sieht derselbe Mond,
sehn dieselben Sterne –
Deutschland, ewig knechtgewohnt,
lechzt nach der Kaserne.
Qual, vier Jahr, gestohlnes Fressen
sind vergessen – sind vergessen …
Brüllend rufen Rottenlieder:
»Morgen wieder! morgen wieder!«
Gruß Dir –!
Du bist dran zerschellt:
an dem letzten Dreck der Welt.
Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?
Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?
Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,
und du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Mutter, für den Graben.
Junge, kannst du noch an Vater denken?
Vater nahm dich oft auf seinen Arm.
Und er wollt dir einen Groschen schenken,
und er spielte mit dir Räuber und Gendarm.
Bis sie ihn Dir weggenommen haben.
Für den Graben, Junge, für den Graben.
Drüben die französischen Genossen
lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.
Alle haben sie ihr Blut vergossen,
und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.
Alte Leute, Männer, mancher Knabe
in dem einen großen Massengrabe.
Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!
Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!
In die Gräben schickten euch die Junker,
Staatswahn und der Fabrikantenneid.
Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
für das Grab, Kamraden, für den Graben!
Werft die Fahnen fort!
Die Militärkapellen
spielen auf zu Euerm Todestanz.
Seid Ihr hin: ein Kranz von Immortellen –
das ist dann der Dank des Vaterlands.
Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
schuften schwer, wie Ihr, ums bißchen Leben.
Wollt Ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
übern Graben, Leute, übern Graben –!
Am 3. Dezember 1928 jährt sich zum zweiten Mal der Todestag Siegfried Jacobsohns
Bei allem, was ich tu und treibe,
denk ich an eine starke Hand;
die lenkt mich heut noch, wenn ich schreibe,
ob auch der Freund uns jäh entschwand.
Der Freund – ich nannt ihn dann und wann:
den kleinen Mann.
Er war uns viel.
Der wollt nicht dämpfen,
er packte wuchtig seine Zeit.
In Lärm und Streit und lauten Kämpfen;
ein Blick – wir wußten gleich Bescheid.
Und kämpf ich heut – wie fehlt mir dann
der kleine Mann!
Er hat uns vieles hinterlassen:
den Dienst am Werk und Schuld und Pflicht.
Ich will im Lieben und im Hassen
so tun wie er – stets kann ichs nicht.
Ich hab mich oft in Zweifeln still gefragt:
»Was hätte wohl S. J. dazu gesagt –?«
In seinem Sinn will ich mir Mühe geben:
die Wahrheit an das helle Taglicht heben –
aus Liebe streiten – in der Stille leben …
Das sieht von oben freundlich lächelnd an
der kleine Mann.