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12. Kapitel

Mitternacht war längst vorüber, aber in der Studierstube von Professor Gervinus brannte noch immer das Licht. Der Arzt saß vor seinem Schreibtisch und hatte den Kopf schwer in die Hand gestützt. Was war doch alles in den letzten Tagen auf ihn eingedrungen. Eva war noch nicht zurückgekehrt. Ein Brief an sie war uneröffnet zurückgekommen, Lothar hatte darauf vermerkt: Annahme verweigert. Das schmerzte ihn tief, er wußte, daß Eva gegen ihn eingenommen war, denn sie hatte nicht allein jenes Schreiben des Vaters aus seinem Schreibtische genommen, sie mußte auch sonst alle seine Papiere durchwühlt haben.

Auch Wanda Scholz war ganz plötzlich aus dem Dienste gegangen. Dann kamen eine Reihe anonymer Briefe, die Gervinus das Zuchthaus in Aussicht stellten, und wenn er auch wußte, daß er von dieser Seite nichts zu befürchten hatte, kränkten ihn diese Schreiben doch.

Dazu kam noch, daß ihn jetzt seine Kollegen mehr und mehr angriffen. Lothar schien mit seiner neuen Heilmethode immer mehr Anhänger zu finden und die Art und Weise, wie man seine Forschungen herabsetzte, verletzten ihn. Er hatte gestern von der Aerztekammer ein Schreiben erhalten, mit dem Ersuchen, er möge über die Angelegenheit Fritz Krenkow und auch über den Zusammenstoß mit Doktor Krenkow einen eingehenden Bericht erstatten. Das Schreiben war äußerst liebenswürdig gehalten, man merkte daraus deutlich, daß sich die Aerztekammer auch noch nach Erhalt des gegnerischen Berichtes ganz auf seine Seite stellte. Daran war wohl das Verhalten Lothars schuld, der sich immer mehr Feinde durch sein hochfahrendes Wesen machte. Gervinus hatte seinen Bericht wahrheitsgetreu und ohne jede Beschönigung abgegeben.

Seine Sehnsucht nach Eva wuchs von Stunde zu Stunde und er suchte Gertraude von Billerbeck auf, damit sie ihm eine Aussprache mit Eva ermöglichte. Sie erklärte sich sofort dazu bereit und holte die Ahnungslose in ihr Haus, die erschrocken zurückprallte, als sie sich so ganz unerwartet dem Gatten gegenüber sah. Fassungslos blieb sie an der Tür stehen, durch die Gertraude rasch entschlüpfte.

»Du hast mich hier nicht vermutet, Eva. Aber ich ersehne eine Aussprache, die Klarheit bringen muß.«

Sie wollte fliehen, dann aber brach sich all ihr Jammer in dem einen Ausruf Bahn: »Ist es wahr, daß du Wanda Scholz liebst?«

In mildem Vorwurf schaute er auf sein Weib nieder. »Was sind das für Gedanken, Eva. Wer sprach dir solchen Wahnsinn?«

Sie schluchzte laut auf. »Du hast sie geküßt, du hast sie bezahlt, als ich fort war von dir, dann – bist du – –«

Ein Schaudern lief durch ihre Gestalt. Sie schwieg.

Eine starke Erregung spiegelte sich auf Norberts Zügen wieder. »Wer sagte dir das?«

»Wanda schwor es mir selbst.«

»Was schwur sie dir,« brauste er auf.

»Daß du in ihre Kammer gekommen seist, daß du sie geküßt habest und ihr schließlich drei Hundertmarkscheine schenktest. Ist das wahr, Norbert?«

Ein starkes Mitleid brach aus seinem Blick. »Arme, arme Eva, was mußt du gelitten haben!«

»Ist es wahr,« wiederholte sie zitternd.

Er lächelte auf sie hernieder. »Was sie dir sagte ist wahr. – Nein, erschrick nicht, erst höre mir zu. Hier hast du meine Hand, daß keine Unwahrheit über meine Lippen kommt. Willst du mir glauben?«

Sie hörte ihn kaum, sie war bei seinen ersten Worten zusammengebrochen. Da nahm er ihren Kopf, legte ihn an seine Brust und sprach zu ihr weich und zärtlich.

Anfänglich vermochte sie kaum seinen Worten zu folgen, dann aber lauschte sie in immer steigender Aufregung, und als er endlich geendet hatte, schlug sie die Hände vor das Gesicht und weinte.

»Du siehst nun, Eva, jene falsche Person hat wahr gesprochen, und ich kann verstehen, daß der Schein gegen mich war. Ich zürne dir darum nicht. Nur eines will ich von dir wissen. Wer gab dir das Recht, das Geheimfach meines Schreibtisches zu erbrechen. Was veranlaßte dich, meine Papiere zu durchsuchen und mir wertvolle Aufzeichnungen zu entwenden?«

Sie sank vor ihm nieder, er aber hob sie auf. »Nicht so, Eva, ich verlange jetzt eine ehrliche Antwort von dir, ich will genau wissen, was dich zu dieser Handlungsweise trieb.«

Es dauerte sehr lange, bis Eva sich einigermaßen beruhigt hatte, bis er von ihr alles erfuhr. Aber als sie dann beteuerte, daß sie kein anderes Schriftstück entwendet habe, da furchte sich Norberts Stirn.

»Ich ahne jetzt, wer hier seine Hand im Spiele hat. Aber rücksichtslos will ich vorgehen gegen alle die, die mit solchen schändlichen Waffen gegen mich kämpfen. Jetzt Eva sollst du aber auch alles wissen. Du weißt, dein Bruder feindet mich an, er hat die Aerztekammer zur Entscheidung angerufen. Die Zukunft wird lehren, was daraus entsteht. Ich aber will dich nicht halten, wenn dich dein Herz mehr zu deinem Bruder zieht. Ich will dich auch nicht drängen, mir sogleich jetzt deinen Entschluß mitzuteilen. Kehrst du mir wieder, so werden meine Arme jederzeit für dich geöffnet sein, um dich in alter Liebe an mein Herz zu nehmen. Jetzt gehe ich, überlege dir alles genau. Uebereile nichts. Ich werde dich lieb behalten, auch wenn du zu mir nicht zurückkehren solltest.«

Er war gegangen und als Gertraude Billerbeck viel später ins Zimmer trat, fand sie Eva, die bitterlich weinend den Kopf in den Armen vergraben hatte. Mit lieben Worten sprach sie auf die Unglückliche ein. Da umklammerte Eva die Trösterin.

»Was soll ich tun? Mein Herz ist völlig zerrissen, ich liebe meinen Bruder, aber ich liebe auch meinen Gatten. Niemals, niemals wird Frieden zwischen beiden werden. Was soll ich tun?«

»Was Ihnen Ihr Herz sagt, Eva.«

»Das ist das Schreckliche! Ich will den Bruder nicht verlieren, aber das würde geschehen, wenn ich zu meinem Manne zurückkehrte.«

Gertraude senkte betrübt den Kopf. »Gervinus liebt Sie tief, Eva, er wird es schwer überwinden.«

Ein wehes Schluchzen brach aus Evas Brust. »Ich will mit meinem Bruder reden. Er muß einsehen, daß Norbert gut und edel ist.«

Als sie dann ein wenig ruhiger geworden war, kehrte sie zu dem Bruder zurück. Erst ganz schüchtern, dann aber immer fester und bestimmter berichtete sie das Vorgefallene und trat energisch für den Gatten ein.

Lothar schaute die Schwester erstaunt an. »Du glaubst ihm alles was er dir sagte?«

»Ja, Lothar, ich glaube ihm alles, denn Norbert kann nicht lügen! Ich will jener gemeinen Person, die ihn so schwer verleumdete, Auge in Auge gegenübergestellt werden, ich will sehen, ob sie es wagen wird, ihre Lügen noch weiter aufrecht zu halten.«

»Ich glaube Fräulein Scholz mehr als jenem Schurken.«

»Schweige, Lothar! Du hast kein Recht, meinen Gatten zu beschimpfen!«

»Den Mörder unseres Vaters!«

»Mörder sagst du und mußt als Arzt doch wissen, daß er kein Mörder gewesen ist.«

Lothar zuckte die Achseln. »Das wird alles später entschieden werden. Jedenfalls wird er sich zu verantworten haben. Die Anzeige ist bereits erstattet.«

»Und wer tat das? Wanda?«

Eva lachte bitter auf. »Das sieht ihr ähnlich. Aber dich bedaure ich, daß du mit solch einer schlechten Person gemeinsame Sache machst.«

Achselzuckend wandte sich Lothar zur Schwester. »Er hat dich wieder mit schönen Worten umstrickt. Warte nur ab, es kann nicht mehr lange dauern, so wirst du ihn ganz erkennen.«

Die Papiere, die Wanda aus dem Schreibtische Professors Gervinus entwendet hatte, ergaben durchaus nichts Belastendes. Lothar bedauerte das beinahe. Er hätte gar so gern in Abgründe der Seele geschaut und fand hier nichts. Wenn ihm damit keine Waffe in die Hand gegeben war, warum hatte dann Wanda zu einem so unschönen Mittel gegriffen? Warum hatte sie diesen Diebstahl ausgeführt? Er grollte heimlich mit ihr. Schon zweimal hatte er versucht, ihr die Papiere zurückzugeben, sie aber hatte immer neue Ausflüchte gefunden, sie nicht wieder an sich zu nehmen.

Zwischen ihr und Eva war es zu einem heftigen Auftritt gekommen. Wanda hatte mit größter Ruhe ihre Aussage wiederholt und zahlreiche Aeußerungen fallen lassen, die Professor Gervinus mehr und mehr herabsetzten. Eva hatte ihr diese Andeutungen energisch verboten, wollte ihr schließlich die Tür weisen, doch da war der Bruder dazwischen getreten und hatte sich voll zu Wanda bekannt. Eine Stunde später forderte Eva, daß man Wanda den Zutritt zur Wohnung des Bruders wehre, so lange sie noch anwesend sei, und als der Bruder auf diesen Wunsch der Schwester nicht einging, erklärte sie kurz entschlossen, das Haus noch heute zu verlassen und zu Gertraude Billerbeck zu gehen.

Lothar hatte sie nicht gehindert. In heftiger Mißstimmung waren die Geschwister geschieden. Eva wurde von Gertraude mit alter Freundlichkeit aufgenommen. Sie ahnte nicht, daß die Freundin bereits in aller Emsigkeit daran arbeitete, die beiden Ehegatten wieder einander zuzuführen.

Sprach man von Gervinus, so schilderte Gertraude immer nur dessen Einsamkeit und Freudlosigkeit, sprach ständig von seiner großen Güte und Wahrhaftigkeit, und so erwachte allmählich in Eva das Verlangen, zu dem Gatten zurückzukehren. Warum hatte sie das nicht schon lange getan? Der Bruder grollte ihr, der Gatte dagegen wartete in schmerzlicher Sehnsucht. Aber wenn sie zu dem Gatten zurückging, wurde die Kluft zwischen ihr und dem Bruder noch größer und dabei wollte sie doch so gerne mit ihm in Frieden leben.

So vergingen die Tage, ohne daß Eva zu einem endgültigen Entschluß kam. Dabei wurde sie immer elender. Sie bangte sich, ohne daß sie es recht wußte, um Norbert.

An einem Morgen erhielt sie einen Brief von Wandas Hand. »Wir werden uns freuen,« schrieb jene, »wenn Sie sich wieder einmal sehen lassen. Wir wollen allen Streit begraben sein lassen, denn ich habe mich mit Ihrem Bruder verlobt.«

Eva war sprachlos. Ihr hochfahrender Bruder hatte sich mit Wanda Scholz verlobt, deren Vater ein Trinker war. Zornig ballte sie den Brief zusammen, dann aber lächelte sie doch. Das war gewiß wieder eine neue Lüge, denn ihr Bruder begehrte eine ehemalige Dienerin sicherlich nicht zu seiner Frau.

Das Schreiben ließ ihr aber keine Ruhe. Obwohl sie von Lothar in Zorn geschieden war, wollte sie ihn doch aufsuchen, um ihn vor Wanda zu warnen. Er empfing sie gelassen und kühl. Aber Eva wollte absichtlich das verletzende Wesen nicht bemerken. Nach einigen freundlichen Begrüßungsworten ging sie direkt auf ihr Ziel los.

»Ist es wahr, Lothar, du hast dich mit Wanda Scholz verlobt?«

Hochfahrend sah er auf die Schwester. »Ja, hast du etwas dagegen?«

Eva war so betroffen, daß sie kein Wort vorbringen konnte. Dann stürzten ihr die Tränen aus den Augen. »Lothar, Lothar, was hast du getan!«

»Meinst du, daß Wanda schlechter ist, als dein Gatte, oder meinst du, es wäre keine standesgemäße Partie für mich? Schon als Kinder haben wir auf dem gleichen Hofe zusammen gespielt. Also, was willst du weiter?«

Da war Eva wieder davongegangen und kein freundliches Wort des Bruders hatte sie zurückgerufen. Nur als die Tür leise hinter ihr ins Schloß fiel, da legte er die Hand über die Augen, die plötzlich den Ausdruck der kühlen Ruhe verloren hatten. Ein Zug bitteren Wehes glitt über sein Gesicht, fast alt erschien sein Antlitz und ein dumpfes Aufstöhnen brach aus seiner Brust.

Niemals durfte Eva erfahren, daß er nur aus Furcht vor einem Skandal den Forderungen Wandas nachgegeben hatte, die ihm drohte, sie werde auch ihn ins Verderben reißen, wenn er sie nicht zu seiner Gattin nähme. Schon mehrfach war ihm der Gedanke gekommen, seinem Leben ein Ende zu machen. Doch dann biß er die Zähne zusammen und murmelte: »Auch das werde ich ertragen, mein ganzes Leben soll nur eine Rache an Gervinus sein und Wanda muß mir dazu helfen. Ich brauche sie dazu.«


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