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Vergeblich hatte Gertraude Eva zu überreden versucht, sie möge noch längere Zeit bei ihr bleiben. Aber Eva hatte bereits ihre wenigen Sachen zusammengepackt, um ganz zu dem Bruder überzusiedeln. Sie wollte der Freundin nicht noch länger zur Last fallen, außerdem fühlte sie sich im Billerbeck'schen Hause sehr unbehaglich. Das Verhältnis der beiden Ehegatten zueinander war ein so peinliches, denn Billerbeck versuchte mit jeder Bemerkung seine Frau zu kränken und in den Augen der Anwesenden herabzusetzen. Gertraude ertrug alles mit heroischer Würde, ja, sie bemühte sich sogar, den Bemerkungen einen möglichst harmlosen Anstrich zu geben und entschuldigte den Gatten vor den Anwesenden ständig. Aber Eva sah doch, wie furchtbar die Freundin darunter litt und so wollte sie sich nicht länger halten lassen. Lothars Wohnung war ja auch geräumig genug, um Eva für einige Zeit aufzunehmen. So verabschiedete sie sich schon am kommenden Morgen mit größter Herzlichkeit von Gertraude. Noch einmal legte ihr die Freundin dringlich ans Herz, sich nicht zu Unvorsichtigkeiten hinreißen zu lassen. Eva lächelte leise.
»Habe nur keine Sorge, Gertraude. Es ist mir schon heute, als sei mein Gatte nicht so schuldig, wie es den Anschein hat.«
Stürmisch ergriff Gertraude Evas Hand. »Das ist ein Wort, das mich froh macht, Eva. Dein Gatte ist viel zu edel, um etwas Unrechtes zu tun.«
Während Eva zu Lothar fuhr, überlegte sie nochmals alles. Gertraude hatte recht. Es war am richtigsten, sie kehrte zu Gervinus zurück, auch wenn der Bruder anderer Meinung war. Bei dem Bruder angekommen, wurde ihr der Bescheid, daß der Arzt augenblicklich Besuch habe, sie möge ein wenig warten. Aber als sie dann ihren Namen nannte, als das Hausmädchen sie dem Arzte meldete, bekam sie sofort die Aufforderung, ins Sprechzimmer zu kommen. Der Bruder wandte sich soeben an ein junges Mädchen, das ihm gegenübersaß:
»Sie werden der gnädigen Frau wiederholen, was Sie soeben mir berichtet haben. Sind Sie dazu bereit?«
»Ja.«
Aufgeregt schritt Lothar in seinem Zimmer auf und ab. Was er gerade vernommen hatte, erregte ihn ungeheuer. Wanda Scholz war in aller Frühe zu ihm gekommen und hatte ihm erzählt, daß sie nicht mehr länger im Hause Professor Gervinus bleiben könne. Auf seine Fragen, aus welchem Grunde ihr Fortgehen so schnell nötig sei, berichtete sie, sie habe ihr Ehrenwort gegeben zu schweigen. Da wurde Lothar ungeduldig und fuhr sie mit harten Worten an. Wanda aber sprang auf.
»Was tun Sie für mich, wenn ich Professor Gervinus verderbe?«
Er betrachtete die Erregte erstaunt. Er sah den Haß in den Augen des Mädchens und erfuhr jetzt, daß der Schwager ihren Vater beschimpft und ihn auf die Straße geschleudert habe. »Haß ist in mir, glühender Haß! Ich will ihn verderben und kann es!«
Da hatte Doktor Krenkow sie aufgefordert, ihm alles zu erzählen und nun berichtete Wanda, daß Gervinus sie heute Nacht in ihrem Zimmer geküßt habe. »Hier,« sie schleuderte drei Hundertmarkscheine auf den Tisch, »die hat er mir heute Nacht geschenkt!«
Da trat Eva über die Schwelle und trat entsetzt zurück, als sie Wanda erkannte. Lothar aber ging auf die Schwester zu. »Du kommst zur rechten Zeit, Eva. Dein treuer, vielgeliebter Gatte hat die kurze Zeit deiner Abwesenheit dazu benutzt. um mit deiner Dienerin zarte Bande anzuknüpfen.«
»Das ist nicht wahr,« kam es entrüstet von Evas Lippen. »Sind Sie hierher gekommen, um mir das zu sagen?«
Wanda schlug die Hände vor das Gesicht. »In meines Herzens Not kam ich hierher und keine Stunde länger will ich in dem Hause bleiben, in dem man mir nachstellt.«
Eva zitterte vor Erregung. »Noch einmal, das ist nicht wahr!« bebte es von ihren Lippen.
Wanda erhob die rechte Hand. »Ich schwöre beim Andenken meiner guten Mutter, schwöre bei meiner ewigen Seligkeit, daß mich der Herr Professor gestern abend in meinem Zimmer besuchte, daß er mich küßte und mir schließlich dreihundert Mark schenkte.«
Ein wimmernder Laut kam aus Evas Munde. »Das ist nicht wahr, ich will es nicht glauben!«
»Es ist wahr, Eva,« tönte jetzt des Bruders Stimme an ihr Ohr. »Der Mann, der unseren Vater zu Grunde richtete, der streckt auch die Hände nach seinen Dienstboten aus. Du weißt nun, was du von ihm zu halten hast.«
Ihr Gesicht war aschfahl, ihre Augen flackerten. »Ich hörte den Schwur,« begann sie tonlos, »aber trotzdem glaube ich das alles nicht.«
»Eva, hast du vergessen, daß Gervinus unserem Vater den Tod gab?«
»Er mordete ihn nicht. Ein unglücklicher Zufall, dem wir dankbar sein müssen, ist es gewesen. Der Vater schlief sanft ein. Sonst hätte er sich vielleicht noch Jahre lang quälen müssen.« Sie wandte sich jetzt an Wanda. »Ist es bei Gott wahr, was du soeben sagtest? War mein Gatte heute Nacht in deinem Zimmer?«
»Ja, gnädige Frau, ich schwöre es bei meiner Seligkeit!«
»Er küßte dich, er gab dir das Geld?«
»Auch das ist wahr, gnädige Frau.«
»Ich glaube Ihnen das alles ohne weiteres,« nahm jetzt Doktor Krenkow das Wort. »Nach allem was vorgefallen, werden wir sogleich die nötigen Schritte zur Scheidung einleiten, Eva. Sie, Wanda, werden dann Ihre Aussagen vor Gericht zu beschwören haben.«
»Das will ich tun.«
Lothar trat jetzt zu seiner Schwester. »Ich mache deine Angelegenheit zu der meinen. Du tust mir furchtbar leid, ober ich kann dir das Schwere nicht ersparen. Aber Rache wollen wir an dem Manne nehmen. Ich werde nicht eher ruhen und rasten, als bis ich ihn von seiner Höhe herabgestürzt habe. Das sei meine Vergeltung.«
»Vergiß nicht, daß er nur immer Gutes an uns tat, Lothar.«
»Kennst du denn noch immer die Motive nicht, die ihn zu diesen anscheinend guten Werken trieben? Nur um sein Gewissen zu beruhigen, tat er das alles an uns!«
»Sei nicht ungerecht, Lothar.«
»Schweig still,« rief er empört. »Ich werde ihn entlarven, mein Wort darauf.«
Eva wandte sich schweigend von dem Bruder ab. Die Aufregungen der letzten Stunden wirkten furchtbar in ihr nach. Mit Aufbietung aller Kraft wandte sie sich nochmals an den Bruder: »Ich möchte ein wenig ruhen, Lothar, später reden wir weiter darüber.«
Wanda trat sogleich zu Eva. »Darf ich der gnädigen Frau behilflich sein?«
Heftig erschrocken wehrte Eva ab. Es erschien ihr unmöglich, sich von Wanda berühren zu lassen, und so geleitete der Bruder die Ermattete zur Tür. Dann wandte er sich nochmals an Wanda:
»Warten Sie noch einen Augenblick, ich bin sogleich wieder hier.«
Als er dann wieder ins Zimmer zurückkehrte begann er aufs neue mit Wanda zu verhandeln. »Es gilt jetzt gemeinsame Sache zu machen, Fräulein Scholz. Sie oder Ihr Vater können Anzeige wegen Mißhandlung erstatten. Auch den Fall Krenkow können Sie dem Gericht unterbreiten. Ich habe inzwischen noch eine andere Abrechnung mit ihm vorzunehmen.«
»Ich hatte bisher eine gute Stelle im Hause des Herrn Professors inne,« begann jetzt Wanda zögernd. »Diese Stellung kann ich natürlich nicht länger behalten, wenn es ruchbar wird, daß ich die Angeberin bin. Da ich aber Geldmittel nicht besitze, so muß ich erst wissen, ob mir genügende Garantien gegeben werden, daß ich ohne Not weiterleben kann. Sie werden das nicht schön von mir finden, aber was bleibt einem ehrlichen und anständigen Mädchen schließlich anderes übrig.«
»Ich werde natürlich dafür sorgen, daß Sie eine ähnlich gute Stelle bekommen. Außerdem bin ich auch bereit, Sie pekuniär für alle diese Unannehmlichkeiten zu entschädigen. Was fordern Sie von mir?«
Wanda schlug sanft die Augen zu Doktor Krenkow auf. »Ich möchte die Zeit des Herrn Doktor nicht für meine Privatsachen in Anspruch nehmen. Eine geeignete Stellung werde ich mir gewiß wieder selbst verschaffen können. Aber für's erste ist das unmöglich, da ich meinen todkranken Vater pflegen muß. Arzt und Medizin kosten aber viel Geld und so möchte ich den Herrn Doktor bitten, mir zweitausend Mark zu geben, ich werde versuchen, diese Summe nach Möglichkeit wieder abzuzahlen.«
»Ich erkenne Ihre Forderung an. Auch ich halte es für gut, wenn Sie für's erste noch keine Stellung annehmen, da man Ihre Zeit als Hauptzeugen stark in Anspruch nehmen wird. Ich bin bereit, Ihnen die gewünschte Summe zu geben. Das eine Tausend erhalten Sie als Entschädigung, das andere zahlen Sie mir ratenweise wieder zurück.«
Ein leichter Unwillen malte sich auf Wandas Zügen, aber sie verbarg ihre Enttäuschung, und so wurde durch ein schriftliches Abkommen diese Angelegenheit erledigt. Noch einmal versprach Wanda die Scheußlichkeiten Professor Gervinus möglichst rasch an die Oeffentlichkeit zu bringen, dann begab sie sich heim.
Sie wußte, Gervinus war heute abwesend, sie hatte daher Zeit, ihre Vorbereitungen zu treffen. Lange suchte sie nach den Schlüsseln, die Eva stets bei sich trug und fand sie auch. Nun war es ihr ein leichtes, in des Professors Schreibtisch einzudringen und alle Papiere einer Durchsicht zu unterziehen. Wertsachen und Geld ließ sie unberührt liegen, sie nahm nur solche Aufzeichnungen, die ihr von Nutzen zu sein schienen. Dann legte sie alles wieder, so gut es ging, an Ort und Stelle und verließ das Haus, um den Vater aufzusuchen. Er lag noch im Bett und sofort begann Wanda um ihre Pläne zu entwickeln. Jetzt galt es, Scholz aufzustacheln, damit er gegen Professor Gervinus vorginge. Er erklärte sich auch sogleich bereit, aber als Wanda dann verlangte, der Vater möge einen eingehenden Bericht an die Staatsanwaltschaft anfertigen, begann er zu weinen.
»Laß mich aus dem Spiel, Wandachen, ich bin ein armer alter Mann. Tue du was du willst, aber mich laß in Ruhe leben.«
»Schreibe,« herrschte sie ihn an. Aber als er sich noch immer wehrte, schrieb sie selbst die Anzeige nieder. »So, nun setze nur deinen Namen hier darunter.«
Aber selbst das wollte der Vater nicht tun. Da stampfte Wanda zornig mit dem Fuße auf. »Unterschreibe, oder ich stürze auch dich ins Verderben.«
Zitternd setzte Scholz seinen Namen unter das Schriftstück und frohlockend verließ Wanda das Zimmer.
Ihr nächster Gang war wieder zu Doktor Krenkow. Obwohl er Sprechstunde hatte, empfing er Wanda Scholz sofort. Mit einem innig bescheidenen Augenaufschlage legte sie die entwendeten Papiere vor dem Arzt auf den Tisch. »Vielleicht sehen Sie das alles gelegentlich einmal durch. Es ist mir schwer genug geworden, den Schreibtisch des Herrn Professors zu öffnen, aber ich tat es für Sie, um Material gegen den Herrn Professor zu finden.«
Lothar zuckte zusammen. »Sie entwendeten diese Papiere?«
Sie warf ihm einen zärtlichen Blick zu. »Ja, ich tat es für Sie.«
»Das hätten Sie nicht tun sollen, Fräulein Scholz. Es wäre mir lieb, wenn Sie das wieder in Ordnung brächten und diese Papiere wieder in den Schreibtisch des Herrn Professor zurücklegten.«
»Das ist unmöglich, Herr Doktor, denn ich habe das Haus Professor Gervinus bereits verlassen und die Anzeige erstattet.«
In größter Erregung schritt Doktor Krenkow im Zimmer auf und ab. Er schämte sich plötzlich. Auf diese Weise wollte er sich belastendes Material gegen den Schwager nicht verschaffen. Als sich aber Wanda dann mit bittenden Augen an ihn wandte und den jungen Arzt nochmals bat, die Papiere wenigstens zu sichten, erklärte er sich bereit, vorläufig die Schriftstücke zu behalten. In Wandas Augen leuchtete ein Triumph auf. Das Netz, das sie Lothar Krenkow über den Kopf warf, zog sich immer fester zusammen.